Bogotá, Kolumbien: Bürgermeister weggeputscht

Contracorriente 13 16.12.2013 12:47 Themen: Antifa Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Recht auf Bürgermeister?

Am 9.12.13 wurde der demokratisch gewählte Bürgermeister der 8 Millionen Metropole Bogotá, Gustavo Petro (1.Foto im Anhang) von dem sog. „Staatsprokuristen“, Alejandro Ordonez (2.Foto) des Amtes enthoben. Nun schlagen die Wellen hoch...
Gustavo Petro gilt al wichtiger Hoffnungsträger für ein modernes, tolerantes, friedliches und korruptionsfreies Kolumbien. Er steht außerdem für die Aufdeckung von Verbindungen zwischen mörderischen Paramilitärs zu dem konservativen Establishment. Und sein Beispiel steht dafür, dass fortschrittliche, linke Politik legal möglich ist in dem vom Bürgerkrieg geprägten Land.

Staatsprokurist Ordonez hingegen ist Parteigänger des Ex-Präsidenten Uribe. Mit diesem und anderen Vertretern der Ultrarechten soll er sich vor seiner Entscheidung getroffen und abgestimmt haben. (Zu beiden Personen und wofür diese stehen: Siehe auch Hintergrundtext.)

Das Ganze wird von vielen nun als eine Art Staatsstreich gewertet, zumal noch 15 Jahre Berufsverbot für Petro „obendrauf“ verhängt wurden und ein Widerspruch auch nur von besagtem „Staatsprokuristen“ entschieden wird.
Ebenso setzte Ordonez den ausgesprochen fortschrittlich verfassten Stadtentwicklungsplan außer Kraft, der eigentlich Gesetzes-charakter hat und entzog damit der Stadtregierung und Verwaltung von „Bogotá Humana“ die (mühsam erarbeitete) Grundlage.


Der „Müllskandal“,

welcher jetzt vorrangig als „Grund“ für die Amtsenthebung herbeigezogen wird liegt über 1 Jahr zurück und dauerte ganze 3 Tage – worüber europäische Metropolen, wie Madrid oder Neapel nur müde lächeln würden.

Nun aktuell kommt sogar ans Tageslicht, dass diese „Krise“ von den vorherigen privaten Unternehmen mutwillig herbeigeführt wurde: Sie schickten Hunderte von Müllwagen in der Übergangsphase kurzerhand in die Werkstatt, anstatt sie, wie vertraglich vereinbart zu übergeben. Zwei der Geschäftsführer dieser milliardenschweren Müllunternehmen waren dabei auch noch ausgerechnet die Söhne des Ex-Präsidenten Uribe.

In der Begründung des Prokuristen für die Amtsenthebung steht hingegen „Bürgermeister Petro hat bei der Müllkrise durch unverantwortliche Entscheidungen und Missmanagement die Gesundheit von 8 Millionen Bürgern gefährdet“.

Mittlerweile funktioniert die städtische Müllabfuhr übrigens nicht nur besser und wesentlich kostengünstiger als die vorherige privatwirtschaftliche, sondern gilt wegen ihrer „Null – Müll“ - Ausrichtung international als vorbildlich.


NO PASARÁN !

Petro und die Stadtregierung verweigern nun aber die Umsetzung der Amtsenthebung und mobilisieren in der Hauptstadt und darüber hinaus für die „Verteidigung von Bogotá Humana“. Es läuft auf eine zugespitzte Auseinandersetzung zwischen einerseits den ultrarechten und andererseits den linken, wie bürgerlich, liberalen Kräften hinaus.
(Transparent auf 3.Foto: „Sie werden nicht durchkommen -Bogotá wird das Grab des Uribismus“)

Am 14.12. kam es zu der bisher größten Protestversammlung. Bürgermeister Petro sprach eine Stunde vor der rammelvollen Plaza Simón Bolívar – ca. 50.000 waren gekommen. Eine Kernaussage von Petro: "Hier definiert sich ob der Frieden möglich ist oder nicht, ob Demokratie möglich ist – ja oder nein”.

Er zog Vergleiche zu historischen Ereignissen, wie der Ermordung Allendes in Chile oder des linken Präsidentschaftskandidaten Gaitan. Der Mord an ihn löste 1948 den Bürgerkrieg aus. Die Menge skandierte neben „NO PASARÁN“ auch „PRESIDENCIA“ – letzteres bezogen auf Petro und die Wahlen 2014 hier ein Link zur Rede:  http://youtu.be/nLnoBuok0D0?t=53m


Bogotá steht Kopf (4.,5. Foto)

In Bogotá selber kann sich Petro nicht nur auf Linke und Parteifreunde verlassen, sondern hinter ihm steht auch der ganz überwiegende Teil der städtischen Angestellten – zumeist überzeugte AnhängerInnen von „Bogotá Humana“. Hinzu kommen die aufgeklärten Intellektuellen, die Kulturelite der Stadt und die Studenten, die sowieso keinen Protest auslassen -diesen schon mal gar nicht.

Als völlig unkalkulierbar gilt eine mögliche massive Protest - Teilhabe von Jugendlichen aus Bogotás armen Stadtteilen im Süden – schließlich galt und gilt gerade ihnen die Politik von Petro und Bogotá Humana.

Die Ausrichtung des Protestes ist aus guten Gründen bisher explizit gewaltfrei: Gustavo Petro bedient sich dabei dem europäischen (Vor-)Bild der „Indignados“, der „Empörten“. Das Einzige, was einem Protestcamp „alá puerta del sol“ (Madrid) im Weg zu stehen scheint ist die momentane, tägliche Ausnutzung der Plaza Bolívar für Massendemos. Aber auch sonst im Land und sogar darüber hinaus kommt es nun zu zahlreichen Solidaritätskundgebungen.


Friedensprozess auf der Kippe

Derweil findet die nationale, gemäßigt konservative Regierung von Präsident Manuel Santos keine klare Position. Auch sie würde sich vermutlich nur allzu gerne des unbequemen Bürgermeisters entledigen.

Sie kann aber andererseits nun kaum für Ordonez öffentlich Partei beziehen, müsste aber in letzter Konsequenz entweder den „Procurador“ entmachten oder dessen Entscheidung durchsetzen, also notfalls Petro und andere verhaften lassen, sollten sie sich weiterhin widersetzen –woran diese bisher keinen Zweifel aufkommen lassen.

Spätestens dann wäre aber auch der Friedensprozess in allergrößter Gefahr und der ist schließlich das „historische Projekt“ an dem die nationale Regierung gemessen wird. Ein Scheitern würde vermutlich auch das politische Ende von Präsident Santos bedeuten und wahrscheinlich ein neues, blutiges Kapitel in der ohnehin leidvollen Geschichte des Landes aufschlagen.

Bei den ohnehin sehr schwierigen Friedensverhandlungen geht es neben „Waffenabgabe gegen soziale Reformen“ natürlich auch um eine „politische Zukunft ohne Waffen“ für die dann Ex-Guerilleros der FARC. Sollte aber nun selbst der als gemäßigt links geltende Petro erfolgreich „weggeputscht“ werden können ist dies natürlich mindestens mal ein starker Einschnitt bei dieser Perspektive. Nicht Wenige sehen darin auch den eigentlichen Plan von Ordonez & Co: Nachhaltiges Torpedieren des Friedensprozesses.

Dabei sind die Ultrarechten um Uribe ohnehin entschiedene Gegner jeglicher Verhandlungen mit „den Terroristen“. Aber angesichts der Tatsache, dass über 80% der KolumbianerInnen den Friedensprozess unterstützen und der von Uribe gegründeten neuen Partei keine großen Wahlchancen eingeräumt werden bemühen die Ultrarechten nun andere „Mittel und Wege“. Zu ihrem „Repertoire“ gehören nachweislich auch gezielte Mordanschläge gegen Linke.

Bototá, Hamburg den 16.12.2013


p.s.
Zu weiteren Hintergründen der Amtsenthebung (die Kurzform in 4 illustrierten Seiten):
Zu den Akteuren Gustavo Petro "von der Guerilla zum Bürgermeister" und Alejandro Ordonez "Ein Faschist?", die lokale Vorgeschichte(n), Inhalt und Ausrichtung von "Bogotá Humana", rechte Medienkampagne - solltest Du lesen um den Kontext besser zu verstehen...:  https://db.tt/MAbYQbNj

p.s. 2
Ergänzungen sehr erwünscht - außerdem gibt es jeden Tag ja eigentlich etwas Neues jetzt in Bogotá und die deutschen Medien berichten so gut, wie nichts...
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Ergänzungen

Danke,Text als PDF, Newswire?

Contracorriente 13 16.12.2013 - 13:19
Hallo liebes Medienkollektiv und auch alle,

erst Mal vielen Dank für das Hochladen und veröffentlichen, wie überhaupt für eure wichtige Arbeit.

Unter nachfolgendem Link kann der Text als layoutete PDF - Version runter geladen werden:  https://db.tt/8mTwpBwH

Dann ist es allerdings einfach schade, wenn der Beitrag nicht auch im Newswire erscheint. Der Vorgang ist schließlich hoch aktuell. Die Proteste gehen täglich weiter und es scheint auch noch nichts endgültig entschieden zu sein.

Und dann bedarf es bei solchen Artikeln natürlich auch immer einer Kommunkiation von und nach Kolumbien - und die braucht oft schlicht ein par Tage, wenn die Informationen denn halbwegs strukturiert, reflektiert, authentisch und gesichert sein sollen.

Dieser Text ist beispielseise seit 5 Tagen in der "Mache" und wanderte mehrach über dem "großen Teich" hin und her...;-)

Aktualisierter Artikel

Contracorriente 13 20.01.2014 - 15:30

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