Carmen F. aus SV entlassen

Thomas Meyer-Falk 29.11.2013 20:26 Themen: Repression
Die heute 47 jährige Carmen saß seit rund 14 Jahren in Haft; davon die letzten vier in (nachträglicher) Sicherungsverwahrung. Diese Woche kam sie frei.
Was ist SV


Vor genau 80 Jahren, mit Gesetz vom 24.11.1933, führten die Nazis den SV-Paragrafen ein. Seitdem kann der Staat Menschen auch dann weiterhin im Gefängnis festhalten, wenn die Strafe längst abgesessen ist. In Freiburg sitzt „Lilo“ seit 15 Jahren in SV, sein Kollege J. seit über 10 – um nur zwei Beispiele zu nennen. An Frauen wird SV nur selten vollstreckt; aktuell sitzen noch zwei in Frankfurt/a.M. im Gefängnis.


Der Fall Carmen F.


An ihrem Fall lässt sich gut erkennen, wie wichtig gute anwaltliche Vertretung sein kann. 2009 hätte sie ihre Strafen verbüßt gehabt, aber schon 2008 ordnete ein Gericht nachträglich die SV an. – Etwas das gegen die Menschenrechte verstößt, wie 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied.
Ihr Fall kam bislang nicht vor dieses Gericht, denn ihr damaliger Pflichtverteidiger riet von einer Klage ab, da sowas aussichtslos sei. Im SPIEGEL ließ er sich sogar, wie Carmen mir berichtete, ohne ihre Zustimmung einzuholen, dahingehend zitieren, seine Mandantin wolle nicht raus, habe sich „auf ein Leben hinter Gittern eingerichtet“.

Nach einem empfohlenen Anwaltswechsel dauerte es rund ein Jahr, bis nun Carmen F. auf erfolgreiche Intervention des auf SV spezialisierten Münchner Verteidigers Dr. Ahmed ( http://www.kanzlei-ahmed.de) hin frei kam.


Die SV im Fall Carmen F.


Verurteilt wegen Brandstiftung an Firmengebäuden und Raubes, kam Carmen in die baden-württembergische JVA Schwäbisch-Gmünd. Dort fügte sie sich weder dem Personal, noch Mitgefangenen. Die Südwest Presse schrieb zugespitzt „Furie in Einzelhaft“ ( http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Sicherungsverwahrung-Furie-in-Einzelhaft;art4306,2255546), denn Carmen soll andere gebissen und gekratzt haben.
Das unangepasste Verhalten in Verbindung mit einer unengagierten anwaltlichen Vertretung reichte aus, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen SV Erfolg hatte.


Die Isolationshaft


Erst in einer üblichen engen Knastzelle, seit Sommer 2013 in einer extra für sie erbauten 20m2-Zelle (mit Dusche, Herd und zwei Fenster), die das Land sich über 100.000 Euro kosten ließ, fristete sie seit Jahren alleine ihr Leben. Als 2010 das Anti-Folter-Komitee des Europarates die JVA Schwäbisch-Gmünd besuchte, gab die Anstaltsleitung an, dass Carmen als „besondere Vergünstigung“ trotz Isolationshaft Papier und Stifte erhalte, um malen zu können.
Glücklicherweise verfügt Carmen über eine stabile Psyche; in unserem Schriftwechsel wirkte sie stets voll orientiert, humorvoll und kritikfähig.
Etwas was ihr psychiatrische Gutachter rundweg absprachen; einige vom Gericht in den letzten Jahren beauftragte „Sachverständige“ plädierten dafür, sie in die Psychiatrie zu stecken und ihren Widerstand gegen jegliche Psychotherapie zu brechen, nämlich durch zwangsweise Vergabe von Psychopharmaka. Ausschließlich „zum Wohle von Frau F.“.
Dieser Plan scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht peu a peu die Landesregelungen in Deutschland zur Zwangsmedikation für verfassungswidrig erklärte ( http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/inpol/dGLGS9MLuP.shtml) Aber das OLG Stuttgart stellte noch vor Monaten in den Raum, dass sobald neue Gesetze die Zwangsvergabe erlaubten, Carmen F. damit rechnen müsse, verlegt zu werden – vom Knast in die Psychiatrie.


Die Entlassung


Ende November 2013, es war frostig kalt, traf die Entscheidung in Schwäbisch-Gmünd ein. Keine Psychiatrie, keine weitere Isolationshaft, erst recht keine Folter durch Zwangsmedikation – sondern sofortige Freilassung. Von jetzt auf gleich, ohne irgendeine Vorbereitung, setzte man Carmen F. auf die Straße.
Allerdings mit umfangreichen Auflagen: elektronische Fußfessel, nachts muss sie zuhause (sie wohnt bei einem Verwandten) bleiben, Feuerzeug oder Streichhölzer darf sie nicht bei sich führen.
Land- wie Oberlandesgericht kamen – endlich – zu der Einsicht, dass von Carmen F. gerade keine hochgradige Gefahr zur Begehung schwerster Gewalttaten ausgehe.
Es darf vermutet werden: ohne den kompetenten und engagierten Beistand ihres neuen Anwaltes dürfte sie sich nun nicht in Freiheit neu orientieren, sondern säße, vollgepumpt mit Psychopharmaka, in der Psychiatrie. Denn das Land Baden-Württemberg hat, unter Führung der GRÜNEN, zwischenzeitlich eilig die Zwangsvergabe von Psychopharmaka gesetzlich neu geregelt.
Fast auf den Tag genau 80 Jahre nach Verabschiedung des SV-Gesetzes durch die Nationalsozialisten, wurde Carmen F. aus der SV in die Freiheit entlassen.


Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtl.)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
 http://www.freedom-for-thomas.de
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Ergänzungen