Interview: Rassismus in Behörden

Straßen aus Zucker 26.11.2013 23:44 Themen: Antifa Antirassismus
In wenigen Tagen erscheint die neunte Ausgabe der "Straßen aus Zucker" zum Schwerpunktthema Rassismus. Für diese Ausgabe wurde ein Interview mit einem Antira-Aktivisten über Rassismus bei Behörden geführt. Erstveröffentlichung auf Indymedia.
Beispieltext

Ob Ausländerbehörde oder Jobcenter, überall erwartet People of Color in Deutschland eine ähnliche Situation: Unfreundliche Mitarbeiter_innen, wenig oder gar keine Erklärungen und oft auch mal ein widerlicher Spruch. Das liegt aber nicht allein an einzelnen schlecht gelaunten, latent rassistischen Mitarbeiter_innen der einzelnen Behörden, sondern das ganze hat System. Wir haben uns mit einem Antira-Aktivisten der Gruppe Corasol, die Menschen auf Ämter und Behörden begleitet, über seine Erfahrungen unterhalten.

SaZ: Was für Erfahrungen hast du bei der Ausländerbehörde oder beim Jobcenter gemacht? Wie sind die Leute da mit dir umgegangen?

P.: Als ich meine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hatte, musste ich mich beim Jobcenter anmelden.Dort habe ich eine sehr schlechte Erfahrung mit der Mitarbeiterin gemacht. Sie war unfreundlich und hat mir gesagt, sie wüsste nicht, warum ich nicht nach Frankreich gegangen bin und warum ich nach Deutschland gekommen bin. Sie hat das sehr deutlich ausgedrückt.Ich fragte sie, ob ich studieren oder eine Ausbildung machen kann und sie hat sofort „Nein“ gesagt, weil ich zu alt bin. Und wenn ich eine machen wollen würde, dann im Bereich Tourismus. Ich war total geschockt. Sie hat mir außerdem gesagt, wenn ich eine Ausbildung machen möchte, dann brauche ich zuerst ein Deutschkurszertifikat. Den Deutschkurs muss ich selbst bezahlen, aber ohne Deutschzertifikat finde ich keinen Job.Auch in dem Heim, in dem ich gewohnt habe, habe ich oft schlimme Erfahrungen gemacht. Wenn man dort krank wird, dann wird kein Arzt eine richtige Untersuchung machen, weil sie dich nicht berühren wollen. Du bekommst nur mündlich ein Ergebnis mitgeteilt. Sie sagen dir, dass du mehr Wasser trinken sollst oder man bekommt Schmerzmittel, aber du wirst nicht richtig untersucht. Wenn du einen Termin bei einem Arzt haben willst, dann bekommst du keinen.

Wie war das mit der Verständigung bei den Behördenbesuchen? Wie wird damit umgegangen, wenn du kein perfektes Deutsch sprichst?

Die Leute machen dann einfach zu und weigern sich mit dir zu reden. Sie sprechen auch keine anderen Sprachen.Wenn du kein Deutsch kannst, hast du Pech. Sie sagen nur zu dir: „Setz‘ dich hin und warte!“ Du könntest dein ganzes Leben da sitzen, ohne dass jemand auf dich zukommen würde. Das ist einfach die Realität.

Warst du immer alleine dort oder hat dich jemand begleitet?

Alleine war ich nie, weil ich das nicht gekonnt hätte. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute auf dem Amt mehr Respekt haben, wenn jemand dabei ist, der deutsch aussieht oder richtig gut deutsch spricht. Aber wenn du alleine bist, dann hast du keine Chance.

Bist du nach solchen schlechten Erfahrungen anders mit den Leuten auf dem Amt umgegangen?

Du bekommst einfach diese Wut, aber du musst dort hin. Egal wie schlecht du behandelt wirst. Wenn du dich aufregst, fliegst du raus. Es ist total schwer, jedes Mal musst du diese Schmerzen in dir behalten. Du fühlst dich danach total fertig und hast manchmal keine Lust, weiter zu kämpfen. Du fragst dich, warum die Menschen dort so sind und warum du dich so schlecht behandeln lassen solltest.

Aber hast du das Gefühl, dass das System hat?

Ja total. Schau dir mal das Jobcenter an. Da hast du das gleiche Gefühl wie auf der Ausländerbehörde. Die Ämter unterscheiden sich nicht. Auf dem Bürgeramt ist es genau das gleiche. Du bekommst eigentlich nie die richtigen Informationen. Niemand erklärt dir detailliert, wie du was machen musst. Die Ämtersprache ist auch einfach anders. Ich kenne viele Deutsche, die nicht mit der Sprache auf den Ämtern klarkommen. Wie soll das dann bei jemandem sein, der die Sprache gerade erst gelernt hat. Und wenn die Leute mal nett zu dir sind, musst du aufpassen. Sie stehen nicht auf deiner Seite. Das darfst du nie vergessen. Es gibt da vielleicht einzelne nette Leute, aber dieses System ist nicht nett. Sie können nicht anders, das System zwingt sie so zu handeln. Als ich im Heim gewohnt habe, gab es eine Sozialberaterin, die war wirklich freundlich. Sie ist auf uns zugekommen, hat uns gefragt ob wir Hilfe brauchen und hat uns gezeigt, was wir machen sollen. Zwei Monate danach war sie raus.

Zum Weiterlesen:

Die Gruppe Corasol kämpft durch politische Öffentlichkeitsar- beit und praktische Solidarität gegen Rassismus:

http://corasol.blogsport.de

Wer selbst aktiv werden möchte, findet auf den Seiten der Flücht- lingsräte Initiativen in seiner Umgebung. Eine Übersicht bietet die Seite des Berliner Flüchtlingsrats:

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/links.php#Raete

Grundlegende Informationen zu den Bedingungen, unter denen Geflüchtete nach Europa und Deutschland kommen und dort leben:

http://www.proasyl.de/de/themen/basics/basiswissen/

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Ergänzungen

Asylbewerber aus Frankreich?

ich 27.11.2013 - 21:33
ich wusste ja, dass da nicht alles ganz sauber ist, aber politische Verfolgung im Nachbarland?

Ich zweifle...

Übrigens kann das auch sehr von Ort zu Ort variieren. In Ostdeutschland habe ich auch als Deutscher schlechte Erfahrungen mit den Mitarbeitern gemacht. In Hamburg hatte eine Afrikanerin, die kein deutsch, sondern nur englisch konnte, mal eine Mitarbeiterin erwischt, die kein Wort englisch konnte. Kein Drama, die Mitarbeiterin hat ausgerufen, ob jemand englisch spricht und übersetzen kann. Ich konnte, und die Mitarbeiterin erklärte mir ausführlich auf deutsch, welche Unterlagen sie braucht, um den Antrag zu bearbeiten und wo die zu bekommen sind. Und das fiel da nicht weiter auf, das schien Usus zu sein.

Ich vermute nebenbei auch, dass die Mitarbeiter nur auf deutsch Auskünfte erteilen, weil bei den meisten das englisch/französisch/wasauchimmer nicht gut genug ist, um rechtsverbindliche Auskünfte zu erteilen. Da geht's ja schließlich nicht um Pipikram, sondern um wesentliche Entscheidungen. Einfach einen Dolmetscher mitbringen, dann läuft das. Mit Rassismus hat das nichts zu tun.

@ich

- 28.11.2013 - 12:35
Von "Verfolgung im Nachbarland" oder "Asylbewerber aus frankreich" ist in dem Interview überhaupt nicht die Rede, vielleicht solltest du den Text noch mal lesen.

Und zu deinem "mit Rassismus hat das nichts zu tun" dass auf der Ausländerbehörde nur deutsch gesprochen wird:
In der Touri-Info in Heidelberg oder dem Auswärtigen Amt sagt ja auch niemand "bring dir halt deinen Dolmetscher mit, wir sprechen hier nur deutsch". Der deutsche Staat unterhält eine Behörde, die per Definition überwiegend mit Menschen zu tun hat, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland sind, in der aber nur deutsch gesprochen wird und es keine systematisches Übersetzungsangebot gibt. Für Formulare und Anträge, die schon für Menschen kaum zu verstehen sind, deren erste Sprache deutsch ist, gibt es keine Übersetzungen. Was soll das denn bitte sein wenn keine systematische Benachteiligung aufgrund der Herkunft? Offensichtlich hat der deutsche Staat in manchen Fällen ein großes Interesse verstanden zu werden (z.B. Tourismus und Außenpolitik) in anderen Fällen offensichtlich nicht.
Dass solche Klugscheißer wie du sagen können "Einfach einen Dolmetscher mitbringen, dann läuft das", weil sie noch nie in der Situation waren, einen zu brauchen, ist ein anschauliches Beispiel für Rassismus: Einige Menschen können sich in der Sprache, die sie von klein auf gelernt haben mit Behörden auseinandersetzen, andere nicht. Und müssen sich dann noch blöde Sprüche von Menschen anhören, die von dieser Struktur profitieren.

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Dolmetscher — von Zmuda