Lampedusa, Migration und die Konnotationen.

Dominic Otiang'a 07.11.2013 15:38 Themen: Antirassismus Medien Netactivism Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Aufgrund des Strebens nach Gleichheit, wird immer abgelehnt werden, dass Reise- und Bewegungsfreiheit ausschliesslich fuer die Privilegierten reserviert sein soll. Kein Gesetz, ganz gleich wie hart und schnell implementiert, wird Bewegungen von Menschen von dem einen zum anderen Ort stoppen.
Wir koennen dem Ganzen Hindernisse in den Weg legen durch Konzepte wie Sicherheit, illegale Migranten, Visum, nationales Interesse und was es noch alles gibt. Aber Freiheit und Gleichheit werden letzten Endes in einer globalisierten Welt zusammenfinden. Es geht nicht mehr laenger um Freiheit von bestimmten Buergern einer Nation. Wenn die Welt ein `Global village‘ ist, dann sollten auch allen globalen Dorfbewohner die gleichen Rechte und Freiheiten zustehen.
Mehr als zu oft, wurde der Begriff ‘Migrant’ in abwertender und generalisierender Weise auf Menschen aus weniger priviligierten oekonomischen Regionen bezogen, die sich in wirtschaflich bessergestellten Regionen – auch bekannt als „der Westen“- aufhielten. In der USA wird gar der Begriff ‚Alien‘ dem Wort ‚Migrant‘ vorgezogen. Dagegen werden meistens Menschen aus dem Westen, die sich in oekonomisch „weniger entwickelten“ Regionen der Welt befinden, von westlichen Medien wiederum entweder als Experten oder Touristen bezeichnet.
Waehrend der Verfolgung der Ereignisse in Westgate - ein kenianisches Einkaufszentrum, was von Al-Shabaab attackiert worden ist – wurde schnell auffaellig, dass westliche Medien in ihrer Berichterstattung die Existenz der kenianischen Mittelklasse voellig unterschlagen haben. Dargestellt wurde das Einkaufszentrum Westgate als exklusiver Ort, ausschliesslich bestimmt fuer reiche Kenianer, Touristen sowie westliche Experten. Es stellt sich mir die Frage woran das fest gemacht worden ist. Hat irgendjemand etwa zuvor erforscht, ob es sich nicht auch bei den Anwesenden in Westgate um westliche Migranten gehandelt haben koennte oder war es bereits offensichtlich, dass es sich nur um entweder Touristen oder Experten handeln konnte? Der Hinweis darauf, dass Westgate angeblich ein exklusives Einkaufszentrum fuer Reiche sein soll, wurde schliesslich auch von manch einem angehenden kenianischen Journalisten uebernommen.
In dem Einkaufszentrum befand sich neben Geschaeften und Boutiquen auch eine Supermarktkette namens Nakumatt. Es darf davon ausgegangen werden, dass Supermaerkte nicht ausschliesslich fuer Reiche reserviert sind. Es ist auch nicht so, als ob Afrikaner Millionaere sein muessen, um in Einkaufszentren einkaufen gehen zu koennen. Selbst wenn von denselben Einkaufszentren die Rede ist, die auch von Europaern aufgesucht werden. Schliesslich sollte nicht vergessen werden, dass manche Europaer fuer einige Monate oder sogar Jahre Geld sparen muessen, um sich eine Reise nach Kenia ueberhaupt leisten zu koennen. Nicht jeder Europaer hat das Geld, um nach Kenia zu kommen und nicht alle, die es koennen, sind automatisch reich. Vorbei sind die Tage als die Mittelklasse im Westen mit reichsein in Afrika gleichzusetzen war – falls es ueberhaupt jemals so war. Damit soll nicht geleugnet werden, dass Armut in Kenia und Afrika existiert, jedoch sollten die Konnotationen, die in Bezug auf Afrika und Afrikaner gebraucht werden, hinterfragt werden.
Jedes Mal, wenn ein Boot voller Passagiere von Nordafrika auf dem Weg nach Lampedusa oder den kanarischen Inseln im Mittelmeer sinkt, werfen westliche Journalisten und Analysten nur so mit Woertern um sich, die die Wuerde der Opfer verletzen und sie als Marsmaennchen erscheinen lassen. (Als ob es unverstaendlich sei, warum Menschen migrieren und als ob diese Menschen die einzigen sind, die den Drag danach verspueren). Hugh Muir zum Beispiel, der fuer die britische Zeitung The Guardian arbeitet, hat am 4. Oktober folgende Frage in Bezug auf die Tragoedie von Lampedusa aufgeworfen:
“How do we reflect the truth that an undeveloped population – blessed or perhaps cursed with modern communications – will strike out for a better life in the developed world?”
(Wie gehen wir mit der Wahrheit um, dass eine unentwickelte Bevoelkerung – gesegnet oder vielleicht verflucht mit moderner Kommunikation – nach einem besseren Leben in der entwickelten Welt strebt?)
Man kann sich nur wundern, ob dieser Mensch namens Hugh Muir damit Bezug auf achtwochen-alte Foeti nimmt (mit der Vorstellung von schwimmenden afrikanische Spermien auf dem Weg nach Europa) oder gleichgestellte Buerger dieser Welt meint. Ich haette was besseres von jemanden wie Hugh Muir erwartet, ueber den gesagt wird, dass er intensiv ueber ‘race‘ und Sozialpolitik geschrieben hat.
Dies einmal auf Seite gestellt, welchen Einfluss haben Zaeune, Mauern, Barikaden und Grenzkontrollen oder Aufforderungen zum schiessen (shoot-to-kill orders) auf gesellschaftliche Vorurteile und den Wert von Migranten? Stellen Sie sich nur einmal vor, ein Nigerianer oder Senegalese oder ein Schwarzer aus Suedafrika landet in Lampedusa. Wird dieser Mensch genauso betrachtet und behandelt werden wie jemand aus Australien, den USA oder Europa? Von meinem subjektiven Standpunkt aus betrachtet, sage ich NEIN! Und ich kann nein sagen, weil ich selbst eine aehnliche Erfahrung gemacht habe. In Deutschland habe ich eine Franzoesin kennengelernt, die gerade ihren Job in einem Hotel in Lampedusa beendet hat und in Deutschland ankam. Sie beeugte mich argwoehnig und war ueberzeugt, dass ich ein illegaler und gefaehrlicher Immigrant aus Afrika sei. Sie fuehlte sich mir klar ueberlegen -Abgesehen davon, dass in Frage gestellt werden sollte, ob Migranten grundsaetzlich gefaehrlich sind, sah ich mich durch ihre Vorurteile gezwungen, mich anders zu verhalten. Ich musste mich eher vorstellen durch das was ich nicht bin, anstatt wer ich bin. Dies ist lediglich ein Beispiel fuer viele, in denen sich sogenannte Auslaender aus den sogenannten Entwicklungslaendern mit Vorurteilen und Stigmatisierungen durch EU-Buerger und eben nicht nur durch die Auslaenderbehoerde oder Polizei konfrontiert sehen.
Migration ist Teil menschlichen Lebens – Es liegt in der menschlichen Natur. Wir koennen nicht die Augen davor verschliessen, dass wir uns alle von Punkt A zu Punkt B bewegen. Sei es um eine neue Kultur zu erfahren, einen genaueren Blick auf die BIG FIVE zu erhaschen, zur Freizeitgestaltung, um ein Business zu betreiben, um zu studieren, auf der Suche nach besserer medizinischer Versorgung, um Jobs oder vielleicht noch bessere Jobs zu finden, usw. Aber warum sollte sich ein Mensch dafuer entscheiden eine lebensgefaehrliche Reise in ein fremdes Land anzutreten, wenn es die Option gibt, sicher Zuhause zu bleiben? Das ist meine Antwort: Freiheit.
Aufgrund des Strebens nach Gleichheit, wird immer abgelehnt werden, dass Reise- und Bewegungsfreiheit ausschliesslich fuer die Privilegierten reserviert sein soll. Kein Gesetz, ganz gleich wie hart und schnell implementiert, wird Bewegungen von Menschen von dem einen zum anderen Ort stoppen. In der Geschichte wurden Mauern gebaut, Fluechtige erschossen, Zaeune und andere Formen von Barrikaden errichtet mit dem gleichen Ziel, die Migration von Menschen ueber Grenzen hinweg, zu verhindern. Aber der Drang nach Freiheit ist staerker und haben den Versuch durch lebensbedrohliche Barrikdaden Migration zu stoppen, voellig scheitern lassen; die Berliner Mauer ist gefallen, die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist alles andere als effektiv, das gleiche gilt fuer die Aegypten-Sinai Barrikade.
Mike Scioli, der als Grenzwaechter/Grenzpolizist? an der US-mexikanischen Grenze taetig ist, bestaetigt, dass Grenzzaeune lediglich ein Tropfen auf dem heissen Stein darstellen. Seine Aussage spiegelt die Prophezeihung von Randy Hill wieder, der als Grenzwaechter im Del Rio Sektor in Texas beauftragt war bevor der Zaun gebaut worden ist. Er sagte, dass die Mauer Immigranten nicht stoppen wird, sondern lediglich den Prozess der sogenannten illegalen Einwanderung verlangsamt. Das bedeutet, dass weniger Illegale – oder besser Illegalisierte - pro Minute zu erwarten sind. Er haengte seinen Job an den Nagel, nachdem er dort fuer nur zehn Monate taetig war. Sein Nachfolger, Victor Manjarrez Jr. gab ebenfalls nach 9 Monaten auf und kuendigte. Es wurde berichtet, dass die meisten Agenten, die von der US-Grenzbehoerde, CBP (Custom and border patrol), eingestellt wurden innerhalb von 18 Monaten kuendigten. Man koennte meinen, dass es sich um einen schlecht bezahlten Beruf handelt. Aber die Insider der CBP stimmen ueberein, dass in diesem Job jemand gefragt ist, der hart im Nehmen (und Geben) ist, da es physisch und emotional extrem fordert. Manche Agenten berrichteten, dass sie manchmal mehr als dreimal dieselben Menschen verhaften und deportieren mussten. Die Verhaftungen wurden ohne Ruecksicht auf Verluste und ofttmals nicht gerade im Sinne von Menschenrechten durchgefuehrt. Die Berichte der Agenten sagt einiges ueber die Unmoeglichkeit den Drang nach Freiheit, nach Reise- und Bewegungsfreiheit, zu stoppen, aus. Und dass niemand moechte dafuer benutzt werden moechte, Menschenrechte zu verletzen.
In Europa hat die europaeische Union die Grenzschutzbehoerde Frontex damit beauftragt dieselbe Arbeit entlang der EU-Grenze zu verrichten. Das Motto von Frontex ist „Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit“. Das ist eine Ironie, denn in der Realitaet sind es gerade die Immigranten, die Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit brauchen. Diejenigen, die aus Kriegszonen kommen und die nach der Fluechtlingskonvention 1951 Sicherheit und Schutz nicht nur benoetigen, sondern ein Recht darauf haben. Das war damals ein Fortschritt in Bezug auf Gerechtigkeit. Frontex dagegen macht ueberhaupt nichts, was mit dem eigenen Motto verbunden ist.
Es gab Menschenrechtsverletzungen in Form von Sklaverei. Die Opfer und diejenigen, die eine andere Auffassung hatten kaempften fuer das Ende dieser grausamen, menschenverachtenden Praxis. Dann kam Kolonialismus und Freiheitskaempfer bekaempften es. Der naechste Kampf wird dem Recht auf Reise- und Bewegungsfreiheit gewidmet werden.
Nehmen wir einmal an, zwei frei ausgewaehlte arbeitslose Jugendliche, einer von den Strassen Sowetos (Suedafrika) oder aus Neu Deli (Indien) und der andere aus den Strassen Brooklyns, New York oder East London erhalten die gleiche Summe von 15.000 US Dollar, um damit um die Welt zu reisen. Das Ergebnis wird sein, dass diejenigen aus westlichen Laendern mehr Reisefreiheit haben als die Menschen aus anderen Teilen der Welt. Es ist nicht einfach fuer eine Person aus der sogenannten dritten Welt westliche Grenzen zu ueberqueren im Gegensatz zu einkommensschwache Europaer, die bequem und einfach quer durch die Welt reisen koennen. Ein Afrikaner aus Nigeria, Angola oder Tunesien zum Beispiel, muss in den europaeischen Botschaften vorstellig werden und einen hohen Betrag fuer ein beschaemendes, langwieriges Visumsantragsverfahren zahlen, um ueberhaupt eine Chance zu haben in westliche Laender zu reisen – es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Antraege zu stellen, keine Reisegarantie ist, sondern diese oft und gerne abgelehnt werden.
Medienberichten zu Folge zahlen Asylsuchende, die von Nordafrika nach Europa reisen, etwa 10.000 Euro. Das ist mehr als genug, um ein eigenes Business zu eroeffnen und finanziell unabhaengig im eigenen Land zu werden. Ein Umstand, der eigentlich jedem, der glaubt, dass Armut in Afrika der einzige Grund fuer Migration in den Norden sei, die Augen oeffnen sollte. Es handelt sich entweder um unverstellte Asylsuchende oder unschuldige Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben (greener pasture) genauso wie ein Italiener, der eine Eisdiele in Malindi (Kenia) eroeffnet oder ein Brite, der eine Reiseagentur in Suedafrika leitet. Wir koennen dem Ganzen Hindernisse in den Weg legen durch Konzepte wie Sicherheit, illegale Migranten, Visum, nationales Interesse und was es noch alles gibt. Aber Freiheit und Gleichheit werden letzten Endes in einer globalisierten Welt zusammenfinden. Es geht nicht mehr laenger um Freiheit von bestimmten Buergern einer Nation. Wenn die Welt ein `Global village‘ ist, dann sollten auch allen globalen Dorfbewohner die gleichen Rechte und Freiheiten zustehen.

Dominic Otiang'a
Autor von "United by a Strong Force of Separation" und die bevorstehende neue Titel "The German Dream"
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