Scholz und Vorurteil - Die Lampedusa-Demo

Kombinat Fortschritt 03.11.2013 14:55 Themen: Antifa Antirassismus Soziale Kämpfe

In ganz Deutschland fordern Flüchtlinge und antirassistische Initiativen eine humane Asylgesetzgebung und die Anerkennung ihrer Menschenrechte. In Hamburg kämpfen die Geflüchteten der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ und ihre Unterstützer_innen für ein Aufenthaltsrecht. Bürgermeister Olaf Scholz und sein SPD-Senat eskalierten die Situation in den vergangenen Wochen zusätzlich, indem die Hamburger Polizei über Tage rassistische Kontrollen im Stadtgebiet durchführte, um die Geflüchteten zu finden und abzuschieben. Tausende solidarisierten sich mit den Betroffenen und stellten sich gegen die Politik der SPD. Am gestrigen Samstag fand in der Hamburger Innenstadt eine Demonstration von 13- bis 15.000 Menschen statt, die ein Ende der rassistischen Senatspolitik und ein menschenwürdiges Asylsystem forderten.

Um 14:30 Uhr wird an der Nordseite des Hamburger Hauptbahnhofs mit der Begrüßung und Aufstellung der Demonstration begonnen. Neben den organisierenden und aufrufenden Gruppen „Lampedusa in Hamburg“ und ihren Unterstützer_innen ist ein sehr breites Spektrum von linksradikalen Gruppen bis hin zu Parteien und Gewerkschaften, sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen und interkulturellen Vereinen anwesend. Nicht nur aus Hamburg, sondern auch aus den umliegenden Bundesländern sind Flüchtlinge und ihre Unterstützer_innen in die Hansestadt gekommen, so auch aus Mecklenburg-Vorpommern. Als sich die Demo um kurz nach 15 Uhr in Bewegung setzt, kursiert eine erste Schätzung der Teilnehmer_innenzahl: Wir sind jetzt schon mehr als 10.000 Menschen, die heute auf die Straße gehen, um Olaf Scholz und seinen Senatoren zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Später wird die Demo die Binnenalster an drei von vier Seiten umschließen


Am 1. Mai diesen Jahres ist die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ im Rahmen des Evangelischen Kirchentages zum ersten Mal ins Licht der Öffentlichkeit getreten. Anfang November, ein halbes Jahr später, gibt es noch immer keine politische Lösung für alle Geflüchteten, welche der tödlichen Grenzsicherungsmaschinerie der EU und den Gefahren der offenen See entkommen sind. Der Protest ist in Hamburg indes immer weiter angewachsen. Längst geht es nicht mehr nur um die Gruppe der afrikanischen Flüchtlinge. Deshalb, so heißt es in einem Redebeitrag am Auftaktort, schaut heute nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische Öffentlichkeit auf die Kämpfe in Hamburg. Im Gegensatz zu vielen Orten im Westen und Osten der Bundesrepublik, in denen rassistische Zusammenrottungen gegen neue Flüchtlingsunterkünfte hetzen, wurden die Geflüchteten in Hamburg von der Bevölkerung willkommen geheißen. Es ist der SPD-geführte Senat, der gegen den Willen der eigenen Bevölkerung mit rassistischen Polizeikontrollen auf den Straßen und einer Blockadehaltung in der Politik gegen die Flüchtlinge und damit auch gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. So breit die Unterstützung in der Gesellschaft für das Anliegen der Hamburger Flüchtlinge ist, so breit ist auch die Beteiligung auf dieser Demonstration. Gewerkschafter_innen, Christinnen und Christen, Schüler_innen, Studies, Autonome und Flüchtlingsaktivisten tragen zahlreiche Transparente und Banner. In allen Teilen der Demo finden sich auch Eltern, die heute zusammen mit ihren Kindern demonstrieren. In einem Redebeitrag in der Kirchenallee wird klargestellt, dass es bei diesem Protest nicht nur um das Schicksal der afrikanischen Flüchtlinge aus Lampedusa geht, sondern auch um alle anderen Flüchtlinge, denn das Problem mit dem alle kämpfen ist das rassistische System der Asylgesetze und des Ausländerrechts.


In der Mönckebergstraße fließen dann zwei Ströme ineinander. Aus der einen Richtung die Demonstration, aus der Innenstadt die üblichen Massen an Samstagseinkäufer_innen. Am Rande der Demo bleiben Passanten stehen und bestaunen diese Menge, die Richtung Gerhart-Hauptmann-Platz strömt. „Ganz – Hamburg – hasst die SPD!“ schallt es im Chor aus der Demo. „Krass, sind das viele“ raunt ein junger Mann mit Shoppingtüten in der Hand seinem Begleiter zu. „Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall“ rufen jetzt die Demonstrierenden. „Kein Mensch ist illegal“ und „Bleiberecht für alle“ steht auch auf einem Banner und auf Fahnen, welche zwei Kletteraktivist_innen von zwei Bäumen auf der Höhe der U-Bahnstation über die Mönckebergstraße gespannt haben. Der Demozug biegt in Richtung Bergstraße ein und läuft Richtung Jungfernstieg. Polizisten stehen in Kampfmontur und beschützen die Glas- und Stahlfassaden der Shoppingpassagen. Am Jungfernstieg steht der durch die Medienberichterstattung für sein Engagement als Unterstützer der Lampedusa-Gruppe bekannt gewordene Horst „Hotte“ Kriegel mit einer Gruppe von Refugees. Sie schauen auf die vorbeiziehende Demonstration. Vom Lautsprecherwagen heraus wird gerade durch einen Sprecher vom Refugeeforum „The Voice“ ein Redebeitrag aus dem Englischen in Deutsche übersetzt.


Aber 10 000 sind auch kein Pappenstiel


„Lampedusa in Hamburg macht hier einen Unterschied und unterläuft und bricht mit zivilem Ungehorsam das Dublin-II-System“ heißt es in einem der Redebeiträge. Während Bürgermeister Olaf Scholz und seine Senatoren auf die geltende Rechtslage verweisen, zielt der Aktivismus der neuen Flüchtlingsbewegung in der Bundesrepublik nicht nur in Hamburg darauf, mit dem bewussten Brechen der Asylgesetze auf deren diskriminierenden und rassistischen Charakter hinzuweisen. Die Bedeutung des Protestes liegt in dem Einsatz, der damit ins Spiel gebracht wird. Die Frage von Veränderbarkeit und Reformierbarkeit von diskriminierenden Gesetzen ist nicht nur die Angelegenheit der unmittelbar von diesen Gesetzen Betroffenen. Wo die Hamburger Senatoren die Polizei anweisen rassistische Kontrollen durchzuführen, kämpfen Flüchtlinge und Bevölkerung die dagegen protestieren für die Rechte Aller. Demokratie lässt sich nicht auf Rechtsstaatlichkeit reduzieren. Der demokratische Charakter eines Gemeinwesens erweist sich dort, wo nach Protesten auf der Straße diskriminierende Gesetze verändert und abgeschafft werden können und somit ein Zugewinn an Gleichheit erkämpft werden kann.


Die legalistische Argumentation mit der Scholz und sein Innensenator auf die Geltung der Gesetze pochen, sagt also noch gar nichts über den demokratischen Charakter ihrer politischen Linie aus. Die praktische Entsprechung zur erklärten Haltung von Olaf Scholz und Co zeigt sich vielmehr in den Zusammenrottungen von Schneeberg und anderswo. Dort wird die aktive Diskriminierung eingefordert, die derzeitige politische Linie des Senats ist. Dort wird gerade heraus ausgesprochen was die SPD-geführte Regierung in juristischer Sprache verpackt: „Das Boot ist voll“. Echte Demokratie zeigt sich aber dort, wo eine Gleichheit eingefordert wird und durch gemeinsames politisches Handeln die Trennungen und Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Aktivist_innen und Unterstützer_innen in kleinen Schritten überwunden werden.


Der Kampf geht weiter!


Dies ist der Sinn des Redebeitrages, in dem der Schauspieler Rolf Becker auf Brechts Lehrstück „Die Ausnahme und die Regel“ Bezug genommen hat, als er die folgenden Sätze zititerte: „[F]indet das immerfort vorkommende nicht natürlich! Denn nichts werde natürlich genannt in solcher Zeit blutiger Verwirrung, verordneter Unordnung, planmäßiger Willkür, entmenschter Menschlichkeit, damit nichts Unveränderlich gelte.“ Der Kampf geht weiter! Der politische Druck auf die Regierung in Hamburg steigt, aber noch ist das Ziel einer gemeinsamen Anerkennung der Flüchtlinge in Hamburg nicht erreicht. Anderswo ist indes noch viel mehr zu tun. Im sächsischen Schneeberg wächst die gespenstische Allianz aus Neonazis und Bürgern weiter an. Und in Mecklenburg-Vorpommern will die NPD am Jahrestag der Reichspogromnacht in Friedland wieder gegen ein Flüchtlingsheim aufmarschieren. Ein Bündnis aus antifaschistischen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Initiativen kündigt dagegen Proteste an. Große Demonstrationen wie die in Hamburg geben Kraft für all diese kleinen und verstreuten Kämpfe.


Es sei abschließend noch einmal aus Brechts Lehrstück zitiert:

„Wir bitten euch aber:

Was nicht fremd ist, das findet befremdlich!

Was gewöhnlich ist, das findet unerklärlich!

Was da üblich ist, das soll euch erstaunen.

Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch

und wo ihr den Missbrauch erkannt habt

da schafft Abhilfe!“



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Ergänzungen

bürger und staat hand in hand

nie wieder deutschland 03.11.2013 - 15:08

Antirassistische Demo Greiz

gegen rassismus 03.11.2013 - 18:37
Am 09.11.2013 findet in Greiz (Thüringen) eine Antirassistische Demonstration statt.
Beginn ist 12:00 Uhr am Arbeitsamt in der Bruno-Bergner-Strasse in Greiz.

mehr Infos unter agv.blogsport.de

Kleines DEMO-ABC, Veranstaltung in der Flora

EA-HH 04.11.2013 - 23:19
In den vergangenen Wochen gab es in Hamburg erfreulich viele Demonstrationen und Aktionen, die größte am vergangenen Samstag - und es werden noch viele folgen. Dies nehmen wir zum Anlass für ein kleines Demo-ABC aus Antirepressionssicht für Einsteiger_innen, aber auch als Auffrischung für alle die nach vielen Demos und Aktionen „eigentlich nichts vergessen haben, aber“.

Unter anderem wird es um folgendes gehen:
Wie bereite ich mich am besten auf eine Demo vor? Was sind meine Rechte gegenüber der Polizei? Muss ich mich vor Platzverweisen fürchten? Augen spülen, aber wie? Was tun bei Festnahmen oder Gewahrsamnahmen? Was sind meine Handlungsspielräume auf der Polizeiwache? Was mache ich mit Post von Polizei oder Staatsanwaltschaft?

Außerdem könnt ihr gerne eure Fragen loswerden.

Wir freuen uns auf euch – Mittwoch 6.11. um 20 Uhr in der Roten Flora!
Euer Ermittlungsausschuss Hamburg