BO: Einige Gedanken zur Kundgebung des BgR

www.twitter.com/schwarzerhundbo 06.10.2013 22:54 Themen: Antifa Antirassismus
Einige Gedanken zur Kundgebung des Bochumer Bündnis gegen Rechts gegen die ProNRW-Kundgebung am Flüchtlingsheim an der Wohlfahrtstraße
Als wir uns gestern auf den Weg zur Kundgebung des BgR gegen die ProNRW-Kundgebung am Flüchtlingsheim an der Wohlfahrtstraße machten, erwarteten wir soliden, relativ lauten, wenn auch eher symbolischen Protest gegen die Hetze von ProNRW. Neulich in Hamme vor dem Sozialen Zentrum – und auch bei vielen anderen Gelegenheiten – hat das ganz gut geklappt. Meistens können zu solchen Anlässen sogar im Vergleich zu anderen Städten im Ruhrgebiet relativ viele Leute mobilisiert werden, die der Hetze etwas entgegensetzen wollen. Und vielleicht haben wir dem BgR bisher zu selten dafür gedankt, dass es sich verdienstvollerweise immer wieder darum kümmert, Gegenproteste gegen Naziveranstaltungen aller Art zu organisieren.
Diesmal haben wir uns allerdings sehr über die Ausgestaltung der Kundgebung geärgert und nehmen dies zum Anlass, eine Debatte über die Grenzen von Bündnispolitik anzustoßen. Auf der Kundgebung fielen zunächst die vielen SPD-Fahnen auf, was uns etwas gewundert hat, da Parteifahnen aller Art bei ähnlichen Veranstaltungen oft ausdrücklich nicht willkommen sind. Hinzu kommt, dass die SPD bisher nicht durch ein besonderes antifaschistisches Engagement geglänzt hat – was für eine Partei, die 1993 den Asylkompromiss mitbeschlossen und den Ausbau der Festung Europa und der europäischen Grenz“sicherungs“agentur FRONTEX vorangetrieben hat, irgendwie konsequent ist. Kurzum, dieselbe SPD lief nun also mit gefühlt drei Personen und fünf Fahnen auf. Angesichts der bisherigen Position der SPD zu Flüchtlingen wirkt das etwas deplaziert. Wir gehen davon aus, dass die über lange Jahre erfahrenen Genoss_innen des BgR das selbst wissen und dazu keine Belehrung von uns brauchen.
Aber okay, es mag Situationen geben, in denen breite Bündnisse nützlich sein können. Und es soll auch nicht darum gehen, dass unsereins sich über SPD-Fahnen und die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten wundert. Gerade, wenn es darum geht, Flüchtlinge zu unterstützen und gegen die Hetze von Rechtspopulist_innen zu schützen, wiegen solche „Befindlichkeiten“ vielleicht nicht so schwer. Zumal, wenn es, wie uns ein BgR-Aktivist erklärte, ausdrücklich darum ging, breitere zivilgesellschaftliche Kreise einzubinden, um ein möglichst großes Maß an Unterstützung für die Flüchtlinge zu erreichen.
Der Redebeitrag des Bezirksbürgermeisters Helmut Breitkopf-Inhoff (SPD) ist allerdings aus unserer Sicht auch in einem breiten Bündnis bis hin zur SPD untragbar. Breitkopf-Inhoff äußerte sich dahingehend, dass man die berechtigten Ängste von Anwohner_innen vor „Überfremdung“ ernstnehmen müsse. So oder ähnlich hätte mensch das sicherlich auch auf der ProNRW-Kundgebung auf der anderen Straßenseite hören können. Breitkopf-Inhoff erntete dafür zwar einige Kritik und Pöbeleien von anderen Kundgebungsteilnehmer_innen. Einer der Veranstalter, der im Anschluss an Breitkopf-Inhoff sprach, hatte dazu allerdings nicht viel mehr zu sagen, als dass es in Bündnissen ja immer unterschiedliche Meinungen gebe. Da der Genosse über viel Erfahrung und politisches Einschätzungsvermögen verfügt, muss leider davon ausgegangen werden, dass er genau wusste, was er tat: Der Redebeitrag des SPDlers war zwar unsäglich – aber aus Bündnisraison darf das nicht laut ausgesprochen werden. Da ist es einfacher, sich hinter der Vielfalt der verschiedenen Meinungen zu verstecken.
Wir denken, dass das Hochhalten des Bündnisfriedens nicht so weit gehen darf, dass Bündnispartner_innen nicht mehr kritisiert werden dürfen, wenn sie sich ähnlich äußern wie die, gegen die das Bündnis ins Leben gerufen wurde. Die Rede von angeblicher „Überfremdung“ ist eine völlig falsche Analyse und spielt ProNRW, NPD und Konsorten in die Hände. Es gibt keine „Überfremdung“! Und deshalb müssen – vermeintliche oder tatsächliche – „Überfremdungs“ängste von Anwohner_innen auch nicht ernstgenommen, sondern abgebaut werden. Sogar den Anwohner_innen selbst hilft es nicht weiter, wenn sie sich weiterhin der Illusion einer angeblichen „Überfremdung“ hingeben. Möglicherweise reale Ängste der Anwohner_innen vor sozialem Abstieg und/oder eigener Armut müssen zwar ernstgenommen werden – das geht aber sehr viel besser, wenn sie als Angst vor Armut thematisiert und auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt werden, anstatt soziale Verhältnisse zu ethnisieren und Flüchtlinge für soziale Probleme verantwortlich zu machen.
Wir hätten uns vom BgR eine deutlichere Abgrenzung von Breitkopf-Inhoffs „Überfremdung“srede gewünscht. Ein Aktivist des BgR, den wir darauf angesprochen haben, empfahl uns, doch demnächst eine eigene „linksradikale“ Kundgebung ohne die SPD anzumelden. Dazu möchten wir noch sagen, dass Kritik am Begriff der „Überfremdung“ sowie am europäischen Grenzregime und der deutschen Migrationspolitik noch nicht besonders linksradikal ist, sondern auf vielfältige Weise auch von Personen und Gruppen aus dem eher ‚bürgerlichen’ zivilgesellschaftlichen Spektrum vorgebracht wird. Insofern wäre zu erwarten, dass auch das Bochumer Bündnis gegen Rechts in der Lage ist, einen SPDler, der von „Überfremdung“ daher redet, in die Schranken zu weisen. Solchen Mist wollen wir auf BgR-Kundgebungen demnächst nicht mehr hören und fordern deshalb das BgR auf, Konsequenzen zu ziehen und seine Bündnispolitik neu aufzustellen!

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Ergänzungen

Kontxt

SchwarzerHundBo 07.10.2013 - 00:01
Der Kontext unserer Gedanken ist übrigens die Kundgebung über die hier berichtet wird:  http://www.bo-alternativ.de/2013/10/05/pronrw-hetze-ohne-resonanz/

Sorry, war schon spät!

Zu viel Ehre

Martin 07.10.2013 - 07:54
"Und vielleicht haben wir dem BgR bisher zu selten dafür gedankt, dass es sich verdienstvollerweise immer wieder darum kümmert, Gegenproteste gegen Naziveranstaltungen aller Art zu organisieren."
Das wäre nicht nur überflüssig sondern falsch. Um es am Beispiel von Pro NRW zu erläutern:
Zur Gegendemo zur ersten Pro-NRW-Demo in der Diebergstraße hatte die Antifa-Jugend aufgerufen, zur zweiten in der Humboldstr. riefen BSV und Jugendring auf, zur dritten in Leithe gab es ein breites Vorbereitungsbündnis und vier Organisationen haben Gegenkundgebungen angemeldet. Gegen den Aufmarsch von Pro Deutschland wurde nichts angemeldet und das SZ hat den Protest organisiert.
Das BgR hat die jeweiligen Proteste lediglich unterstützt, aber nicht hauptverantwortlich organisiert

Der jetzige Auftritt von ProNRW war seit 5 Wochen bekannt. Und erst als deutlich wurde, dass dieses Mal niemand mobilisierte, hat das BgR einige Tage vor dem ProNRW-Auftritt eine Gegenkundgebung angemeldet und zur Teilnahme aufgerufen.

Dies ist für das BgR eine komplizierte Situation, weil es erheblich schwieriger ist, die Positionen zur Flüchtlings- und Asylpolitik in dem Bündnis unter einen Hut zu bringen, als bei einer Demo gegen einen NPD-Aufmarsch in der Innenstadt. Die SPD ist nicht Gast auf der Kundgebung des BgR sondern Teil des Bündnisses.

Wer bei der Demo genau aufgepasst hat, konnte auch bemerken, dass Helmut Breitkopf-Inhoff einen Redebeitrag vorbereitet hatte, der auf keinen Protest gestoßen wäre. Bevor er aber seine Manuskript vorgelesen hat, antwortete er auf den ersten Rede-Beitrag, in dem u. a. die Politik des SPD Oberbürgermeisters in Duisburg kritisiert worden war. Seine Antwort wurde laut durch Protest unterbrochen und die Kritik an seinem Beitrag sehr klar artikuliert.
Hätte es diesen Protest nicht gegeben, wäre es angemessen gewesen, in der Moderation etwas dazu zu sagen oder im dritten Redebeitrag darauf einzugehen.

Grundsätzlich halte ich es für die Verhältnisse in Bochum für einen gewaltigen Fortschritt, dass die SPD sich an solchen gemeinsamen Protestaktionen beteiligt.

Wenn sich der anfangs geäußerte Unmut in der Nachbarschaft gegen das Flüchtlingsheim an der Wohlfahrtstraße erheblich gelegt hat, dann ist das ein Erfolg, der ohne oder gegen die SPD in Bochum nicht möglich ist.

Das bedeutet nicht, dass ich meine Kritik an der Flüchtings-, Sozial-, Wirtschafts- oder Militärpolitik der SPD weniger klar äußere. Dafür habe ich zehn Tage im Wahlkampf neben dem Infostand der SPD gestanden und viele SozialdemokratInnen mit einem Transparent ziemlich provoziert. Das macht es der SPD sicherlich auch nicht einfach, mit mir zusammenzuarbeiten.

Auf dem nächsten Treffen des BgR am 24. Oktober wird sicherlich genügend Zeit sein, um über die Kritik zu diskutieren und Konsequenzen zu ziehen.