Friedensgespräche und Proteste gehen weiter

Kolumbieninfo 27.08.2013 08:29 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Die FARC-EP kehren an den Verhandlungstisch, sagten am Montag aber, dass sie den einseitigen Vorschlag eines Referendums von Präsident Juan Manuel Santos nicht akzeptieren werden. Nun wollen sie im Sinne des kolumbianischen Volkes und des Friedens aber in Havanna weiter verhandeln. Währenddessen will die Regierung auch mit den Bauern einiger Regionen sprechen, die seit einer Woche im ganzen Land streiken und protestieren.
Die Delegierten der FARC-EP und der Regierung haben am Montag wieder die Gespräche nach einer kurzen Pause aufgenommen, die die aufständische Bewegung am vergangenen Freitag beschlossen hatten, um den Vorschlag zur Durchführung eines Referendum seitens der Regierung Santos zu diskutieren. Der Chef der Friedensdelegation der FARC-EP Iván Márquez verlas in Havanna eine Erklärung an die Medien, um zu bestätigen, dass sie „dem Verhandlungstisch getreu der Verpflichtung, den Frieden zu suchen“ erhalten bleiben. Dabei kritisierte er den einseitigen Vorschlag der Regierung.

Santos teilte am Donnerstag mit, dass seine Regierung dem Kongress einen Gesetzentwurf über ein Referendum vorschlagen würde, um über ein mögliches Friedensabkommen abstimmen zu können. Das Referendum hätte demnach zusammen mit den Parlamentswahlen am 9. März oder mit der Präsidentschaftswahl am 25. Mai des kommenden Jahres durchgeführt werden können. Die FARC-EP sind jedoch der Auffassung, dass ein Referendum nicht politisch und technisch nicht ausreichend wäre. Ein Referendum bzw. Volksentscheid dient nur zur Gegenzeichnung eines bestimmten Themas bzw. einer bestimmten Frage, doch die Agenda der Friedensgespräche ist weitaus komplexer.

Die umfangreiche Agenda kann nicht auf einzelne Aussage oder Fragestellung reduziert werden. Und würde man die Aussage bzw. Fragestellung zu weit ausdehnen, dann würde sie eventuell nicht gelesen oder verstanden werden. Für die Veränderung einer Gesellschaft und zur Umsetzung eines dauerhaften Friedens sind weitreichende Transformationen notwendig. So bekräftigte die aufständische Bewegung ihren Vorschlag, dass eine verfassunggebende Nationalversammlung die am besten geeignete Möglichkeit wäre, um ein eventuelles Friedensabkommen und die sechs Punkte der umfassenden Agenda zu billigen und zu ratifizieren.

Währenddessen verkündete die Regierung Gesprächsbereitschaft bezüglich der Agrarproteste, die fast das ganze Land erfasst haben. Mit der Landbevölkerung solidarisieren Gewerkschaften, Studierende und Berufsbereiche, die nicht unmittelbar mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Landbevölkerung zu tun haben. Es geht hier vielmehr um Protest gegen eine verstaubte Politik der Regierung, die die Interessen der großen Konzerne vertritt, aber ein Großteil der Bevölkerung vernachlässigt. Gegen das neoliberale Politik- und Wirtschaftssystem gibt es derzeit die größten Massenmobilisierungen seit Jahren.

Besonders aus den Provinzen Boyacá und Cundinamarca, den Regionen nahe der Hauptstadt Bogotá, werden zum Teil schwere Zusammenstöße und Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Sicherheitskräften an Protestierenden gemeldet. Einhergehend mit den Massenprotesten findet eine Kriminalisierung der Proteste und Repression gegen die protestierende Bevölkerung statt. Neben Toten und Verletzen werden immer wieder Streikführer und Personen aus den politischen und sozialen Bewegungen verhaftet. Doch die Einschüchterung bleibt ohne Erfolg. Selbst die Medien widmen sich mittlerweile den Ursachen des Aufstandes der Bevölkerung.

In allen großen Städten des Landes kam es am Sonntag zu Solidaritätsdemonstrationen mit den Protestierenden. Ging man zuerst davon aus, dass die Proteste nach geraumer Zeit im Sande verlaufen würden, so zeigt sich nun, dass mehr als gedacht das neoliberale kapitalistische Modell der letzten Regierungen in Frage stellen. Mit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens wird sich die Situation nicht zum Positiven verändern. Während wenige Viehzüchter und internationale Großkonzerne riesige Flächen an Land besitzen, fehlt vielen Bauern das nötige Land, um sich und ihren Familien die Existenz zu sichern. Hinzu kommen die immer schlechter gewordenen Arbeits- und Lebensbedingungen im Agrarsektor.

In und um Tunja, der Provinzhauptstadt von Boyacá, halten die Straßenblockaden und Proteste weiter an. Mehr als 200.000 gingen am Sonntag, davon viele mit lautstarken Utensilien wie Kochtöpfen und Kochlöffeln, auf die Straße. Boyacá gilt als die wichtigste Agrarregion zur Versorgung der Hauptstadt Bogotá. Doch auch in den abgelegenen Provinzen wie unter anderem in Caquetá demonstrierten Zehntausende, so zum Beispiel allein rund 12.000 in der Provinzhauptstadt Florencia. Die Antwort der Regierung war jedes Mal gleich: Polizeiknüppel und Tränengas. Vor den Vereinten Nationen wurden die kolumbianische Regierung und die Sicherheitskräfte aufgefordert, die Rechtsstaatlichkeit einzuhalten.

Auch das in den scheinbar konservativen Regionen wie in der Kaffeezone, Nariño oder Boyacá die Proteste einen bisher nicht bekannten Grad erreicht haben, zeigt, wie groß der Unmut gegenüber der Regierung ist und wie unzufrieden die Bevölkerung mit der Privatisierung der Wirtschaft und den fehlenden Investitionen in öffentliche Dienstleitungen wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Wohnungswesen ist. Hierzu fallen die Friedensgespräche der Regierung mit der FARC-EP in eine Zeit, in der die Regierung die Mobilisierungsfähigkeit und Akzeptanz der Guerilla in Teilen der Bevölkerung erkannt hat. Auch wenn die Regierung dies öffentlich immer wieder negiert, der Einfluss und die Sympathien der Bevölkerung mit der aufständischen Bewegung scheinen in den letzten Jahren rapide zuzunehmen.

So sind die FARC-EP in bestimmten Regionen ein wesentlicher Teil der Proteste, auch wenn jede Person nach Außen als Individuum auftritt. Aber aus den politischen und sozialen Bewegungen ist die Auseinandersetzung mit dem politischen Programm und Forderungen der Guerilla nicht mehr wegzudenken. Und was für die Medien und die Regierung Terroristen oder Milizionäre sind, sind einfache Bauern, Arbeiter oder Studenten, die für ein neues und gerechtes Kolumbien kämpfen und die Notwendigkeit erkannt haben, ihr Land zu verändern. Und so lange politische Teilhabe nicht garantiert wird und Andersdenkende verfolgt und ermordet werden, so lange wird für jene Bauern, Arbeiter und Studenten die Waffe ein Stück Sicherheit für ihre Forderungen sein.

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