Mordaufruf gegen Zuwander_innen in Duisburg

Gregori Grebsual 18.08.2013 09:39 Themen: Antifa Antirassismus Medien
Mordaufrufe gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa in Duisburg sorgen für eine neue Eskalationsstufe. Bürgerliche Medien, bundesdeutsche Politiker_innen und rassistische Normalbürger sind für ein rassistisches Klima verantwortlich, an dem die extreme Rechte anknüpft.
Mordaufrufe gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa in Duisburg

Mehr als 68 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, dem ca. 500.000 Sinti und Roma zum Opfer fielen, und den rassistischen Mordversuchen in Rostock-Lichtenhagen droht in Duisburg-Bergheim ein Pogrom gegen südosteuropäische Zuwander_innen. Mordaufrufe auf einer Facebook-Seite sorgen für eine neue Stufe der Eskalation.


„Abbrennen soll mann die bude“, „Eine Bombe auf das haus und dann is endlich ruhe da“, „Niederbrennen das Dreckspack“, „Wir müssen die Ratten loswerden“, „ Alles schreit abbrennen aber warum macht es denn keiner?“: Diese menschenverachtenden und rassistischen Mordaufrufe von Nutzer_innen der Facebook-Diskussionsgruppe „In den Peschen 3-5“ unter der Webadresse
 http://www.facebook.com/pages/In-Den-Peschen-3-5/368630926584732, die wahrscheinlich sogar unter ihrem wirklichen Namen die Kommentare schrieben, stellen ein noch nicht dagewesenes Eskalationsniveau in der Hetze gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa dar. Laut Auskunft des Administrators sollte „das Diskussionsforum eine Plattform für Menschen bieten, die dem überwiegend von Südosteuropäern bewohnten so genannten Problemhaus In den Peschen in Rheinhausen kritisch gegenüberstehen.“ Am 13.8.2013 schmierten Unbekannte Schriftzüge mit rassistischen Parolen rund um den Wohnblock „In den Peschen“ an die Wände. Jetzt sollen nach Auftrag des Vermieters brandsichere Türen in den Kellern installiert werden.
Der neonazistische „Nationale Widerstand Duisburg“ heizt die Stimmung noch weiter an und macht wenig überraschend Täter_innen zu Opfern: „Polizeieinsätze am von Zigeunern bewohnten Problemhaus, sowie kriminelle Handlungen durch Zigeuner, die etwa alten Frauen beim Bankautomaten auflauern oder Kindern ihr Fahrrad stehlen, reißen nicht ab. Da diesen Zuständen weder durch Stadt noch Polizei Einhalt geboten wird, sind die zwingenden Konsequenzen Bürger, die ihren Zorn über besagte Zustände Luft machen. Um eine feindschaftliche Stimmung gegen die in Duisburg herrschenden Zustände zu entwickeln, bedarf es keiner demagogischen Maßnahmen seitens politischer Gruppen. Die angeheizte Stimmung ist Resultat verachtenswerter und untragbarer Zustände. Eine Abneigung gegen diese ist verständlich und natürlich. (…) Kriminellen und Fremden, die weder in unserer Stadt, noch in irgendeiner anderen Ecke Deutschlands etwas zu suchen haben.“
Von offizieller Seite wird die Situation verharmlost und striktere ordnungspolitische Maßnahmen gegen Zuwanderer_innen beschlossen. Polizeisprecher Ramon van der Maat spricht zwar von einer „zunehmende Feindseligkeit im Viertel“. Er will jedoch „die Eskalation im Internet nicht so hoch bewerten“ und sieht keine „unmittelbare Gefahr für das Leben der etwa 1400 Rumänen und Bulgaren in dem Hochhaus.“
Angeblich werden „die Kinder der Einwanderer systematisch zu Dieben ausgebildet“ und der „Freifahrtschein als ,Klau-Kid‘ unter 14 Jahren werde (…) von den Eltern konsequent ausgenutzt.“ Jugenddezernent Thomas Krützberg bemerkte in diesem Zusammenhang: „Aber wir müssen uns darüber klar sein, dass wir mit diesen Menschen anders umgehen müssen als mit anderen.“
Dagegen bewertete Rolf Karling vom Verein „Bürger für Bürger“ die Interneteinträge als „Aufruf zur Brandstiftung und somit auch Aufruf zum Mord.“ Für den Duisburger Landtagsabgeordneten Rainer Bischoff ist durch die „rassistischen Kommentare nunmehr eine rote Grenze der Auseinandersetzung überschritten worden.“
Wie viele Übergriffe es gegen die Zuwander_innen mittlerweile gegeben hat, ist nicht bekannt. Durch eine Anfrage an den Landtag kam heraus, dass Anfang September 2012 sechs rumänische Staatsbürger in Duisburg-Marxloh von einer Gruppe mit Schlagringen und Schlagstöcken bewaffneter Vermummter angegriffen wurden.

Die Gründe, wie es zu dieser neuen Eskalationsstufe kommen konnte, sind vielfältig. Lokale und überregionale konservative Leitmedien stellen zu großen Teilen die Einwanderung aus Südosteuropa in einer Semantik der Gefahren dar und werden zu Multiplikatoren einer Stigmatisierung der Migrant_innen. Bundesdeutsche Politiker wie Innenminister Friedrich heizen die Stimmung noch mit populistischen Statements an. Rassistische Anwohner_innen in Bergheim fordern eine „Umsiedlung“ der „Zigeuner“ und besitzen wohl die Meinungshoheit im Viertel. Extrem rechte Parteien brauchen nur noch die Situation zuzuspitzen und sie für ihre Zwecke kurz vor der Bundestagswahl zu instrumentalisieren. Militante Neonazis könnten sich bei der rassistischen Hetze als Vollstrecker eines „Volkswillens“ fühlen und zur Tat schreiten.
Konservative Leitmedien entwerfen ein Schreckensszenario von einer „Masseneinwanderung“ ab 2014, wenn Arbeitnehmer_innen aus Bulgarien und Rumänien überall in der EU und somit auch in der BRD leben und arbeiten dürfen. Die „Rheinische Post“ schreibt: „Ab 1. Januar werden nach Expertenmeinung bis zu 15.000 Rumänen und Bulgaren in Duisburg leben. Obwohl sie dann hier berufstätig sein könnten, sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher schlecht. (…) Duisburg erwartet Flüchtlingswelle.“ In der „Welt“ heißt es: „Dass Zigeuner (sic) aus Südosteuropa ihre Geburtsländer immer weniger als Heimat begreifen, sondern als Wartesaal für eine Reise von Peripherie in die Zentren der Europäischen Union, war seit 2010 nicht mehr zu übersehen.“ Eine Untersuchung von Artikeln des Medienportals „derWesten.de“ über die Zuwanderung aus Südosteuropa von Ende April 2008 bis Dezember 2012 kam zu dem Ergebnis, dass der überwiegende Teil der Berichterstattung die Zuwander_innen als eine ethnisch homogene Gruppe von kriminellen Armutsflüchtlingen darstellt, deren Bräuche und Verhaltensweisen von denen der Mehrheitsgesellschaft abweichen.

Innenminister Friedrichs populistische Hetze gegen Zuwander_innen aus Bulgarien und Rumänien heizte die Diskussion in den Medien noch weiter an. Friedrich antwortete auf einen Vorstoß des Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) nach pekuniärer Unterstützung des Bundes mit folgenden Worten: „Wenn der Duisburger OB sagt, er will Geld haben, damit er alle auf deutschem Sozialhilfeniveau in Duisburg verköstigen kann, dann kommen wir eben irgendwann mal an Grenzen.“ Friedrich hat bei einem Treffen der EU-Innenminister einen härteren Kurs gegen „betrügerische Armutseinwanderer“ angekündigt: „Wer Sozialleistungen missbraucht, soll ausgewiesen werden.“ Zudem wolle er Ausgewiesenen, obwohl sie EU-Bürger sind, „eine Einreisesperre für eine bestimmte Zeit auferlegen, damit sie am nächsten Tag nicht wiederkommen können.“

In Bergheim wohnen die Zuwander_innen aus Südosteuropa zumeist in einem Hochhaus, was in der Presse in abwertender Weise „Problemhaus“ oder „Roma-Haus“ genannt wird. Ihre (deutschen) Nachbar_innen beschwerten sich über vermehrtes Müllaufkommen, Ruhestörungen usw., was aus der Überbelegung der Wohnungen resultierte. 300 von ihnen beteiligten sich an einer Unterschriftensammlung zur „Umsiedlung“ der Zuwander_innen, „da unsere Wohn- und Umfeldqualität, welche in Jahrzehnten gewachsen ist, durch diese Zuwanderer zerstört wird und wir das als Bürger nicht hinnehmen werden“. Als Begründung wurde genannt, dass die Südosteuropäer_innen aufgrund ihrer Mentalität und Lebensart nicht integrierbar seien. Diese Aussage ist nichts anderes als kultureller Rassismus, da den Zuwander_innen unveränderliche Merkmale zugesprochen werden, die eine Trennung von der Mehrheitsbevölkerung notwendig machen würden.. Ihre vermeintliche Warnung („Wir haben Angst vor einem zweiten Rostock-Lichtenhagen“) in ihrer Unterschriftensammlung entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Drohung. So äußert einer der Anwohner in einem Interview: „Wir wollen die da weghaben, alles andere interessiert uns nicht mehr“. Einige Anwohner_innen verteilten vor dem Rathaus rassistische Flugblätter mit der Überschrift „Raus mit den Zigeunern!“ . Weiterhin beantragten Händler_innen aus dem Stadtviertel beim Einzelhandelsverband Plakatierungen in rumänischer und bulgarischer Sprache, welche verbieten sollen, Ladenlokale mit mehreren Personen zu betreten, angeblich um Taschen- und Trickdiebstahl einzudämmen. Damit werden alle aus Bulgarien und Rumänien zugewanderten Menschen pauschal als Diebe stigmatisiert.
Das Hochhaus in Bergheim wurde mit NPD-Aufklebern und einem Hakenkreuz beschmiert. NPD-Anhänger_innen verbreiteten bereits mehrmals Propagandamaterial in Bergheim. Der seit drei Jahren in Duisburg inaktive Kreisverband der NPD wurde im Februar 2013 reaktiviert, wobei die Zuwanderung aus Südosteuropa als Aufhängerthema benannt wurde. Am 12. März 2013 machte Pro NRW im Rahmen ihrer landesweiten Tour zum Thema „Asylmissbrauch“ Halt in Bergheim obwohl es sich bei den dort anwesenden Zuwanderer_innen nicht um Asylsuchende handelt, sondern Eu-Bürger_innen. Am 18. Mai hielt die NPD eine Kundgebung im Stadtteil ab.
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Ergänzungen

Infos unter

Duisb 21.08.2013 - 15:30
aktuelle Infos
 https://twitter.com/indenpeschen

In den Peschen, Duisburg

Über die Häuser “In den Peschen 3-5″ in Duisburg ist tatsächlich schon viel geschrieben worden. Ich greife das Thema trotzdem auf, weil ich nicht sicher bin, wie weit sich meine geneigten Leser*innen damit schon beschäftigt haben.

Die von einem Mann aus dem Rotlichtbereich vermieteten Wohnungen würden normalerweise Platz bieten für ca. 300 Menschen. Es gibt Schätzungen, dass derzeit aber über 1000 Menschen dort unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen.

Proteste von Anwohner*innen hat es schon sehr lange gegeben, die erschreckend schnell zu unreflektierter rassistischer Hetze wird. (Wer gute Nerven hat, möge die derzeit noch offene Facebookgruppe aufsuchen. Dort findet sich neben dem üblichen “Meinungsfreiheits”-Gerede und “Das wird man doch noch sagen dürfen” auch die Bezeichnung “Gutmenschen” für diejenigen, die derzeit dort zum Schutz der Bewohner*innen Nachtwachen organisieren. Die rassistische “Mitte der Gesellschaft” schreibt dort durchaus unverhohlen unter richtigem, komplettem Namen.) Gegen die offenen Aufrufe zum Angriff wird zwar ermittelt, jedoch zeigt sich dort, dass es “ganz normale” Menschen sind, die dies ganz offen unterstützen. Alltagsrassismus eben.

Ja. Es gibt Kriminalität in den Häusern vor Ort. Das führt aber gerade auch unter vielen Bewohner*innen zu Streit. Viele Familien wollen eben nicht in die Kriminalität abrutschen. Sie wollen, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Sie wollen eine faire Chance. Dort bekommen sie keine. Es werden also dringend Wohnungen gesucht. (Die rechtliche Situation, was Arbeit angeht und Kindergeld etc. ist zudem nicht wirklich unterstützend. Im Grunde sind diese Menschen hier nur so gerade geduldet. Willkommen ist echt etwas anderes.)

Ich verlinke nur einen Artikel:  http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-organisieren-nach-hetze-gegen-auslaender-nachtwache-id8338177.html

Die Presse trägt leider seit Monaten zur ohnehin aufgeheizten Stimmung bei, denn Titel wie “Roma-Haus” fördern den Alltagsrassimus in der Gesellschaft. Der obige Artikel fasst aber die aktuelle Situation zumindest einigermaßen treffend zusammen.

Ich war gestern auch für einige Stunden bei der Nachtwache. Ich bin sehr beeindruckt zum Beispiel von Annegret Keller-Steegmann. Die Lehrerin organisiert viel vor Ort. Kulturprogramm für die Kinder (zum Teil gegen die bürokratischen Hürden der Stadt). Sie kennt viele Bewohner*innen. Als wir dort ankommen, erzählt sie uns von den Zuständen im Haus und führt uns durch das Gelände. Im Hof stehen drei Müllcontainer. Das ist natürlich viel zu wenig für die vielen Bewohner*innen. Deshalb ist der Müll darum herum verteilt. Die vielen Ratten verteilen den Müll weiter. Und werden mehr. Überall laufen sie herum. Ein wahrlich hoffnungsloser Ort.

Aber da ist auch noch die andere Seite: Die vielen freundlichen Menschen. Die Bewohner*innen, die uns in ihren Wohnungen zur Toilette gehen lassen. Die kaum selbst etwas haben, uns aber Kaffee und Kaltgetränke bringen. Ich spreche kaum Französisch oder Spanisch, aber trotzdem verständigen wir uns irgendwie. Und von deren Gastfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit unter diesen widrigen Bedingungen bin ich so gerührt für einen Moment, dass ich hätte heulen können.

Weiterhin macht Hoffnung, dass die gesamte Nacht über 30-40 Menschen vor Ort Wache halten.

Die Nacht verläuft weitgehend ruhig. Die Polizei ist allerdings leider kaum präsent. Ein Mal sehe ich eine Streife um den Block fahren, ein weiteres Mal kommt ein Polizeiwagen, weil er einen anderen Wagen verfolgt und anhält (vermutlich wegen Fahrt unter Alkohol).
Wesentlich öfter fahren Autos mit Nazis vorbei. Manche mehrfach. Manche mit rechten Aufklebern darauf. Oft viel zu schnell. Mit aufheulenden Motoren und Drohgebärden. Es zeigt, dass die Nachtwachen nötig sind, solange die Polizei dort nicht vor Ort bleibt in der Nacht. Für die kommende Nacht wurde dies angekündigt. Ich hoffe, dass dies wahr gemacht wird, denn viele Menschen haben bereits mehrere Nächte in Folge dort verbracht, um die Bewohner*innen vor Übergriffen zu schützen.

Wenn ihr also helfen wollt: lest den Twitteraccount @indenpeschen und die Texte auf der Seite:  http://indenpeschen.blogsport.de/
Hilfreich für die Teilnahme an den Nachtwachen oder weitere Vernetzung ist eine kurze Mail. Die Bewohner*innen und auch die Helfer*innen vor Ort sind zu Recht sehr misstrauisch derzeit, weil sie schlicht Angst um ihr Leben haben.
 http://birgit-rydlewski.de/2013/08/21/in-den-peschen-duisburg/

Demonstration von Pro Deutschland am 29.8

Gregori Grebsual 22.08.2013 - 09:28
Die Bewohner_innen des Hochhauses "In den Peschen" leben trotz der vorbildlichen Nachtwachen in ständiger Angst um ihr Leben. Jetzt findet am Donnerstag, dem 29.8., eine Kundgebung der extrem rechten Gruppe "Pro Deutschland" (Rouhs und Konsorten) vor dem Haus statt. Dies ist mehr als eine Provokation für die Bewohner_innen und spielt den rassistischen Anwohner_innen in die Karten, die sich als die "Mitte der Gesellschaft" ausgeben und damit ihren "Bürgerprotest" legitimieren wollen.