Erklärung von JOG zum Refugee Congress

JOG (Jugendliche ohne Grenzen) 31.07.2013 10:40 Themen: Antirassismus
Mit großem Interesse haben wir, Aktivisten_innen von „Jugendliche ohne Grenzen“ (JoG), am Refugee Congress in München teilgenommen.
Wir denken, dass sich die Kämpfe, die wir führen, in vielen Punkten entsprechen und wir uns deshalb verbünden sollten. Für uns ist es sehr wichtig, dass alle Aktivisten_innen, Gruppen und Initiativen sich vernetzen und unterstützen, vor allem vor dem Hintergrund der zahlreichen Proteste, die gegenwärtig stattfinden. Auch wenn sich die verschiedenen Initiativen und Gruppen nicht in allen Punkten einig sind, ist es dennoch von außerordentlicher Bedeutung, sich „an einen Tisch“ zu setzen. Unsere unterschiedlichen Vorstellungen, Methoden und Strategien, also Differenzen, sollten uns nicht spalten, wir sollten vielmehr Gemeinsamkeiten hervorheben und die Differenzen in eine positive Kraft umwandeln. Die meisten Gruppen haben feste Strukturen und erbringen unterschiedliche Leistungen. Einige können praktische Arbeit leisten (Aktionen planen, durchführen usw.), die anderen finden sich in der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit effektiver, einige wollen Einzelpersonen unterstützen etc. Andere mögen sich mit Theorien und Definitionen befassen und so ihren Beitrag leisten. Entscheidend ist, dass wir uns gegenseitig unterstützen und zusammen arbeiten müssen. Dadurch können wir die Proteste und Kämpfe vielfältig gestalten, uns gegenseitig inspirieren und bemühen möglichst viele Menschen aus der Gesellschaft zu erreichen.

Der Refugee Congress in München war sehr gut besucht und hätte ermöglichen können, viele Menschen zu erreichen. Es waren viele Flüchtlinge und Unterstützer_innen dabei, die schon länger aktiv sind, aber auch viele neue Gesichter. Wir hätten uns gewünscht, uns mit den Aktivisten_innen der anderen Länder auszutauschen, uns kennenzulernen, Erfahrungen und Wissen zu teilen, über Strategien unserer Kämpfe zu diskutieren, uns zu vernetzen und Aktionen zu planen usw. Aber stattdessen hatten wir Plenarsitzungen im Stil von Schulunterricht, Frontalbelehrung und somit wenig Raum für Austausch und Beteiligungsmöglichkeiten. Schließlich wurden am letzten Tag des Congress‘ zwei parallell laufende Sitzungen durchgeführt, eine mit: „citizens“ und die andere mit „non-citizens“ betitelt. Einige unserer Aktivisten_innen wurden aufgrund ihres mittlerweile gesicherten Aufenthaltsstatus als „citizens“ markiert und von dem Plenum der „non-citizens“ ausgeschlossen. Und das, obwohl sie mehrere Jahre mit Duldung und/oder Aufenthaltsgestattung unter diskriminierenden, menschenunwürdigen Umständen leben mussten und genau wissen, was es heißt, jeden Tag von der Abschiebung bedroht zu sein. Ihre Aufenthaltserlaubnis haben sie erst nach harten, jahrelangen Kämpfen und Widerstand bekommen. Sie wurde ihnen nicht geschenkt. Statt sich an der Planung der konkreten Aktionen beteiligen zu können, mussten sich unsere Aktivisten_innen mit Theorien und Definitionen zu „citizens“ and „non-citizens“ befassen.

Unsere Bedenken insbesondere aufgrund dieser Kategorisierung bzw. aufgrund der Trennung und Spaltung der beteiligten Aktivistin_innen haben wir auch auf dem Kongress vorgetragen. Wir wurden aber ignoriert. Weil uns die Sache nicht gleichgültig ist, wollten wir unsere Bedenken auf einer größeren Plattform zum Ausdruck bringen. Ziel ist nicht einen neuen unnötigen Streit auszulösen, sondern dafür zu plädieren, eigenes Denken und Handeln zu reflektieren und kritisch mit eigenen Positionen umzugehen, was auch wir machen und machen werden.

Im letzten Jahr wurde die Aktion beim no-border camp von Diskussionen über weißsein, critical whiteness und angeblich anti-rassistischen Kämpfen, zutreffender Begrifflichkeiten und Theorien dominiert. In München waren es unter anderem die kapitalismuskritischen Stimmen, Theorien/Definitionen und die Diskussion um „citizens“ und „non-citizens“, die die Aktion dominiert bzw. überschattet haben. Wir sind der Ansicht, dass eine Konzentration auf Theorien, die zur Spaltung der gemeinsamen Sache führen, den Kämpfen gegen diskriminierende und rassistische Sondergesetze schadet. Denn sie führt zu Trennung und Frustration; sogar Entsolidarisierung?

Die Kämpfe gegen Rassismus und Kapitalismus sind richtig und wichtig. Sie können auch nicht getrennt vom staatlichen Repressions- und Diskriminierungssystem gegen Flüchtlinge analysiert und geführt werden. Dennoch dürfen diese Kämpfe nicht auf Kosten von Flüchtlingen und ihren Protesten ausgetragen werden. Mit anderen Worten dürfen diese Themen, die Proteste und Kämpfe von Flüchtlingen nicht dominieren und den ganzen Raum für sich beanspruchen. Erst recht dürfen die theoretischen und wissenschaftlichen Interessen einiger Personen oder Gruppen die Protestbewegungen nicht für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.

Es ist selbstverständlich wichtig zu wissen, dass bestimmte Menschen aufgrund ihres gesellschaftlichen Status privilegiert sind. Es ist auch legitim und erforderlich dies zu benennen und diese Kategorien zu definieren. Es ist aber falsch, wenn sie dazu führen, dass Aktivisten_innen gespaltet oder ausgeschlossen werden. Wenn ein Mensch kritisch ist und reflektieren kann, ist es nicht richtig, dass er/sie ausgeschlossen wird. Wir können und sollten davon ausgehen, dass manche Personen wissen, mit ihren Privilegien umzugehen, sich zurückhalten können und zuhören, wenn es notwendig ist. Und falls sie dies nicht tun,, müssen wir sie darauf aufmerksam machen. Die Diskussion darf aber nicht dazu führen, dass privilegierte Menschen/Gruppen ausgeschlossen werden und unsere Kämpfe nicht mehr unterstützen; der Raum für Vernetzung und gemeinsame Arbeit gesprengt wird. Um Widerstandsstrukturen aufzubauen müssen wir gemeinsam diskutieren, planen und entscheiden. Dabei müssen wir selbstverständlich den konkret Betroffenen den größten Raum geben und sie müssen die entscheidenden Akteure sein. Dennoch müssen wir aufhören Praktiken und Theorien zu produzieren, die uns spalten und letztendlich schwächen.

Wir sind nur gemeinsam stark und können für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen.


Mit solidarischen Grüßen
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