Aktivist setzt Akteneinsichtsrecht durch!
Der Staat und seine Vasallen lassen sich nicht gerne in die Karten schauen - selbst dann nicht, wenn es gerichtlich vorgeschrieben ist. Im Bereich der Agrogentechnik ringen unabhängige AktivistInnen schon seit Jahren darum, das dem Umweltinformationsgesetz genüge getan wird. Die Bundesgenehmigungsstelle BVL konnte schon 2009 per Gang vor Gericht dazu gebracht werden, Akteneinsicht zu gewähren. Das Forschungszentrum Jülich hingegen, zuständig für die Bewilligung von Fördergeldern der Bundesregierung (z.B. Biosicherheitsprogramm) verweigerte die Akteneinsicht vier Jahre lang - mit immer neuen Ausreden. Jetzt kam das Gerichtsverfahren zu einem vorläufigen Abschluss: Das Verwaltungsgericht Gießen verdonnerte die Jülicher, endlich die Akteneinsicht zu gewähren
Rückblick: Vier Jahre Klagen und immer neue Tricks
Die ganze Sache begann schon vor über vier Jahren. Der Gentechnik-Aktivist, Buchautor und Journalist Jörg Bergstedt bat um Akteneinsicht beim sogenannten "Projektträger Jülich" (PTJ), der im Forschungszentrum Jülich (früher: Kernforschungszentrum) angesiedelt ist. Über diesen schüttete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine Fördermittel für die Agrogentechnik aus, getarnt als Umweltbegleit-/Risikoforschung. Tatsächlich wurden aber viele Versuche gefördert, die der Entwicklung von Methoden oder neuen Pflanzen dienten. Dahinter standen meist Konzerne oder kleine Start-Up-Firmen. Es roch nach Betrug ...
Die Agrogentechnik-Finanziers aus Jülich fürchteten offenbar diesen Blick hinter ihre Kulissen. Die Folge: Ablehnung der Akteneinsicht durch das Forschungszentrum am 30.6.2009. Dagegen legte der Anfragende Widerspruch ein, nämlich am 5.7.2009. Doch leider: Die Beschwerde danach ging verloren. In einem Gespräch mit dem Abteilungsleiter im Bundesforschungsministerium, Dr. Peter Lange, machte der einen auf großzügig und meinte, die Beschwerde solle einfach nochmal geschickt werden. Doch das war ein mieser Trick. Die Beschwerde wurde jetzt eiskalt als "verspätet" zurückgewiesen. Und als das wiederum mit dem Abteilungsleiter rückgeklärt werden sollte, hieß die Antwort - nur wenige Wochen nach dem Gespräch - so:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
zum 31.12.2009 scheide ich aus dem aktiven Dienst des Bundesministerium für Bildung und Forschung aus und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute."
Was also tun? Da inzwischen Monate vergangen waren und somit die Akten auch neue Sachen enthalten konnten, stellte der Aktivist ein erneutes und erweitertes Akteneinsichtsgesuch. Es folgen eine neue Ablehnung. Beschwerdebriefwechsel und schließlich die Klage:
- Antrag auf Akteneinsicht
- Ablehnung der Akteneinsicht durch das Forschungszentrum am 30.6.2009
- Widerspruch am 5.7.2009 ++ Ablehnung des Widerspruchs am 3.5.2010 ++ Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen (25.5.2010)
- Aktenzeichen des Verfahrens beim VG Gießen: 5 A 100/10 ++ Streitwertfestlegung ++ Schreiben des PTJ am 25.6.2010
- Spannendes Urteil: Gerichtsort im Streit mit überregional agierenden Behörden ist der Wohnort von Kläger/Klägerin
- Gießener Gericht will Teile der Klage ans VG Aachen verlagern (7.3.2011) ++ Nachfragen und Kritik des Klägers am 14.3.2011 ++ VG-Antwort 16.3.2011
Damit spaltete sich das Verfahren auf. In Aachen wurde verhandelt, ob das Forschungszentrum Jülich zu lange brauchte, um die Anträge auf Akteneinsicht zu "bearbeiten" (tatsächlich machten sie ja gar nichts, um dann einfach pauschal abzulehnen). In Gießen ging es hingegen um die Frage, ob die Akteneinsicht verwehrt werden durfte - also die wichtigere Geschichte dort.
Der weitere Verlauf in Aachen:
- Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen zur Prozesskostenhilfe am 27.9.2011: PKH abgelehnt, u.a. weil es auch nichts helfen würde, Recht zu bekommen ...
- Ladung zum Prozess (geplant: 6.12.2011) ... Stellungnahme des Klägers am 19.11.2011++ Weiter endlosen Verzögern durch den Jülicher PTJ ++
- Urteil am 17.2.2012: Ewiges Verzögern ist rechtmäßig ++ Protokolle der Verhandlung
- Es folgte eine Beschwerde (Antrag zur Berufung in nächster Instanz) mit Begründung
Wichtiger war die Sache in Gießen. Der weitere Verlauf:
- Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen zur Prozesskostenhilfe am 25.5.2011: Im Hauptpunkt verspricht die Klage Erfolg!!!
- Das Forschungszentrum entwarf daraufhin einen Einigungsvorschlag (hier mit Brief an das VG Aachen, ab Seite 3) ++ Stellungnahme des Klägers dazu
- Schließlich, am 10.4.2012, ein Einigungsvorschlag des Klägers ++ Stellungnahme des PTJ dazu am 7.5.2012 und dazu wiederum eine Erklärung des Klägers ++ Übersandte Liste der geförderten Projekte im BioSicherheitsprogramm ++ Erklärung des Klägers: Einsicht in alle Akten des Biosicherheitsprogrammes (wie immer gefordert - ständige Nachfragen sind nicht als Verzögerung)
- Schreiben des Klägers am 12.10.2012 mit Begrenzung der Klage auf entscheidenden und noch am VG Gießen verbliebenen Punkt
- Schlussantrag der Kläger am 24.5.2013 (siehe Abbildung)
Am 12.6.2013 kam es dann zur Verhandlung. Die zuständigen Vertreterinnen aus Jülich (Recht, Biosicherheitsprogramm) stemmten sich mit immer neuen Ausflüchten gegen die Akteneinsicht (siehe Protokoll). Aber sie verloren - und zwar komplett! Auszüge aus dem Urteil:
Die Beklagte wird verpflichtet unter Aufhebung ihres Bescheides vom 08.02.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 dem Kläger binnen eines Monats nach Rechtskraft vollständige Einsicht in die Akten zu den Anträgen und Unterlagen zu und über die im Förderprogramm zur Biologischen Sicherheitsforschung geförderten oder abgelehnten Freisetzungsversuche in der Gentechnik mit der Maßgabe zu gewähren, personenbezogene Daten auf den in den Akten befindlichen Gehaltsauszügen mit Kontoverbindungen und Reisekostenabrechnungen mit Ausnahme des jeweiligen Namens sowie Mitteilungen über Schwangerschaften und Anderungen der persönlichen Verhältnisse zuvor zu anonymisieren.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklage zu tragen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf vollständige Einsicht in die Akten zu den Anträgen und Unterlagen zu und über die im Förderprogramm zur Biologischen Sicherheitsforschung geförderten oder abgelehnten Freisetzungsversuche in der Gentechnik ...
Die Ausnahmegründe der §§ 8 und 9 UIG sind aufgrund der nunmehr ausdrücklichen Regelung in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 RL 2003/4/EG eng auszulegen, wobei im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe zu berücksichtigen ist (vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 16 Satz 2 RL 2003/4/EG) (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.03.2011 - 8 A 3357/08 -, juris und Urteil vom 03.08.2010 - 8 A 283/08 -, ZUR 2010,601). ...
Zu den personenbezogenen Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG gehören grundsätzlich alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen, unabhängig davon, welcher Lebensbereich angesprochen ist, einschließlich der sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen der Person zu ihrer Umwelt (BVerwG, Urteil vom 24.03.2010 - 6 A 2.O9 -, DVBI 2010, 1307,juris; Reidl/Schiller, a.a.O., § 3 UIG Rn. 7). Weitere Voraussetzung des Ablehnungsgrundes ist, dass durch die Bekanntgabe der Information die Interessen der Betroffenen erheblich beeinträchtigt würden. Dies setzt ein gewisses Gewicht des Geheimhaltungsinteresses voraus. Dafür sind sowohl das konkrete Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung als auch die Intensität der Beeinträchtigung, also Art und Umfang der tnforrnationspreisgabe, von Bedeutung. Nicht erheblich ist eine Beeinträchtigung etwa, wenn es um Name, Beruf und Dienststellung von Amtsträgern, Gutachtern oder Sachverständigen oder Angestellten geht (VG Ansbach, Urteil vom 11.11.2009 - AN 11 K 08.00677 -, juris; ReidUSchiller, a.a.O., § 9 UIG Rn. 14; Gassner, a.a.O., § 9 Rn.2.1; Schomerus/SchraderMegener, UlG, Handkommentar, 2. Aufl., 2001, § 8 Rn. 11).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die diesbezüglichen o.a. personenbezogenen Daten, nämlich Name, Beruf und Dienststellung der Vielzahl von an der Projektarbeit beteiligten natürlichen Personen und der Gutachter schon nicht schützenswert sind.
- Presseinfo am 13.6.2013 ++ Bericht auf "Genfood - nein, danke!"
Mehr Infos
AkteneinsichtDie Sache lohnt sich. Nach Umweltinformationsgesetz (und den späteren Verbraucherinformationsgesetz und Informationsfreiheitsgesetz) in der Einblick in alle möglichen Akten bei staatlichen und von diesem beauftragten Stellen in der Regel einfach und kostenfrei möglich. Das ist eine politische Waffe, nämlich Transparenz. Politische Arbeit, die über Parlamentarismus, Begleitfolklore des Unabwendbaren und identitären Jammerns in Marsch- oder Emailform hinausgeht, braucht das (zumindest oft)!
- Akteneinsicht nach Umweltinformationsgesetz und ähnlichen Rechtsgrundlagen auf den Seiten zu lokalpolitischem Einmischen
- Akteneinsicht vor Gericht auf der Rechtstipps-Seite
- Der aktuelle Stand an den Feldern und weitere Informationen
- Recherchen und Kritik an den Gentechnik-Seilschaften: www.biotech-seilschaften.de.vu
- Seiten zu Gentechnik-AnwenderInnen, um deren Antragsakten es geht: AgroBioTechnikum ++ Forschungseinrichtungen
- Politische Theorie: Emanzipatorische Gentechnikkritik ++ Naturbeherrschung und Technik
- Di, 23. Juli, abends auf dem Anti-Atom-Camp im Münsterland: Ton-Bilder-Schau "Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Forschung und Gentechnikkonzernen"
- Mi, 24. Juli, vormittags auf dem Anti-Atom-Camp im Münsterland: Vortrag oder Diskussion zu "Die Mischung macht's - erfolgreiche Strategien des Widerstandes am Beispiel der Agrogentechnik"
- Mo, 16.9. um 11 Uhr beim Oberlandesgericht Saarbrücken (Franz-Roeder-Str. 15, Saal 223): Nächste Verhandlung im Maulkorb-Verfahren der Gentechniklobby gegen den Buchautor "Jörg Bergstedt" ++ Infoseite (vor dem 16.9. sind weitere Termine, vor allem mit der Ton-Bilder-Schau "Monsanto auf Deutsch", im Saarland und in Rheinland-Pfalz geplant ... wer noch Veranstaltungen machen will, bitte melden)
Inhaltsangabe zur Ton-Bilder-Schau "Monsanto auf Deutsch":
Kennen Sie Filme oder Bücher über Monsanto? Immer wieder wird einen intensiver Filz zwischen Konzern und Aufsichtsbehörden aufgedeckt. Doch St. Louis, der Firmensitz des Round-up- und Agent-Orange-Herstellers, ist weit weg. Wie aber sieht es in Deutschland aus? Warum werden hier Jahr für Jahr immer neue Felder angelegt, obwohl 80 Prozent der Menschen keine Gentechnik im Essen wollen? Warum fließen Steuergelder auch dieser 80 Prozent fast nur noch in die Gentechnik, wenn es um landwirtschaftliche Forschung geht? Der Blick hinter die Kulissen der Gentechnik mit ihren mafiosen Strukturen und skandalösen Zustände bei Genehmigungen und Geldvergabe bietet eine erschütternde Erklärung, warum die überwältigende Ablehnung und der gesetzlich eigentlich vorhandene Schutz gentechnikfreier Landwirtschaft (einschließlich Imkerei) gegenüber der grünen Gentechnik so wenig Wirkung hat. Denn: In den vergangenen Jahrzehnten sind alle relevanten Posten in Genehmigungsbehörden, Bundesfachanstalten und geldvergebenden Ministerien mit GentechnikbefürworterInnen besetzt worden. Die meisten von ihnen sind direkt in die Gentechnikkonzerne eingebunden. Mafiose Geflechte von Kleinstunternehmen und seltsamen Biotechnologieparks names Biotechfarm oder Agrobiotechnikum sind entstanden, zwischen denen Aufträge und Gelder erst veruntreut und dann hin- und hergeschoben werden, bis sich ihre Spur auf den Konten der Beteiligten verliert. Es wird Zeit für einen Widerstand an den Orten der Seilschaften.
In der Veranstaltung werden minutiös die Seilschaften zwischen Behörden, staatlicher und privater Forschung, Konzernen und Lobbyorganisationen durchleuchtet. Jeweils eine Firma (BioOK), eine Behörde (BVL = Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit), das wichtigste Forschungszentrum AgroBioTechnikum (nahe Rostock) und der Lobbyverband InnoPlanta mit den jeweiligen Firmengeflechten werden vorgestellt. Am Beispiel eines kleinen Versuchsfeldes zeigt sich: Deutsche Genfelder sind nichts als Fördermittelbetrug, Schlamperei und der Wille, die Auskreuzung aktiv herbeizuführen.
Um die Wut zu Entschlossenheit statt zur Ohnmacht zu wenden, bildet ein Ausblick auf Möglichkeiten des Widerstandes den Abschluss: "Wer nach mehr Forschung ruft oder sich auf staatliche Stellen verlässt, ist verlassen. Gentechnikfreiheit gibt es nur dann, wenn die 80 Prozent Ablehnung sich auch zeigen!".
Der Referent, Jörg Bergstedt, ist Aktivist und Autor des Buches "Monsanto auf Deutsch", in dem die Gentechnik-Seilschaften beschrieben werden. - Weitere Anfragen für Vorträge usw. unter www.vortragsangebote.de.vu!
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
Ergänzungen