Das Lange Nachleben von Heiligendamm - Teil 2

Kombinat Fortschritt 15.06.2013 08:29 Themen: G8 G8 Heiligendamm Repression
Zweiter Teil der Reportage über den Umbau der Sicherheitsarchitektur anlässlich des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm an der Ostseeküste.
Selbstverständlich hatten die im ersten Teil des Artikels beschriebenen Vorgänge auch juristische Folgen – und mitunter sogar recht heftige. Wie es in solchen Zusammenhängen üblich ist, malen die Mühlen der Justiz in diesem Fall sprichwörtlich bedeutend langsamer in die eine Richtung als in die andere. Doch zur näheren Erläuterung, muss auch hier ein wenig weiter ausgeholt werden: als klar wurde, dass das Großereignis ins Haus steht, musste sich vorbereitet werden. Auf Bundesebene tat man dies mit der Schaffung des polizeilich-bürokratischen Monstrums mit dem Namen „Kavala".

Auf Landesebene hingegen begegnete man dem Event zunächst mit der Überarbeitung des Polizeigesetzes, dem Sicherheits- und Ordnungsgesesetz (SOG-MV). In diesen Gesetzestext wurden all die Schweinereien gestopft von denen die Law-and-Order-Freaks aus Provinz bisher nur bei „CSI Miami“ im Fernsehen gehört hatten. Endlich einmal selbst ausprobieren, was sonst nur die Großen dürfen, war hier das leitende Motiv. So wurden Horrorszenarien von randalierenden Chaotenhorden heraufbeschworen, um die vermeintliche Notwendigkeit zu erklären, warum denn nun all diese neuen Befugnisse für die Ordnungsmacht erteilt werden müssten. Der Katalog beinhaltete mit präventiver Videoüberwachung, Telefonüberwachung, DNA-Analyse und der verdachtsunabhängigen Erfassung von PKW-Kennzeichen dann auch lauter Nettigkeiten.

Wer jetzt aber glaubt, dies sei ja typisch für die konservativen Hardliner oder wer noch nicht alt genug ist, um es miterlebt zu haben, der sei an dieser Stelle von einer weiteren Illusion befreit. Es war nicht die CDU, die sich dieses Projekt ausgedacht hat, auch wenn sie es freudestrahlend zur Kenntnis nahm, sondern die damals in Mecklenburg-Vorpommern regierende Koalition aus SPD und Linkspartei mit ihrem Innenminister Gottfried Timm (SPD), welche die Gesetzesinitiative hervorbracht und abgesegnet hat. Besonders naive Zeitgenoss_innen fielen damals noch auf den Trick herein, als man ihnen weismachen wollte, diese Maßnahmen seien nur zeitlich befristet, damit der Gipfel abgesichert werden kann. Danach würde wieder Freizügigkeit an der Ostseeküste einkehren. Auf diesem Wege gelangte man bereits im Juni 2006 zu einem der härtesten Polizeigesetze in der ganzen Bundesrepublik.

Auftakt in Stralsund

Schlamperei wollte sich niemand vorwerfen lassen und so wurde es unerlässlich, dass ab einem gewissen Zeitpunkt eine Erprobung der neuen Prozeduren stattfinden musste. Den geeigneten Anlass schuf man sich einfach selbst, indem die Bundeskanzlerin Angela Merkel den damaligen US‑Präsidenten George W. Bush zu einem Besuch in ihren Wahlkreis, nach Stralsund einlud. Das Parlament unkte, dass mit dem Termin vom 12. bis zum 14. Juli 2006 – nur wenige Monate vor der Landtagswahl im September – Schützenhilfe für die Landes-CDU geleistet werden sollte. Auch wenn man sich bei den Sozialdemokraten sehr verärgert und friedensbewegt gab, passte ihnen der Vorgang doch prima ins Konzept. Schließlich konnte die neue Sicherheitsarchitektur so einem umfangreichen Praxistest unterzogen werden.

12 Millionen Euro kostete der Bush-Besuch insgesamt. Unter Leitung der Kavala (die hier ihren ersten Einsatz erlebte) wurden 2.200 Gullys verschweißt oder versiegelt. 1.300 Meter Stacheldraht verlegt, die Hansestadt Stralsund in mehrere handliche Zonen zerlegt und Scharfschützen auf den Dächern positioniert. Im Ganzen waren hier bereits 12.500 Polizeibeamte im Einsatz. Die Kernzone umfasste eine 400 Quadratmeter Fläche in der historischen Altstadt und umfangreiche Versammlungsverbote. Unzählige Polizeihubschrauber und Räumpanzer sollten eine marginalisierte und an den Stadtrand verdrängte Gegendemonstration absichern, während vor der Küste ein Schiff der US Navy in Stellung ging. Claudia Roth (deren Partei auf Bundesebene den Gesetzen zustimmte, die dieses Szenario ermöglichten) protestierte einsam vor der Gorch Fock im Stadthafen. Zur Prime Time war es in der menschenleeren Innenstadt selbst verboten die Fenster zu öffnen. Dies war der erste Anwendungsfall des neuen SOG-MV.

Nach dem Gipfel bestätigte sich dann noch eine andere Beobachtung, vor der Bürgerrechtler bereits seit Jahren warnen: einmal getroffene Gesetzesverschärfungen werden nicht mehr zurückgenommen, egal ob sie anfangs nur in besonderen Fällen oder zeitlich befristet angewandt werden sollten. Das Märchen vom Einzelfall verkommt damit zur hohlen Phrase, an der sich billige Sicherheitsrhetorik zielsicher erkennen lässt. So war es auch in Mecklenburg-Vorpommern, denn 2011 wurde dann, von der neuen konservativen Landesregierung aus CDU und SPD unter Innenminister Lorenz Caffier ein Änderungsgesetz zum SOG-MV erlassen, welches all die ehemals zeitlich begrenzten Überwachungsmaßnahmen aus dem Polizeigesetz entfristete. Als Resultat wurde der Ausnahmefall G8-Gipfel zum alltäglichen und permanenten Ausnahmezustand.

Noch immer keine Entschädigung

Und wie sieht es in der anderen Richtung aus? Viele der Maßnahmen der Polizeibehörden, die während der Geschehnisse vollzogen wurden, waren in ihrem ganzen Umfang so gewalttätig und demütigend, dass sich schon während des Gipfels abzeichnete, dass sie vor Gericht nicht standhalten würden. Doch um dies festzustellen brauchte man einen langen Atem. Während die meisten Demonstranten ihre Strafen bereits kurz nach dem G8 noch 2007 erhielten, konnten die Verfahren gegen die Behörden, wenn überhaupt, erst in den letzten Jahren zu einem Ergebnis gebracht werden.

So wurde in langwierigen Prozessen festgestellt, dass das Verbot des Sternmarsches illegal war. Die Hausdurchsuchungen im Vorfeld wurden selbst vom Bundesgerichtshof als unrechtmäßig bezeichnet und der sogenannte „Präventivgewahrsam“ gegen Demonstrant_innen (und sonstige Passantenn, die zufällig in die Quere kamen) verstößt, laut einer Gerichtsentscheidung sogar gegen die europäische Konvention für Menschenrechte.

Doch was nützt dies hinterher? Wenn eine Maßnahme hinterher als rechtswidrig festgestellt wurde, gibt es eventuell das Eigentum zurück oder ein wenig Entschädigung. Der eigentliche Effekt der Vollzugshandlung, ob nun im Einzelfall die Ausforschung der privaten Lebensumstände der Betroffenen, die Verhinderung einer angemeldeten Demonstration oder die Einschüchterung von Anwohner_innen, kann durch keine Gerichtsentscheidung rückgängig gemacht werden.

Und bis heute haben viele der Geschädigten keinen Ausgleich erhalten. Der Jugendliche Steffen B., dessen linkes Auge von einem Wasserwerfer zerstört wurde, weil der Hochdruckstrahl wieder einmal auf Kopfhöhe zielte, klagte 2012 noch immer in den verschiedensten Instanzen gegen die Behörden an. Diese erklären sich mal für nicht zuständig oder bestritten auch schon mal, dass überhaupt ein Schaden für ihn entstanden sei.

Heiligendamm reloaded in 2015?

So gesehen, ist Heiligendamm noch gar nicht vorbei. Sicherheitstechnisch wurde unsere Gesellschaft gewissermaßen „heiligendamned“ und befindet sich bis heute, auf einer ununterbrochenen Suche nach neuen Sicherheitsmaßnahmen. Doch auch ganz praktisch steht eine Wiederholung ins Haus. 2015 naht bereits der nächste Gipfel, der turnusgemäß in Deutschland abgehalten wird. Schon 2007, kurz nachdem der letzte Diplomat das Bundesland verlassen hatte, meldete sich die Insel Hiddensee zu Wort. Man wollte sich bewerben, um das nächste Spektakel ausrichten zu dürfen, schließlich sei die Sicherheitslage hier wesentlich einfacher. Nur ein einziger Zugang zur Insel existiere und der könne einfach abgeriegelt werden.

Nun sind im vergangenen April, sechs Jahre später, erneut Diskussionen um den Austragungsort aufgekommen und erneut wurde Mecklenburg-vorpommern ins Spiel gebracht. Die Christdemokraten von der Ostseeküste frohlockten bereits in den Lokalzeitungen über eine vermeintlich:

„super Werbung für das ganze Land“

Der Innenminister ließ verlauten, dass man sich die Insel Rügen vorstellen könne. Auch hier gäbe es lediglich die Rügenbrücke, welche das Festland mit der Insel verbindet. Mit dem exklusiven Badeort Binz hätte man zudem die passende Luxus-Infrastruktur für verwöhnte Diplomatensöhne aus Industriestaaten zur Verfügung. Zudem fühlt sich das Bundesland durch die Polizeistrukturreform 2010, in der die Landespolizei M-V gemäß Leitkonzept zur Bekämpfung von „Extremismus“ und Terrorismus“ fit gemacht wurde, zu solchen Aufgaben berufen. Ob der Tagungsort nun erreichbar ist oder ob sich die Staatenlenker auf einer abgelegenen Nordsee-Bohrinsel treffen, ist aber eigentlich irrelevant und lenkt genauso vom Geschehen ab, wie die aufgebrochene Parkuhr und das zerstörte Straßenpflaster am Rostocker Stadthafen 2007. Die eigentliche Frage, die sich stellt ist, wie sich die Sicherheitspolitiker der nächsten Generation den weiteren Ausbau des Sicherheitsstaates vorstellen. Anlässlich der Repressionsschübe, die zielsicher zu neuen Gipfel-Protestevents eintreffen, kann nur auf Abnutzungserscheinungen des Happenings und ein Abflauen der „Gipfel“-Euphorie gehofft werden.

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Ergänzungen

Titel der Ergänzung

(muss ausgefüllt werden) 16.06.2013 - 11:19
"Doch was nützt dies hinterher? Wenn eine Maßnahme hinterher als rechtswidrig festgestellt wurde, gibt es eventuell das Eigentum zurück oder ein wenig Entschädigung. Der eigentliche Effekt der Vollzugshandlung, ob nun im Einzelfall die Ausforschung der privaten Lebensumstände der Betroffenen, die Verhinderung einer angemeldeten Demonstration oder die Einschüchterung von Anwohner_innen, kann durch keine Gerichtsentscheidung rückgängig gemacht werden."

---- Genau so siehts aus, und deshalb hilft im Nachinein kein Rumgeheule! Um handlungsfähig zu bleiben, muss aus den Fehlern der Vergangenheit (G8/Festsetzen im Hafenbereich; Frankfurt/Kessel) gelernt werden, sonst siehts für den G8-Gipfel 2015 düster aus!

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