Bln: Interview zu Protesten bei Obama Besuch

Radio Aktiv Berlin 12.06.2013 15:22 Themen: Antirassismus Globalisierung Militarismus Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Am 18. und 19. Juni besucht US Präsident Obama Berlin, um Gespräche mit Merkel und anderen zu führen. Anders als bei seinem Wahlkampf Auftritt 2008 scheut er diesmal die breite Öffentlichkeit. Zentrale Bereiche wie der Pariser Platz vor der US Botschaft sollen aus herrschenden Sicherheitserwägungen heraus bereits in dieser Woche gesperrt werden. Das könnte auch die geplanten Protest beieinträchtigen..

Radio Aktiv Berlin sprach mit Mitgliedern der Mumia-Hörbuch-Gruppe. Sie gehören zu denjenigen, die am Vorabend des Obama-Besuchs, dem 17. Juni zu einer Demonstration unter dem Motto "Fight War, Racism and Repression - Make Capitalism History!" aufrufen.
Fight war, racism and repression – Make capitalism history!
 http://www.perspektive.nostate.net/388



Radio Aktiv (RA): Warum demonstriert ihr gegen Obama?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Wir demonstrieren nicht gegen ihn, sondern gegen die Politik des Krieges, der Repression und des Rassismus, die wesentlich von der von ihm geführten Regierung gestaltet wird. Obama als Person ist uns egal. Es gibt in den USA einen rassistischen Diskurs gegen Obama, der ihn aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe angreift - das ist wie gesagt Rassismus. Uns geht es anlässlich seines Besuches um etwas völlig anderes: Obama hat für kurze Zeit vielen People Of Color die Illusion vermitteln können, dass es auch für sie eine Teilhabe und ein Ende der festgeschriebenen Rechtlosigkeit in den USA geben könne. Währen das für sehr kleine Teile der afroamerikanischen Mittelklasse zutreffen mag, liegt die Realität für die Mehrheit der Afroamerikaner*innen ganz woanders. Im vergangenem Jahr rutschte das Durchschnittseinkommen dieser Community wieder auf einen Stand von vor 1964. Die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung und der revolutionären Bewegungen wie z.B. den Black Panthers scheinen inzwischen sehr weit zurück gedrängt zu sein.

Noch mal, wir denken nicht, dass Obama als Person diesen Zustand ursächlich zu verantworten hätte. Er hat in seinem Wahlkampf jedoch mit der Illusion gespielt, die schlechte Lage der People Of Color in den USA per Regierungsmacht ändern zu können. Das kann er nicht und wir denken auch, dass er es nie vorhatte, wie sich an vielen seiner konkreten Handlungen erkennen lässt. Reale Verbesserungen werden nicht von oben gewährt, sondern immer von unten erkämpft. Das gilt in den USA und überall.


RA: In eurem Aufruf ist vom "Krieg nach innen" die Rede, was meint ihr damit?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Wir demonstrieren nicht nur gegen den Besuch eines Repräsentanten, sondern vor allem in Solidarität mit denjenigen in den USA, die versuchen, Widerstand gegen Krieg, Rassismus, Gefängnis, Repression, Patriarchat und Sozialabbau zu leisten. Außerdem wissen wir um den Krieg nach innen, der seit Jahrzehnten vor allem gegen People Of Color geführt wird und eine der Grundlagen für den Horror von Bagram, Abu-Ghraib oder Guantanamo ist.


RA: Wie meint ihr das?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Seit Mitte der 1970er vollzog sich in den USA etwas, was inzwischen Masseninhaftierung genannt wird. Aus ökonomischen und rassistischem Interesse entschieden Teile der herrschenden Klasse, Arme (also den Großteil der nicht-weißen Bevölkerung) gezielt zu kriminalisieren und in der krisensicheren Gefängnisindustrie auszubeuten. Voraussetzung dafür war eine ganze Mixtur von Maßnahmen, die sich grob unter Sozialabbau und Repression zusammen fassen lassen: Streichung von Arbeitslosenhilfe, Privatisierung von Bildung, Gesundheit und Verkehr (was einen Ausschluss armer Menschen genau davon bedeutete), Stopp öffentlicher Wohnungsbauprogramme sowie gezielte Kriminalisierung wie etwa "Stop & Frisk", "Plea Bargains" oder die "Three Strikes Regeln"(1), mit denen Polizei und Justiz sehr genau steuern können, wen sie lebenslänglich einsperren und wen nicht. Das alles versteckt sich hinter einer Maskerade von "Rechtsstaatlichkeit". Viele US Amerikaner*innen nennen es auch "Friendly Fascism", aber das ist ein anderer Diskurs.

Knapp 2,5 Millionen Gefangene - mehr als in jedem anderen Land der Erde. Laut UNO ein Viertel aller Gefangenen weltweit in einem Land, in dem nicht einmal 5% der Weltbevölkerung leben. Und das bei stark rückläufiger Kriminalitätsrate...

Natürlich sind viele der eben genannten Maßnahmen nichts anderes als neo-liberale Politik, aber dabei sollte genau beachtet werden, unter welchen gesellschaftlichen Verhältnissen diese entstanden ist.

Seit mehreren Jahrzehnten wird in den USA, vor allem in Kalifornien, massenhaft Gebrauch von Isolationshaft gemacht. Laut UNO ist der Tatbestand der Folter erfüllt, wenn ein*e Gefangene*r länger als 15 Tage der Isolation und dem Reizentzug ausgesetzt ist. Derzeit gibt es in den USA über 80.000 Isolationshaftgefangene. Viele von ihnen sitzen seit über 20 Jahren in solchen Einheiten, z.B. im berüchtigten Pelican Bay Gefängnis, von wo ja seit über zwei Jahren immer wieder Gefangenenkämpfe ausgehen, um diese Folter endlich zu beenden. In Mumias ehemaligen Todestrakt arbeitete früher Charles Granor, einer der verurteilten Folterer aus Abu-Ghraib. Die Gewalt der Gefängnisleitungen und Wachmannschaften gegen absolut rechtlose Gefangene hat Methode und wird seit ca. 1972 (Errichtung von Marion oder das Massaker von Attica (2)) immer wieder eingesetzt und von der breiten Öffentlichkeit geduldet. Daher sind Folter und die brutalen Zustände in den US Militärgefängnissen eine logische Konsequenz aus der jahrzehntelange Praxis gegen die eigene Bevölkerung.


RA: Eine lange Antwort. Sind die beschriebenen Zustände denn auf die USA beschränkt oder warum nehmt ihr Obamas Besuch zum Anlaß, dagegen zu demonstrieren?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Natürlich sind Folter und brutaler Umgang mit Gefangenen nicht auf die USA beschränkt. Auf der traurigen Liste der hinrichtenden Staaten belegt die USA z.B. derzeit Rang fünf hinter China, Iran, Irak und Saudi-Arabien. Trotzdem lässt sich derzeitig kein anderes Land der Erde ausmachen, dass in so einem großen Umfang Sklaverei (unter anderem Namen) betreibt wie die USA. Das wird dann wahlweise "War on Crime", "War on Drugs" etc. genannt. Extrem zynisch war dabei Obamas Vorgänger Bush, der sein Programm zum Sozialabbau gegen allein erziehende Mütter "No Child Left Behind" nannte. Ehrlicher wäre es, wenn sie ihre Programme gleich "War on The Poor" nennen würden.

Wie sich seit den 1990er in Australien und UK beobachten lässt, wird diese Politik einerseits von den beteiligten US Konzernen (z.B. Geo Groups oder CCA) exportiert und andererseits von den jeweiligen Behörden gerne kopiert. Mittelfristig scheint die Entrechtung von Minderheiten sowie deren massenhafte Inhaftierung Vorteile bei der Umverteilung von unten nach oben zu bieten. Manche nennen das Krise, aber es zeigt sich überall das gleiche Muster, nämlich dass einige das "capital" und bestimmte andere immer das "punishment" erhalten.

Wir alle kennen Polizeigewalt und politische Repression, wie zuletzt wieder in Frankfurt oder bei den BKA Razzien in Berlin, Magdeburg und Stuttgart. Solidarität mit den Betroffenen ist wichtig. Wir reden hier aber auch über eine Versuchsphase bundesdeutscher Gehversuche auf dem Weg in Knastgesellschaft: die von Bilfinger SE ( früher Bilfinger-Berger) gebaute JVA Burg, die teilprivatisierte JVA Hünfeld mit dem "Dienstleister" Serco, das private Gefängnis Offenburg vom Kötter Konzern oder der private Knastneubau in Bremervörde - wir sind hier am Beginn der gleichen Entwicklung wie in den USA, allerdings mit Jahren Verzögerung und der Möglichkeit, aus den Erfahrungen der Betroffenen und der widerständigen Bewegungen dort zu lernen. (3)


RA: Derzeit sieht es so aus, als ob es am kommenden Montag nach dem Willen des Berliner Senats keine Demonstration vor der US Botschaft geben soll - der Pariser Platz soll laut Medienmeldungen abgesperrt werden. Wie wollt ihr euren Protest und eure Solidarität ausdrücken?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Wir selbst sind nur ein kleiner Teil derjenigen, die zu dieser Demonstration aufrufen. Wir gehen davon aus, dass wir vor der US-Botschaft demonstrieren werden. Natürlich würde es niemanden überraschen, falls sich die Berliner Versammlungsbehörde noch fadenscheinige Argumente ausdenken sollte, warum die politischen Eliten lieber unter sich bleiben wollen.

Was wir immer wichtig finden, ist die Gefangenen selbst sichtbar zu machen. Diesmal werden wir dafür orange Overalls tragen, wie sie in den meisten US Gefängnissen und Militärknästen üblich sind. Wir werden neben den eben beschriebenen Zuständen auch exemplarisch auf kämpfende Gefangene hinweisen, die derzeit in Regierungsgefängnissen ums Überleben kämpfen, wie z.B. Leonard Peltier oder auch die an Krebs erkrankte linke Anwältin Lynne Stewart (4). Wir haben den seit 1981 inhaftierten Journalisten Mumia Abu-Jamal um einen Redebeitrag für diese Demonstration gebeten. Ob es gelingt, sicht- und hörbaren Protest in die Berliner Innenstadt zu tragen, hängt natürlich auch davon ab, dass sich viele beteiligen.

Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze, warum Menschen Obamas Besuch zum Anlass nehmen, auf die Straße zu gehen. Worüber wir hier noch gar nicht geredet haben, ist die monströse Kriegspolitik um strategische und materielle Vormachtstellung, die Präsident Obamas Administration fortgesetzt und ausgebaut hat. Oder die militarisierte Südgrenze der USA, mit der den vom NAFTA Abkommen existenzbedrohten Menschen der Zutritt zu „The Land Of The Free“ verwehrt. Beides hat natürlich deutliche Parallelen zur bewaffneten Außenpolitik der europäischen NATO Staaten und dem mörderischen Frontex Regime.


RA: Es ist bis jetzt vergleichsweise wenig für diese Demonstration mobilisiert worden. Woran liegt das?

Mumia-Hörbuch-Gruppe: Zum einen an der Kürze der Zeit, seit dem dieser Besuch bekannt ist. Zum anderen natürlich auch daran, dass wir im Augenblick sowieso in einer sehr bewegungsreichen Zeit leben, in der beinahe täglich Proteste stattfinden. Uns ist es wichtig, diesem inszenierten Schauspiel der Macht - nichts anderes wird die vermutlich am Pariser Platz stattfindende Rede Obamas werden - die Realität von Rassismus, Repression und Krieg entgegen zu halten. Uns geht es um Solidarität mit den Gefangenen, ihren Angehörigen und deren Communities sowie den revolutionären Bewegungen in den USA, die genau mit den selben Problemen konfrontiert sind wie wir, aber auch ähnliche Perspektiven haben.

Wer helfen möchte, für diese Demonstration zu mobilisieren, findet alles notwendige unter folgendem Link:  http://www.perspektive.nostate.net/388


RA: Vielen Dank für dieses Gespräch.






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Anmerkungen:

(1) „Stop & Frisk": gezielte Polizeidurchsuchungen von meist jungen People of Color führen zu verstärkter Kriminalisierung – oft auch als „Racial Profiling“ in der Kritik, bestreiten Polizeibehörden in den USA und Westeuropa, diese anzuwenden, werden jedoch regelmäßig dabei beobachtet.

„Plea Bargains": sog. Schuld-Handel, bei der Angeklagte oft ohne (oder nur mit mangelhafter Pflicht-) Verteidigung aus Angst vor aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen sich zu irgend etwas schuldig bekennen, um vermeintlich “billig” aus der Sache heraus zu kommen – in den USA seit Jahrzehnten gängige Praxis, in der BRD seit März 2013 formal geregelt  http://www.freiheit-fuer-mumia.de/#juradealbrd
Bei ca. 90% aller Verurteilten in den USA hat es überhaupt kein Gerichtsverfahren gegeben, weil sie auf einen Schuldhandel eingegangen sind. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in der EU derzeit in Spanien, Italien und Belgien beobachten.

„Three Strikes Regeln": Sammelt ein*e Beschuldigte*r aufgrund von „Plea Bargains“ drei rechtskräftige Verurteilungen an, bedeutet das in den meisten US Bundesstaaten automatisch eine Haftstrafe zwischen 15 – 25 Jahren, oft als Zwangsarbeiter*in in der Gefängnisindustrie.

Alle drei Faktoren sind ursächlich für die Explosion der Gefangenenraten unter US Präsident Reagan. Diese Entwicklung hält bis heute an und erklärt, wie es den Behörden gelang, knapp 2,5 Millionen Menschen zu inhaftieren und industriell auszubeuten. In der BRD sind Schuldhandel und „Three Strikes“ seit langem in der Diskussion und werden ohne Widerstand vermutlich bald auch hier angewandt werden.


(2) Marion Gefängnis: Der Staat normalisierte 1972 die weitverbreitete Isolationshaft als ein Mittel, diese Organisierungen innerhalb der Gefängnisse zu zerschlagen. Das erste Gefängnis, in dem das geschah, war Marion. 1972 gab es im gesamten Gefängnis für alle permanenten Einschluss. Marion war für die
Vereinigten Staaten, was Stammheim für Deutschland war, Long Kesh für Irland und Robben Island für Südafrika: Ein Ort, um politische Dissidenten ruhig zu stellen. (zitiert nach Dan Berger, „Politische Gefangene und ihre militante Geschichte: Fünf Jahrzehnte Widerstand gegen Staatliche Repression in den USA“ (Januar 2013)

Massaker von Attica - zwei de.indymedia.org Artikel:
Bewegung gegen Masseninhaftierung in den USA (21.08.2012)
 http://de.indymedia.org/2012/08/333932.shtml

40 Jahre Attica ( 08.09.2011)
 http://de.indymedia.org/2011/09/315636.shtml

(3) siehe dazu auch den Vortrag von Dan Berger (Anti-Knast Aktivist, USA):
Politische Gefangene und ihre militante Geschichte: Fünf Jahrzehnte Widerstand gegen Staatliche Repression in den USA - Januar 2013
 http://www.freiheit-fuer-mumia.de/aktuelles/text/rlk2013/Dan+Berger_dt.pdf

(4) Leonard Peltier  http://www.mumia-hoerbuch.de/postamt/Leonard%20Peltier.pdf
Lynne Stewart  http://www.mumia-hoerbuch.de/postamt/Lynne%20Stewart.pdf
Mumia Abu-Jamal  http://www.mumia-hoerbuch.de/postamt/Menschenrechte+Solidaritaet+Widerstand_FREE+MUMIA.pdf
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