Landbesetzung für solidarische Landwirtschaft

SoliLa Wien 05.05.2013 21:55 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Ökologie
Derzeit ist eine Landbesetzung in Wien im Gange: Seit Samstag, 4. Mai, wird eine Landfläche am Drygalskiweg 49, im 21 Wiener Gemeindebezirk solidarisch bewirtschaftet. Die Landfläche ist im Besitz des Wiener Bereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds. Aktuell scheint eine Räumung der Landbesetzung am Montag morgen (6. Mai) möglich.
WIEN - Studierende, Aktivist*innen und Landlose beginnen mit dem Aufbau einer solidarischen Stadtlandwirtschaft und nehmen Stadtplanung selbst in die Hand.

Seit Samstag, den 4. Mai, besetzen ca. 100 Landlose, Studierende und Aktivist*innen eine Brachfläche im Donaufeld, Wien Floridsdorf, die dem Wohnfonds Wien gehört.

„Hier soll fruchtbares Land, das über Jahrzehnte von kleinen Gärtnereien bewirtschaftet wurde, verbaut werden. Der Aufbau einer lokalen solidarischen Landwirtschaft ist unser Gegenentwurf zur derzeitigen Stadtplanung“, so Jana, landlose Gärtnerin.

Die von den Besetzer*innen gegründete Initiative „Solidarisch Landwirtschaften!“, kurz SoliLa!, kritisiert, dass es gerade in Zeiten von „peak oil“ und „peak soil“ absurd ist, fruchtbares Land immer weiter zu verbauen. Die Landwirtschaft in Wien, wie auch in ländlichen Gebieten, ist zunehmend von zwei Tendenzen betroffen: die Versiegelung von landwirtschaftlichen Flächen sowie Höfesterben und Landkonzentration.

Täglich gehen in Österreich 20 Hektar landwirtschaftliche Fläche unwiederbringlich als Bau- und Verkehrsflächen verloren. Für Wien wird das an dem Verlust von 20% der landwirtschaftlichen Flächen zwischen 1999 und 2010 sichtbar. Die Zahl der Bäuer_innenhöfe in Wien verringerte sich zwischen 1995 und 2010 drastisch von rund 1.200 auf etwa 550 Höfe. Bei den geschlossenen Höfen handelt es sich zum großen Teil um kleine und mittlere Betriebe: 68% der Höfe hatte weniger als 5 Hektar Fläche.

Europaweit zeigt sich die gleiche Tendenz. Eine kürzlich veröffentlichte Studie dokumentiert, dass lediglich 3 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU rund 50% der landwirtschaftlichen Flächen kontrollieren. Diese Landkonzentration wird durch das System der Agrarsubventionen je nach Fläche letztendlich durch staatliche Gelder gefördert und vorangetrieben.

Auch die Wiener Landwirtschaft wird immer weiter Richtung Profitmaximierung gedrängt, in welcher nur noch die wettbewerbsfähigsten Betriebe erhalten werden sollen. Dies wird im agrarstrukturellen Entwicklungsplan festgeschrieben. Während große zusammenhängende landwirtschaftliche Flächen an den Rändern der Stadt für die landwirtschaftliche Nutzung geschützt werden sollen, sind kleinere und nicht zusammenhängende Flächen in zentralerer Lage als Pufferzone für Bauvorhaben vorgesehen. Damit wird letztendlich die Versiegelung von fruchtbaren Böden wie im Donaufeld vorangetrieben. Dieser Entwicklung stellt sich SoliLa! entgegen und zeigt eine Alternative auf.

WOHNPOLITIK OHNE FRUCHTBARE BÖDEN ZU VERSIEGELN

Die Eigentümerin der Fläche ist der Wohnfonds Wien, ehemals „Flächenbereitstellungsfond“. Seine Aufgabe ist es, Flächen anzukaufen um sie für Wohnbauträger bereit zu stellen. Seit 2004 baut die Stadt Wien selbst keine Gemeindewohnungen mehr. Stattdessen wurde zu einer Politik der Subventionierung von Wohnbauträgern übergegangen.

„Die Besetzung richtet sich nicht gegen leistbares Wohnen. Ganz im Gegenteil wollen wir die Frage stellen, wie leistbares Wohnen für alle möglich sein kann ohne dabei fruchtbare Böden zu versiegeln. Der steigende Bedarf an Wohnraum steht einem Leerstand von bis zu 80.000 Wohnungen sowie weiteren tausenden Büros gegenüber“, meint Markus, BOKU-Student und Recht auf Stadt-Aktivist.

Parallel zur Spekulation mit Leerstand finden jährlich tausende Delogierungen in Wien statt. Rund 2.600 Haushalte wurden allein im Jahr 2012 zwangsgeräumt. Etwa 1.000 Fälle davon betrafen Gemeindebauwohnungen. „Von einer sozialen Wohnpolitik kann somit nicht mehr gesprochen werden“, so eine Aktivistin.

Profitorientierte Wohnungspolitik hat nicht nur erzwungenen Leerstand zur Folge, sondern auch die Versiegelung landwirtschaftlicher Fläche für immer weitere Bauvorhaben. Aus diesem Grund fordert SoliLa! als Teil des Netzwerks „Recht auf Stadt“ nicht nur Zugang zu Land für jene die es bewirtschaften (wollen), sondern auch Zugang zu leistbarem Wohnraum für alle.

„Es braucht demokratische Entscheidungsstrukturen über Stadtplanung. Nachbar*innen und Initiativen wurden in die Stadtentwicklungspläne fürs Donaufeld bisher nicht einbezogen“, so eine Nachbarin.

Die Initiative SoliLa! möchte das besetzte Land als landwirtschaftliche Fläche erhalten und eine bedürfnisorientierte, kleinstrukturierte, nachhaltige Lebensmittelproduktion umsetzen. Die vielen beteiligten Menschen arbeiten seit dem 4.Mai gemeinsam an der nachhaltigen Kultivierung des Bodens und laden Nachbar*innen und Interessierte herzlich dazu ein, mitzuwirken.

Für Recht auf Stadt und Ernährungssouveränität!
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Ergänzungen

Bericht bei StadtFruchtWien

Sonntag 05.05.2013 - 22:16
... Die Fläche am Donaufeld befindet sich im Eigentum des Wohnfonds Wien, einem SPÖ-nahen gemeinnützigen Unternehmen, das eine zentrale Funktion bei der sogenannten Stadterneuerung spielt. Er wurde 1984 als Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds WBSF ins Leben gerufen, zwecks einer besseren Steuerung der Grundstückspreise und in Folge auch der Preise für Wohnbauten. Hauptaufgabe: „Die Bereitstellung des für den sozialen Wohnbau in Wien erforderlichen Bodens“.

Der soziale Wohnbau hat sich 2004 in den geförderten Wohnbau verwandelt, der WBSF in den Wohnfonds Wien. Der kauft nach wie vor Grundstücke, die er dann an Bauträger weiter verkauft, damit diese dort geförderte Wohnbauten errichten, und fungiert laut dem Wiener Wohnbaustadtrat Ludwig noch immer als „preisdämpfendes Element“. Derzeit sitzt Wohnfonds Wien auf 2 Millionen Quadratmeter „Flächenbevorratung“ für den geförderten Wohnbau. Und z. B. auf jenem Hektar, auf dem die SoliLa-Aktivistinnen nun harken und hämmern, eine Küche und ein Plenumszelt errichten, und vorgezogene Gemüsepflanzen einsetzen. ...