Kiel-Gaarden: 600 gegen "PLS-Werkzeuge"

Antifascist@s 04.05.2013 19:42 Themen: Antifa
+++ Über 600 Antifaschist_innen auf bunter Demonstration gegen von Neonazis betriebenen Laden in Gaarden +++ Sonne, gute Laune, Antifa! +++ Viele kleine und große Solidaritätsbekundungen von Anwohner_innen +++ Polizei nervt mit Großaufgebot +++ Farbspritzer für Rollläden von "PLS-Werkzeuge" +++
Am heutigen Samstag, den 4 Mai 2013 demonstrierten über 600 Menschen gegen den seit Dezember 2012 von bekannten Neonazis, darunter Alexander Hardt aus Neumünster, betriebenen Laden "PLS-Werkzeuge" am Vinetaplatz im Kieler Stadtteil Gaarden.

Unter dem Motto "Keine Geschäfte mit Neonazis - "PLS-Werkzeuge" dichtmachen! Für einen solidarischen Stadtteil ohne Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus!" versammelten sich zunächst etwa 300 Teilnehmer_innen der Demonstration, zu der das antifaschistische Bündnis "Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus" aufgerufen hatte, ab 13 Uhr auf dem Alfons-Jonas-Platz zur Auftaktkundgebung.

Hier sprach neben einem Vertreter des Runden Tischs der Intendant des Werftparktheaters, Norbert Aust, ein Grußwort. Anschließend drehte die Demo eine ausführliche Runde durch den Stadtteil, in dem viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, und wuchs beständig auf eine Teilnehmer_innenzahl von über 600 an. Am Bahide-Arslan-Platz sprach Cebel Kücükkaraca, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein, zu den rassistischen NSU-Morden und den fatalen Auswirkungen des ausgebliebenen Handelns staatlicher Behörden auf das Sicherheitsempfinden von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Ein weiterer Redebeitrag der SDAJ befasste sich mit dem Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus.

Während der Demo, die sich bei bestem Wetter und durchgängig begleitet von Lautsprecheransagen und Parolen gegen "PLS-Werkzeuge" im Speziellen und Neonazis im Allgemeinen durchweg gutgelaunt ihren Weg durch die engen und belebten Straßen bahnte, wurde immer wieder mit Solidaritätsbekundungen von Anwohner_innen begrüßt. Beim Gang durch die Iltisstraße etwa donnerte rechts vom Dach ein ausgiebiges Feuerwerk, während links von einem Balkon, untermalt mit Konfettiregen, ein riesiges Transparent mit der Aufschrift "Gemeinsam gegen Bullenschikanen, Verelendungspolitik und Nazischweine! Für ein solidarisches und widerständisches Gaarden!" präsentiert wurde. Lediglich die Polizei sorgte für Missmut: So brach sie ihre vorherige Ankündigung, sich im Hintergrund halten zu wollen und posierte immer wieder mit bewaffneten und vermummten Eingreiftrupps in Seitenstraßen.

Die Demonstration endete auf dem Vinetaplatz im Zentrum von Gaarden, wo auch das unerwünschte Ladengeschäft ansässig ist. Dieses hatte die Polizei zuvor mit zahlreichen Einsatzfahrzeugen abgeschirmt. Nichtsdestotrotz gelang es Aktivist_innen, wenigsten ein bisschen Farbe der bunten Zusammenkunft auf die hässliche Fassade des mit Rollläden verschlossenen Ladens zu übertragen. Und auch hier kam es zu einer weiteren pyrotechnischen Dachaktion, zu der eine attraktive Antifa-Fahne geschwenkt wurde. Auf der Abschlusskundgebung wurde in Redebeiträgen der Autonomen Antifa-Koordination Kiel und Avantis vielfach auf die Gefahren eines von Neonazis betriebenen Ladens hingewiesen, auch wenn dieser zunächst nicht politisch nach außen wirkt. Betont wurde auch die Notwendigkeit von eigenständigem antifaschistischen Handeln im Alltag und die Verantwortung, die alle antifaschistisch gesinnten Anwohner_innen tragen, wenn es darum geht, die Etablierung von "PLS-Werkzeuge zu verhindern. Ein Gaardener Gewerkschafter und die DGB-Jugend beendeten mit ihren Beiträgen die etwa zweistündige Demonstration, während eine Sambagruppe noch eine Weile vorm Laden weiter trommelte.

Insgesamt hat die heutige Demo ihr Ziel erreicht: Mit 600 Teilnehmer_innen verschiedener politischer und sozialer Backgrounds, davon viele aus dem Stadtteil, konnte an zurückliegende antifaschistische Mobilisierungserfolge angeknüpft und mit großer positiver Resonanz klargestellt werden, dass Gaarden nach wie vor kein ruhiger Ort für Neonazis sein wird. Gleiches hatte bereits in der Nacht zuvor eine militante Aktion gegen das Auto des NPD-Noch-Ratsherren Hermann Gutsche verdeutlicht, der vor Kurzem in die Gaardener Blitzstraße gezogen ist. Es ist zu hoffen, dass der Schwung dieser Tage mindestens solange andauern wird, bis der Laden Alexander Hardts nicht mehr nur seine Rollläden, sondern auch seine Türen schließt - und das für immer!

1000 Grüße und fetten Respekt gehen raus an alle, die heute auf der Straße, auf den Dächern Gaardens unterwegs waren und diese Demo möglich gemacht haben!

Lokalpresse dazu:
Fotos:
 http://www.kn-online.de/Lokales/Kiel/Fotostrecken-Kiel/Fotostrecke-Gaarden-duldet-keine-Nazis/%28from%29/1941942/%28mode%29/full/%28offset%29/0
Artikel:
 http://www.kn-online.de/Lokales/Kiel/Gaarden-duldet-keine-Nazis
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Ergänzungen

[DIY]: Gutsche ist jetzt Fußgänger

... 04.05.2013 - 19:53
Artikel zu der Aktion bei Hermann Guttsche

 https://linksunten.indymedia.org/de/node/85410

Sehr schön!

AFA 04.05.2013 - 20:36
Tolle Aktion viel Erfolg euch noch!
Solidarische Grüße aus Köln!

AZ - Räumung verhindern -

KN-Online Artikel 5.4

...... 05.05.2013 - 13:12
Demo in Kiel
Gaarden duldet keine Nazis
Von Martin Geist |
04.05.2013 17:31 Uhr

Die Kieler Polizei war sicherheitshalber mit großem Aufgebot angerückt,
doch alles blieb ruhig. Etwa 600 Menschen haben am Sonnabend friedlich für
einen toleranten und solidarischen Stadtteil Gaarden demonstriert - und
gegen den Laden „PLS-Werkzeuge“, der im Dezember am Vinetaplatz eröffnet
hat und hinter dem landesweit bekannte Vertreter der rechten Szene
gehören.

Kiel. „Der Naziladen muss weg“. „Gaarden, Gaarden, das sind wir, wir
wollen keine Nazis hier“. Parolen dieser Art schallten allenthalben durch
die Straßen, während einigen Redebeiträgen differenziertere
Betrachtungsweisen zu entnehmen waren. Norbert Aust, Leiter des Theaters
im Werftpark, zitierte Bertold Brecht, der kurz nach dem Krieg
feststellte: „Das Gedächtnis der Menschen für vergangene Leiden ist
erstaunlich kurz.“ In eigenen Worten sprach sich Aust für eine
„vielfältige und lebendige Kultur des Miteinanders in Kiel“ aus.

„Wir verabscheuen Gewalt“, bekundete derweil Cebel Kücükkaraca,
Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein. Ob die Motive
dabei linker, rechter oder religiöser Art sind, spiele keine Rolle.
Kritisch ging Kücükkaraca auf die Ermittlungen im Fall der NSU-Morde ein:
„Wir möchten unseren Sicherheitsbehörden vertrauen können und sicher sein,
dass wirklich alles Erdenkliche getan wird, um Gewalttaten aufzuklären –
unabhängig davon, wer die Opfer sind.“

Gut gewappnet gegen mögliche Ausschreitungen zeigte sich am Sonnabend die
Polizei. Als der Demonstrationszug zum Schluss auf dem Vinetaplatz
angelangte, sicherte sie den in der Kritik stehenden Laden mit Autos und
Einsatzkräften weiträumig ab. Das zeigte offensichtlich Wirkung. Versuche,
das auch mit einschlägigen Einbruchswerkzeugen handelnde Geschäft zu
attackieren, gab es nicht einmal im Ansatz.

Anwohner begrüßen Demo

Anwohner 05.05.2013 - 18:22
Ein Video vom Empfang der Demo durch solidarische AnwohnerInnen:
 http://www.youtube.com/watch?v=IgcNGHRYxes

REDEBEITRAG / GAARDEN / 4.5.2013

AUTONOME ANTIFA-KOORDINATION KIEL 05.05.2013 - 19:09
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, liebe Menschen aus Gaarden!

Wir sind heute zusammen auf der Straße, um gegen die Etablierung von Neonazis im Stadtteil Gaarden zu demonstrieren. Seit Dezember 2012 befindet sich nämlich direkt hier am Vinetaplatz mit "PLS-Werkzeuge" ein Geschäft, das von bekannten Akteuren der rechten Szene betrieben wird.

Doch was stört uns und viele andere Menschen daran, wenn Neonazis in einen unansehnlichen kleinen Ladenlokal ein bisschen Geld mit dubiosen Geschäften verdienen und sich dabei vorerst mit politischen Äußerungen zurückhalten? Es ist zunächst zweitrangig, ob Neonazis offen politisch
agieren oder versuchen sich ein "unpolitisches" Image als "Geschäftsleute" zu geben. Neonazis bleiben Neonazis und damit eine Gefahr für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Es gibt
unzählige Beispiele für Orte oder Stadtteile, in denen sich Neonazis schleichend und mit scheinbar harmloser Fassade versuchten zu etablieren. An Orten wo der Widerstand gegen diese Vorstöße nicht entschlossen genug war, befinden sich heute zum Teil so bezeichnete "No-go-areas" für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Vorlieben, ihrer antifaschistischen Haltung oder schlicht der "falschen" Frisur nicht in das Bild eines "guten Deutschen" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie passen.
Einige aus der medialen Berichterstattung besonders bekannte bundesweite Beispiele sind die Stadtteile Berlin-Schöneweide oder Dortmund-Dorstfeld. In diesen Stadtteilen fing die neonazistische Festsetzung durch scheinbar unverfängliche Anmietung von Wohnungen, Geschäftsräumen oder Kneipen an. Erste rechte Übergriffe konnten gesellschaftlich noch als Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen oder Ähnliches weggewischt werden werden. Inzwischen betrachten die Neonazis diese Stadtteile als "ihre" und schüchtern systematisch Menschen ein, die ihrer Ideologie widersprechen oder dieser entgegentreten. Es kommt neben unzähligen kleineren Angriffen immer wieder zu Brandstiftungen mit neonazistischem Hintergrund wie in der Umgebung von Berlin-Schöneweide oder sogar zu Morden wie dem an dem Dortmunder Punk "Schmuddel" im Jahre 2005.

Natürlich ist die Situation in Kiel, insbesondere in Gaarden, nicht vergleichbar mit den genannten Beispielen. Aber auch hier galt und gilt es, solche Tendenzen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen, um nicht in Zukunft vor vergleichbaren Situationen zu stehen. Jedoch auch im vermeintlich ruhigen Kiel geschehen immer wieder rechte Übergriffe: Spektakuläre Beispiel sind die Schüsse auf die Alte Meierei im Jahr 2010, mutmaßlich abgegeben von Personen aus dem Umfeld der damals aktiven Nazi-"Aktionsgruppen" aus Kiel bzw. Neumünster. Ein anderes Beispiel ereignete sich genau hier vor nur wenigen Monaten: Der Gründer und Macher von "PLS Werkzeuge" selbst, Alexander Hardt, machte im Januar 2013 mit seinem Auto Jagd auf Gaardener Jugendliche.

Auch jenseits der öffentlichen Wahrnehmung hat Kiel eine aktive Neonazi-Szene, die sich nach dem
Niedergang der "Aktionsgruppe Kiel" und der andauernden Krise der hiesigen NPD meist öffentlich zurück hält, aber im Verborgenen rechte Politik teils für den ganzen deutschsprachigen Raum mitgestaltet. So resisidieren in Kiel und Umgebung mit dem "Arndt Verlag" und dem "Regin Verlag" bekannte neonazistische Verlage, hier haben neonazistische Organisationen ihren Sitz und auch die für den Fall eines NPD-Verbots schon in Stellung gegangene Neonazi-Partei "Die Rechte" wird aus Kiel mit aufgebaut. Der Laden "PLS-Werkzeuge" birgt in Anbetracht der Biographien seiner Betreiber nun die Gefahr in sich, dass auch die militante Nazi-Szene in Kiel nach einigen Jahren in der Defensive wieder über einen Ort verfügt, den sie potentiell als Infrastruktur nutzen kann. Die "PLS"-Protagonisten Alexander Hardt und Lars Bergeest, wie auch der ihrem engen Umfeld zugehörige Peter Borchert, entstammen sämtlich diesem Teil der rechten Szene Schleswig-Holsteins. Bergeest organisiert im Umfeld des "Blood & Honour"-Netzwerks Rechtsrock-Konzerte in Nordeuoropa, Hardt beteiligt sich an Rechtsrockprojekten. Beide sind mehrfach durch Übergriffe aufgefallen, Hardt sorgte gar für Schlagzeilen, als er angeklagt war, 2008 unter dem Label der neonazistischen Terrorzelle "Combat 18" ein Schwein auf dem jüdischen Friedhof in Neustadt getötet und seine Eingeweide dort verteilt zu haben. Insbesondere Hardt übernimmt zudem seit seinem Umzug nach Neumünster im Umfeld des einschlägig bekannten Nazitreffpunktes "Club88" auch immer wieder organisatorische Aufgaben.
Auch Peter Borchert, dessen Name im Zusammenhang mit "PLS-Werkzeuge" aufgetaucht ist, ist in Kiel kein Unbekannter. Der ehemalige Landesvorsitzende der NPD war verstrickt in Waffengeschäfte, hat unzählige Vorstrafen wegen verschiedener schwerer Gewalttaten, fungierte als Pressesprecher des "Club 88" und baute vor einigen Jahren die aggressive "Aktionsgruppe
Kiel" auf. Borchert ist z. Z. zwar noch inhaftiert, wird aber im Laufe des Jahres entlassen. Da dem momentanen Hauptakteur von "PLS-Werkzeuge", Alexander Hardt, eine Haftstrafe droht, besteht die Gefahr, dass sich Borchert und Hardt, beide mittlerweile übrigens tief in die Machenschaften der Rockergang "Bandidos" verstrickt, buchstäblich die Klinke in die Hand geben und "PLS-Werkzeuge" als neonazistisches Resozialisierungsprojekt für Peter Borchert dient.

Apropos Borchert: Dieser Name steht nicht nur für Versuche von Neonazis in Gaarden Fuß zu fassen, sondern auch für erfolgreiche antifaschistische Maßnahmen, dies zu verhindern: Anfang 2008 wurde seine unerwünschte Anwohnerschaft nach nur wenigen Wochen gegen zerbrochene Fensterscheiben seiner Wohnung getauscht. Auch zwei Haushalte von NPD-Kandidaten in der Preetzer Straße konnten kurz darauf, in Folge einiger turbulenter Tage, zum Auszug gedrängt werden. Wir erinnern uns heute gern zurück an die kurzfristig mobilisierte, buntgemischte Antifa-Demo von über 700 Menschen, die vor fast genau fünf Jahren durch die Straßen Gaardens zog und diesen Erfolg feiern durfte. Die damaligen Aktivitäten haben wir uns durchaus zum Vorbild für unsere aktuelle Initiative gegen "PLS-Werkzeuge" genommen! Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass mittlerweile auch die Führungsfigur der NPD in Kiel, der Kieler Noch-Ratsherr Hermann Gutsche, kürzlich nach Gaarden gezogen ist und nun in der Blitzstr. gemeldet ist. Sorgen wir dafür, dass alle diese Versuche von Neonazis, sich schleichend zu etablieren, im Keim erstickt werden!

Die genannten Gaardener antifaschistischen Initiativen vom Frühjahr 2008 geben ein Beispiel dafür, wie erfolgreicher Widerstand gegen Neonazis aussehen kann. Manche denken zunächst an die sogenannten Ermittlungsbehörden in Gestalt von Polizei oder Verfassungsschutz, wenn es um die Bekämpfung von Neonazis geht. Auch wenn der Reflex, die eigene Verantwortung an staatliche Institutionen abzugeben, oberflächlich betrachtet manchmal verständlich erscheinen mag, schließlich pflegen insbesondere die Betreiber von "PLS-Werkzeuge" ein martialisches Auftreten und sind durch ihre Gewalttaten bekannt, bleibt bei genauerem Hinsehen keine Alternative zu selbstorganisiertem Widerstand gegen Nazi-Umtriebe. Nicht erst die Enthüllungen um den "NSU" haben gezeigt, dass staatliche Stellen oft selbst zu tief mit im Geschehen involviert sind, um ein ernsthaftes Interesse an Verfolgung und Zerschlagung von neonazistischen Strukturen zu haben. Nicht nur die erschütternde Spitze des Eisbergs, dass die Nazi-Bande "NSU" mehr als ein Jahrzehnt lang im ganzen Bundesgebiet ungestört rassistische Morde begehen konnte, auch, dass insbesondere Führungspersonen der deutschen Neonazi-Szene trotz erheblicher Straftatbestände immer wieder mit geringen Strafen davon kommen oder gar nicht erst verfolgt werden, belegen dies mit unzähligen Beispiele. Doch kann daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, höhere Strafen für Neonazis oder eine Afrüstung der Repressionsorgane zu fordern. Diese Behörden sind strukturell und historisch gewachsen, nicht willens, ernsthafte Arbeit gegen rechte Umtriebe zu leisten. Ihr Wegsehen, Verharmlosen, Nichthandeln und Unterstützen stellen kein Versagen dar, sondern sind ihr normaler Alltag, der sich aus ihrem eigentlichen Zweck, dem Erhalt der bürgerlichen Gesellschaftsordnung ableitet. Im Gegensatz dazu wird von denselben Behörden antifaschistisches Engagement kriminalisiert und verfolgt. Die Haftstrafe für Tim wegen der Blockaden des Nazi-Aufmarsches in Dresden, die jüngst entdeckten Peilsender unter Autos von Antifa-Aktivist_innen in Lübeck bezeugen dies genauso, wie die letzten Monate in Gaarden, wo die örtliche Polizei deutlich bewiesen hat, wo sie steht, als sie im Zuge der Aufklärungsarbeit über "PLS-Werkzeuge" mit Großaufgeboten vermeintliche antifaschistische Plakatiererinnen und Plakatierer jagte oder Flugblattverteilaktionen des Runden Tisches störte. Mordende, prügelnde und mit Waffen handelnde Neonazis stellen in ihrer Logik von Ruhe und Sauberkeit ein geringeres Problem dar, als engagierte Menschen, die einen Stadtteil ohne Rassismus, Antisemitismus und soziale Ausgrenzung fordern - mindestens solange, wie sich die Nazi-Gewalt nur gegen ohnehin gesellschaftlich ausgegrenzte Gruppen richtet, die sich über keine Starke Lobby Gehör verschaffen können, oder bis mit einer öffentlichen Thematisierung am Standortimage gekratzt wird.

Wie ein angemessener stadtteilpolitischer Umgang mit Neonazistrukturen aussehen kann haben aktuell verschiedene Initiativen in Berlin-Schöneweide vorgemacht. Nachdem sich dort mit der sog. "Braunen Straße" ein ganzer Straßenzug zu einem Rückzugsraum für Neonazis entwickelt hatte und die staatlichen Stellen diesen Prozess ignorierten oder fleißig mithalfen, haben sich vielfältige Widerstandsformen gefunden, selbstorganisiert das Problem mit den Neonazis anzugehen: Von direkten Angriffen auf neonazistische Objekte, über Kundgebungen, Demos, Öffentlichkeitsarbeit und den antifaschistischen Selbstschutz für engagierte Menschen aus dem Viertel haben viele Menschen "ihre" Aktionsform gefunden und mittlerweile können erste Erfolge gefeiert werden. Zwei zentrale Neonazi-Läden mussten schließen.

Kurzum: Gegen Neonazistrukturen, wozu wir im weiteren Sinne ausdrücklich auch "PLS-Werkzeuge" zählen, müssen wir alle selbst aktiv werden! Auch der bloße Verweis an die örtlichen antifaschistischen Strukturen, dass "die es ja schon richten werden", kann keine dauerhafte Lösung sein. Alle, die keinen Bock auf Nazis im Stadtteil oder sonst wo haben, sind aufgefordert, sich selbst zu organisieren und tagtäglich nach ihren Möglichkeiten und mit ihren Mitteln Widerstand gegen rechte Umtriebe zu leisten, egal ob diese als unpolitisch scheinende Geschäfte wie "PLS-Werkzeuge", als Wahlkampf von rechten Parteien oder als rassistische Bemerkung im Alltag daher kommen.

Neonazis keinen Raum geben - nicht in Gaarden, nicht anderswo! Für den selbstorganisierten Widerstand! Der Laden muss weg!

Redebeiträge Runder Tisch / Gaarden / 4.5.13

RT gegen Rassismus und Faschismus 06.05.2013 - 10:35
Dietrich Lohse, Sprecher des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus Kiel, auf der Demonstration in Kiel-Gaarden unter dem Motto

„Für einen solidarischen Stadtteil ohne Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus! - Keine Geschäfte mit Neonazis – 'PLS-Werkzeuge' dichtmachen!“

Zum Auftakt

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,

wieder einmal sind wir zusammen auf der Straße, um uns gegen faschistische Provokationen zur Wehr zu setzen. Denn eine Provokation ist der Betrieb eines Nazi-Ladens im Herzen unseres Stadtteils. Ein Laden, der bezeichnenderweise mit Einbruchswerkzeug handelt. Der
offenbar als neue Heimatadresse des faschistischen Gewaltverbrechers Peter Borchert, der zurzeit noch im Gefängnis sitzt, dienen soll. Aus der puren Provokation wird eine ernsthafte, eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Menschen in Gaarden, die dem von der Stadt gern benutzten Werbe-Slogan „Gaarden – bunt und vielfältig“ mit ihrem Aufeinander-zu-Gehen und dem von ihnen praktizierten friedlichen Zusammenleben von Menschen vieler Mutterländer erst einen Sinn verleihen.

Dieser Slogan kann natürlich nicht die Probleme verdecken, die es in unserem Stadtteil tatsächlich gibt – Probleme, die gern mal auf den Begriff „Sozialer Brennpunkt“ gebracht werden. Tatsächlich leben hier viele Menschen, die Opfer kapitalistischen Wirtschaftens sind und die den Druck der Krise dieses Wirtschaftssystems besonders hart spüren. Das geht uns auch als Antifaschistinnen und Antifaschisten an, und gerade von Euren Gewerkschaften dürft ihr mehr erwarten und einfordern, als nur gegen Nazi-Umtriebe zu protestieren. Denn die Nazis versuchen, aus der Not der Menschen politischen Profit zu schlagen. Auch bei den anstehenden Kommunalwahlen: NPD-Mitglieder wie das derzeitige Ratsmitglied Hermann Gutsche und Angehörige der „freien Kameradschaften“ kandidieren für die sogenannte „Wahlalternative Kieler Bürger“ - eine Nazi-Liste.

Die Nazis sind, wie die DGB-Gewerkschaften festgestellt haben, „Trittbrettfahrer der sozialen Frage“, und meine Gewerkschaft ver.di hatte Recht, als sie feststellte, Hartz IV und die Agenda 2010 seien „eine Steilvorlage für Rechtsextreme“. Daher dürfen wir uns heute eine „Agenda 2020“ nicht bieten lassen; der Kampf gegen Sozialkahlschlag und der Kampf gegen Nazis gehören zusammen. Nur so kann der soziale Zusammenhalt gedeihen und wachsen, den wir so dringend brauchen und gegen die Spaltungsversuche aus dem rechten
Lager verteidigen, kann das friedliche Miteinander der Kulturen ebenso Wirklichkeit werden wie die Forderung „gute Arbeit – gutes Leben“, für die wir gerade erst am 1. Mai demonstriert haben.

Unsere Agenda heißt Widerstand.

Keinen Fußbreit, keine Stimme für die Nazis – keine Geschäfte mit Faschisten!
Den „pls“-Laden schließen!
Verbot und vollständige Auflösung der NPD und aller anderen faschistischen Organisationen!
Weg mit allen rassistisch motivierten Sondergesetzen – herzliches Willkommen allen Flüchtlingen – Gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben!

Dafür machen wir uns jetzt auf den Weg.

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Zum Abschluss

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,

wir sind am Ende unserer heutigen Demonstration und Kundgebung angekommen. Ich danke Euch allen für Eure Teilnahme – wir werden auch in Zukunft immer wieder aufeinander angewiesen sein.

Unser Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus ist wirklich eine „runde Sache“, im 13. Jahr seines Bestehens immer noch und immer wieder Treffpunkt für Antifaschistinnen und Antifaschisten unterschiedlichster Herkunft, Ausgangspunkt für Aktionen, die Solidarität und Zusammenhalt fördern, den Einzelnen die Angst nehmen, Nazis das Leben schwer machen und uns das Leben etwas leichter.

Die Vernichtung das Nazismus mit seinen Wurzeln bleibt unser Ziel.

Der Runde Tisch sollte, wie wir in unserer „Kieler Erklärung“ geschrieben haben, eine dauerhafte Einrichtung werden, und das ist er in der Tat geworden. Aber wir arbeiten mit jeder unserer Aktionen darauf hin, dass er sich überlebt, dass er einmal nicht mehr gebraucht wird, in einer Welt ohne Rassismus, ohne Ausbeutung und Krieg. Dafür braucht es einen langen Atem. Wir werden ihn aufbringen. Wir sind es den Opfern und den Überlebenden des Naziterrors schuldig, und wir sind es uns selbst und unseren Kindern schuldig.

In diesem Sinne möchte ich Euch gleich zur nächsten Veranstaltung des Runden Tisches einladen: Am kommenden Dienstag, 7. Mai, um 19 Uhr im „Legienhof“ des Kieler Gewerkschaftshauses. Paul Wellsow, Autor zahlreicher einschlägiger Veröffentlichungen, informiert und diskutiert mit uns zum Thema „Unter den Augen des Staates – Naziterror und Geheimdienstskandal“.

Wir seh’n uns!

Redebeitrag TGSH / Gaarden / 4.5.2013

Türkische Gemeinde in S-H 06.05.2013 - 10:41
Sehr verehrte Damen und Herren,

Wir als Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein stehen heute hier, weil wir Gewalt verabscheuen, sei es linke, rechte oder religiöse Gewalt. Wir stehen heute hier, weil wir Intoleranz und Rassismus verabscheuen. Wir stehen hier, weil wir Gleichgültigkeit und Anteilnahmslosigkeit verabscheuen.

1995 wurde die Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein, u.a. als Reaktion auf Gewaltverbrechen, die gegen ausländische Bürgerinnen und Bürger verübt wurden, gegründet.
Als Beispiel für rechtsradikale Gewalttaten gibt es den Mord an Ramazan Avcı, der 1985 von rechtsradikalen Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Oder die Anschläge in Mölln und Solingen, in denen insgesamt 8 Menschen starben. Wir befinden uns heute hier auf dem Bahide Arslan Platz, der nach einem der Todesopfer vom Möllner Brandanschlag benannt wurde.
Trotz der Empörung der Bevölkerung, der Überführung der Täter, der Verurteilung der Taten und der Solidarität der Bevölkerung mussten wir entsetzt feststellen, dass derartige Morde nicht die letzten waren. Erst im Jahr 2011 wurden Rechtsradikale mit 10 Morden, die an 9 Menschen mit Migrationshintergrund und an einer deutschen Polizeibeamtin verübt wurden, in Verbindung gebracht.

Die Presse verwendete bis zur Erlangung neuer Indizien stereotype bis rassistische Begriffe, in dem sie über „Döner-Morde“, die „Mordserie Bosporus“ oder der „Halbmond-Mafia“ in Verbindung mit diesen Verbrechen berichtete.
Leider wurde viel zu lange in die falsche Richtung ermittelt. Rechtsradikale und rassistische Motive wurden in die Betrachtung nicht eingebunden. Es ist wohl nur einem Zufall zu verdanken, dass die Spur nun zu den mutmaßlichen, rechtsradikalen Täterinnen und Tätern führte.

Unprofessionelle Ermittlungen und eine mehr als peinliche Aufklärung mit diversen Skandalen führte nicht gerade dazu, das Vertrauen der Menschen in die Funktion des Rechtsstaates zu fördern. Im Gegenteil: Viele sind stark verunsichert und fragen sich
„Was würde mir oder meiner Familie widerfahren, falls wir jemals betroffen wären“
„Würde man mich und meine Angehörigen auch zunächst als Täter verunglimpfen, als kriminell darstellen und somit unsere Trauer und Schmerzen verstärken?“
„Können meine Liebsten und ich faire, schnelle und richtige Ermittlungen erwarten?“
Wir möchten unseren Sicherheitsbehörden vertrauen können und sicher sein, dass wirklich alles Erdenkliche getan wird, um Gewalttaten aufzuklären – unabhängig davon wer die Opfer sind.

Wir wünschen uns, dass nicht nur Verbrechen bestraft werden, sondern zukünftig verhindert werden können. Dies geht nur durch die Arbeit am Menschen.
Perspektivlosigkeit, ungleiche Chancen und traurige menschliche Schicksale dürfen nicht dazu führen, dass einige beginnen, ihren Protest gewalttätig auszudrücken. Es ist wichtig, sich der Vergangenheit zu stellen; den menschenverachtenden Taten und den jungen Tätern aus unserer Mitte. Die Suche nach Antworten auf die bohrende Frage des „Warum“ darf nie zu Ende gehen. Natürlich wissen wir auch: wo Menschen unterschiedlicher Kulturkreise leben, gibt es immer Konflikte. Diese sind jedoch stets auf Grundlage unserer Verfassung im gegenseitigen Respekt und in Anerkennung der jeweiligen Prägungen und eingebrachten Werte zu lösen. Ein so verstandenes Miteinander ermöglicht ein Zusammenleben in kultureller Vielfalt, Frieden und Wohlstand.

Eins ist sicher: Unsere Gesellschaft muss insgesamt fairer, ehrlicher, mutiger und anständiger werden. Solidarität ist eine Bedingung für eine gemeinsame Zukunft.

Wir möchten in Frieden und Eintracht in unserer Heimat Deutschland in der Mitte der Gesellschaft leben. Wir müssen gemeinsam unsere Kinder stark machen und sie in vielfältiger Weise für ein demokratisches und friedliches Miteinander begeistern.

Lasst uns zusammen halten und zusammen wachsen!