1. Mai Berlin - subjektiver Bericht...
Dies ist ein subjektiver Bericht über den ersten Mai in Berlin. Eindrücke von einigen Orten zu einigen Zeiten: Myfest-Gebiet am Morgen, 17- und 18-Uhr-Demo, Myfest am Abend...
Morgens in Kreuzberg
Um neun Uhr morgens bei schönem Wetter sind die Straßen rund um den Mariannenplatz schon belebt. Diverse Bühnen werden aufgebaut, fast ausnahmslos durch professionelle Veranstaltungs-Technik-Firmen. Fast an allen Bühnen kommt professionelle Technik zum Einsatz. Auch die Stände, die überall aufgebaut werden, machen einen häufig mehr oder weniger professionellen Eindruck, es wird schon früh deutlich, dass für viele Beteiligte der erste Mai in Kreuzberg 36 nicht nur Arbeitstag ist, sondern auch eine gute Möglichkeit ist, hohe Einnahmen zu erzielen.
Ab elf Uhr gehen Bullen-Trupps in zivil durch die Straßen und kontrollieren alle Stände. Die Spielregeln, vorgegeben vom Bezirksamt, wurden noch mal verschärft. Ab diesem Jahr ist nicht nur der Verkauf von Getränken in Glasflaschen verboten, sondern es ist auch nicht gestattet, Getränke aus Glasflaschen in Plastikbecher umzufüllen: An den Ständen dürfen sich keine Glasflaschen befinden. Begleitet von Drohungen werden diese Auflagen von der Polizei umgesetzt.
Mittags in Kreuzberg
Wie auch in den letzten Jahren ist das Fest überfüllt. Die Geschäfte der diversen Stände für Essen und Trinken scheinen gut zu laufen. Von der angeblich geplanten „Politisierung“ des Myfestes ist nichts zu sehen. Politische Inhalte gibt es vor allem bei den (wenigen) Projekten, die sich an dem Myfest-Kram nicht beteiligen: Der NewYorck im Bethanien und dem Refugee Strike Camp auf dem Oranienplatz.
17-Uhr-Demo
Wie schon in den letzten Jahren ist rund um den Treffpunkt am Feuerwehrbrunnen ein solches Gewusel von Menschen, dass es sehr schwer ist, einzuschätzen, wie viele der Menschen nur so hier rumhängen und wie viele eigentlich zur Demo wollen. Von den großen Zivi-Horden der vergangenen Jahre – muskelbepackte Schränke in Gruppen von 3-10 – ist dieses Jahr wenig zu sehen. Als ein Transparent entrollt wird, sind wie aus dem Nichts plötzlich Fotografen und das eine oder andere Kamara-Team vor Ort und machen eifrig Fotos.
Etwa 5 Minuten nach fünf geht es los, zuerst die Mariannenstraße am Mariannenplatz vorbei Richtung Thomaskirche. Die Demo ist zumindest in der Spitze von Beginn an schön laut und läuft recht zügig. Die herumstehenden Menschen sind neugierig, die Flyer zur Demo, die in größeren Mengen an beiden Seiten der Demo verteilt werden, werden offenbar gerne entgegengenommen und auch gelesen. Deutlich mehr Menschen als im letzten Jahr laufen im vorderen Teil der Demo mit von grünen und roten Tüchern verdeckten Gesichtern.
Die Demospitze kommt an der Einmündung der Wrangelstraße vorbei. Diese ist gestopft voll mit Bullen, darunter die 22. Und die 23. Hundertschaft. Die ersten Bullen sind etwa 10 Meter von der Demo entfernt, der Anfang der Demo kann passieren, ohne dass die Bullen sich bewegen.
(Wie war das im hinteren Teil der Demo? Haben die Bullen in der Wrangelstraße die Demo belästigt, oder sind Bullen von hier bei der Demo mitgelaufen, wie es aus anderen Berichten hervorzugehen scheint?)
Vom Anfang der Demo aus ist die Zahl der Leute auf der Demo schwer einzuschätzen – auf jeden Fall sind es wieder ganz schön viele. Auffällig ist, dass es, im Vergleich zum letzten Jahr, deutlich weniger Schilder, Fahnen und Transparente gibt. Woran das liegen mag? Vielleicht daran, dass erst spät angefangen wurde, öffentlich zur 17-Uhr-Demo aufzurufen? Oder auch daran, dass viele Leute direkt von den Anti-Nazi-Aktivitäten zur Demo gekommen sind, und dort verständlicherweise sich nicht mit Demo-Material für die 17 und 18 Uhr-Demo belasten wollten?
Als die Demo um die Thomas-Kirche biegt, steht direkt dahinter ein Wasserwerfer, daneben ein Streifenwagen, sonst sind aber keine Bullen in Sicht. Die Demo geht in Griffweite vorne am Wawe vorbei, ohne dass, zumindest am Anfang der Demo, der Wawe sich rührt (oder angerührt wird). (Wie war das weiter hinten?)
Schon hier wird auffällig, dass im Vergleich zu den beiden letzten Jahren viel mehr Bullen viel näher am nördlichen Teil des Festes in der Nähe des Mariannenplatzes positioniert sind: der große Bullenhaufen in der Wrangelstraße dicht am Fest, der Wawe direkt hinter der Kirche... In den letzten Jahren waren die großen Bullen-Horden weiter weg geparkt: in der Manteuffelstraße, im Bereich Schillingbrücke, am Moritzplatz, und am Kotti. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben: eine neue Polizeistrategie, oder auch einfach nur die Route der 18-Uhr-Demo über die Köpenicker Straße.
Die Demo ging dann weiter auf dem Bethaniendamm Richtung Adalbertstraße, teilweise wurde es etwas eng durch entgegenkommende Autos. Als sich die Demo etwa auf Höhe des Rauchhauses befand, kamen von vorne Wannen angefahren. Sie drängten die anderen Autos zur Seite und hielten etwa 20 Meter von der Einmündung der Adalbertstraße entfernt. Die Wannen zusammen mit den daneben stehenden anderen Autos versperrten die Straße, davor zog eine lockere, ziemlich verpeilt wirkende Bullenkette auf.
Die Demo bog spontan nach links auf das Bethanien-Gelände ein und ging den Weg zwischen den Nachbarschaftgärten und dem Barrio Antifascista. An der nächsten Ecke ging es wieder nach rechts, an der Seite des Barrio entlang, und dann von hier auf die Adalbertstraße. Eine Gruppe behelmter Bullen im Kampfmontur folgte der Demo auf diesem Weg. Vielleicht weiss jemand, ob das die Bullen waren, die die Straße versperrt hatten, oder andere Bullen, die schon vorher an der Demo dran gewesen sind?
Zügig ging die Demo dann weiter und bog nach links in die reichlich volle Waldemarstraße ein. Bis hierher hatten wir wohl auch noch die Gruppe Bullen an der Demo dran. In ihren fetten Kampfmonturen durchs Fest laufen wollten sie dann aber wohl doch nicht, sie blieben (soweit bekannt ist) in der Adalbertstraße zurück.
Obwohl es durch Bühnen und Leute recht eng war, gelang zumindest dem vorderen Teil der Demo gut, hier durchzukommen. Hilfreich waren dabei sicherlich auch die Transparente, die die Demo erkennbar machten und vom Rest der Menschenmassen abgrenzten. Für die Demo wurde der Weg immer sofort frei gemacht von den herumstehenden Leuten, auch hier wieder Neugierde und Interesse. Die Bullen wurden abgehängt auf diesem Stück? Wie war das mit der Demo selbst? Damit auf solchen Strecken die Demo sich selbst nicht verliert, ist eine große Menge von Schildern, Fahnen, Transparenten – nicht nur am Anfang, sondern auf ganzer Länge der Demo – sicher eine sehr sinnvolle Sache. Und nicht nur deswegen, sondern auch allgemein sinnvoll natürlich!
Die Bühne am Feuerwehrbrunnen konnte durch einen kleinen Schlenker um den Halbkreis rum vermieden werden. Dann ging es weiter die Waldemarstraße entlang. Hier gab es noch eine sehr nette Fenster-Aktion von Anwohner_innen mit Fahnen und Konfetti-Regen.
Dann bog die Demo auf die Manteuffelstraße ein Richtung Skalitzer. Hier gab es ein tolles Riesen-Transpi am letzten Haus der O-Straße, das zur Solidarität mit den vom aktuellen RZ-Prozess in Frankfurt Betroffenen – darunter Sybille, die derzeit in Beugehaft sitzt – aufrief.
Als die Demo-Spitze links in die Skalitzer Straße abbog, kam von rechts aus Richtung Kotti eine Gruppe Bullen zügig angelaufen. Die Demo erhöhte darauf hin das Tempo, da die Bullen offensichtlich vorhatten, der Demo den Weg zu versperren. Auch die Bullen erhöhten entsprechend ihr Tempo. Daraufhin begann die Demo-Spitze zügig zu laufen – gefolgt von den Bullen, die, da sie zu spät kamen und noch zur Demo-Spitze aufschließen mussten, deutlich schneller rennen mussten, das ganze behelmt und in Kampfuniform. Sie dürften sehr geschwitzt haben.
Kurz vor dem Lausitzer Platz hatte die Demo-Spitze die Lust am Laufen verloren, die schwitzenden Bullen durften überholen und sic h vor die Demo setzen. Allerdings waren es nur noch etwa 20 Bullen – deutlich zu wenige, um die breite Skalitzer Straße abzusperren. Die Demo überquerte die Mittellinie, die Bullen rannten hektisch hinterher und gleich weiter, um die Straße zum Lausitzer Platz abzusperren. Da wollte die Demo aber gar nicht hin, und ging gerade aus weiter, die Bullen rannten wieder zurück, waren total konfus, und gaben dann auf und zogen sich zurück.
Besonders schön in dieser Situation: auf der Mitte der Skalitzer Straße, 5 Meter von der Stelle entfernt, wo die schwitzende Einheit zum ersten Mal versuchte, die Straße dicht zu machen, stand ein weiterer Block Bullen. Diese blieben während der ganzen Zeit stoisch an ihrem Ort und kümmerten sich nicht um ihre hektischen Kollegen – offenbar hatten sie keinen Befehl erhalten. Diese Szene spiegelte sehr schön die Überforderung eines hierarchischen, befehlsorientierten Apparates wie den Bullen mit spontanen, unberechenbaren Situationen.
Laut Berichten wollten die Bullen sich dann noch eine Person abgreifen wegen Vermummung – das sei aber auch in die Hose gegangen.
18 Uhr Demo
Der Mieten- und Stadtblock lief weit hinten, als vorletzter Block. Wie auch auf der 17-Uhr-Demo fiel auch hier auf, dass es wesentlich weniger Schilder, Fahnen usw. von den verschiedenen Kiez-Inis gab. Vielleicht auch hier wieder wegen der vorherigen Anti-Nazi-Action? Oder vielleicht auch deswegen, weil vielen unklar war, was die Demo dieses Jahr eigentlich möchte, und deswegen nicht aktiv für die Demo mobilisiert wurde?
Einen eigenen Lauti hatte der Mieten- und Stadtblock nicht, er wurde aber vom „Fight Rassism Now“-Block mitbeschallt. Dieser Block war, angesichts der Entwicklungen der letzten Monate bezüglich der Selbstorganisation von Geflüchteten und migrantischen Aktivist_innen, wie sie etwa auf den Demos im März und letztes Jahr im September einen Ausdruck fand, eine erstaunlich weisse Angelegenheit. Vom Lauti wurde des öfteren betont, dass wir nach Mitte wollen, dass aber die Bullen nicht wollen, daß die Demo aus Kreuzberg rauskommt. Beide Aussagen konnten teilweise nur bedingt nachvollzogen werden.
Sehr eindrücklich war die Bullen-Absperrung zwischen Köpenicker Straße, dem Ort der Demo und dem Mariannenplatz bzw. dem Myfest: eine geschlossene Reihe Wannen, durchsetzt von Wasserwerfern, umgeben von Kampfbullen. Diese Absperrung machte nicht den Eindruck, als sollte die Demo unbedingt in Kreuzberg bleiben, sondern vermittelte sehr klar, dass die Bullen viel Material aufbieten, um jeden Kontakt der Demo zu Mariannenplatz, Myfest und Kreuzberg 36 von vorneherein unmöglich zu machen.
Ansonsten war in den hinteren Blocks von dem, was vorne passiert ist, nichts mitzukriegen. Die einzigen Spuren befanden sich in der Heinrich-Heine-Straße: Ein umgekippter neuer Kleinwagen, eine Sparkasse mit Glasbruch und drei teure Autos ebenfalls mit Glasbruch. Die Demo war hinten ziemlich latschig, Sprechchöre waren eher schwerfällig.
So ging es nach Mitte, ohne dass etwas passierte. In den menschenleeren Straßen, wo höchstens einige verirrte Touris flanierten, erstarben dann auch die letzten Sprechchöre.
Während die Demo weiter Richtung Unter den Linden zog, ging es für uns von der Leipziger Straße aus zurück nach Kreuzberg 36. Hier auf dem Weg konnte mensch sehr schön beobachten, wie gut die Bullen offenbar alles im Griff hatten. Offenbar durch Hubschrauber und andere Bullen stets über den aktuellen Ort der Demo und das Geschehen informiert, dabei sehr koordiniert und absolut entspannt, wurden die Bulleneinheiten rund um die Demo, je nachdem wo die Demo gerade war, verteilt. Große Bullenmengen, Wasserwerfer, schweres Gerät bewegten sich durch die Stadt – außer Sichtweite der Demo und absolut ungestresst, in Kolonnen mit Blaulicht unterwegs, ohne ein einziges Mal eine Sirene anzuschmeißen. Das Ganze wirkte wie eine hervorragend geplante und gut durchgeführte Übung in Crowd Control. Wir können wohl auch davon ausgehen, dass die Bullen mittlerweile über ausgefeilte Technik verfügen, um Informationen innerhalb der Bullen weiterzugeben und die Bulleneinheiten entsprechend der vorhandenen Informationen stets optimal zu verschieben und neu zu positionieren.
Myfest
Dann noch auf ein Bierchen aufs Myfest, und zwar aufs sogenannte „Barrio Antifascista“. Das war sehr unangenehm. Eine perfekte riesige Bühne; eine perpekte Musikanlage mit wunderbarem (und sterilem) Sound. Eine perfekte Show der ungefähr 10 Männer auf der Bühne rund um den baskischen Sänger Fermin. Alles perfekt – und nicht mehr vom Rest vom „Myfest“ zu unterscheiden, genauso wenig wie übrigens das Publikum. Besonders unangenehm ist, wenn dann von der Bühne antikapitalistische Parolen kommen – von einer Bühne, die sich längst hat kaufen lassen, die, vor die Wahl gestellt, lieber einige tausend Euro von genau diesem Senat, der auch die Bullen zu Zwangsräumunen schickt, annimmt, anstatt darauf konsequent zu verzichten.
Eine selbstgezimmerte Bühne, selbst organisiert und unabhängig, hätte unendlich mehr Spaß gemacht als dieses professionelle Zeug. Der Preis, den die Bewegung dafür zahlt, dass sie sich das Ganze professionell vom Staat finanzieren lässt, anstatt gemeinsam etwas eigenes zu organisieren und auf jeden Cent Staats-Befriedungs-Knete zu scheissen, ist zu hoch.
Der erste Mai ist vorbei – nächstes Jahr ist es wieder so weit.
Anstatt über Details zu streiten, sollte vielleicht mal die Zeit genutzt werden, ausführlich über Strategien zu diskutieren.
Was möchte das Barrio Antifascista, und warum soll es sinnvoll sein, als Teil einer außerparlamentarischen, radikalen, emanzipatorischen Linken sich an diesem Befriedungs-Spektakel namens „Myfest“ zu beteiligen? Soll es am ersten Mai ein selbstorganisiertes Fest geben?
Was möchte die 17-Uhr-Demo, was lief gut was lief schlecht in den letzten Jahren, in welche Richtung könnte weitergedacht werden?
Sollte und könnte auf dem Myfest interveniert werden – auch angesichts der Erfahrung, dass dieses Jahr die Bullen wieder mehr unmittelbar in der Nähe vom Myfest präsent waren, aber vermieden haben, mit ihren uniformierten Kampfeinheiten direkt ins Fest zu gehen?
Was möchte die 18-Uhr-Demo? Was sind die politischen Ziele, die mit dieser Demo verfolgt werden könnten oder sollten? Macht diese Demo überhaupt noch Sinn, und was wäre der Sinn? Und was folgt aus solchen strategischen Überlegungen für konkrete Routen, Democharakter, Taktiken?
Als Ort für solche Diskussionen über allgemeine Strategien – wo wollen wir politisch hin? Und was halten wir für den besten Weg? Und was bedeutet das für den ersten Mai? – ist sicherlich die gute alte Interim immer noch unübertroffen. Und natürlich gilt wie immer: Strategische Diskussionen sind super! Bei taktischen Fragen, deren Inhalt auch für die Bullen interessant sein könnte, muss immer überlegt werden, ob hier eine öffentliche Diskussion sinnvoll ist - oder die Diskussion in geschützten Kleingruppen besser.
Um neun Uhr morgens bei schönem Wetter sind die Straßen rund um den Mariannenplatz schon belebt. Diverse Bühnen werden aufgebaut, fast ausnahmslos durch professionelle Veranstaltungs-Technik-Firmen. Fast an allen Bühnen kommt professionelle Technik zum Einsatz. Auch die Stände, die überall aufgebaut werden, machen einen häufig mehr oder weniger professionellen Eindruck, es wird schon früh deutlich, dass für viele Beteiligte der erste Mai in Kreuzberg 36 nicht nur Arbeitstag ist, sondern auch eine gute Möglichkeit ist, hohe Einnahmen zu erzielen.
Ab elf Uhr gehen Bullen-Trupps in zivil durch die Straßen und kontrollieren alle Stände. Die Spielregeln, vorgegeben vom Bezirksamt, wurden noch mal verschärft. Ab diesem Jahr ist nicht nur der Verkauf von Getränken in Glasflaschen verboten, sondern es ist auch nicht gestattet, Getränke aus Glasflaschen in Plastikbecher umzufüllen: An den Ständen dürfen sich keine Glasflaschen befinden. Begleitet von Drohungen werden diese Auflagen von der Polizei umgesetzt.
Mittags in Kreuzberg
Wie auch in den letzten Jahren ist das Fest überfüllt. Die Geschäfte der diversen Stände für Essen und Trinken scheinen gut zu laufen. Von der angeblich geplanten „Politisierung“ des Myfestes ist nichts zu sehen. Politische Inhalte gibt es vor allem bei den (wenigen) Projekten, die sich an dem Myfest-Kram nicht beteiligen: Der NewYorck im Bethanien und dem Refugee Strike Camp auf dem Oranienplatz.
17-Uhr-Demo
Wie schon in den letzten Jahren ist rund um den Treffpunkt am Feuerwehrbrunnen ein solches Gewusel von Menschen, dass es sehr schwer ist, einzuschätzen, wie viele der Menschen nur so hier rumhängen und wie viele eigentlich zur Demo wollen. Von den großen Zivi-Horden der vergangenen Jahre – muskelbepackte Schränke in Gruppen von 3-10 – ist dieses Jahr wenig zu sehen. Als ein Transparent entrollt wird, sind wie aus dem Nichts plötzlich Fotografen und das eine oder andere Kamara-Team vor Ort und machen eifrig Fotos.
Etwa 5 Minuten nach fünf geht es los, zuerst die Mariannenstraße am Mariannenplatz vorbei Richtung Thomaskirche. Die Demo ist zumindest in der Spitze von Beginn an schön laut und läuft recht zügig. Die herumstehenden Menschen sind neugierig, die Flyer zur Demo, die in größeren Mengen an beiden Seiten der Demo verteilt werden, werden offenbar gerne entgegengenommen und auch gelesen. Deutlich mehr Menschen als im letzten Jahr laufen im vorderen Teil der Demo mit von grünen und roten Tüchern verdeckten Gesichtern.
Die Demospitze kommt an der Einmündung der Wrangelstraße vorbei. Diese ist gestopft voll mit Bullen, darunter die 22. Und die 23. Hundertschaft. Die ersten Bullen sind etwa 10 Meter von der Demo entfernt, der Anfang der Demo kann passieren, ohne dass die Bullen sich bewegen.
(Wie war das im hinteren Teil der Demo? Haben die Bullen in der Wrangelstraße die Demo belästigt, oder sind Bullen von hier bei der Demo mitgelaufen, wie es aus anderen Berichten hervorzugehen scheint?)
Vom Anfang der Demo aus ist die Zahl der Leute auf der Demo schwer einzuschätzen – auf jeden Fall sind es wieder ganz schön viele. Auffällig ist, dass es, im Vergleich zum letzten Jahr, deutlich weniger Schilder, Fahnen und Transparente gibt. Woran das liegen mag? Vielleicht daran, dass erst spät angefangen wurde, öffentlich zur 17-Uhr-Demo aufzurufen? Oder auch daran, dass viele Leute direkt von den Anti-Nazi-Aktivitäten zur Demo gekommen sind, und dort verständlicherweise sich nicht mit Demo-Material für die 17 und 18 Uhr-Demo belasten wollten?
Als die Demo um die Thomas-Kirche biegt, steht direkt dahinter ein Wasserwerfer, daneben ein Streifenwagen, sonst sind aber keine Bullen in Sicht. Die Demo geht in Griffweite vorne am Wawe vorbei, ohne dass, zumindest am Anfang der Demo, der Wawe sich rührt (oder angerührt wird). (Wie war das weiter hinten?)
Schon hier wird auffällig, dass im Vergleich zu den beiden letzten Jahren viel mehr Bullen viel näher am nördlichen Teil des Festes in der Nähe des Mariannenplatzes positioniert sind: der große Bullenhaufen in der Wrangelstraße dicht am Fest, der Wawe direkt hinter der Kirche... In den letzten Jahren waren die großen Bullen-Horden weiter weg geparkt: in der Manteuffelstraße, im Bereich Schillingbrücke, am Moritzplatz, und am Kotti. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben: eine neue Polizeistrategie, oder auch einfach nur die Route der 18-Uhr-Demo über die Köpenicker Straße.
Die Demo ging dann weiter auf dem Bethaniendamm Richtung Adalbertstraße, teilweise wurde es etwas eng durch entgegenkommende Autos. Als sich die Demo etwa auf Höhe des Rauchhauses befand, kamen von vorne Wannen angefahren. Sie drängten die anderen Autos zur Seite und hielten etwa 20 Meter von der Einmündung der Adalbertstraße entfernt. Die Wannen zusammen mit den daneben stehenden anderen Autos versperrten die Straße, davor zog eine lockere, ziemlich verpeilt wirkende Bullenkette auf.
Die Demo bog spontan nach links auf das Bethanien-Gelände ein und ging den Weg zwischen den Nachbarschaftgärten und dem Barrio Antifascista. An der nächsten Ecke ging es wieder nach rechts, an der Seite des Barrio entlang, und dann von hier auf die Adalbertstraße. Eine Gruppe behelmter Bullen im Kampfmontur folgte der Demo auf diesem Weg. Vielleicht weiss jemand, ob das die Bullen waren, die die Straße versperrt hatten, oder andere Bullen, die schon vorher an der Demo dran gewesen sind?
Zügig ging die Demo dann weiter und bog nach links in die reichlich volle Waldemarstraße ein. Bis hierher hatten wir wohl auch noch die Gruppe Bullen an der Demo dran. In ihren fetten Kampfmonturen durchs Fest laufen wollten sie dann aber wohl doch nicht, sie blieben (soweit bekannt ist) in der Adalbertstraße zurück.
Obwohl es durch Bühnen und Leute recht eng war, gelang zumindest dem vorderen Teil der Demo gut, hier durchzukommen. Hilfreich waren dabei sicherlich auch die Transparente, die die Demo erkennbar machten und vom Rest der Menschenmassen abgrenzten. Für die Demo wurde der Weg immer sofort frei gemacht von den herumstehenden Leuten, auch hier wieder Neugierde und Interesse. Die Bullen wurden abgehängt auf diesem Stück? Wie war das mit der Demo selbst? Damit auf solchen Strecken die Demo sich selbst nicht verliert, ist eine große Menge von Schildern, Fahnen, Transparenten – nicht nur am Anfang, sondern auf ganzer Länge der Demo – sicher eine sehr sinnvolle Sache. Und nicht nur deswegen, sondern auch allgemein sinnvoll natürlich!
Die Bühne am Feuerwehrbrunnen konnte durch einen kleinen Schlenker um den Halbkreis rum vermieden werden. Dann ging es weiter die Waldemarstraße entlang. Hier gab es noch eine sehr nette Fenster-Aktion von Anwohner_innen mit Fahnen und Konfetti-Regen.
Dann bog die Demo auf die Manteuffelstraße ein Richtung Skalitzer. Hier gab es ein tolles Riesen-Transpi am letzten Haus der O-Straße, das zur Solidarität mit den vom aktuellen RZ-Prozess in Frankfurt Betroffenen – darunter Sybille, die derzeit in Beugehaft sitzt – aufrief.
Als die Demo-Spitze links in die Skalitzer Straße abbog, kam von rechts aus Richtung Kotti eine Gruppe Bullen zügig angelaufen. Die Demo erhöhte darauf hin das Tempo, da die Bullen offensichtlich vorhatten, der Demo den Weg zu versperren. Auch die Bullen erhöhten entsprechend ihr Tempo. Daraufhin begann die Demo-Spitze zügig zu laufen – gefolgt von den Bullen, die, da sie zu spät kamen und noch zur Demo-Spitze aufschließen mussten, deutlich schneller rennen mussten, das ganze behelmt und in Kampfuniform. Sie dürften sehr geschwitzt haben.
Kurz vor dem Lausitzer Platz hatte die Demo-Spitze die Lust am Laufen verloren, die schwitzenden Bullen durften überholen und sic h vor die Demo setzen. Allerdings waren es nur noch etwa 20 Bullen – deutlich zu wenige, um die breite Skalitzer Straße abzusperren. Die Demo überquerte die Mittellinie, die Bullen rannten hektisch hinterher und gleich weiter, um die Straße zum Lausitzer Platz abzusperren. Da wollte die Demo aber gar nicht hin, und ging gerade aus weiter, die Bullen rannten wieder zurück, waren total konfus, und gaben dann auf und zogen sich zurück.
Besonders schön in dieser Situation: auf der Mitte der Skalitzer Straße, 5 Meter von der Stelle entfernt, wo die schwitzende Einheit zum ersten Mal versuchte, die Straße dicht zu machen, stand ein weiterer Block Bullen. Diese blieben während der ganzen Zeit stoisch an ihrem Ort und kümmerten sich nicht um ihre hektischen Kollegen – offenbar hatten sie keinen Befehl erhalten. Diese Szene spiegelte sehr schön die Überforderung eines hierarchischen, befehlsorientierten Apparates wie den Bullen mit spontanen, unberechenbaren Situationen.
Laut Berichten wollten die Bullen sich dann noch eine Person abgreifen wegen Vermummung – das sei aber auch in die Hose gegangen.
18 Uhr Demo
Der Mieten- und Stadtblock lief weit hinten, als vorletzter Block. Wie auch auf der 17-Uhr-Demo fiel auch hier auf, dass es wesentlich weniger Schilder, Fahnen usw. von den verschiedenen Kiez-Inis gab. Vielleicht auch hier wieder wegen der vorherigen Anti-Nazi-Action? Oder vielleicht auch deswegen, weil vielen unklar war, was die Demo dieses Jahr eigentlich möchte, und deswegen nicht aktiv für die Demo mobilisiert wurde?
Einen eigenen Lauti hatte der Mieten- und Stadtblock nicht, er wurde aber vom „Fight Rassism Now“-Block mitbeschallt. Dieser Block war, angesichts der Entwicklungen der letzten Monate bezüglich der Selbstorganisation von Geflüchteten und migrantischen Aktivist_innen, wie sie etwa auf den Demos im März und letztes Jahr im September einen Ausdruck fand, eine erstaunlich weisse Angelegenheit. Vom Lauti wurde des öfteren betont, dass wir nach Mitte wollen, dass aber die Bullen nicht wollen, daß die Demo aus Kreuzberg rauskommt. Beide Aussagen konnten teilweise nur bedingt nachvollzogen werden.
Sehr eindrücklich war die Bullen-Absperrung zwischen Köpenicker Straße, dem Ort der Demo und dem Mariannenplatz bzw. dem Myfest: eine geschlossene Reihe Wannen, durchsetzt von Wasserwerfern, umgeben von Kampfbullen. Diese Absperrung machte nicht den Eindruck, als sollte die Demo unbedingt in Kreuzberg bleiben, sondern vermittelte sehr klar, dass die Bullen viel Material aufbieten, um jeden Kontakt der Demo zu Mariannenplatz, Myfest und Kreuzberg 36 von vorneherein unmöglich zu machen.
Ansonsten war in den hinteren Blocks von dem, was vorne passiert ist, nichts mitzukriegen. Die einzigen Spuren befanden sich in der Heinrich-Heine-Straße: Ein umgekippter neuer Kleinwagen, eine Sparkasse mit Glasbruch und drei teure Autos ebenfalls mit Glasbruch. Die Demo war hinten ziemlich latschig, Sprechchöre waren eher schwerfällig.
So ging es nach Mitte, ohne dass etwas passierte. In den menschenleeren Straßen, wo höchstens einige verirrte Touris flanierten, erstarben dann auch die letzten Sprechchöre.
Während die Demo weiter Richtung Unter den Linden zog, ging es für uns von der Leipziger Straße aus zurück nach Kreuzberg 36. Hier auf dem Weg konnte mensch sehr schön beobachten, wie gut die Bullen offenbar alles im Griff hatten. Offenbar durch Hubschrauber und andere Bullen stets über den aktuellen Ort der Demo und das Geschehen informiert, dabei sehr koordiniert und absolut entspannt, wurden die Bulleneinheiten rund um die Demo, je nachdem wo die Demo gerade war, verteilt. Große Bullenmengen, Wasserwerfer, schweres Gerät bewegten sich durch die Stadt – außer Sichtweite der Demo und absolut ungestresst, in Kolonnen mit Blaulicht unterwegs, ohne ein einziges Mal eine Sirene anzuschmeißen. Das Ganze wirkte wie eine hervorragend geplante und gut durchgeführte Übung in Crowd Control. Wir können wohl auch davon ausgehen, dass die Bullen mittlerweile über ausgefeilte Technik verfügen, um Informationen innerhalb der Bullen weiterzugeben und die Bulleneinheiten entsprechend der vorhandenen Informationen stets optimal zu verschieben und neu zu positionieren.
Myfest
Dann noch auf ein Bierchen aufs Myfest, und zwar aufs sogenannte „Barrio Antifascista“. Das war sehr unangenehm. Eine perfekte riesige Bühne; eine perpekte Musikanlage mit wunderbarem (und sterilem) Sound. Eine perfekte Show der ungefähr 10 Männer auf der Bühne rund um den baskischen Sänger Fermin. Alles perfekt – und nicht mehr vom Rest vom „Myfest“ zu unterscheiden, genauso wenig wie übrigens das Publikum. Besonders unangenehm ist, wenn dann von der Bühne antikapitalistische Parolen kommen – von einer Bühne, die sich längst hat kaufen lassen, die, vor die Wahl gestellt, lieber einige tausend Euro von genau diesem Senat, der auch die Bullen zu Zwangsräumunen schickt, annimmt, anstatt darauf konsequent zu verzichten.
Eine selbstgezimmerte Bühne, selbst organisiert und unabhängig, hätte unendlich mehr Spaß gemacht als dieses professionelle Zeug. Der Preis, den die Bewegung dafür zahlt, dass sie sich das Ganze professionell vom Staat finanzieren lässt, anstatt gemeinsam etwas eigenes zu organisieren und auf jeden Cent Staats-Befriedungs-Knete zu scheissen, ist zu hoch.
Der erste Mai ist vorbei – nächstes Jahr ist es wieder so weit.
Anstatt über Details zu streiten, sollte vielleicht mal die Zeit genutzt werden, ausführlich über Strategien zu diskutieren.
Was möchte das Barrio Antifascista, und warum soll es sinnvoll sein, als Teil einer außerparlamentarischen, radikalen, emanzipatorischen Linken sich an diesem Befriedungs-Spektakel namens „Myfest“ zu beteiligen? Soll es am ersten Mai ein selbstorganisiertes Fest geben?
Was möchte die 17-Uhr-Demo, was lief gut was lief schlecht in den letzten Jahren, in welche Richtung könnte weitergedacht werden?
Sollte und könnte auf dem Myfest interveniert werden – auch angesichts der Erfahrung, dass dieses Jahr die Bullen wieder mehr unmittelbar in der Nähe vom Myfest präsent waren, aber vermieden haben, mit ihren uniformierten Kampfeinheiten direkt ins Fest zu gehen?
Was möchte die 18-Uhr-Demo? Was sind die politischen Ziele, die mit dieser Demo verfolgt werden könnten oder sollten? Macht diese Demo überhaupt noch Sinn, und was wäre der Sinn? Und was folgt aus solchen strategischen Überlegungen für konkrete Routen, Democharakter, Taktiken?
Als Ort für solche Diskussionen über allgemeine Strategien – wo wollen wir politisch hin? Und was halten wir für den besten Weg? Und was bedeutet das für den ersten Mai? – ist sicherlich die gute alte Interim immer noch unübertroffen. Und natürlich gilt wie immer: Strategische Diskussionen sind super! Bei taktischen Fragen, deren Inhalt auch für die Bullen interessant sein könnte, muss immer überlegt werden, ob hier eine öffentliche Diskussion sinnvoll ist - oder die Diskussion in geschützten Kleingruppen besser.
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(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
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Ergänzungen
Bullen