Berlinerin in Todeszelle – bald frei?

Thomas Meyer-Falk 20.03.2013 14:51 Themen: Repression Weltweit
Seit 22 Jahren sitzt Debbie in Arizona (USA) im Todestrakt, stets davon bedroht, hingerichtet zu werden. Jetzt entschied ein Bundesberufungsgericht, dass ihr entweder erneut der Prozess gemacht werden oder sie binnen 30 Tagen auf freien Fuß gesetzt werden müsse.
Die Vorgeschichte


Vor 48 Jahren wurde Debra Jean Milke in Berlin geboren. Einige wenige Erinnerungen an die frühe Kindheit in Berlin hat sie noch, da jedoch die Mutter mit ihr in die USA auswanderte und Debbie, wie alle, die sie kennen, sie nennen, dort die US-Staatsbürgerschaft erhielt, gilt sie formal als US-Amerikanerin.
Im Dezember 1989, Deutschland war gerade im Freudentaumel über den Fall der Mauer, spielte sich im fernen Arizona ein Drama ab. Debbies damaliger Lebenspartner, James Styers gab vor, er wolle mit ihrem vierjährig Sohn zum Einkaufen fahren. Stattdessen jedoch fuhr Styers zusammen mit einem Kumpanen in die Wüste, schoss dem Jungen drei Mal in den Kopf und wollte so die Lebensversicherung für das Kind kassieren. Für eine Versicherung in Höhe von 50.000 Dollar musste das Kind sterben.


Die Anklage gegen Debbie


Der seinerzeit ermittelnde Polizeibeamte, Armando Saldate behauptete, Debbie hätte ihm, als sie einen kurzen Moment mit ihm alleine im Sheriffs-Büro saß, gestanden, sich mit ihrem Freund und dessen Kollegen dazu verschworen zu haben, das Kind zu ermorden, um an die Lebensversicherung zu gelangen. Obwohl schon 1990 in Arizona polizeiliche Vernehmungen verpflichtend auf Video aufzuzeichnen waren, gibt es keine solche Aufnahme.
Der Sheriff galt bereits 1990 als eigentlich wenig Vertrauen erweckend, er hatte vor Gerichten gelogen, Verhaftete rechtswidrig gefesselt, aber all das verschwiegen Polizei und Staatsanwaltschaft der Jury. Basierend auf der Aussage Saldates, Debbie habe ihm den Mordplan gestanden, wurde sie 1990 zum Tode verurteilt.


Der Kampf um Gerechtigkeit


Stets beteuerte Debbie, sie sei unschuldig; nach ihrem ermordeten Sohn sei sie das zweite Opfer dieses grausamen Verbrechens. In den Folgejahren, die sie in der Isolationshaft der Todeszelle zubrachte, fand sie Anwälte, die an ihre Unschuld glaubten und vor Gericht den Kampf aufnahmen. Zwischenzeitlich wurde der Polizist Saldate aus dem Dienst entfernt, er hatte es in anderen Strafsachen wohl auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft „zu toll“ getrieben, zu oft gelogen, um Verurteilungen zu erreichen. Stets schwebte über allen juristischen Bemühungen das Damoklesschwert der Hinrichtung; und tatsächlich, eines Tages kam Sanitätspersonal in Debbies Zelle. Man wollte ihre Venen untersuchen, dort wo dann die Nadeln für die Giftspritze gesetzt werden sollten.

War anfangs das Verhältnis zur Mutter, die in Baden-Württemberg lebt, angespannt, auch weil sie erst an Debbies Unschuld zweifelte, besserte sich die Beziehung zusehends und die Mutter versuchte in Deutschland Menschen für den Fall ihrer Tochter zu interessieren. Offizielle Stellen erteilten eine Absage, da Debbie, trotzdem sie Tochter einer deutschen Staatsbürgerin ist und in Berlin geboren worden war, US-Bürgerin sei. Allerdings gab es einige Prominente, darunter Schauspielerin Uschi Glas und auch der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, die sich für Debbie einsetzten.
In den letzten Jahren gab es dann auch diverse Radio-Features und Fernsehberichte über Debbie.


Debbies Wünsche


Debbie wünscht sich, wie sie mir schrieb, nichts sehnlicher nach einer Freilassung als die USA sobald wie möglich zu verlassen; gerne würde sie nach Deutschland kommen, in das Land ihrer frühesten Kindheitserinnerungen. Den Schnee genießen, die Berge sehen.
Um den alltäglichen Wahnsinn zu überleben, musste Debbie in den letzten Jahren Psychopharmaka nehmen. Sie liest viel, hört Radio und schaut fern. Stets isoliert von ihren Mitgefangenen.


Das Urteil


Nach einer Anhörung der Anwälte vor dem Bundesberufungsgericht schon 2011 sollte es noch bis März 2013 dauern, bis das Gericht dem Justizsystem in Arizona eklatantes Fehlverhalten vorwarf. Die Staatsanwaltschaft habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Jury 1990 über den zweifelhaften Ruf des Sheriffs zu informieren. Das Gericht kam zudem zu dem Schluss, dass selbst der Freund von Debbie sie niemals beschuldigt habe, an dem Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein. Es gab nur die dürre Aussage des von Ehrgeiz zerfressenen Polizisten.

Entweder, so das Gericht, müsse man Debbie erneut anklagen, ihr also einen neuen Prozess gewähren, oder aber sie binnen 30 auf freien Fuß setzen.

Es scheint, als würde der nun schon über 23 Jahre dauernde Alptraum endlich zu Ende gehen und Debbie sich ihre Wünsche bald erfüllen können.


Weitere Links zum Fall von Debbie:
 http://debbiemilke.com/
 http://www.youtube.com/user/DebraMilke
en.wikipedia.org/wiki/Debra_Milke
 http://www.todesstrafe-usa.ch/debra-jean-milke.html


Thomas Meyer-Falk, c/o JVA
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Ergänzungen

konkrete Solidarität

Kurt Sonntag 21.03.2013 - 10:47
Die Geschichte von Debbie ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig konkrete Solidarität mit einzelnen Gefangenen ist. Ohne hartnäckiges Bestehen auf Details in ihren zu 95% haarsträubenden Verfahren sind Todestraktgefangene in den USA völlig schutzlos.

Armut (Pflichtverteidigung) und vor allem der Rassismus haben dort ein Rechtssystem etabliert, in dem es so gut wie nie um die Schuldfindung sondern nur um die Höhe der Strafe geht. Ähnliches steht uns hier nun mit der jüngst erfolgten Übernahme der "Plea Bargain" Praxis durch das BGH auch bevor.

Grundsätzliche Knastkritik ist wichtig, aber die Soli-Arbeit im Einzelfall ist für die Betroffenen genauso entscheidend. Ohne die Solidarität aus anderen Ländern - die US Öffentlichkeit ist beinahe flächendeckend von wenigen Konzernmedien kontrolliert - wären heute viele Gefangene (Kenneth Foster, Mumia Abu-Jamal u.v.a) nicht mehr am Leben.

Witness To Innoncence

Todestrakt Überlebende in den USA 21.03.2013 - 11:13
Es gibt inzwischen bereits weit über 100 ehemalige Todestrakt Gefangene, die es geschafft haben, neue Verfahren durchzusetzen und frei zu kommen.

Einer von ihnen ist Harold Wilson, der im vergangenen Jahr vor der US Botschaft in Berlin über seine 17 Jahre im Todestrakt von Pennsylvania berichtete (Video 1  https://www.youtube.com/watch?v=TEPZ7CkzP_s und Video 2  https://www.youtube.com/watch?v=l_oU0xgtnbs ).

Er ist zusammen mit anderen überlebenden Gefangenen aus den US Todestrakten in der Organisation "Witness To Innoncence" organisiert.

da geht wohl gerade was

Internetfund 21.03.2013 - 14:13
Breaking: U.S. Magistrate Expected to Grant Release of Innocent Man Today (March 19, 2013)

Pharma Konzerne verweigern sich Todesstrafe

langsam aber sicher 21.03.2013 - 15:29
Es wird langsam schwierig, für die Folterer und Henker in den Todestrakten. "Legal" kommen sie kaum noch an Propofol, welches derzeit in fast allen Hinrichtungen der USA zum ermorden von Gefangenen eingesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund ist deutlich, warum der Bundesstaat Ohio sich bemüht, Ärzt*innen und Apotherker*innen gesetzlich zur Beteiligung an Hinrichtungen zwingen will.

Mitte März kündigte nun ein weiterer großer Pharma-Hersteller namens TEVA an, ähnlich wie Fresenius oder Lundbeck Abnehmer-Folge-Verträge zu entwerfen, um zu verhindern, dass das von ihnen hergestellte Propofol bei Hinrichtungen in den USA verwandt wird.

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