[B] Erinnerung an vergessenes Massaker

teilnehmende Beobachter 18.03.2013 02:59 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Mit einer Veranstaltung und einem historischen Spaziergang erinnerten in den vergangenen Tagen der Berliner NAO-Prozess und die Antifa Friedrichshain an ein lange vergessenes Blutbad an streikenden Arbeiter_innen in Berlin im März 1919.
Die blutige Niederschlagung der Arbeiteraufstände im Januar 1919 ist einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Damals waren auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht neben Tausenden anderen Arbeitern ermordet worden. Doch der Terror gegen die Menschen, die die Ziele der Novemberrevolution vorantreiben wollten, ging danach weiter. Jetzt hat der Berliner Historiker Dietmar Lange mit seinen im Verlag Edition Assemblage erschienen Buch „Massenstreik und Schießbefehl“ einen wichtigen Beitrag zur Erforschung geleistet. Es hat den Generalstreik und die Kämpfe in Berlin im März 1919 zum Thema. Linke Gruppen in Berlin haben diese Forschungen aufgegriffen und am 14. März eine Veranstaltung und am 17. März einen historischen Spaziergang zu Orten von Widerstand und Repression im März 1919 organisiert. Beide Veranstaltungen stießen auf Interesse. Bei der Veranstaltung , die der NAO-Prozess ( http://nao-prozess.de) in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung durchführte, verfolgten 35 Menschen den Ausführungen des Referenten. Er skizzierte zu Beginn die soziale und politische Situation im März 1919. Die soziale Verelendung nahm zu, gleichzeitig begannen sich größere Teile der Berliner Lohnabhängigen von der SPD abzuwenden, auf die sie im November 1919 noch Hoffnungen setzten. Die Ursache war die offensichtliche Konterrevolution und die Restaurierung der alten Besitz- und Machtverhältnisse, die in den wenigen Monaten zwischen November 1918 und März 1919 einsetzte. Stichworte sind die Entmachtung revolutionärer Arbeiter_innen und Soldatenräte, die Verschleppung der Sozialisierungsforderungen und die wachsende Verelendung großer Teile der Bevölkerung. Der Generalstreik vom März 1919 wollte erreichen, dass die Räteorgane, die schon während des ersten Weltkrieges in den Berliner Fabriken entstanden waren und wesentlich an der Auslösung der Novemberrevolution beteiligt waren, auch in der Weimarer Verfassung einen wichtigen Platz haben. Zudem wurde die Sozialisierung der Schlüsselindustrie gefordert. Ein Sturz der Regierung wie im Januar 1919 war nicht das Ziel der Räte. Doch schon zu Beginn des Streiks gab es vereinzelte Scharmützel zwischen der Polizei und Teilen der Bevölkerung. Lange referierte, dass schon damals vermutet wurde, dass Spitzel die Kämpfe eskalierten, was nie endgültig bewiesen werden konnte. Tatsache ist, dass diese Auseinandersetzungen von der SPD-Führung, vor allem Noske im Bündnis mit dem Freikorps genutzt wurde, um gegen die gesamte Opposition vorzugehen. Der Belagerungszustand wurde über Berlin verhängt und in Verordnungen wurde der Schießbefehl gegen alle, die bei denen Waffen gefunden wurde, erklärt.

Es begann mit einer Lüge
Das war die Grundlage für das folgende Massaker, dem nach Noskes Angaben 1200 Menschen zum Opfer fielen, Lange geht noch von einer höheren Zahl aus, weil viele Menschen anonym begraben wurden. Eingeleitet wurde es durch eine von den Organen der Konterrevolution verbreiteten Lüge, dass beim Sturm auf das Lichtenberger Polizeirevier sämtliche Polizisten von den Aufständischen getötet worden sein sollen. Tatsächlich meldeten sie sich später wieder zum Dienst. Als die Falschmeldung, die von der Berliner Presse verbreitet wurde, dementiert wurde, war es schon zu spät. Die Freikorps hatten ihre blutige Arbeit schon begonnen. Dabei waren die meisten Opfer keine Barrikadenkämpfer_innen sondern Menschen, die entweder aus unterschiedlichen Gründen Munition, eine Waffe oder auch nur ein Bild von Rosa Luxemburg oder eine Schrift des Spartakusbundes zu Hause hatten. Die Repressionsorgane gingen mit Listen von Haus zu Haus, auf denen Menschen notiert waren, die ihnen unliebsam aufgefallen sind, darunter auch Intellektuelle wie Wieland Herzfelde, der wegen einer satirischen Zeitung in Haft kam aber überlebte. Lange zitierte aus einen Erlebnissen in der Haft, wo er auch über die brutale Behandlung von revolutionären Matrosen in den improvisierten Gefängnissen berichtet, die nicht zufällig an Berichte aus den wilden SA-Lagern im Frühjahr 1933 erinnern. Diese Parallelen sind nicht zufällig und kommen immer wieder vor. Auch der KPD-Vorsitzende Leo Jogiches, ein Vertrauter RosaLuxemburgs, der über die Hintergründe ihrer Ermordung arbeitete, wurde im März 1919 aus seiner Neuköllner Wohnung geholt und von Freikorps im Gefängnis „auf der Flucht erschossen“. Auch hier wieder eine Parallele zum Frühjahr 1933 und der SA. Die Freikorps, die schon im März 1919 teilweise Hakenkreuze an den Helmen können durchaus als frühe Organe der beginnenden völkischen Bewegung in Deutschland z einer Zeit begriffen werden, als die NSDAP noch keine Rolle spielte. Führende Freikorpsleute setzten ihre Karrieren in SA und SS fort.
Barrikaden in Friedrichshain
Der Spaziergang am Sonntag war mit fast 60 Menschen aller Altersgruppen überraschend gut besucht. Startpunkt war der U-Bahnhof Weberwiese, wo im März 1919 Arbeiter_innen Barrikaden gebaut hatten. Nachdem die Freikorps eingriffen, zogen sich die Arbeiter_innen zur Kreuzung Warschauer Straße/Frankfurter Allee zurück, wo sie eine Barrikade zwei Tage halten konnten. Das war der zweite Punkt des Spaziergangs. Er endete am Friedhof Lichtenberg, wo an einer Mauer 11 der im Aufstand getöteten Spartakuskämpfer erinnert wird. Der Gedenkort war in den fünfziger Jahren in der DDR eingerichtet worden. Sonst gibt es keinen weiteren Ort, der den Toten gedenkt. Mit der Veranstaltung und dem Spaziergang sollte auch eine Debatte angeregt werden, ob nicht ein solcher Gedenkort möglichst an der Frankfurter Allee, wo ein Großteil der Menschen umkam, geschaffen werden sollte.

Vorläufer für den NS
Daneben sollten Veranstaltung und Spaziergang auch eine geschichtspolitische Intervention sein, wie ein Vertreter der NAO zu Beginn in einigen Thesen erläuterte. Unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt“ erinnern staatliche Stellen 2013 an mehrere Jahrestage des NS-Terrors, von der Machtübernahme bis zur Reichspogromnacht. Mit dem Titel wird suggeriert, dass es in Deutschland bis 1933 eine weitgehend heile Welt gegeben hat, die von den Nazis zerstört wurde. Eine ganz andere Perspektive eröffnete der während der Nazizeit exilierte Publizist Sebastian Haffner in seinem 1969 veröffentlichten Buch „Die verratene Revolution 1918/19“. Dort bezeichnet er die von rechten Freikorps mit Unterstützung der SPD-Führung verübten Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als „Auftakt zu den Tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit und den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitlerzeit“. Lange hat mit sein Buch einen Beitrag dazu geleistet, dass dieses „Tausendfache Morden der Noske-Zeit“ mit Fakten untermauert wird. Wie ein Vertreter der NAO erklärte, kann man erst dann besser verstehen, warum es zu der heute heftig kritisierten Sozialfaschismusthese der KPD kam. Dazu brauchte es gewiss keiner Befehle aus Moskau oder der Komintern. Es waren einfach Erfahrungen, wie sie nicht nur im März 1919 viele Lohnabhängige, aber auch linke Intelektuelle machten, um zu einer solchen politisch falschen These zu kommen. Schließlich ging das Morden auch danach weiter. Im Februar 1920 wurde in eine von der Rätebewegung organisierten Demonstration zum Reichsrätegesetz geschossen und abermals wurden mehr als 40 Arbeiter_innen ermordet. Die Veranstaltung und der Spaziergang griffen geschichtliche Themen auf, gaben aber auch Aufklärung über eine kapitalistische Gesellschaft, die bis heute zu Mord und Terror greift, wenn ihre Herrschaftsgrundlagen wanken. Dass zeigt sich heute vor allem in den Ländern des Trikont, aber auch in der europäischen Peripherie wie Griechenland, aber auch in Genua 2001. Aus der Geschichte lernen ist für eine linke Bewegung, die mehr will als eine Wahl zwischen Merkel und Steinbrück überlebensnotwendig. Schließlich standen auch beide Veranstaltungen im Kontext des internationalen Kampftags für die politischen Gefangenen, den 18. März. Der wurde von der Internationalen Roten Hilfe nach den Erfahrungen mit der Repression und im Gedenken an die Massaker bei der Niederschlagung der Pariser Kommune initiiert.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen