[B] Zwangsräumungen - “Der Widerstand wächst"

solarplexus 21.02.2013 21:24 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Die Räumung war neben dem Zwangsakt, Familie Gülbol aus ihrer Wohnung zu nötigen, auch Machtspiel, Test und Präzedenzfall. [...]
Deswegen auch das konsequente Durchgreifen und die Notwendigkeit, Frustration bei den Blockierenden zu erzeugen. [...]
Damit ist die Polizei ironischerweise auf die Blockierenden angewiesen: Sie braucht deren Bestätigung, denn erst dadurch kann sie erfolgreich den Eindruck vermitteln, sie sei mächtig genug, auch die nächste Blockade zu brechen. Zugespitzt: Nur durch den Verzicht auf einen weiteren Polizeieinsatz kann die nächste Blockade gebrochen werden. Und umgekehrt: mit jedem weiteren Einsatz schwindet die Fähigkeit der Polizei, erneut eine zu brechen.
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Die Aktion (s.o.) hatte ihr selbsterklärtes Ziel nicht erreicht, dafür andere. Um diese anderen Ziele geht es mir.

Die Räumung war neben dem Zwangsakt, Familie Gülbol aus ihrer Wohnung zu nötigen, auch Machtspiel, Test und Präzedenzfall. Damit soll kein Einzelereignis überhöht werden, vielmehr der Blick auf eine Dimension gelenkt werden, die Bestandteil der Räumung war.

Welche Ziele hatte der Einsatz?

1) die Familie auf die Straße setzen und das Interesse des Eigentümers, André Franell, schützen;

2) einen Präzedenzfall, Erfolg der Blockade, verhindern und Stärke demonstrieren.

Warum wurde so viel Geld, Macht und Gewalt eingesetzt? Die Massenmedien schreiben, der Einsatz sei “unverhältnismäßig” gewesen. Schön und gut, sie begreifen auch das Verhältnis nicht, um das es geht, ist aber an dieser Stelle nicht weiter relevant. Hingegen relevant: Der Umfang des Polizeiaufgebotes war notwendig, um geltende Gesetze durchzusetzen. Und zwar deswegen, weil es nicht nur um eine Familie ging, die aus ihrer Wohnung hinausgeworfen werden sollte, in der sie 35 Jahre lebte, sondern um – ganz abstrakt und ganz konkret – die Verteidigung des (Miet-)Eigentumsrechts, also eines Aspekts der bestehenden Rechtsordnung. Diese Ordnung, sowie das Prinzip einer verrechtlichten Herrschaft, geltendes “Recht” konsequent durchzusetzen, auch wenn damit “Unrecht” geschieht, wurden von den Blockierenden in Frage gestellt. Sie haben eben nicht nur die Gerichtsvollzieherin am Begehen gehindert, sondern ganz direkt ein Rechtsverhältnis angegriffen.

Aus diesem Grund müssen Jene, die sich dieser durch “Recht” verbürgten Ungerechtigkeit entgegenstellten, demoralisiert werden: dass sie trotz solch einer außergewöhnlichen Unterstützungskampagne ihr Ziel nicht erreichen. Sie müssen in ihrer Willensstärke geschwächt werden. Insofern war der Einsatz sehr verhältnismäßig. Denn hier ging es um mehr als um Herrn Franell und seinen Extra-Profit. Die bürgerlichen Medien haben insofern also nicht mal ihre eigenes narzisstisches Interesse kapiert, der Staat war schon immer schneller darin zu begreifen, wo und von wem er angegriffen wird.

Doch so verkürzt die mediale Moralisierung (“unverhältnismäßig”!) zunächst erscheint, so hilfreich kann sie sein, wo eine solche Praxis zur Normalität werden würde: Niemals könnte sich die Berliner Polizei erlauben, ein Mal pro Woche einen solchen Einsatz durchzuführen. Wenn man das mal grob hochrechnet landet man bei 50,000 + x Euro. Das sprengt den Etat, die Polizei wäre handlungsunfähig oder müsste den Senat um mehr Geld bitten. Das Ganze geht in den parlamentarischen Prozess und eine Öffentlichkeit wäre hergestellt. Die Berliner Polizei besitzt folglich weder das Geld noch das Mandat, alle ein bis zwei Wochen einen solch umfassenden Einsatz durchzuführen. So absurd das klingt: Sie hat schlicht nicht die Macht dazu.

Deswegen auch das konsequente Durchgreifen und die Notwendigkeit, Frustration bei den Blockierenden zu erzeugen. “Demoralisierung” der Menschen, die Widerstand leisten, klingt zwar irgendwie fad und nach altem Militärjargon, doch meint das Wort hier ganz konkret das Ausmaß, mit der die Blockierenden ihre eigene Macht schwinden sehen. Die Wahrscheinlichkeit, erneut eine Blockade zu organisieren, sinkt, wenn die Demoralisierung wirkt. Und weiter: Je stärker die Gegenseite sich präsentiert, desto umfassender wird ihr Macht zugeschrieben. Wer verliert, vermittelt den Eindruck, er oder sie hätte zu Recht verloren, das heißt: does not “dispose of” power!

Wenn die Polizei also mit 500 Uniformierten, Pfeffergas und Hubschrauber anrückt, gibt sie zu verstehen, dass sie auch beim nächsten Mal im vollen Umfang bereitsteht, selbst wenn es auf dem ersten Blick nur darum geht, eine Familie aus ihrer Wohnung zu werfen. Sie “gibt zu verstehen” heißt wiederum nichts anderes als: man soll ihr das glauben. Die Fähigkeit und Durchsetzungskraft sollen ihr gefälligst zugeschrieben werden! Beweisen kann sie es nicht – wie auch, wenn es ja in der Zukunft erst stattfinden wird oder eben nicht stattfinden wird. Damit ist die Polizei ironischerweise auf die Blockierenden angewiesen: Sie braucht deren Bestätigung, denn erst dadurch kann sie erfolgreich den Eindruck vermitteln, sie sei mächtig genug, auch die nächste Blockade zu brechen. Zugespitzt: Nur durch den Verzicht auf einen weiteren Polizeieinsatz kann die nächste Blockade gebrochen werden. Und umgekehrt: mit jedem weiteren Einsatz schwindet die Fähigkeit der Polizei, erneut eine zu brechen.

facit: So eine Aktion einmal alle 2 Wochen kann wirklich etwas bewirken und das Kräfteverhältnis in dieser Angelegenheit verschieben. Und mal abgesehen von den Kampagnenplaner_innen, die sicherlich viel Arbeit hineingesteckt haben: Die meisten Anwesenden haben lediglich ein paar Stunden ihrer Lebenszeit investiert. Mehr nicht. In der Summe haben diese Stunden aber eine Macht erzeugt, welche Teile der Stadt verlangsamt, Medienaufmerksamkeit gefunden und die Polizei vor ein ernstes Problem gestellt hat. Stellen wird.
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Dialektik — Friedericke Engels

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@frederike engels — ulrike marx

Zwangsräumung — egal

... — ocram