Wien: Polizeieskorte für Naziüberfall

autonomia 11.02.2013 07:49 Themen: Antifa Antirassismus
Nazis, die Flüchtlinge überfallen, werden in Österreich sogar exklusiv mit einer eigenen Polizeieskorte belohnt. Ein paar subjektive Beobachtungen von einem Teilnehmer des gestrigen Antifa-Auflaufs gegen den Naziüberfall auf die Flüchtlinge in der Votivkirche in Wien - gewürzt mit ein paar Reflexionen…
Eigentlich ein echter Fortschritt, möchte man fast meinen: In Österreich werden neuerdings Hausbesetzer von der Polizei sogar exklusiv nach Hause eskortiert anstatt sie wie üblich zu verprügeln, davonzujagen, gesetzlich zu verfolgen und mundtot zu machen – einzige Voraussetzung für diese ausnahmsweise zuvorkommende Behandlung durch die Polizei: die Hausbesetzer müssen Nazis sein…

Wien, am 10.2.2013… Eine Handvoll Nazis, die sich selbst „die Identitären“ nennen, stürmt in die Votivkirche. Seit Ende letzten Jahres halten sich hier mehrere Flüchtlinge auf, um politisch für ihre Rechte zu protestieren, wobei der Staat hartnäckig darauf besteht, die Forderungen der Flüchtlinge nach einem Dialog zu ignorieren. Man will die Sache also, wie im österreichischen Politestablishment üblich, aussitzen und bestraft gleichzeitig nach und nach die protestierenden Flüchtlinge auf rabiate Weise durch Abschiebung. Stattdessen wird in den bürgerlichen Tageszeitungen, selbst im sog. „(links)liberalen“ Blätterwald, ernsthaft darüber sinniert, ob man die Flüchtlinge nicht einfach aus der Kirche polizeilich räumen soll, weil irgendwo im europäischen Ausland irgendwann schon einmal Flüchtlinge von der Polizei aus irgendeiner anderen Kirche vertrieben wurden.

Die in die Votivkirche eingedrungenen Nazis verlangen, dass die Flüchtlinge verschwinden sollen. Offenbar wurden die Nazis auch über gute Beziehungen zur Juristen-Profession genau für diese Aktion beraten, denn sie wissen ganz genau, wie weit sie gehen dürfen, ohne gesetzlich belangt zu werden. Körperliche Gewalt gegen die Flüchtlinge findet scheinbar keine statt. Man kann aber doch die Frage aufwerfen, ob die Flüchtlinge vielleicht durch die Anwesenheit von Rassisten in eine Situation des psychischen Stresses und der Angst versetzt wurden. Die Antwort der Flüchtlinge bleibt jedenfalls relaxt, denn sie lassen sich nicht zu unbedachten Handlungen provozieren und empfangen die Nazis sogar freundlich und respektvoll, indem sie ihnen warme Decken und Tee überreichen.

Selbst wenn also die Nazis keine körperliche Gewalt gegen die Flüchtlinge angewendet haben, so muss man doch feststellen, dass sich die Flüchtlinge objektiv in einer bedrohlichen Situation für Leib und Leben befanden. Gerade in der letzten Zeit sind Rassisten und Nazis in Österreich besonders aktiv geworden und haben ganz klar bewiesen, wie gewaltbereit sie sind. Es kam zu diversen Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und Kulturvereine. Auch mehrere Fälle von Angriffen auf die körperliche und psychische Unversehrtheit von Menschen anderer Herkunft sind in der unmittelbaren Vergangenheit dokumentiert. So wurde etwa in Wien eine Frau mit dunkler Hautfarbe von einem Rassisten vor die U-Bahn gestoßen und sie wurde nur durch großes Glück bzw. das geistesgegenwärtige Eingreifen eines Augenzeugen nicht von der gerade in die Station einfahrenden U-Bahn getötet. Kurzum: Die Ausübung von physischer Gewalt und Terror gehört in Österreich inzwischen augenscheinlich zum vollen Programm der Rassisten. Der von Strache und Co. propagierte Hass und die bislang dominierende verbale Gewalt der Rassisten setzt sich also nun auch verstärkt in kriminelle Taten gegen AsylwerberInnen und MigrantInnen um.

Vor diesem Hintergrund, stellt sich auch die Frage, wie es sein kann, dass die objektive Bedrohungslage für Leib und Leben der Flüchtlinge in der Votivkirche nicht entsprechend von der Polizei entschärft wurde, indem die Nazis umgehend und robust zum Schutz der Flüchtlinge aus der Votivkirche entfernt wurden. Vielmehr hat sich für mich als Teilnehmer der antifaschistischen Gegendemonstration vor der Kirche der Eindruck aufgedrängt, dass die Polizei letztlich ihre prioritäre Aufgabe darin sah, darauf zu warten, dass die Situation in der einen oder anderen Weise eskaliert, damit sie endlich den erhofften Vorwand erhält, um die Flüchtlinge aus der Kirche zu vertreiben. Auch Medien waren anwesend, schienen sich aber ebenfalls darauf zu beschränken, vor der Kirche zu warten, wohl in der Hoffnung, skandalträchtige und auflagenfördernde Bilder von randalierenden AntifaschistInnen festzuhalten. Ob es den Flüchtlingen in der Kirche gut geht, die gerade von Nazis belästigt werden, schien also nicht das vorrangige Erkenntnisinteresse der Medien zu sein. Die am Ende geworfenen Schneebälle gegen die abfahrende Polizeieskorte für die Nazis ist nachvollziehbarer Ausdruck von Wut über diese staatliche Kollaboration mit Nazis, und die spektakuläre Schneeballschlacht dürfte auch der einzige Grund gewesen sein, weshalb die Medien überhaupt präsent waren. Diese indirekte Eskalationstrategie von Polizei und Medien ist also nicht aufgegangen, denn weder von den Flüchtlingen noch von den AntifaschistInnen ging Gewalt aus.

Von Hausbesetzern und Terroristen

Wenn Linke ein Haus besetzen und fordern, dass die Stadt allen gehören soll, dann sagt der Staat (die Polizei): „Terroristen!“ und vertreibt die Linken üblicherweise mit aller Härte des Rechtsstaates und der Polizeigewalt. Das Argument: Es könnten ja ein paar Scheiben zu Bruch gehen oder Wände beschmiert werden. Die praktische Folge: Es gehen die Arme und Beine der Hausbesetzer durch Polizeieinwirkung zu Bruch und die Medien beschmieren ihre Seiten mit ideologischen Rechtfertigungen für die Polizeigewalt.

Wenn Nazis in eine Kirche eindringen und fordern, dass die Flüchtlinge verschwinden sollen, die dort für ihre Rechte protestieren, dann fühlt sich der Staat (die Polizei) nicht bemüßigt einzugreifen und also die Nazis umgehend zum Schutz der Flüchtlinge zu verhaften, obwohl objektiv betrachtet für die Flüchtlinge eine Gefahrensituation für Leib und Leben gegeben ist. Das Argument: Es gäbe keine gesetzliche Handhabe gegen die Nazis. Die praktische Folge: Die Polizei stellt sogar eine eigene Eskorte bereit, um die Nazis nach Hause zu begleiten, weil sie sich subjektiv vor einem kleinen, spontan zusammengekommenen Haufen antifaschistischer GegendemonstrantInnen fürchten, die die Nazis eher zurückhaltend und ohne viel Nachdruck (wenige Parolen, keinerlei Versuch seitens der AntifaschistInnen, die Kirche kollektiv zu betreten und die Nazis höflich oder von mir aus auch gerne unhöflich, in jedem Fall aber bestimmt, zum Verschwinden aufzufordern).

Sollten wir folglich nicht eine Debatte vorantreiben, damit endlich auch breitere Teile der Gesellschaft den Mythos von der Polizei als „Freund und Helfer“ über Bord werfen und damit aufhören, darauf zu vertrauen, dass die Polizei ihre Aufgabe darin sieht, uns zu beschützen und unsere Rechte zu garantieren? Und sollten wir nicht vielmehr hinterfragen, warum Menschen mit sozialpolitischen Forderungen von der Polizei zu „Terroristen“ gestempelt werden, wenn sie Häuser besetzen, während die Polizei hingegen jene Menschen, die andere mit hasspolitischen Überfällen terrorisieren, nicht nur gewähren lässt – und sie somit schutzlos diesen Angriffen aussetzt - sondern auch noch in aller Seelenruhe nach Hause eskortiert, wie es gestern in der Votivkirche geschehen ist?

Oder anders gefragt: Wenn sozialpolitische, direkte Aktionen wie Hausbesetzungen von der Polizei als Terrorismus eingestuft werden, werden dann terroristische Aktionen wie rassistisches Stalking und Angriffe auf Flüchtlinge von der Polizei als Sozialpolitik bewertet?
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