Rostock: Protest bei Podiumsdiskussion “Wieviel Kontrolle braucht der Verfassungsschutz?”

Kombinat Fortschritt 17.01.2013 17:35 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Am 16. Januar 2013 fand an der Universität Rostock eine Veranstaltung am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften zum Thema „Wieviel Kontrolle braucht der Verfassungsschutz?“ statt. Den Hintergrund bildet die seit einem Jahr schleppend verlaufende Aufklärungsarbeit in der sich zahlreiche Verstrickungen von Inlandsgeheimdiensten und terroristischen Neonazistrukturen offenbarten. Auf dem Podium saß, neben Vertretern aus dem Landtag und der Zivilgesellschaft, auch ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern. Gegen diesen richtete sich eine Protestaktion, mit der die Diskussionsveranstaltung für etwa zehn Minuten unterbrochen wurde, als sich Aktivist_innen von den Sitzen erhoben und mit Plakaten an die vom NSU Ermordeten erinnerten sowie eine Protestnote verlasen.
Die Veranstaltung begann mit einer Vorstellung der Referenten. Eingeladen waren Jürgen Suhr, Mitglied des Landtages und vereidigter Geheimnisträger als Teil der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK); Marc Reinhardt (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Landtages MV; Günther Hoffmann, „Rechtsextremismus“-Experte im Bundesland und zivilgesellschaftlicher Berater sowie Michael Flenker, der als „Mitarbeiter des Verfassungsschutzes“ vorgestellt wurde. Die Moderation übernahm die Veranstalterin Dr. Gudrun Heinrich, Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Politische Bildung am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften und langjährige Veranstalterin zahlreicher Lehrveranstaltungen zum Thema „Rechtsextremismus“.

Vorstellungsrunde mit Unterbrechung

Michael Flenker sitzt während der beginnenden Vorstellungsrunde und legt sein Kinn auf die vor sich aufgestützten Arme. Der Geheimdienstmann wirkt angespannt. Mit ernster Miene hatte er den Ausführungen der Moderatorin zu den institutionellen Kontrollmöglichkeiten des Verfassungsschutzes zugehört. Vereinzelt runzelt der Schlapphut skeptisch die Stirn, bei der Nennung der Band Feine Sahne Fischfilet huscht ein Grinsen über sein Gesicht. Danach sitzt er wieder in gespannter Ruhe und starrt ins Leere.

Jürgen Suhr, Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Grünen, bezeichnet diese in seinem Eingangsstatement als „illustres Gremium“, welches für die Zwecke einer umfassenden Aufklärung „sehr unbefriedigend“ ist und arbeitet das für den Abend zentrale Problem einer Kontrollierbarkeit von Geheimbehörden heraus: Alles wovon die PKK Kenntnis erhält muss in der PKK bleiben. Für die Bürgerinnen und Bürger sei aber ein weitaus höhreres Maß an Transparenz wünschenswert. Die Frage ob der VS als Institution abzuschaffen sei wolle er nicht beantworten, da seine Partei in dieser Frage noch keine abschließende Meinung habe. Zu einer weiteren Erhellung in dieser Frage könne aber hoffentlich auch ein von Innenminister Lorenz Caffier (CDU) angekündigtes Dossier helfen, das in den kommenden Wochen zu erwarten ist. Wie bereits in den Presserklärungen der Fraktion zum Untersuchungsausschuss verharrt auch der grüne Vertreter auf dem Podium abwartend.

Der nächste Diskutant, Marc Reinhardt, spricht zwar entschlossen mit einer deutlichen lauten Stimme, vertritt allerdings nur Gemeinplätze aus dem Sozialkundeuntericht Klassenstufe 8. Als der CDU-Mann die angeblichen Pannen bei den NSU-Ermittlungen als „nicht sehr schön“ bezeichnet, folgte prompt ein erster Zwischenruf aus dem Publikum. „Halt die Fresse!!“ - Das widersprach deutlich der akademischen Etikette; auf die Bitte der Moderation doch bitte alle Statements anzuhören wird gekontert: „Das ist kein Statement, das ist eine Frechheit!“ Letztlich kann Reinhardt aber fortfahren und stimmt das Hohelied auf das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum und Kompetenzerweiterungen der Ermittlungsbehörden an. Ein erwartbarer Zug des im ganzen Abend sehr farblos bleibenden Podiumsteilnehmer, der in den anschließenden Diskussionen etwas verloren und deplatziert wirkt.

Günther Hoffmann hat es, wie er selbst einräumte, als Nicht-Geheimnisträger auf diesem Podium am leichtesten. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die Frage von Aufwand, Befugnissen und Möglichkeiten des Verfassungsschutzes und den dabei herauskommenden, messbaren Ergebnissen. Hoffmann bewegte sich in seinem Eingangsstatement sehr souverän, wie ein Fisch im Wasser. Ein Hinweis auf den Vortrag von Anne Roth "Best of Verfassungsschutz" auf dem CCC-Kongress (siehe unten) brachte ihm den Applaus einiger anwesender Piraten ein. Auch seine Charakterisierung des Verfassungsschutzes als Relikt des Kalten Krieges kam beim Publikum gut an. Hoffmann wies schließlich darauf hin, dass die parlamentarische Kontrolle des VS im Einklang mit den geltenden Gesetzen stehe und damit der Gerechtigkeit in dieser Hinsicht wohl genüge getan sei, dass aber die Ansprüche einer lebendigen Bürgergesellschaft an Transparenz eben völlig andere seien. Die Parlamentarier können versichern, dass alles in Ordnung sei, „wir können uns darauf aber nicht verlassen!“

Als nächstes spricht der Schlapphut Flenker. Der VS-Mitarbeiter hatte gerade sein Eingangsstatement begonnen, da wurde die Veranstaltung von mehreren Aktivist_innen unterbrochen. Auf Flenkers Stichwort, man könne aus der Debatte den Eindruck gewinnen „der VS sei aus einer post-faschistischen Schmuddelecke entsprungen“, betraten mehrere Personen das Podium zeigten Bilder der vom NSU Ermordeten und begannen eine Protestnote zu verlesen. Nach anfänglicher Verwirrung und Versuchen die Aktivisten des Saals zu verweisen ließ die Veranstalterin die Protestierenden gewähren. Nach dem Verlesen folgte Applaus aus den Reihen des Hörsaals. Der Aufforderung sich zu solidarisieren und den Saal zu verlassen folgten etwa 50 Personen.

Nach der etwa zehn-minütigen Unterbrechung des Ablaufes folgte eine Runde von Kommentaren und Abgrenzungsstatements. Der Hörsaal hatte zwar etwas über die Hälfte des bisherigen Publikums eingebüßt, das plumpe Spielen der extremismusideologischen Karte sorgte dennoch für anhaltende Empörung. Das Verlesen eines kritischen Flugblattes in eine Reihe mit einer rassistischen Mordserie zu stellen und eine Wesensgleicheit der Extremismen zu konstatieren, war zwar einer der absoluten Tiefpunkte des Abends. Es sollte jedoch nicht der Einzige bleiben.

Video der Aktion vom Medienkollektiv Manfred

Kontrolleure oder Komplizen - Das unaufgelöste Dilemma einer nicht zu erreichenden Kontrolle des VS

In der weiter fortgesetzten Diskussion blieb das zentrale Problem die ganze Zeit präsent und konnte nicht aufgelöst werden: Wie kontrolliert man eine Institution zu deren Eigenschaften gehört, dass sie sich eben nicht in die Karten schauen lässt, da die Einzigen die in der PKK ein wenig vom VS unterrichtet werden, über diese Unterrichtung außerhalb des Kreises der Geheimnisträger nichts berichten dürfen? CDU und VS sagen: „Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Institution“. Wie soll aber Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit bestehen, wo elementare Prinzipien der demokratischen Rechtsstaatlichkeit nicht existieren? Die Differenzierung „demokratische Rechtsstaatlichkeit“ ist insofern nötig, als auch der VS-Vertreter herausgestellt hat, dass die Demokratie in der BRD die Möglichkeiten des Geheimdienstes beschneidet, der seiner Natur gemäß noch viel viel mehr Handlungsoptionen hätte. Implizit hat Flenker damit endlich mal ein Statement getätigt, indem er die Differenz von Prinzipien der Geheimdiensttätigkeit und Prinzipien der Demokratie herausgestellt hat.

Tiefpunkte und Lame-Excuses - unvollständig und in Kürze zusammengefasst

Nicht ganz rühmlich war die Verurteilung der Störung als undemokratisch durch Moderation und Günther Hoffmann. Dass sich Menschen Gehör verschaffen und ihre Meinung äußern, die nicht bereits durch Universitätsanstellung oder Akzeptanz als Experte in der Diskussion unabhängig von ihren Aussagen als kompetent anerkannt werden ist nicht automatisch undemokratisch. Im Gegenteil. Es stünde schlecht um die Demokratie, wenn der öffentliche Gebrauch der eigenen Vernunft von Bürger_innen sich darauf beschränkt einem Mitarbeiter einer völlig intransparenten Institution jede Versicherung blind zu glauben und nicht nachzuhaken. Auf der anderen Seite fanden sich Veranstalterin und Podium im Moment der Störung in einer für sie sicherlich unangenehmen Lage wieder, die es erforderte, Position zu beziehen. Dass dann in der Aufregung Dinge gesagt werden, die unter anderen Bedingungen einer Überprüfung nicht standhalten, mag menschlich nachvollziehbar sein.

So wie sich die gesamte Debatte im Wesentlichen um einen Schlagabtausch von Michael Flenker und Günther Hoffmann drehte, war es auch am Mitarbeiter des Innenministeriums zu einigen unschönen Tiefpunkte vorzustoßen. Auf Nachfrage des ehemaligen Ausländerbeauftragten und Lichtenhagen-Zeitzeugen Wolfgang Richter zu rassistischen Ermittlungsansätzen der zuständigen Behörden antwortete Flenker, dass Rassismus ihm fern läge, schließlich sei sein Nachbar ein türkischer Gemüsehändler und deshalb könne er die Angehörigen verstehen. Auf die Nachfrage aus dem Publikum was denn geschähe, wenn der Verfassungsschutz abgeschafft würde antwortete Flenker, dass der Gesellschaft ein Frühwarnsystem verloren gehen würde - Frühwarn(!)system muss in den Ohren der Angehörigen und Freunde der 10 Mordopfer wie Hohn klingen. Aber was zählt in dieser Gesellschaft und dieser Behörde das Empfinden der Angehörigen? Einen weiteren Tiefpunkt erreichte er, als er die Fehler des VS mit den Worten relativierte, dem Finanzamt würden bei der Steuererklärung eben auch Fehler passieren. Veranstalterin Heinrich nahm diese Vorlage zu einem lahmen und geschmacklosen Witz dankbar auf und ergänzte kichernd wie empathielos, dass solche Fehler individuell aber auch sehr schmerzhaft sein könnten.

Nachwort

Dass eine Institution, die nicht mal nach dem Gesetz irgendwem wirklich Rechenschaft schuldig ist und unter deren Augen eine Gruppe von Neonazis über zehn Jahre lang mordend durch das Land zieht, auf einer kleinen Podiumsdiskussion einer beschaulichen Uni in einer mittelgroßen Stadt im Nordosten der BRD irgend etwas zu befürchten hat, war nicht zu erwarten. Die bisweilen flapsigen Bemerkungen des Michael Flenker haben ganz sicher nicht dazu beigetragen bei allen Zuhörenden und Mit-Distkutanten aus dem Publikum mehr Vertrauen zu schaffen. Manchmal sind es allerdings nicht die lauten Töne und markigen Worte die am Längsten nachwirken, sondern die leisen, beiläufigen Aussagen. Solch einen bedenkenswerten Moment produzierte ein als Frage vorgeschlagenes Denkexperiment: „Was wäre für die Bürger_innen und die Demokratie anders, wenn es den Verfassungsschutz nicht mehr gäbe?“ Darauf antwortete der VS-Mann, wenn die Politik zu dem Ergebnis kommen würde, dass der VS aufgelöst werden soll, sei dies eben so. „Unser Herz hängt nicht am Verfassungsschutz als Behörde. Wir können auch in anderen Strukturen arbeiten.“


Video von Anne Roths Vortrag "Best Of Verfassungsschutz" auf dem 29C3


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Falsch — Horst