Indymedia Deadline-Diskussion in Hamburg

Indymedia Hamburg 30.12.2012 19:42 Themen: Indymedia Medien
Seit dem bundesweiten Treffen im Juni in Hamburg ist bei Indymedia klar, dass es so nicht weitergehen wird. Mit der Deadline hat sich das deutsche Indymedia Netzwerk ein Zeitlimit gesetzt, um die anstehenden Probleme zu lösen. Damit wurde einem schleichenden Tod, wie er viele andere IMC´s weltweit betrifft, vorgebeugt. In Hamburg gründet sich im Laufe der Diskussion zur Deadline die Indymedia-Hamburg Gruppe neu.Nächstes Treffen: Mittwoch 2. Januar, 18 Uhr, Tee-Butze im Gängeviertel

Die Veranstaltung im Centro Sociale

Am 28. November luden Aktive und ehemals Aktive aus dem Indymedia-Spektrum in Hamburg zur Diskussion über die momentane Situation und die Deadline von de.indymedia.org ins Centro Sociale. Zur Diskussion gestellt wurde in dem Aufruf die Analyse eines ehemals Aktiven, wie er die Situation rund um de.indymedia.org wahr genommen hat, um so schneller mit den Gästen ins Gespräch kommen zu können. Gekommen waren zwar nicht Massen, aber dennoch genügend um das Centro Sociale, Stadtteilzentrum zwischen Karoviertel, Schanze und St.Pauli, gut zu füllen.
Begonnen wurde mit einem kurzen Einstieg in die Geschichte Indymedias, der Gründung des ersten IMC´s in Seattle 1999 und der Gründung des deutschen IMC´s zum Frühjahrscastor 2001. Auch zur Gründungsdebatte davor (Kongress in der Roten Flora) verlor das Podium einige Worte, bevor dann der etwas langwierige Teil zum technischen Background Indymedias vorgestellt wurde. So habe de.Indymedia.org seit längerer Zeit das Problem, dass es mit einer veralteten Software arbeite, in die keine Neuerungen eingepflegt werden können, weil niemand mehr durch den Code durchsteige. Dies sei einer der Gründe, warum seit Jahren keine (technische) Weiterentwicklung der Webseite passiere und sie somit viele neuere Entwicklungen wie z.B. die Bloggosphäre verschlafen habe. Das Setzen auf Indymedia-Eigene Lösungen sei fatal gewesen, da sowohl new-cms als auch hyperactive an einer zu kleinen Entwicklerinnencommunity gescheitert seien. Die scheinbare Lösung laute momentan, auf Drupal umzusteigen, da diese Software von einer weltweiten Community gepflegt und entwickelt wird, auch wenn damit das Ziel eines dezentralen CMS weiter in die Ferne rücke. Dieses dezentrale System sei zwar aufgrund der Repressionserfahrung erwünscht, aber nicht realistisch, dass es umgesetzt wird wie die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt habe. Auch das Problem, dass de.indymedia inzwischen über zu wenige Technikerinnen verfügt wurde thematisiert und mit Blick auf das Indymedia Brasilien ein Beispiel geliefert, wie es anders laufen könnte. Dort nämlich wurde sich nicht verlassen auf genügend Technikerinnen, die uns der freie Markt übrig lässt, sondern statt dessen wurde auf Eigennachwuchs gesetzt, der selbst ausgebildet wurde. Ähnlich versuchen Einzelne jetzt auch bei de.indymedia.org vorzugehen und so mehr technische Unterstützung in Zukunft für Indymedia, aber auch andere Projekte zu bekommen. Auch hierfür sei Drupal von Vorteil, da es für EinsteigerInnen deutlich einfacher sei, sich an diese Technik zu gewöhnen und mit ihr umzugehen als bspw. Mir oder Hyperactive. Nach dieser Einleitung begann die Diskussion über den aktuellen Stand und die Zukunft Indymedias in Deutschland, deren Inhalt hier zusammengefasst wiedergegeben werden soll. Die Bedeutung Indymedias für eine linke Gegenöffentlichkeit in Deutschland ist demnach immer noch ziemlich hoch. Auch wenn viele Menschen Indymedia nicht mehr so aktiv nutzen wie noch zu seinen Anfangszeiten, so ist es immer noch die Quelle Nummer Eins um andere auf Nachrichten über aktuelle Geschehnisse linker außerparlamentarischer Proteste zu verweisen. Als Beispiel wurde hier der letzte Nazi-Großaufmarsch in Dresden genannt, sowie die Besetzung im Hambacher Forst. Insbesondere für die ländlichere Gegend sei de.Indymedia nach wie vor von großer Bedeutung, da es überregional funktioniert und oftmals die einzige Möglichkeit von Gegenöffentlichkeit in kleineren Orten darstelle. Eben für diese ländliche Gegend sei es auch wünschenswert, wenn Indymedia das Angebot erweitern würde, z.B. um einen bundesweiten Terminkalender. Erweitern war auch das Stichwort, wenn es um die Zukunft Indymedias ging. Da sich alle Anwesenden scheinbar einig waren, dass die größte Bedeutung Indymedias in der Scharnier-Funktion für die verschiedenen sozialen Proteste liege müsse diese weiter ausgebaut werden wenn Indymedia wieder taktisch sinnvoll werden will. So könnte Indymedia zu einem umfassenderen Portal ausgebaut werden, auf dem nicht nur aktuelle Nachrichten, sondern z.B. auch Pressemitteilungen und Stellungnahmen von Gruppen gesammelt werden können. Da dies keine Nachrichten sind und dort zu einem großen Rauschen führen, könnte dies aber ausgelagert werden in z.B. eine eigene Rubrik. Um dem Grundsatz "Vernetzen statt Ersetzen" treu zu bleiben, der bei dem Gründungstreffen von de.Indymedia so bedeutend war, könnten z.B. die verschiedenen Terminkalender per RSS eingebunden werden. Erstaunlich für manch eine war dagegen die Meinung über die Ergänzungsfunktion bei Indymedia: Diese werde trotz aller Bitten einfach zuviel für Kommentare genutzt und auch die Unterteilung in Off-Topic/Ergänzung tauge nicht um die nervigen Kommentare einzudämmen. Das aber sei ein Grauen für viele Lesenden und Postenden. Auch wurde hier der Moderationsaufwand immer am größten eingeschätzt und es wurde des öfteren gefragt, ob diese Funktion nicht einfach ersatzlos gestrichen werden sollte.
Darüber kam auch das Gespräch auf Social Media und der Aufruf der Nadirs. Das Podium schloss sich dem Aufruf der Nadirs an und verwies darauf, dass es ja bereits bestehende Alternativen zu Facebook & Co gebe, die nur genutzt werden wollten. Indymedia als Alternative zu Facebook auszubauen wurde dagegen nicht als sinnvoll erachtet, da der primäre Fokus von de.indymedia weiterhin auf Nachrichten etc. liegen sollte und Social Media einen anderen Beweggrund haben als Indymedia.
Der rechtliche Aspekt, der in der Ankündigung zu der Diskussionsveranstaltung angeschnitten wurde (z.B. einen Verein zu gründen) wurde nur kurz angeschnitten und erläutert, wie die momentane Rechtssituation aussehe. Eine weitergehende Diskussion über mögliche Träger in Zukunft, um diese Situation zu ändern gab es allerdings nicht.
Einig waren sich alle Anwesenden, dass de.indymedia weiter machen müsse, sich aber dafür verändern muss, wenn es noch als taktisches Medium begriffen und benutzt werden will. Dabei stellt sich jedoch die Frage nach linker Gegenöffentlichkeit, welche in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Auch auf Indymedia ist dies spürbar, wo immer mehr Artikel sich nicht mehr an eine breite Öffentlichkeit wenden, sondern nur noch an "die Szene" und somit keine Gegenöffentlichkeit, sondern eher eine Alternativöffentlichkeit darstellen. Das sei ein Manko, dass aber nur im größeren Rahmen angegangen werden könne - z.B. mit einem Kongress zu linker Gegenöffentlichkeit, bei denen alternative Medienschaffende zusammen kommen könnten um über neue Gegenöffentlichkeitsstrategien zu diskuttieren. Indymedia solle Teil, aber nicht Rahmen eines solchen Prozesses sein. Vielleicht das Bindeglied zwischen den einzelnen Akteuren.


Folgetreffen

Es wurde ein Folgetreffen vereinbart, welches am 12. Dezember in der Teebutze im besetzten Gängeviertel statt fand. Auf dem Treffen selbst waren ein halbes Dutzend Medienaktivisten (Hälfte Alt-Aktivist@s, hälfte neu), welche in kleinerer Runde erneut über die momentane Situation debattierten. Dabei wurden zunächst die verschiedenen Sichtweisen ausgetauscht, wie es soweit kommen konnte und ob Indymedia als Openposting Plattform noch Sinn macht, bzw. ob es Sinn macht, in diese Struktur noch weiter Zeit, Energie und Geld zu investieren.
Dabei kamen widersprüchliche Sachen heraus. Zum Einen wird Indymedia kaum noch für Gegenöffentlichkeit benutzt, sondern eher noch als Informations- und Kommunikationsweg aus der Bewegung in die Bewegung. Das hänge aber auch stark mit der Bewegung zusammen, auf die sich Indymedia seit Gründung stütze: der Antiglobalisierungsbewegung, welche noch den Anspruch hatte die Gesellschaft radikal zu verändern und von linksunten neu aufzubauen. (Sub Marcos:"Wir müssen die Welt nicht erobern. Es reicht, sie neu zu schaffen.") Diese Bewegung sei aber seit Genua am Schrumpfen und heute kaum noch existent. Eine übergreifende Linke, wie sie Indymedia mal nach außen verkörperte, gibt es in dem Sinne nicht (mehr).
Auf der anderen Seite gibt es aber andere Bewegungen, welche Indymedia sehr stark für sich nutzten. Auch im Sinne der Gegenöfffentlichkeit. So wurde der erste Schulstreik (Vorläufer des späteren Bildungsstreik) auf Indymedia stark nach außen vertreten - überall hatten unabgesprochen SchülerInnengruppen Indymedia als Transportkanal für ihre Nachrichten an die Öffentlichkeit benutzt.
Am Beispiel der SchülerInnen wurde auch überlegt, für wen die Open-Posting Funktion eigentlich noch Sinn mache:
Organisierte Gruppen und engagierte MedienaktivistInnen veröffentlichen heute eh meist auf ihren eigenen Blogs. Diese Blogs werden in Zukunft automatisch eingebunden, so dass es nicht nötig ist, auf de.indymedia.org den eigenen Blog-Artikel quer zu posten. Da es mittlerweile ja nicht mehr schwer sei, einen eigenen Blog zu betreiben stellt sich natürlich die Frage, ob auf de.indymedia.org dann überhaupt noch ein Open-Posting angeboten werden muss. Und da sind relativ spontan organisierte Gruppen wie beispielsweise Streikkommittes bei Schulstreiks oder ähnlichen Aktivitäten, bei denen eh meist nicht mehr als 1-2 Artikel gepostet werden, auf jeden Fall zu nennen. Indymedia sollte das Schaffen eigener Medien vereinfachen und nicht verkomplizieren, daher sei ein Open-Posting für solche Gruppen auch in Zukunft nicht wegdenkbar. Auch die "Konkurrenz" mit Social-Media muss Indymedia hier nicht fürchten, denn Indymedia erfüllt hier eine ganz andere Bedeutung als die Social Media. Während Letztere meist dazu genutzt werden, im Privaten zu mobilisieren und so auch über diese Kanäle zu einer Verbreiterung der Proteste bis hin zu deren Organisierung zu sorgen, so wird Indymedia gerne genutzt, um den eigenen Aktivitäten überregionale Beachtung zu ermöglichen. Gerade Proteste in kleineren Orten sind auf Kanäle wie Indymedia angewiesen um eine bundesweite Beachtung zu finden.
Auch Live-Ticker waren mal das Merkmal Indymedias. Inzwischen bieten auch kommerzielle Medien solche Live-Ticker an, aber Indymedia hatte immer die bessere Struktur und sollte dies auch in Zukunft vereinfachen. Nur ist die Frage, ob das auf technischer Ebene reicht (twitter-mäßig), oder ob nicht viel wichtiger die Medienkompetenz ausgebaut werden müsste, also wie ein Ticker organisiert wird. (Dispatch etc.) Darüber hinaus fehlt seit Jahren eine Diskussion über Schnelligkeit vs. Verlässlichkeit der Nachrichten, wie sie zu Anfang bei Indymedia noch vorgeherrscht hat und warum solche Sachen wie Dispatch-Struktur etc. erst erfunden wurde.
Verändern muss Indymedia auch, dass es wieder stärker verankert wird in Kampagnenarbeit. So sind Mittelspaltenartikel gerade in der letzten Zeit oft nur noch genutzt worden, um ein wenig für die eigene Veranstaltung/Demo etc. zu mobilisieren, nicht mehr aber als begleitende Kampagnenarbeit mit Artikeln vorher und nachher, Analysen, Background etc. Zumindest für Hamburg hat sich die Gruppe vorgenommen, das in Zukunft wieder stärker zu tun.
Auch über eine stärkere Zusammenarbeit mit bestehenden Mediengruppen wie Graswurzel TV, Utopie TV, Filmpiraten u.ä. wurde diskuttiert, und wie diese Gruppen mit ihren Labeln auf Indymedia gepusht und gefördert werden könnten um ihnen eine größere Reichweite zu geben.
Abschließend wurde darüber geredet, was auf Indymedia alles seinen Platz haben sollte und was seinen Platz nicht schon wo anders hat und lediglich besser vernetzt werden könnte. Leitende Frage war: Muss Indymedia das abdecken oder gibt es nicht bereits was besseres/anderes, was den Bereich bisher abdeckt?


Wie weiter?

Indymedia Hamburg gibt jedenfalls noch nicht auf. Nächstes Treffen ist am 2. Januar, 18 Uhr in gemütlicher Athmosphäre in der Tee-Butze im Gängeviertel. Interessierte Leute sind gerne eingeladen, dort vorbei zu kommen und mit zu machen. Eines der Themen wird sein, ob und wie von der Hamburger Gruppe ein Kongress zu linker Gegenöffentlichkeit angestoßen werden kann. Auch ein örtliches Indymedia-Center befindet sich seit geraumer Zeit im Gängeviertel im Aufbau, welches von einer Indymedia-Hamburg Gruppe oder anderen MedienaktivistInnen in Hamburg gerne genutzt werden kann.

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Ergänzungen

Tom

... 31.12.2012 - 10:40

Hmm ich glaube es wäre gut wenn sich alle Indymediabetreiber

präsenter in den autonomen Zentren zeigen würden...

Dort kommt nämlich der Nachwuchs her.

nächster Termin

lola 18.01.2013 - 23:32
gibt es schon einen nächsten Termin? Haben irgendwie alle verpasst :(

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