Suhl: Zum Foltermord an einem „Asozialen“

Antifa Suhl / Zella-Mehlis 25.12.2012 16:34 Themen: Antifa Soziale Kämpfe
Im Juni diesen Jahres folterten und töteten drei junge Männer einen 59-jährigen Mann in einem Suhler Plattenbau, um, wie die Presse schrieb, „Geld von ihm zu erpressen“. Dass Habgier der ausschlaggebende Grund gewesen sein soll, ist nur Zeichen fehlender Analyse gesellschaftlicher Ausschlussmechanismen. Der Mann wurde letztendlich nicht gefoltert, weil er zu wenig Geld rausrückte, sondern weil die Täter sich in ihren gescheiterten Existenzen an ihm aufrichten wollten.
Gründe der Gewalt

In der rassistischen Verfolgung, die sich gegen Flüchtlinge, Migranten oder schlicht „Ausländer“ richtet, kompensiert das verfolgende bürgerliche Subjekt seine Angst vor dem Untergang in der allgemeinen kapitalistischen Konkurrenz. Es verfolgt seine Opfer, um sie als potentielle oder wirkliche Konkurrenten, um die in dieser Gesellschaft verknappten Ressourcen, zu beseitigen und sich als Teil eines Kollektivs fühlen zu dürfen, in dem man vor Verfolgung vermeintlich qua Geburt geschützt ist. (Zur Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Verhältnis des Rassismus) Die Verfolgung von Obdachlosen oder sogenannten „Asozialen“ folgt im Grunde derselben psychosozialen gesellschaftlichen Dynamik, in der meist fast ebenso gesellschaftlich Geächtete noch die verfolgen, die sie als Rangniedere wahrnehmen, um sich an deren Verfolgung aufzurichten. Der Ermordete von Suhl war ein solcher Mensch, den die Gesellschaft als „Asozialen“ abstempelt. Nichtmal seinen Namen verwendet die Presse, sie nennt nur seinen Spitznamen: „Fisch“ bzw. im Viertel auch bekannt als der „Kippensammler“, was wohl daher rührt, dass der Mann in Papierkörben nach Pfandflaschen und Tabakresten suchte, um seine eigene Armut etwas erträglicher zu gestalten. Der Mann wohnte in einer Ein-Raum-Wohnung in der Ringbergstraße in Suhl-Nord, in der ihn seine drei Peiniger auch überfielen. Die drei jungen Männer waren in einer ganz ähnlichen Situation wie ihr Opfer, alle drei waren arbeitslos und hatten ihre Ausbildungen abgebrochen. Sie befanden sich selber am Rand der Gesellschaft, perspektivlos und verarmt. Um der Einsicht in ihre eigene Nichtigkeit und Überflüssigkeit, zu der die Menschen in dieser Gesellschaftsordnung verdonnert sind, zu entgehen, bedienten sie sich – freilich unbewusst – eines gesellschaftlichen Mechanismus, wie er auch im Rassismus zur Geltung kommt. In der Unterwerfung des rangniederen „Asozialen“ durch äußerste Gewalt, gewannen sie für kurze Zeit die Handlungsfähigkeit zurück, die ihnen die Gesellschaft vorenthält. Sie fanden in ihrer eigenen Aufwertung gegenüber ihrem Opfer Kompensation für jene verlustig gegangene Verfügung über sich selbst, die in dieser Gesellschaft verliert, wer sein Auskommen nicht durch Lohnarbeit bestreitet und deswegen vom Subjekt seiner Arbeitskraft zum Objekt des Arbeitsamtes degradiert wird.

Folter und Mord

Die drei kahl geschorenen Männer (über Verbindungen zu organisierten Nazistrukturen ist nichts bekannt) räumten beim inzwischen laufenden Gerichtsverfahren weitgehend ein, ihr Opfer geschlagen, mit Stahlkappenschuhen getreten, einen Stuhl, einen Tisch und einen Fernseher auf seinen Körper geworfen zu haben, ihn mit brennenden Zigaretten gequält und mit weiteren Grausamkeiten gedemütigt zu haben. Schon am Morgen vor der Tat haben sie ihr Opfer bestohlen und drangsaliert (wen diese Details interessieren, siehe unten die Berichte aus dem Freien Wort). Vor Gericht zeigt keiner der Täter so etwas wie Reue, am Tatort, gestanden sie, sich über die Notlage des Mannes amüsiert und keinen Moment daran gedacht zu haben, dem Sterbenden einen Arzt zu rufen. Der Mann wurde nach mehreren Tagen von einem Sozialarbeiter und der Polizei tot in der Wohnung aufgefunden.

Regression statt Revolution

Die Verfolgung von „Asozialen“, „Ausländern“ oder anderen Menschen und Gruppen, die in dieser Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, ist nicht zuletzt ein Ausdruck fehlender gesellschaftlicher Solidarität. Denn anstatt sich als „Verdammte dieser Erde“, als „Heer der Sklaven“ zusammenzutun und solidarisch für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen, wie es die „Die Internationale“ von 1871 forderte, schreitet das bürgerliche Subjekt statt zur Revolution zur regressiven Verteidigung des nichtigen Selbst. Es verteidigt seinen Selbstwert als atmende Ware in einer Gesellschaft, deren Zweck in nichts anderem besteht, als der rastlosen Vermehrung von Tauschwerten. Die bürgerliche Thüringer Presse kann diesen Zusammenhang nicht fassen. Sie weiß nur von Habgier nach 27 erbeuteten Euro zu berichten und vielleicht noch von „Verrohung der Jugend“, deren Ursache sie höchstens in Videospielen sucht, aber bestimmt nicht in gesellschaftlichen Verhältnissen, die samt ihrer Ausschlussmechanismen und Krisenerscheinungen abzuschaffen wären.

Der Aufschrei bleibt aus

Erinnert sei hier an den Mord am 6-jährigen Mädchen Mary-Jane vor über einem Jahr im benachbarten Zella-Mehlis. Als sie im Juni 2011 missbraucht und ermordet wurde, war der Aufschrei des Mobs groß. (Antifa Suhl / Zella-Mehlis berichtete) Im Getümmel der Gutmenschelnden konnte man sich damals einerseits der eigenen moralischen Überlegenheit versichern und andererseits zum Gegenschlag gegen eine andere Randfigur ausrufen. Dass der Aufschrei heute ausbleibt, hat Gründe. Der 59-jährige Ermordete ist eben keine Identifikationsfigur, sondern nur ein stadtbekannter Trinker und die Mörder sind keine „Triebtäter“, sondern im Grunde derselbe Schlag Mensch, wie der Mob selbst, der eben nur in seiner Mehrzahl irgendwie noch die Kurve und einen mehr oder minder schäbigen Job bekommen hat. Deswegen gibt es für „Fisch“ keine Demonstrationen, keine Blumen, kein Gedenken und die Gesellschaft bleibt die unsolidarische und menschenfeindliche, gegen die so dringend gemeinsamer Widerstand nötig wäre.
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Ergänzungen

"Freies Wort" zum Prozessauftakt

afa 25.12.2012 - 16:53
Angeklagte gestehen tödliche Folter in Suhl

Meiningen - Auch hartgesottene Beobachter beschreiben den Fall als außergewöhnlich brutal: Wegen letztlich 27 Euro haben drei junge Männer im Juni einen 59-Jährigen zu Tode gefoltert. Der Prozessauftakt gab eine Ahnung von seinem Martyrium.

Zu Beginn des Meininger Mordprozesses um die brutale Misshandlung eines 59-Jährigen haben die drei Angeklagten gestanden. Bei den genauen Abläufen schoben die Männer sich aber am Donnerstag gegenseitig die Schuld zu. Sie räumten ein, im Juni ihr Opfer in dessen Wohnung in Suhl geschlagen zu haben. Der Mann wurde laut Anklage zu Tode gequält. Zunächst hätten sie Geld von ihm gewollt. Die drei Männer gingen nach den bisherigen Ermittlungen unter anderem mit einer Tischplatte auf ihr Opfer los und ließen schließlich einen mehr als 20 Kilo schweren Fernseher auf ihn fallen. Der 59-Jährige starb Stunden später in seiner Wohnung.

Die drei sollen ihrem späteren Opfer zunächst am Abend im Treppenhaus Bierflaschen weggenommen haben. Dann gingen sie laut Anklage in seine Wohnung, wo sie Geld verlangten und dem 59-Jährigen zwei Euro abpressten. Nach dem ersten Gewaltausbruch mit Schlägen und der Attacke mit der 13 Kilo schweren Tischplatten hätten sie ihr blutendes Opfer zunächst auf der Couch liegengelassen. Vor lauter Schwellungen und Blut habe er keine einzelnen Verletzungen sehen können, sagte einer der Männer vor Gericht.

Zum Anlass für den Gewaltausbruch hatte einer der Angeklagten im Polizeiverhör erklärt, der 59-Jährige habe gesagt: «Wenn Du Geld brauchst, geh doch arbeiten.» Der Beisitzende Richter hielt den Angeklagten diese Aussage vor - aber vor Gericht wiederholte sie keiner der Männer.

Schließlich gab der 18-Jährige an, dreimal in der Wohnung des Mannes gewesen zu sein, um Geld und Alkohol von ihm zu fordern. Nachdem sie etwas Kleingeld bekommen hätten, seien sie wieder gegangen. Später seien sie nochmals zurückgekehrt, und er habe den 59-Jährigen zunächst mit dem Ellenbogen gegen die Brust geschlagen, so dass der Mann auf die Couch fiel. «Wir hatten kein Geld und wollten ein bisschen feiern», sagte er.

Da er noch mehr Geld in der Wohnung vermutete, habe er es verlangt. Nachdem ihm der Mann erneut zwei Euro gegeben hatte, habe er einen Stuhl auf dem Kopf des Mannes zerschlagen. «Das war nicht genug», sagte er. Zugleich gab er zu, ein aggressiver Mensch zu sein, der unter Alkoholeinfluss noch aggressiver werde. Als er dann 25 Euro in der Schrankwand des Mannes gefunden habe, sei er wütend geworden. Deshalb habe er erneut zugeschlagen: «Ich kann das nicht leiden, wenn mich jemand anlügt.»

Dann habe er zusammen mit dem 20-Jährigen die Wohnung verlassen, um an einer Tankstelle Alkohol und Tabak zu kaufen. Danach seien sie zurückgekehrt, hätten weiter auf den Mann eingeschlagen und eingetreten. Um zu sehen, ob er noch lebt, habe sein 23-jähriger Bruder eine Tischplatte auf das auf der Couch liegende Opfer geworfen, auf die er anschließend sprang. Zudem habe der dritte Angeklagte einen Fernseher auf den Mann fallen lassen. Nach Aussage des jüngsten Angeklagten hat der 59-Jährige noch gelebt, als sie die Wohnung verließen.

Nach Erkenntnissen der Gerichtsmediziner war der 59-Jährige aber bereits am Vormittag an massiven inneren und äußeren Blutungen gestorben. Die Leiche entdeckte einige Tage später ein Betreuer des Mannes, der ihn länger nicht mehr gesehen hatte.

Zwei der Angeklagten - Brüder im Alter von 18 und 23 Jahren - sitzen in Untersuchungshaft. Außer Vollzug gesetzt ist der Haftbefehl für einen 20-Jährigen, der an Knochenkrebs leidet. Er habe schon wegen seines körperlichen Zustands den Fernseher nicht auf das Opfer fallen lassen können, verteidigte er sich. Der 20-Jährige, der eine Etage über dem späteren Opfer wohnt, ist allerdings genauso wie seine beiden Mitangeklagten wegen Gewaltdelikten vorbestraft.

Der Prozess soll am 8. Januar fortgesetzt werden. dpa/dapd/cob

 http://www.insuedthueringen.de/lokal/suhl_zellamehlis/suhl/Angeklagte-gestehen-toedliche-Folter-in-Suhl;art83456,2245138

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Fazit?

123456 25.12.2012 - 19:24
Nach dem Lesen des Artikels habe ich das Gefühl, ihr nehmt die Mörder in Schutz, weil sie ja nur Produkte dieser Gesellschaft seien.

Und die Typen auf den Fotos sehen schon sehr suspekt aus. Keine Haare, der eine mit Tunnel im Ohr, der andere tätowiert - vielleicht wäre es lohenswert, noch weitere Nachforschungen über die politische Einstellung der mutmaßlichen Täter anzustellen.

Was für ein herzloser Artikel!

mahmut 25.12.2012 - 23:09
Was für ein herzloser und zynischer Artikel.Ihr entlarvt euch in eurer Art doch selbst.Wenn ihr die Antifa darstellt wird mir klar warum die NSU allesamt aus Thüringen stammt und so bestialische Skinheadmorde dort immer noch passieren!

Ansonsten Respekt!

123456 25.12.2012 - 23:29
Nach dem Herumgebashe des Vorposters nochmal kurz etwas von mir: Mein Posting war nicht böse gemeint. Ich habe großen Respekt vor einer kontinuierlichen Antifa-Arbeit in ländlichen Gegenden, wie ihr sie in Südthüringen betreibt.

@xyz

ich 26.12.2012 - 00:04
Deine aussage spiegelt genau die heutige Gesellschaft wider. Sinnlos labern ohne die Hintergründe zu hinterfragen, warum es zu solchen grausamen Taten überhaupt kommt. Genau das tuen die Autoren. Es werden die gesellschaftlichen Hintergründe dargelegt, welche Menschen zu solchen Taten treibt.

@123456

WD 26.12.2012 - 12:44
Allein die Tatsache, dass hier Leute (die Autoren) nicht zu Mördern geworden sind und die gesellschaftlichen Ursachen von Mord reflektieren, dementiert schon den von dir unterstellten Determinismus. Man hat eben immer die Wahl, Mörder zu werden oder nicht. Die beschissenen Verhältnisse, in denen wir leben, treiben die nach Identität suchenden Ausgegrenzten zu äußersten Handlungen, aber nicht in der Weise, dass sie nicht auch anders könnten, sondern eben darum weil sie es wollen, sich dafür entschieden haben, mit den Verhältnissen zu gehen - freilich ohne das zu wissen. Oftmals fühlen sich gerade die konformistischsten Arschlöcher als Outlaws, nur weil sie den allgemeinen gesellschaftlichen Willen noch radikaler vollstrecken, als die verantwortliche Politik, die durch Gesetze und Moral im Vollstrecken gebremst ist. (Nazis morden, der Staat schiebt ab...)

das Grauen unter uns

Harry P. 27.12.2012 - 20:04
Ein sehr gut geschriebener Artikel, bemerkenswerte Analyse. Im Grunde
zwar nichts neues, Menschen sind halt Menschen, für solche Taten braucht
es keine Nazis. Die Spacken werden nach ein paar Jahren Knast auch begreifen,
dass das irgendwie nicht der Bringer war und niemand sie abfeiern will
(wo ihnen doch im Moment die vermisste Aufmerksamkeit entgegengebracht
wird).

...

horst 29.12.2012 - 14:29
erschreckend wie manche menschen so abgestumpft und brutal sein können. so ein denken und handeln zeugt von null empathie. zweifelsohne sind das erzieherische fehler von eltern, sozialem umfeld und schule. gerade im osten, wo nach der wende die angst vor dem sozialen abstieg im zuge von arbeitslosigkeit groß ist, grenzt man sich gerne gegen arbeitslose und "nutzlose" ab. da wird der menschliche und gesellschaftliche wert am beruflichen status gemessen. selbst der letzte "idiot" braucht noch jemandem auf den er herabsehen kann, und wenn die wertlosigkeit nur in der phantasie konstruiert wird. da reichen schon lange haare oder sonst eine innere oder äußere eigenart um jemnaden als asozial abzustempeln. ich weiß wovon ich rede. mein opa etwa sagt: "wer nicht arbeitet darf nicht essen!" was in der konsequenz heißt, daß einem das recht auf leben abgesprochen wird. wenn man nicht isst verhungert man. menschliche und ethische kompetenz oder gar sonstige bildung, die unabhängig von beruflichem vorhanden ist, zählen null. armselig, aber durch politik und gesellschaftlichen diskurs wird so ein denken noch gefördert. sozialdarwinismus tötet!