Bericht: Reihe Repression und Widerstand USA

Andrea Tams 24.12.2012 12:07 Themen: Antirassismus Blogwire Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Vom 20. November bis zum 18. Dezember fand in Berlin eine Film- und Veranstaltungsreihe über "Repression und Widerstand in den USA" statt. An fünf Abenden berichteten verschiedene Referent*Innen aus dem FREE MUMIA Bündnis zu unterschiedlichen Themen wie der Gefängnisindustrie und Masseninhaftierung, der Todesstrafe oder der politischen Repression. Ausführlich wurde auch auf die Geschichte der Bürgerrechts- und Black Power Bewegung sowie des indigenen Widerstands eingegangen. Anspruch war es, im Zusammenhang mit den bevorstehenden Sivester-Anti-Knast Demonstrationen einen tieferen Blick auf staatliche Repression und den Widerstand (hier am Beispiel der USA) zu werfen.
Der erste Abend war einem historischen Überblick vorbehalten und ging in einem kurzen Überblick auf die kolonialistische Geschichte, insbesondere der Sklaverei in den ehemals britischen Kolonien und den USA ein. Ausführlich wurde die Entwicklung von der Bürgerrechts- zur Black Power Bewegung in den 1960iger Jahren und der damit verbundene gesellschaftliche Aufbruch beschrieben, der eine sofortige Antwort schwerer staatlicher Repression nach sich zog. Auch die sich daraus ergebenden Bedingungen für gesellschaftlichen Teilhabe von People Of Color wurden bis in die aktuellen Geschehnisse besprochen. Das Vortragsskript ist inzwischen online einsehbar (  http://mumia-hoerbuch.de/text/Afroamerikanische%20Geschichte%20in%20Nordamerika_Nov_12.pdf ). Im anschliessenden Film gab es zu allen historischen Aspekten originale Darstellungen und Interviews mit verschiedenen Protagonist_innen (u.a. Stokely Carmicheal und Angela Davis) zu sehen.

Der zweite Abend war einer intensiven Betrachtung der Gefängnisindustrie vorbehalten. Zunächst wurde der Begriff ökonomisch und politisch erörtert. Eine aktuelle Beschreibung des Gefängnisalltags in der Zwangsarbeit sowie die offen rassistischen und klassistischen Gesetze und Justizmethoden machten deutlich, dass die Gefängnisindustrie nichts anderes als die moderne Form der 1865 offiziell in den USA abgeschafften, aber immer unter anderem Namen fortgeführten Sklaverei ist. Dabei kommt insbesondere dem privaten Sektor mit seinem Interesse an unbezahlter Arbeitskraft eine große Rolle zu, wenn es darum geht, gesetzliche Grundlagen durch Lobbyismus und Medienbeeinflussung zu bewirken. Das bildete den Übergang zu einer Bestandsaufnahme in der BRD, in der beide gerade genannten Faktoren derzeit sichtbar werden. An Einzelbeispielen wurde belegt, wie intensiv einige Konzerne inzwischen im Justizvollzugswesen einzelner Bundesländer Fuß gefasst haben.
Auch dieses Skript ist online (  http://mumia-hoerbuch.de/text/Gefaengnisindustrie+USA+BRD_Nov_2012.pdf ).
Selbstorganisierung und Widerstand der Gefangenen in den USA wurden an einigen beeindruckenden Hungerstreiks und Arbeitsverweigerungen der Gefangenen seit 2010 beschrieben. Leider ist dieser Part nur andeutungsweise in dem oben verlinkten Skript enthalten. Erste Beispiele von Widerstand aus der JVA Burg in Sachsen-Anhalt ergänzten diesen Part. Im anschließenden Film wurde der Zusammenhang mit Profitinteressen und einer repressiven Gesetzgebung am Beispiel von US Bundesstaat Colorado noch einmal überdeutlich beschrieben.

Der dritte Abend war der politischen Repression und politischen Gefangenen in den USA gewidmet. Dabei ging es in der Einleitung zunächst einmal um die unterschiedlichen Verständnisse der Begriffe sowie um die Frage, warum es sinnvoll erscheint, bei einer grundsätzlichen Ablehnung staatlicher Zwangsanstalten überhaupt politische Gefangene gesondert zu erwähnen. Verwiesen wurde hier auf soziale und politische Kämpfe und die staatliche Antwort seit Ende der 1960iger genau darauf, welche eine Masseninhaftierung von knapp 2,5 Millionen Menschen in den USA (das entspricht 1/4 aller Gefangenen weltweit) überhaupt erst möglich gemacht hat. „Wir wollen verschiedene stattfindende Kämpfe gegen die Logik der Disziplinierung und Kontrolle zusammenbringen, ohne die ihnen eigenen Merkmale und Besonderheiten zu verwischen“ (aus dem Aufruf der Berliner Anti-Knast-Demos am 31.12.2012). Ein Referent ergänzte, dass es (ähnlich wie bei früheren antirassistischen Debatten) nicht sein könne, dass ausgerechnet Anti-Knast-Aktivist_innen eine Gruppe von Gefangenen - hier die politischen – unsichtbar mache und sich dann anschließend weigere, sie überhaupt zu unterstützen, wie es derzeit häufig geschehe.
Darauf wurden Einzelfälle und ihre jeweiligen Bewegungen von den 1960igern bis heute vorgestellt, die alle aufgrund des im geheimdienstlichen COINTELPRO Programms und seiner späteren offiziellen Nachfolge-Gesetze (z.B. Patriot Act oder NDAA) mit extrem schwerer Repression überzogen worden sind. Darin enthalten waren politische Organisationen wie Black Panthers, Black Liberation Army, Weather Underground, American Indian Movement, Brown Berets aber auch aktuellere Bewegungen wie die Tierrechtsszene, Anarchist_innen, Occupy oder Soldat*Innen, die den Kriegsdienst verweigern oder sabotieren. Es sind viele Parallelen und auch einige Unterschiede sichtbar geworden, die speziell aus anti-rassistischer Sicht beleuchtet wurden. Das Skript ist ebenfalls in naher Zukunft online (1). An diesem Abend folgte auf die Diskussion der Film "Justice On Trial", der am Beispiel des seit 1981 inhaftierten politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal die US Justiz und den institutionellen Rassismus bis hin zur Todesstrafe untersuchte. Mumias 31. Haftjahrestag war am 9. Dezember, als einige Tage nach der Veranstaltung.

Der vierte Abend fiel auf den 11. Dezember, also einen Tag nach dem "Weltweiten Tag der Menschenrechte". In ihrem Vortrag beschrieben die Referent*Innen vom FREE MUMIA Bündnis zunächst die gegenwärtige Praxis der Todesstrafe in den USA und den seit über 20 Jahren anhaltenden Widerstand dagegen. Ähnlich wie in der Gefängnisindustrie sind zu überwiegender Mehrheit People Of Color davon betroffen, was die ordnungspolitische Intention der Todesstrafe unterstreicht, die den Minderheiten immer wieder den ihnen zugedachten gesellschaftlichen Platz in Erinnerung ruft. Anhand von verschiedenen Tendenzen und Debatten wurde verdeutlicht, dass Gefangene und Abolitionist_innen nicht immer an einem Strang ziehen und das es sehr unterschiedliche Ansätze zur Abschaffung der Todesstrafe in den USA gibt. Anhand der Beispiele wurde (wie auch in allen anderen Vorträgen) erneut der Zusammenhang zur Auseinandersetzung mit der Staatsraison hergestellt. Die Todesstrafe dient demnach der Aufrechterhaltung einer nach rassistischen und klassistischen Grundlagen geordneten Gesellschaft, von der viele profitieren, womit sich die verhältnismäßig große Zustimmung in teilen der weißen Mittelklasse erklärt - das Skript dazu bald online (1).
Im weltweiten Zusammenhang kommt den USA dabei auch eine Alibi-Funtion zu, hinter der sich viele andere Henker_innen verstecken. In einem weltweiten Rundblick beschäftigte sich der Vortrag mit Ländern wie China, dem Iran oder Saudi-Arabien. Auch Uganda, dass die Todesstrafe gerne zur homophoben Repression einführen möchte, oder Afghanistan und der Irak, die Gefangene im sog. "Krieg gegen den Terrorismus" ermorden, wurden erwähnt. In Afghanistan wurden z.B. bis 2009 Frauen erschossen, die nach Scharia-Law als Ehebrecherinnen zum Tod verurteilt worden waren. Der darauf folgende Film über den Fall von Frances Newton löste im Publikum tiefe Betroffenheit aus und eine lange Diskussion schloss sich an.

Der fünfte und letzte Abend beschäftigte sich mit dem indigenen Widerstand und war in mehrere Bereiche unterteilt. Zuerst wurde die historische Verdrängung Indigener in Nordamerika durch die unterschiedlichen Kolonialist*Iinnen aus Europa beschrieben. Es folgte eine ausführliche Beschreibung der aktuellen und extremen Lebensbedingungen, mit den denen die wenigen noch überlebenden und nicht assimilierten Indigenen der USA heute konfrontiert sind. Dann beschrieb ein Referent den Kampf um kulturelle Rückaneignung Indigener, die zwanghafte Praxis der Internate für Reservationsbewohner*Innen und die extreme sexuelle und rassistische Gewalt, der sie in den USA ausgesetzt sind. Daran schloss sich eine Darstellung über indigenen Feminismus an, der im Unterschied zur derzeitig häufig geführten Debatte in der weißen Mehrheitsgesellschaft ganz klare Verbindungen zwischen patriarchaler und kolonialistischer/rassistischer Unterdrückung formuliert und angreift. Im nächsten Part ging es um Ansätze von Widerstand auf den Gebieten kommunaler Selbstbestimmung, Bildung und Ökologie. Das Skript ist ebenfalls demnächst online (1). Im anschließenden Film ging es zurück zu den Anfängen der "American Indian Movement" und dem Fall des politischen Gefangenen Leonard Peltier. Leider war der Film nach ca. 2/3 der Spielzeit so beschädigt, dass die Referent*Innen des FREE MUMIA Bündnisses einen mündlichen Bericht über die aktuellen Bemühungen von Leonard Peltier nach über 36 Jahren Haft gaben. Leonard Peltier ist inzwischen us-weit zu einem Symbolträger für die staatliche Gewalt Indigenen gegenüber geworden und sein Gesundheitszustand ist inzwischen so bedenklich, dass sich derzeit sehr viele unterschiedliche Menschen für seine Freilassung einsetzen.

Der gefangene Journalist Mumia Abu-Jamal hatte in einer Radio Ansage selbst zu der Film- und Veranstaltungsreihe in Berlin eingeladen (  http://www.freiheit-fuer-mumia.de/veranstaltungsreihelunte2012.htm ). Auf dieser Webseite sind auch alle Filme aufgeführt, die es an den einzelnen Abenden zu sehen gab.

Die Veranstaltungen in dem kleinen Stadtteilladen Lunte in Berlin Neukölln waren gut gefüllt. Im Schnitt dürften es jeweils 20 Gäste gewesen sein - viel mehr passen leider auch nicht in den Laden. Ähnliche Film- und Info-Abende bei Interesse auch in anderen Berliner Zentren durchzuführen, sei überhaupt kein Problem, so die Veranstalter*Innen. An allen Abenden schrieben einzelne an Gefangene, deren Adresslisten auslagen und nahmen Plakate und Flyer zum Weiterverteilen mit.



(1) alle fehlenden Skripte sehr bald online unter  http://www.freiheit-fuer-mumia.de/veranstaltungsreihelunte2012.htm
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Ergänzungen

Solidarität mit Gefangenen!

Silvester zum Knast! 24.12.2012 - 12:16

Silvester zum Knast - Solidarität mit Gefangenen!

Grenzen und Mauern einreißen – für eine solidarische Gesellschaft!


Berlin ->  http://silvesterzumknast.nostate.net/#aufruf
Frankfurt/Main –> www.verdammtlangquer.org
Stuttgart –> silvesterdemo-stuttgart.tk
New York City –> nycabc.wordpress.com
Seattle –> anarchistnews.org
London –> network23.org/londonabc
Wien –> linksunten.indymedia.org
Bremen –> linksunten.indymedia.org
Köln –> autonomes-knastprojekt.blogspot.de


Rundreise mit Dan Berger (USA) über

Masseninhaftierung und politische Gefangene 24.12.2012 - 13:40
vom 12. - 15. Januar 2013:

Im Januar 2013 findet eine viertägige Rundreise mit dem linken US-amerikanischen Aktivisten und Autor Dan Berger statt. Dan Berger wird vom 12. Januar bis zum 15. Januar 2013 auf Veranstaltungen in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hamburg über das Gefängnissystem, die politischen Langzeitgefangenen in den USA und ihre militante Geschichte berichten. Es wird bei der Veranstaltungsreihe auch schriftliche Beiträge der politischen Gefangenen Mumia Abu Jamal, David Gilbert, Sundiata Acoli und Oscar López Rivera geben.

Samstag | 12.1.2013 | Berlin | Rosa-Luxemburg Konferenz
URANIA-Haus | An der Urania 17 | Ab 10 Uhr

Sonntag | 13.1.2013 | Stuttgart
Linkes Zentrum Lilo Herrmann | Böblinger Str. 105 | 19 Uhr

Montag | 14.1.2013 | Frankfurt am Main
Cafe ExZess | Leipzigerstr.91 | 20 Uhr

Dienstag | 15.1.2013 | Hamburg
centro social | Sternstraße 2 | 19 Uhr

(video) You are not alone!

New Year's Prisoner solidarity demo in NYC 24.12.2012 - 14:32
ein Video von Silvester 2011 - Solidemo mit Gefangenen vor Gefängnis in New York City
 http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=i9J22HfoVW0

FBI und Occupy

Toni Mahoni 24.12.2012 - 20:10

Repression gegen AnarchistInnen

Autonomia 25.12.2012 - 08:00
Aktuell findet in den USA eine Repressionswelle gegen AnarchistInnen statt (anscheinend so eine Art "Rache" wegen Occupy Wallstreet), die sich eigentlich kaum von der Repression in Rußland unterscheidet, aber bei weitem nicht so viel mediale Öffentlichkeit erhält...
 http://de.indymedia.org/2012/10/336491.shtml

weitere Skripte von den Veranstaltungen

Andrea Tams 26.12.2012 - 21:42

VA Skript: Politische Repression und Gefangene in den USA
 http://mumia-hoerbuch.de/text/Politische%20Repression%20und%20politische%20%28Langzeit-%29%20Gefangene%20in%20den%20USA.pdf

VA Skript: Todesstrafe - - Staatsterrorismus zur Einschüchterung der Bevölkerung
 http://mumia-hoerbuch.de/text/Todesstrafe_Stand_12_2012.pdf

VA Skript: Indigener Widerstand in den USA - folgt demnaechst

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Auf zum Knast ! — (taz-Berlin)