Der VS sucht den kurdische Snitches

Dont talk with the Cops 23.12.2012 15:01 Themen: Repression
Kurdische Jugendliche sind in letzter Zeit verstärkt Anwerbeversuchen von Beamten des Verfassungsschutzes ausgesetzt. Im Folgenden findet ihr eine gekürzte Zusammenfassung des ersten Teils einer Artikelserie der Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“, in welcher die Anquatschversuche der Verfassungsschutzes im Raum Hessen dokumentiert werden.
Wir haben die Versuche des Verfassungsschutzes, kurdische Jugendliche aus den Städten Frankfurt, Darmstadt, Fulda und Hanau als Agenten anzuwerben, recherchiert und möchten die erschreckenden Berichte der Jugendlichen mit unseren Leserinnen und Lesern teilen. Dabei gehen die Beamten des Verfassungsschutzes oft nach einem ähnlichen Muster vor. Sie sprechen vor allem Jugendliche an, die trotz Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus an kurdischen Demonstrationen teilnehmen oder sich in den kurdischen Strukturen engagieren. Diese versuchen sie als Agenten anzuwerben. Haben die Beamten des Verfassungsschutzes hiermit keinen Erfolg, versuchen sie die Jugendlichen davon zu überzeugen, nicht mehr an Demos teilzunehmen und ihr Engagement zu brechen. Wenn auch diese Versuche erfolglos bleiben, versuchen sie, die Jugendlichen durch Festnahme einzuschüchtern oder sie sorgen dafür, dass der Aufenthaltsstatus der Jugendlichen in Gefahr gerät. Im Folgenden berichten wir von den Erzählungen der Jugendlichen. Aus Sicherheitsgründen haben wir die Namen der betroffenen Jugendlichen anonymisiert.



„Wir wollen mir dir über die Aktivitäten der Kurden diskutieren“

Um auf den Hungerstreik in den Gefängnissen der Türkei und die Totalisolation Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen, hatten kurdische Jugendliche am 05. Oktober die Zentrale der Nachrichtenagentur Reuters in Frankfurt besetzt. Der 19-jährige S. U. war bei der Besetzung und wollte Bilder für die kurdische Presse von der Aktion machen. Aber die Polizeibeamten vor Ort beschlagnahmten die Speicherkarte seiner Kamera. Als S. U. später bei der Polizei anrief, um seine Speicherkarte wiederzubekommen, bekam er am Hörer eine unerwartete Antwort vom Polizeibeamten: „Du brauchst nicht auf die Polizeistation zu kommen. Wir werden deine Speicherkarte beim kurdischen Zelt vorbeibringen.“ Mit dem Zelt war das kurdische Infozelt in der Frankfurter Innenstadt gemeint, das aus Solidarität zum Hungerstreik in den Gefängnissen aufgebaut worden war und die hiesige Öffentlichkeit für die Aktion der politischen Gefangenen in der Türkei sensibilisieren sollte. S. U. wartete vor dem Zelt auf die Beamten, und als diese schließlich kamen, hatten sie noch eine „kleine Bitte“ an ihn. „Wir wollen, dass du bezüglich einiger Aktionen als Zeuge aussagst. Wenn du das nicht tust, wird dich die Staatsanwaltschaft ohnehin vorladen.“

S. U. ignorierte die Bitte der Beamten und dachte, dass es sich damit schon erledigt habe. Aber damit hatte er Unrecht. Denn als er sich einige Tage später auf den Weg nach Darmstadt machen wollte, näherten sich im zwei Männer, zeigten ihre Ausweise und stellten sich als Beamte des Verfassungsschutzes vor. „Wir wollen mit dir über die Aktivitäten der Kurden diskutieren“, sagten sie zu S. U.

S. U. war ein wenig erschreckt von der unerwarteten Begegnung mit dem Verfassungsschutz, aber sagte, sobald er sich wieder fing, dass er mit ihnen nicht sprechen wolle und sie kein Recht hätten, ihn so auf der Straße zu stören. Nach dieser Reaktion waren die Stimmen der Beamten auf einmal sanfter und einer von ihnen sagte, dass S. U. doch noch nicht einmal wisse, worüber sie mit ihm sprechen wollten. „Hör uns doch erst einmal zu! Ihr habt die Informationen über die Grauen Wölfe und die Kurden. Und wir wollen von eurem Wissen profitieren.“ S. U. fühlte sich genervt von den beiden Herrschaften und begegnete ihnen wie folgt: „Ihr sagt, dass ihr vom Verfassungsschutz seid! Dann wisst ihr vermutlich mehr von der kurdischen Bevölkerung hier als ich. Und wenn ihr wirklich nur Infos wollt, dann gibt es bestimmt dutzende Vereine und Institutionen, die ihr ansprechen könntet. Da ist es doch nur schwachsinnig, dass ihr genau zu mir kommt. Auch die Polizei aus Frankfurt wollte mit mir sprechen. Aber ich bin nicht hingegangen. Und gegenüber euch, werde ich mich genauso verhalten. Damit ihr es wisst!“

Die Beamten des Verfassungsschutzes starteten noch einen letzten Versuch und wollten S. U. auf einen Kaffee einladen, „um ihn Ruhe“ mit ihm sprechen zu können. S. U. schlug auch dieses Angebot ab und wollte noch einmal die Ausweise der Beamten sehen und fragte nach ihren Visitenkarten. Die Beamten zeigten nochmals ihre Ausweise, gaben aber an, leider keine Visitenkarten bei sich zu haben. Stattdessen gaben sie S. U. einen Zettel mit, auf den die Beamten ihre Telefonnummer niedergeschrieben hatten. Als schließlich der Bus kam, stieg S .U. ein und die Beamten bewegten sich eilig von der Haltestelle weg.



Wenn der Aufenthaltstitel ausläuft …

Die 19-jährige Z. A. nahm, trotz ihrer Aufenthaltsprobleme, an Veranstaltungen der KurdInnen in ihrer Region teil. Im Juli musste sie dann zur Ausländerbehörde, um ihren Aufenthalt zu verlängern. Die Beamtin vor Ort erklärte ihr, dass noch einige Papiere für die Verlängerung ihres Aufenthalts fehlen würden, sie daher zu einem späteren Termin nochmals vorbeikommen solle. Das tat Z. A. dann auch, doch bei ihrem nächsten Besuch erwartete sie eine Überraschung bei der Behörde. Die Beamtin erklärte ihr, dass zwei Herren mit ihr sprechen wollen würden und sie doch hierfür in ein benachbartes Zimmer gehen solle. Im anderen Zimmer stellten sich die zwei Männer vor und erklärten, dass sie von der Kriminalpolizei seien. Anschließend bombardierten sie Z. A. mit ihren Fragen: „Wir wissen, dass du regelmäßig in den kurdischen Verein gehst und dort aktiv bist. Letztes Jahr warst du auch auf der Demo in Berlin und wurdest dort festgenommen, weil du einen Polizisten angegriffen hattest. Warum nimmst du an solchen Demos teil?“

Z. A. gab an, dass sie an verschiedenen Demos teilgenommen habe, aber in Berlin habe sie keinen Polizisten angegriffen. Die Polizisten zeigten Z. A. daraufhin einige Bilder und sagten: „Das sind die Jugendlichen, die sich auf der Demo in Berlin vermummt hatten. Sag uns, wer diese Jugendlichen sind, hilf uns dabei sie ausfindig zu machen. Wenn du das machst, kannst du dir auch ein wenig Geld damit verdienen.“ Z. A. akzeptierte das Angebot nicht, woraufhin die Polizisten anfingen ihr zu drohen. Zum Abschluss wurden die Beamten dann doch noch einmal nett und gaben ihr ihre Visitenkarten, für den Fall, dass sie es sich doch noch anders überlegen würde.

Bevor sie das Zimmer wieder verließ, hatte Z. A. den Beamten lautstark gesagt, dass sie von ihr nichts hören werden. Die Reaktion hierauf fiel für Z. A. hart aus. Seit Juli wurde ihr Aufenthalt nicht mehr verlängert und nun hat sie zusätzlich noch eine Anklage am Hals.



Repressionen und Schikane

Der 20-jähirge B. Y. gehört zwar nicht zu den kurdischen Jugendlichen, denen Angebote des Verfassungsschutzes unterbreitet worden sind. Stattdessen hat B. Y. allerdings anderweitige Bekanntschaften mit den Beamten der BRD gemacht. Nachdem B. Y. bei einer Demonstration anlässlich des Jahrestags des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan festgenommen worden war, ist er mit ständiger Schikane und Repression des Polizeiapparats konfrontiert. „Es ist mir schon passiert, dass ich auf der Straße mit meinen Freunden einfach unterwegs war und ein Polizist auf einmal zu uns kamen, um meine Freunde vor mir zu warnen, da ich ja ein Terrorist sei“, berichtet B. Y.

Außerdem finden Versuche der Einschüchterng gegen ihn statt. So erzählt B. Y. von zwei weiteren Vorfällen: „Einmal bin ich aus dem Haus gegangen, um zu einer Demo zu gehen. Vor der Tür sind mir zwei Männer in einem Auto aufgefallen, die mich anscheinend beobachteten. Als ich später auf der Demo war, habe ich sie wiedergetroffen. Ein andermal, das war nach der Jugenddemo in Frankfurt, wollten wir nach der Aktion mit ein paar Freunden etwas Essen gehen. Dann hat die Polizei das Restaurant, in dem wir saßen, gestürmt. Sie haben mich und die anderen Freunde in den Keller des Restaurants gebracht, um dort unsere Ausweise zu kontrollieren. Anschließend haben sie mich und einen weiteren Freund festgenommen. Sie haben uns zunächst versucht einzuschüchtern und anschließend haben sie, als sei gar nichts geschehen, einfach wieder gehen lassen. Seit zwei Jahren mache ich diese Repressionen mit. Aber es wird ihnen nicht gelingen, mich einzuschüchtern.“



Erstes Angebot mit 15 Jahren

Die 17-jährige H. C. berichtet, dass sie ihr erstes Angebot, als Agentin zu arbeiten, im Alter von 15 Jahren erhalten habe. „Ich hatte den Verein neu kennengelernt und bin angefangen dort ab und an vorbeizuschauen. Als ich an einer Aktion teilgenommen hatte, kam ein Polizist zu mir, gab mir seine Visitenkarte und erklärte, dass er mit mir sprechen wolle. Meine Freunde sagten mir, ich solle die Karte wegschmeißen. Ich zerriss sie und schmiss sie dann weg“, berichtet H. C. Später wurde sie dann zu 50 Sozialstunden verurteilt, weil sie angeblich einen Polizisten bei der Demonstration in Berlin im letzten Jahr getreten habe.



„Du bist der einzig saubere unter deinen Geschwistern“

Auch M. S. wurde nach der genannten Demonstration in Berlin zu einer Strafe verurteilt. Er erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 1.200 €. Doch als die Polizei merkte, dass er trotz der Strafe weiterhin Demonstrationen besuchte, versuchte sie nun seine Geschwister einzuschüchtern. Bei einer Demo in diesem Jahr, wurde dann der kleine Bruder von ihm festgenommen, weil er verbotene Parolen gerufen haben soll. Die Polizisten erklärten dem Bruder äußerst fürsorglich, dass er doch der einzig saubere unter seinen Geschwistern sei und deshalb von nun an nicht mehr an den Demos teilnehmen solle. „Bei der nächsten Demo trat dann einer der Polizisten wieder auf meinen Bruder zu und rief ihm, vor den anderen Demonstranten, zu, dass sie doch vereinbart hätten, dass er auf keine Demos mehr gehen würde. Mein Bruder hat ihm dann geantwortet, dass er nichts mit ihnen vereinbart hat. So versuchen sie, meinen Bruder und andere Jugendliche öffentlich vor den anderen Teilnehmern der Demonstration als Agenten darzustellen“, erklärte M. S.



Quelle: Yeni Özgür Politika, 22.12.2012, ISKU
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Ergänzungen

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