Junge Union Münster löst mit Foto vor Reichsf

Du Opfer 21.12.2012 19:09 Themen: Bildung
Münster. Mit dem Foto ihrer jüngsten Weihnachtsfeier hat die Junge Union in Münster einen Shitstorm auf Facebook ausgelöst. Auf dem Bild präsentieren sich die Nachwuchspolitiker in den Räumen einer Studentenverbindung und vor der Deutschen Reichsflagge. Nicht zum ersten Mal. Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt deutsch.
Das nationale »wir« ist klassenlos. Es vereint Staat und Volk, indem es die schiere Tatsache, daß sämtliche Bürger einer Nation ihrem Staat unterworfen sind und dieser sie seinen Erfolgskriterien gemäß behandelt, sie also auch den Konjunkturen seiner außenpolitischen Bewährung aussetzt, in einer unausweichlichen Identität der Interessen von Staat und Bürgern geltend macht. Dabei werden die Unterschiede und Gegensätze innerhalb der Nation keineswegs geleugnet, sondern immerzu hervorgehoben — allerdings nicht in der Form kritischer Stellungnahmen zur modernen Klassengesellschaft. Vielmehr in lauter affirmativen »Folgerungen« bezüglich der speziellen Dienste und Leistungen, welche die Nation wegen des Gelingens ihrer außenpolitischen Vorhaben den einen erweist und den anderen mit Recht abverlangen kann. Für die Geschäftswelt gehört sich eine Investitionsneigung und das dafür passende Klima, andere sind fürs Arbeiten, Kaufen und Sparen da.

Dieser Standpunkt des nationalen Interesses stützt sich weniger auf die Logik denn auf die Praxis der staatlichen Souveränität. Der ihm eigentümliche Zynismus erfüllt die demokratische Diskussion, in der sich die Parteien mit Unterstützung der ihnen zu- bzw. abgeneigten Medien um die Macht streiten, mit Leben. So streiten sich die Konkurrenten um die Staatsführung nicht nur zu Wahlkampfzeiten darum, wer mehr »politische Stärke« an den Tag legt. Der Vorwurf der »Führungsschwäche« wird erhoben, und damit ist gemeint, ein tauglicher Staatsmann dürfe sich von niemandem in der Welt etwas gefallen lassen und müsse seinem Volk alle Unannehmlichkeiten zeitig ins Gesicht sagen, die er ihm bereitet. Und der prinzipielle Gesichtspunkt, daß gut ist, was uns nützt, wird auf alle Regierungen und Völker dieser Welt ohne den leisesten Anflug moralischer Bedenken angewandt.

Aus der schlichten Tatsache, daß die nationale Währung an den Devisenbörsen hoch gehandelt wurde, ist in einem Jahr des Wahlkampfs für den seinerzeit regierenden Kanzler ein Argument für seine Wiederwahl verfertigt worden. In der »Härte der D-Mark« durfte die gesamte Nation das anschauliche Verdienst eines Mannes bestaunen, der »unser« Geld etwas wert sein läßt. Der Nachweis, daß diese Tüchtigkeit in Währungsangelegenheiten den Nutzen des gemeinen Volkes mehre, wurde über den Auslandsurlaub geführt, ganz als ob mit den fünf Pfennigen »Gewinn« beim Umtausch einer Mark in Lire die Ferien im Süden in Saus und Braus abliefen und keiner die Preissteigerungen bemerken würde. Nachdem nun aber der währungspolitische Sachverstand für das nationale Eigenlob zuständig ist, eröffnete derselbe Kanzler mit Hilfe einer verantwortungsbewußten Öffentlichkeit auch noch eine solide Kampagne der Kritik an anderen Nationen. Das Argument hieß »unsere Wirtschaft«: diese ist extrem » exportabhängig«, und gerade eine teure D-Mark mache »unseren« ausländischen Kunden das Kaufen schwer. Also schritt der Kanzler im Namen aller Deutschen, auch derer, die ganz bestimmt nicht vom Außenhandel leben, aber eben von ihm abhängig sind, zur Besichtigung der Versager in Währungsdingen. Urplötzlich war die harte Währung eine Gefahr, freilich in Gestalt der weichen ausländischen Gelder. Die amerikanischen Freunde wurden fachmännisch er mahnt, ihre Freiheitswährung nicht verfallen zu lassen. Den Kollegen in England wurde mitgeteilt, daß sie sich die schlechte Wirtschaftslage samt Verfall des Pfundes selbst zuzuschreiben hätten:

Kein Investitionsklima würden sie schaffen, solange sie den sozialen Frieden nicht in den Griff bekämen; weder die »disziplinlosen« Gewerkschaften noch die englischen Arbeiter mit ihren maßlosen Teepausen kamen an der deutschen Schelte vorbei. Den italienischen Proleten, ansonsten als Vergleichsmaßstab für deutsche Bedürfnisse sehr willkommen - »wie gut es uns geht!« -, wurden ihre Streiktage vorgerechnet. Und niemand hat in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit die Unverschämtheit angegriffen, mit der da im Namen der deutschen Wirtschaft eine stattliche Liste ihrer Schädlinge erstellt wurde und sich der nationale Standpunkt gleich noch zum Richter über die Bedürfnisse und das Wohlverhalten anderer Arbeitsvölker aufschwang. Als die »Folgerungen« des offiziellen Deutschland präsentiert wurden, die aus den »Gefahren« für unsere Wirtschaft wohl fällig wären - niedrige Lohnabschlüsse als vernünftige Reaktion auf die von Dollar, zerrütteten Partnern und steigenden Ölpreisen hervorgerufene Arbeitslosigkeit -, wollte dieser »Notwendigkeit« auch niemand widersprechen. Und schon gleich gar nicht ist einem Kenner der Wirtschaft angesichts der Ungereimtheiten in der wirtschaftspolitischen Diagnose der Zuständigen aufgefallen, was sich ein von seinem Volk anerkannter und bedienter Souverän leisten kann: einerseits den kommunismusverdächtigen Hinweis darauf, daß das Gedeihen »unserer Wirtschaft« im Gegensatz steht zum Wohlergehen derer, die mit ihrer Hände Arbeit alles in Gang halten - andererseits die Propaganda der Konkurrenz zu anderen Nationen, in der das gewöhnliche Volk sich bewähren darf.

2. Noch selbstverständlicher wird das Recht des Staates, den auswärtige Souveräne behindern, auf die Opfer seines Volkes in Sachen »Öl« vorgetragen. Jahrelang floriert nun schon die Hetze gegen die Ölscheichs, die »unsere« Energiekosten ins Unermeßliche steigern. Zwar weiß längst jeder Zeitungsleser, daß sich der Benzinpreis an der Zapfsäule unter heftiger Anteilnahme seines Fiskus erhöht; aber der eigenen Nation blieb der Vorwurf bisher erspart, aus den Lohntüten der deutschen Autofahrer einen Selbstbedienungsladen gemacht zu haben. Schließlich gesteht kein anständiger Deutscher einem arabischen Souverän das zu, worauf sonst eine am Welthandel beteiligte Nation ein unverbrüchliches Recht hat: für das, was man zu verkaufen hat, zu verlangen, was man kriegt. Zusätzlich lassen sich auch noch die »Multis« als Schuldige benennen, und das sind - wie der Name schon sagt - weniger Kapitalisten als keine einheimischen Geschäftsleute. Daß die ölexportierenden Länder mit ihren gestiegenen Anteilen am Verkaufspreis von Rohöl ihr Geschäft machen, ist aber seit einiger Zeit nicht mehr der Skandal: so widersprüchlich der Nationalismus in der Verurteilung anderer Teilnehmer am Weltmarkt vorgeht, so . frei ist er auch in seinen Konjunkturen. Erstens haben die USA auf ihre Weise auf »unseren« Kanzler reagiert und »ihren« Dollar wieder teurer gemacht, so daß eine Zeitlang beim steigenden Dollar der Grund lag für die Benzinpreise (umgekehrt hat zuvor das Argument nichts hergegeben!). Zweitens ist im Zuge der weltpolitischen Konfrontation die Aufrüstung aller befreundeten Nationen modern geworden - und ausgerechnet Saudi-Arabien, wo »unser öl« lagert, gehört zu den Freunden, die mit Waffen beliefert werden müssen. Also gebietet der weltwirtschaftliche Sachverstand, . die Verurteilung der in bezug auf den Olpreis längst vernünftig gewordenen Saudis zu relativieren. Rüstungsexporte für Arbeitsplätze zu erklären, zumal dasselbe auch schon längst für die Atomkraftwerke gilt, um die wir aus energiepolitischen Gründen - »öl knapp« - nicht herumkommen. Ganz gleich, wie die Unterabteilungen der nationalen Begutachtung in Sachen öl ausfallen - immer rechtfertigt die Anklage nach außen den Anspruch auf Dienste und Zumutungen daheim.

3. In einer Demokratie gehört es sich, daß das Volk, welches für die Wünsche des eigenen Staates und seiner Wirtschaft gegenüber dem Ausland geradezustehen hat, auch eine wesentliche Freiheit genießt: Es darf sich in den Machenschaften fremder Staaten lauter Grunde dafür zusammensuchen, daß es in der Gefolgschaft daheim richtig liegt. Die diesbezüglichen Angebote derer, die die Meinungsbildung zu ihrer vornehmen Pflicht erkoren haben, sind frei von Skrupeln aller Art; in der Kritik am Ausland, insbesondere an dem, mit dem solide und rentierliche Beziehungen unterhalten werden, sind Töne an der Tagesordnung, die man auf »uns« nie und nimmer anwenden lassen möchte. So sind im Falle Japans Urteile eingebürgert worden, in denen Verachtung und Respekt in ebenbürtiger Weise für das deutsche »wir« tauglich sind. Die Einwände gegen Japaner« richten sich sowohl gegen ihre Durchschlagskraft auf diversen Märkten, die »uns« genauso wichtig sind, als auch gegen die schlechte Behandlung, die sie ihrem Volk angedeihen lassen - viel mehr Arbeitstage als hierzulande, kein DGB und viel weniger Lohn. Das Kompliment an dieselbe Nation und dieselben Untertanen liest sich in deutschen Landen haargenauso: Bewundernswert das japanische Wirtschaftswunder, zumal die dahinten auch sehr viel fürs Öl ausgeben müssen, und noch bewundernswerter die Leistungs- und Verzichtsbereitschaft dieses Volkes, an dem sich - ginge es nach dem Grafen Lambsdorff - die »verwöhnten« Deutschen auf der Stelle ein Beispiel nehmen sollten. Inzwischen haben verschiedene Regierungen in trauter Eintracht mit dem DGB dafür gesorgt, daß sich gewisse Annäherungen an japanische Standards vollziehen: faktische Null-Tarif runden, Preise und Abgaben jeder Art senken den deutschen Lohn, während die Umgestaltung von Arbeitsplätzen die Leistung hebt. VW investiert dazu noch ein wenig in Japan...

4. Als Deutscher weiß man selbstverständlich auch, was den Polen gefällt und gut für sie ist. Der Kommunismus auf alle Fälle nicht, wenngleich sich im zwischenstaatlichen Verkehr durchaus gute Geschäfte mit Leuten abschließen lassen, die ihrem Volk weder einen Lebensstandard gönnen, der hierzulande als reine »Verwöhnung« angeprangert werden muß, noch eine Freiheit. Während bei uns das Zusammenfallen von Interessen des Volkes mit dem seiner Führer eine ausgemachte Sache ist, insbesondere dann, wenn Opfer anstehen, sieht es auswärts, östlich vor allem, oft sehr anders aus. Zunächst einmal unterliegt eine polnische Regierung der Klassifizierung »Unrechtsstaat« ohne »Selbstbestimmungsrecht« des Volkes; und ein anständiger Deutscher wird an den Fakten der bundesrepublikanischen Staatsgründung ebensowenig irre in seinem Antikommunismus, den er aus dem Schatzkästlein des vorangegangenen Nationalismus bewahren durfte, wie er jedem Kritiker hierzulande die Methoden des Gehorsams und seiner Erzeugung ans Herz legt, die drüben üblich sind. Wenn dann eine Bundesregierung samt der westdeutschen Geschäftswelt eine regelrechte Polen-Politik zuwege bringt, wenn dadurch die Grenzen für Waren und Kapital geöffnet werden, so dient dies allemal einer guten Sache. Mißtrauen ist nicht der Zusammenarbeit mit diesem »Regime« entgegenzubringen, sondern ihrer Wirkung: Wird auch genug verlangt, wenn »wir« mit denen handeln? Und dürfen auch genug ausreisen in die Freiheit?

Die feste Überzeugung, daß die Schädigung eines kommunistischeen Staates in der entgegenkommenden Berücksichtigung seiner Außenhandelswünsche Inbegriffen zu sein hat, duldet keine Erschütterung. Schon gleich gar nicht dadurch, daß das polnische Volk vom Ost-West-Handel überhaupt nichts hat. Das bekannte Ergebnis, das die von der polnischen Regierung vollzogene Unterordnung ihrer gesamten Volkswirtschaft unter die Notwendigkeiten des Westhandels zeitigte: die zehntgrößte Wirtschaftsmacht ist pleite, das Volk leidet Not jeder Größenordnung und veranstaltet einen christlich-gewerkschaftlichen Aufstand, mit dem die Staatsmacht vorübergehend in Frage gestellt wurde und auch durch ein Jahr Kriegsrecht nicht fertig geworden ist - dieses Ergebnis wird mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Es zeigt sich für einen deutschen Beobachter nur eines: Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen Polen die »Chance« geben, sich ganz und gar dem Westen anzuschließen, sich den Kreditlinien des IWF (Internationaler Währungsfonds) anzuvertrauen - denn das wäre der leichteste Weg zur »Hilfe«, die bis dahin der caritativen Gesinnung der westdeutschen Bevölkerung überlassen bleibt. Mitleid mit den Opfern, die die eigene Regierung auswärts schafft, ist hier genauso wie im Falle der »Entwicklungsländer« erlaubt. Der Außenminister ergänzt die Hungermeldungen mit diplomatischen Kampfansagen gegen die Sowjetunion, deren Bemühungen, Polen im eigenen Block zu behalten, einerseits eine »rasche Hilfe« erschweren, andererseits den »Weltfrieden« gefährden. Die vorläufige »Rettung Polens« durch den Einsatz des Militärs kann - da sie dem nicht stattgefundenen russischen Einmarsch gleichzusetzen ist - nicht hingenommen werden. Schließlich heißen die Rechtsanwälte des polnischen Volkes Genscher und Reagan, und ihre Kanzlei führt den Streit um die Rechte der östlichen Mandanten konsequent mit einem Aufrüstungsprogramm, das ganz gut auch ohne den Schein auskommt, es gehe um so labile und heikle Dinge wie das »Gleichgewicht«. Das Recht fordert seine Rechtsmittel, Belehrungen über deren Gebrauch gehen unterdessen täglich an die Adresse Moskaus.

Wo der national beseelte Blick über die Grenzen den Gegensatz zwischen Herrschaft und Untertanen ausmacht, geht es also keineswegs um die Beurteilung des Zwecks, den so ein Staat verfolgt - und schon gar nicht um die Gründe für den dortigen Modus der Benützung eines Volkes und um deren Verlaufsformen, zu denen die Kooperation mit dem eigenen Staat zählt. Dem bedingungslosen Bekenntnis zu den Interessen »der« Deutschen ist nur eine Sorte von Kritik zuträglich - die zweifelnde Frage nach ihrer ordentlichen Durchsetzung. So ist ausgerechnet in Sachen Polen der erfolgreiche Umgang mit einem Ostblockstaat, der den Ruin eines Volkes schneller hervorbrachte, als das die »Regimes« drüben, auf sich selbst gestellt und nicht in den menschenfreundlichen Außenhandel des Westens einbezogen, je vermocht hätten, auch unter die Rubrik »Verrat an deutschen Ansprüchen« eingeordnet worden. Und damit waren auch nicht die Ansprüche jener Mehrheit gemeint, die Woche für Woche ihre Lohntüte einteilen darf und als »Entschädigung« für ihre wenig lohnende Brauchbarkeit theoretisch über die weltpolitischen Vorzüge des Vaterlandes mitbefinden, dem sie zufällig angehört. Das Verdienst, ein Deutscher zu sein und ideell an der Geltung der Nation in der Welt zu partizipieren, scheint viel wichtiger zu sein als der Verdienst, den man für ein Leben in Freiheit - für die meisten ein Arbeitstag nach dem anderen, nebst den dazugehörigen Risiken und kompensatorischen Anstrengungen und Abgaben für einen Sozialstaat, der das Geld auch besser verwenden kann — so erhält. Dabei sind die in Umlauf gesetzten Unverschämtheiten des heutigen Nationalbewußtseins, die kosmopolitischen Begutachtungen aller Herren Länder nie um die Auskunft verlegen, daß die universale Zuständigkeit der Nation für die gewöhnlichen Bürger - sobald sie über die theoretische und wohlfeile Anmaßung hinausgeht - immer im Dienst besteht. Denn diePraxis des Vergleichs, der da ständig zugunsten der eigenen Nationalität ausfällt, besteht in der Durchsetzung des einen Staates gegen den anderen. Und an diesem Geschäft ist die Mehrheit so beteiligt, daß sie in der Bereitstellung des Reichtums ihre erste und in der Relativierung ihrer Genüsse, dessen, »was man vom Leben hat«, ihre zweite Pflicht erfüllt. Und wenn im Konkurrenzkampf der Nationen, die sich und ihre Manövriermasse an Land und Leuten gegenseitig ausnutzen wollen, für die eine Seite die Bedingungen der anderen unerträglich sind - und wer entscheidet das wohl? -, dann steht die Erledigung der letzten Pflicht an.

5. Aus den Verlautbarungen der deutschen Politiker und ihrer öffentlichen Interpreten, denen am Erfolg der ersteren sehr viel liegt - »Schaffen Sie denn das auch, Herr Minister?« ist die kritischste Frage -, geht hervor, daß es herzlich gleichgültig ist, ob jemand daran glaubt, daß in Afghanistan und Polen »unsere Freiheit« auf dem Spiel steht. Und angesichts des höchstoffiziellen Gerüchts, daß Lang- und Mineistreckenraketen nebst Neutronenbombe denFrieden sichern und auch tatsächlich zu keinem anderen Zweck je benötigt werden, ist die Frage, wer daran glaubt, schon längst lächerlich. Schließlich wird ständig mit strategischen Argumenten für das Zeug votiert; und daß strategische Überlegungen denSieg im Auge haben, also die Überlegenheit imKrieg - den man sich also als »Fall« denken darf-.weiß ein jeder. Erkann sich freilich den Vorkriegstest auf die Nachgiebigkeit des Gegners, der sich, weil unterlegen, der Unterle-genheit anbequemt, auch in »Friedenssicherung« übersetzen: Der Feind braucht in diesem Gedankenexperiment ja nur nachzugeben.

In der Versorgung einer Nation mit strategischen »Informationen«, mit Zahlenmaterial über Panzer, U-Boote und Raketen, die Freund und Feind zur Verfügung stehen, kommt zum Vorschein, wozu der Standpunkt »unseres Interesses« taugt, wenn er zur Selbstverständlichkeit geworden ist. In der westdeutschen Rüstungsdebatte, wo Argumente über die militärischen Mittel zur Sicherung besagter nationaler Interessen fallen, hat man sich längst von der Notwendigkeit emanzipiert anzugeben, was denn eigentlich geschützt wird durch Bundeswehr und NATO-Sprengköpfe. Daß dergleichen notwendig ist, will niemand bezweifeln — und wer im Verdacht steht, es zu tun, wird konsequent als Staatsfeind oder »Gegner der Freiheit« geführt. Auf der Grundlage eines allgemeinen Konsensus über das Militär als das unverzichtbare Mittel der Außenpolitik spielen sich jene demokratischen Gefechte um das Wann, Wieviel und Wozu der Aufrüstungsmaßnahmen ab, in denen sich eine Nation daran gewöhnt, »ihre Interessen« allein unter dem Gesichtspunkt deren gewaltsamer Durchsetzung ständig neu definieren zu lassen.

Die Beiträge zur Diskussion sehen entsprechend aus. Als durchaus sachlich gilt in der Bundesrepublik die Feststellung, daß »wir fest an der Seite der USA« und »im Bündnis« stehen; als zeitlos gültiger Kommentar paßt diese Mitteilung auf jedes neu eingeführte Waffensystem. Mit der Erinnerung daran, daß es diesen »unseren« Staat nur gibt, weil er den maßgeblichen Männern der USA nach dem zweiten Weltkrieg so recht war, entledigen sich deutsche Politiker ihrer nationalen Pflicht, sich gute Gründe für ihre Beteiligung an der politischen Linie der befreundeten Großmacht auszudenken. Anderen eröffnen sie damit die großartige Alternative eines besseren Nationalismus, der »zwar« auch die Zusammenarbeit mit Amerika für einen "Grundpfeiler unserer Sicherheit« hält, aber »unsere speziellen Sicherheitsinteressen« zur Geltung bringen möchte. Für »amerikafeindlich« und »unrealistisch« erachten die beiden für den demokratischen Konkurrenzkampf wirkungsvoll inszenierten Bonner Positionen den moralischen Nationalismus kritischer Demokraten, die zu einer Friedensbewegung angetreten sind. Diese Bewegung hat sich das Verdienst erworben, die Empörung der Betroffenen (»Wir haben Angst!«) gegen die Zuständigen der deutschen Politik zu richten; sie hat die Beteiligung der BRD an der europäischen Abteilung der NATO-Aufrüstung für einen Fehler deutscher Politik erklärt, den sie mit dem Stichwort vom »Kriegsschauplatz Deutschland« kennzeichnen wollte. Und ihr Anliegen, deutsche Weltpolitik ohne die absehbaren Härten militärischen Engagements, also echte Friedenspolitik zu verlangen, ist den linken Kritikern der SPD ausgerechnet an Polen suspekt geworden. Ihr Anspruch auf mehr Unabhängigkeit deutscher Politik, das Beklagen der beschränkten deutschen Souveränität ist der Befürwortung konsequenter Einmischung gewichen. Die vielbeschworene Angst der »Menschen« um den »Frieden« hat sich in die ganz banale Angst der »Deutschen« vor den Russen aufgelöst; die »alternative Sicherheitspolitik« lehnt die letzte Konsequenz des nationalen »wir« nur noch bedingt ab-nämlich mit dem Verdacht, das in Bonn verwaltete »wir« wäre nicht autonom genug für die freie Entscheidung über den »Ernstfall«.

Der Entschluß der US-Regierung, die Konkurrenz der Waffen vor ihrer Abwicklung schon weitgehend zu entscheiden und den Osten »totzurüsten«, erfreut sich hierzulande heftiger Zustimmung. »Die Moskauer Funktionäre spüren, daß im Umgang mit Reagan die Dinge ihren Preis haben« - frohlockt eine angesehene Tageszeitung und bemüht zum hundertsten Male die Theorie von Gleichgewicht und Abschreckung. Ganz nebenbei wird die »ständige Produktion papierner Abrüstungsappelle« seitens der Sowjetunion verhöhnt und »der freie Westen« dazu aufgefordert, erst einmal »nach«zurüsten statt zu verhandeln, also die russischen Angebote zu Makulatur zu erklären. Das wiederum gibt anderen, die ebenso genau wissen, wo »unsere Interessen« liegen, und daß die Nachrüstung sein muß, Gelegenheit, auf anschließenden Verhandlungen zu bestehen. Diese Abteilung wertet prinzipiell jeden Panzer und jede Rakete bis hin zur Neutronenbombe erst einmal als »Verhandlungsposition« statt als Kriegsgerät. Rüstungsdiplomatie in erpresserischer Absicht wird da ohne weiteres als Kritik an den USA verkauft, und auf alle Fälle bestehen westdeutsche Fachleute der Politik auf einer geschmackvollen Präsentation der letzten Entscheidungen von jenseits des Teiches. Den ganzen August 1981 hindurch erwies sich die Neutronenbombe als glanzvoller Anlaß, diese »Gefechtsfeldwaffe« für den Kriegsschauplatz Europa in tiefstem Ernst vor allem in folgender Hinsicht bedenklich zu finden: i. Sind »wir« konsultiert worden? 2. Hat es für die Bekanntgabe des Produktionsbeschlusses denn kein besseres Datum gegeben als den Jahrestag der Hiroshima-Bombe? 3. Könnte dieser Beschluß jetzt nicht den Anti-Amerikanismus in der BRD verstärken und die offizielle Verkaufsstrategie der »Friedenspolitik« unglaubwürdig machen?

Das alles geht als »kritische Diskussion« durch und wird in einem wochenlangen Hin und Her »geklärt«. Nein, wir sind nicht konsultiert worden; dies ist aber auch gar nicht nötig gewesen, da es eine interne Angelegenheit der USA ist... Im übrigen weiß doch ein jeder von uns, daß die Produktion der Neutronenwaffe, was eine bessere Bezeichnung als »-bombe« wäre, längst betrieben wird. Darüber hinaus wird sie jetzt nicht herübergeschafft - im Ernstfall dauert es aber nur wenige Stunden. Der 6. August war in der Tat ein unglückliches Datum, jedoch dem Anti-Amerikanismus ist nur durch sachliche Information beizukommen... Aus einem Schritt der Kriegs Vorbereitung, der sich bereits auf Details der Gefechtsplanung positiv bezieht, wird so eine muntere Übung in Methodenfragen nationaler Politik. Eher werfen sich die um die Macht konkurrierenden und koalierenden Parteien vor, »die deutsch-amerikanischen Beziehungen« zu verschlechtern oder »die Finanzierung des Verteidigungsbeitrags der BRD« zu gefährden, als daß einer der hohen Herren einen einzigen wahren Satz über den Zweck der Neutronenbombe und die Vorhaben des Bündnisses verlauten ließe.

Und doch geben sie in ihren nationalistischen Interpretationen Ständig von den Fortschritten Rechenschaft, die sie in ihrer Handlungsfreiheit erzielt haben. Von der »tiefen Sorge« um die »Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen« über die kundig errechneten Gleichgewichte der Waffenarsenale gelangen sie - im ; Streit darüber, wer die »nötigen Schritte« konsequenter vertritt und deswegen zum Regieren befugt sei - zu immer eindeutigeren Bekenntnissen. Was immer auch die Sowjetunion unternimmt, es gilt mittlerweile als Beleg dafür, daß »Entspannung« und »Sicherheit«, »Frieden« und »Freiheit« letztlich nur durch militärische Überlegenheit zu haben sind. Das bekam Leonid Breschnew bei seinem Besuch in Bonn im November 1981 zu spüren. Es nützte ihm gar nichts, daß er die Bereitschaft zum teilweisen Abbau der vermeintlich im Mittelpunkt westlicher Sorgen stehenden SS 20 mitbrachte. Er mußte erfahren, daß es seinen Gastgebern so ernst mit der Furcht vor dieser »Bedrohung« gar nicht ist. Als diplomatische Botschaft durfte er die Mitteilung mit nach Hause nehmen, daß die westliche Aufrüstung sich unabhängig von den vorhandenen wie unterlassenen Fortschritten östlicher Rüstung abspielt. Um dieselbe Botschaft erneut klarzustellen, hat 6 Monate darauf der amerikanische Präsident seinen Vize auf eine Werbetournee durch Europa geschickt. Dieser hat die Zurückweisung jedes sowjetischen Versuchs, mit den USA in ein diplomatisches (Ab-)Rüstungsgeschäft zu kommen, einfach als prinzipielle »Verhandlungsbereitschaft« verkauft und sie als erfreuliche »Beweglichkeit« ins Europäische übersetzen lassen. Reagan selbst kommentierte vom Weißen Haus aus die aufgeregten Anfragen nach etwaigen Kursänderungen damit, daß es sich bei den »Vorschlägen« um eine längst fällige Propagandakampagne handle und sonst nichts. Sämtliche deutschen Zeitungen haben dies tags darauf korrekt und ohne jede Empörung vermeldet. Offenbar lag den Medien der demokratischen Öffentlichkeit sehr viel daran, im Gefolge der staatlichen Beschlußfassung Abschied zu nehmen von dem so »emotional« ausgetragenen Streit um die »Nachrüstung« - um die Bürger künftig nur noch mit der Frage zu traktieren, ob in Genf »ernsthaft verhandelt« würde. In ihrer Gleichgültigkeit gegen die verhandelten Positionen ist diese Frage geeignet, jeden Fortschritt in Sachen Rüstung in ein Problem des unstreitigen guten Willens der Politiker zu übersetzen, die inzwischen das eine oder andere Gerät dislozieren und ein »Weltraumprogramm« in Aussicht stellen, natürlich zur Friedenssicherung.

Die nach innen notwendige Rücksichtslosigkeit, wie sie in den USA seit Reagan offizielles Programm ist, gilt deshalb auch als das Ideal der Politik in den »schwierigen achtziger Jahren«, vor dem sich jedermann blamiert, der ein gutes Leben dem Nationalismus mit seinen Pflichten vorzieht. Wo die Anwendung staatlicher Gewalt zur unerläßlichen Grundlage all dessen deklariert wird, was sich die Bürger leisten dürfen, zählen das gute Leben und dergleichen Ansprüche nicht mehr - da geht es ums »Überleben«, und zwar nicht um das des Volkes mit seinen kleinlichen Sorgen, sondern um das des Staates. Dessen Repräsentanten und Liebhaber erzählen zweifelnden Christen inzwischen, daß die Bergpredigt zwar für Gehorsam und Opfersinn von Untertanen tauge, keineswegs aber eine zweckmäßige Gesinnung für antisowjetische Strategie vermitteln könne. Pazifisten erfahren von allerhöchster Stelle, daß ihresgleichen den zweiten Weltkrieg provoziert hätten - Hitler hätte sich durch die Friedensliebe auswärtiger Völker hinreißen lassen. Und auch angesichts der täglich aus Übersee eintreffenden Meldungen über MX, Trident und B I nähern sich die dem deutschen Nationalismus verpflichteten Übersetzungen der westlichen Aufrüstung, an der man sich beteiligt, immer mehr dem Klartext, den man so lange wie möglich zu vermeiden suchte: Die Kriegsvorbereitung ist eine ausgemachte Sache, also wird bereits jetzt von allen Bürgern die Konsequenz des Nationalismus eingeklagt, die in allen vormilitärischen Formen der Auseinandersetzung mit dem Ausland angelegt ist. Daß die weltpolitischen Unternehmungen »der Russen« für uns untragbar sind, rechtfertigt inzwischen auch die westdeutsche Innenpolitik, von einer Wirtschaftspolitik neuen Typs - alle »sparen« fürs Militär- bis zu Vereidigungen von Rekruten im Fackelschein. Über den Fortschritt der »weltpolitischen Konfrontation«, auf die wir nur reagieren, unterrichten währenddessen die regelmäßig von Kanzleramt und Außenministerium in der Tagesschau verlautbarten Rundblicke auf alle Konflikte in der Welt, die immer dasselbe beweisen: daß deutsche Friedenspolitik eine immer ernstere Sache wird und - nach und nach - wegen der anderen zum Scheitern verurteilt sei, was dann die vorweggenommene Klärung der Schuldfrage für den Dritten Weltkrieg darstellt. Auch die noch wird sich von der amerikanischen Lesart unterscheiden: wir können den Wunsch der »Amerikaner« nach Überlegenheit verstehen, angesichts der Weigerung der Sowjetunion, wesentliche Positionen kampflos zu räumen. Die Interessen des deutschen Volkes liegen...
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Ergänzungen

Text ist CP von Gegenstandpunkt

LeserIn 22.12.2012 - 11:32

Ergänzung

SCP 22.12.2012 - 16:39
Besonders passend der Begriff der "Erinnerungskultur" und was darunter die JU in MS versteht;).

huhu

mister huhu 25.12.2012 - 11:22

guter artikel, den ihr da aus dem geegnstandpunkt kopiert habt - aber das ist doch keine reichskriegsflagge, sondern eine flagge einer studentenverbindung, die zufälligerweise (oder auch nicht ganz zufälligweise) so aussieht wie die flagge des kaiserreichs.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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mehr als ein Foto — er weiß bescheid

Warum? — SCP