Ein konstruktiver Vorschlag für Indymedia

Vorwärts 18.12.2012 03:31 Themen: Antifa Freiräume Indymedia Medien Repression Soziale Kämpfe
Mir liegt Indymedia sehr am Herzen, weil es stets eine sehr große Bedeutung für die linke Strömung hatte. Was mir heute sehr fehlt, ist die Nutzung von Indymedia als zeitnahe Austausch-Website.
Auch ich finde es sehr schade, dass ich bei de.indymedia.org seit 3-4 Jahren immer seltener Artikel, Erklärungen, Aufrufe, Informationen, Postings... zu aktuellen politischen Themen, Veranstaltungen, Demos etc. finde. Ich habe mich selbst lange Zeit engagiert, um regelmäßig Beiträge oder inhaltlich-ergänzende Kommentare in Indymedia zu verfassen.
Zum Glück sehe ich aber auch, dass es mittlerweile zahlreiche weitere Plattformen für den offenen linkspolitischen InfoAustausch gibt. Das Internet ist im Umfang massiv gewachsen und die Anzahl der politischen User_innen ebenso. Heutzutage kennen wir uns alle deutlich besser aus mit dem Benutzen des Internet und wir wissen, wie mensch dort eigene Inhalte publizieren und verbreiten kann. Vor 10 Jahren gab es noch wenige online-Plattformen, auf denen mensch offen linkspolitische Informationen verbreiten oder Ideen austauschen konnte. Heute muss ich unter hunderten linker Seiten auswählen, wo ich meine Artikel veröffentliche. (Diese Vielfalt ist eigentlich auch schön so!)

Mir liegt Indymedia sehr am Herzen, weil es stets eine sehr große Bedeutung für die linke Strömung hatte. Was mir heute sehr fehlt, ist die Nutzung von Indymedia als zeitnahe Austausch-Website.

Ich würde daher gerne ein altes Kommunikationskonzept wiederbeleben:

Von ca. 2000-2006 habe ich Indymedia und die Demo-Kommunikations-Kultur so erlebt:
- Wenn irgendwo 'ne Demo oder DirectAction stattfand, dann saßen 2-3 Leute (oft mehr) irgendwo am PC mit Internetzugang & Telefon.
- Es gab eine zentrale Infotelefon-Rufnummer dorthin, wo jede_r anrufen konnte (oder SMS), um von der Demo eigene Informationen, Beobachtungen etc. zu melden. (Wo steht die Demo momentan? / Wo lauern Bullen in Seitenstraßen? / Gibt’s irgendwo Zugriffe, Stress, Aktionen? / Wo brauchen kleine Aktionsgruppen gerade Unterstützung, um ein Barrikade zu bauen, eine Kreuzung/Gleise zu besetzen, Festnahmen zu verhindern…?)
- Diese zentrale Tel.Nummer stand auf Flyern, Demoplakaten oder wurde auf der Demo verbreitet.
- Sämtliche Infos (manchmal sogar Photos), die reingekommen sind, wurden von den Leuten an Telefon & PC dann auf einer demo-spezifischen Indymedia-Seite veröffentlicht.
>Selbst wenn mensch krank im Bett lag, konnte der Demoverlauf und Ereignisse per „Liveticker“ detailliert mitverfolgt werden.
- jene Menschen, die selbst auf der Demo unterwegs waren (damals noch ohne InternetHandy) konnten die aktuellen Infos abrufen, indem sie die zentrale InfoNummer anriefen. Dann gab's ein telefonisches Update darüber, wo momentan was passiert... Diese neuen Infos wurden dann innerhalb der Demo verbreitet.

Klar konnten die Bullen die Indy-News ja auch mitlesen, aber WIR waren oftmals schneller und daher erfolgreich mit unseren Aktionen. Zahlreiche Male konnten somit hunderte von demonstrierenden Menschen per InfoTelefon mobilisiert werden zu dezentralen Aktionen abseits der DemoRoute und zu Blockaden oder Störungen.
Vor allem bei Nazidemo-Blockaden kommt es ja darauf an, im Umfeld der Demo einige Blockaden einzurichten oder durch Störungen (hier und da brennt was / Verkehr lahmgelegt...) die Nazi-Demo zu stoppen und zum Abbruch zu zwingen.
Bei solchen Aktionen habe ich Indymedia & das Infotelefon vielfach als Vermittler von Infos und Kommunikationspunkt für gemeinsame Absprachen erlebt.


Dieses Aktionskonzept scheint heute nicht mehr zu funktionieren. Aber warum???

1.) Irgendwie ist unsere linkspolitische Szene mittlerweile etwas paranoid geworden:
Noch vor 5-6 Jahren haben die Menschen innerhalb der Demo viel stärker miteinander kommuniziert, sind aufeinander zu gegangen, haben sich ausgetauscht, Aktionsgruppen miteinander gebildet und dann gemeinsame Störungen und direkte Aktionen veranstaltet. (Das Risiko, dabei möglicherweise mit 'nem Zivi-Bullen zu reden, schien uns damals noch recht unwahrscheinlich)

Heute erlebe ich innerhalb der Demos sehr wenig Austausch untereinander. Einzelne Grüppchen laufen nebeneinander her. Kommen aber nicht in Kontakt. Wenn mensch auf eine andere Demogruppe zugeht, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, dann wird über banale Sachen gesprochen, aber keine_r traut sich mal zu fragen, ob wir jetzt nicht gleich mal an Punkt XY diese oder jene gemeinsame Aktion machen wollen - Weil: Zusammen sind wir stärker.
Es schleicht im Demoblock offenbar ständig die Angst mit, dass mensch dabei von Zivi-Bullen oder Verfassungsschützerin rausgelockt und zu Straftaten provoziert werden soll...
Solche Sorgen sind -angesichts der heutigen staatlichen Überwachungskrankheit- nicht unberechtigt.
Aber wir kennen diese systematische Überwachungs-Verängstigung von Andersdenkenden doch aus der Geschichte hinreichend - ob aus dem 3.Reich, DDR-Stasi-Regime, Iran, China, USA, Kambodscha, Russland, etc.pp...
Das Repressionsprinzip scheint immer wieder zu funktionieren - weil WIR uns nicht trauen, uns gemeinsamen zu organisieren und dabei evtl. Risiken der staatlichen Repression in Kauf zu nehmen.
Wenn wir uns auf die gemeinsame Solidarität innerhalb der linkspolitischen Szene verlassen könnten, dann würden wir sicherlich auch mehr wagen und mehr persönliche Risiken eingehen können.


2.) Ich sehe auf jeder Demo Dutzende oder hunderte Menschen, die Smartphones dabei haben.
Es wäre sooooo einfach, damit umfangreiche Info-Mails, Berichte, Photos und sogar Videos vom aktuellen Geschehen an eine zentrale Infogruppe zu senden oder direkt in Indymedia reinzustellen, damit andere dies abrufen und nutzen können. 'Twitter' könnten wir auch prima nutzen!
Stattdessen werden diese technisch-tollen Smartphones dazu eingesetzt, sich selbst vor Bullenhorden und brennenden Barrikaden zu knipsen (oder zu filmen), bzw. die gesamte Demo als 'cooles PartyEvent' aufzunehmen.
Mich kotzt diese konsumierende Spaßnutzung der neuen Medien total an! Es soll jede_r für sich selbst entscheiden, Facebook und Smartphones zu nutzen... Aber: denkt mal nach, was ihr da macht und wofür!
Dank einiger Handy- u. DigiCam-Videos konnte in den letzten Jahren auch mal den Bullen ans Bein gepisst werden - Manches landete sogar in der Tagesschau und einige Cops wurden wegen dieser Videos halbwegs zur Rechenschaft gezogen.

Wenn wir nun aber schonmal diese mobile Technik mit SMS, Mail, Kamera und Video haben, dann sollten wir das nicht nur dazu einsetzen, um schöne private Ich-War-Dabei-Erinnerungs-Videos zu machen. Wir müssen dies nutzen, um bei Demos & politischen Aktionen untereinander schnell zu kommunizieren, uns gegenseitig zu informieren und zu mobilisieren!
>Eine dezentrale Protest- oder Blockade-Aktion kann heutzutage mit den zahlreichen internetfähigen Smartphones innerhalb der Demo relativ schnell & einfach geplant, angekündigt und verbreitet werden. Vor einigen Jahren haben wir das sogar per SMS geschafft!


Die Demonstrant_innen und Regimegegner_innen des „arabischen Frühlings“ haben das längs verstanden und teilweise erfolgreich genutzt!!!
Warum ist diese Idee hierzulande noch nicht angekommen?
Warum nutzt ihr eure elektronische Kommunikation in der Jackentasche nicht endlich als Medium für Absprache, Mobilisierung und Revolte???

Ich hoffe, dass die moderne Technik nun bald mal politisch sinnvoll genutzt wird und dass sich dadurch endlich mal was in unserer politischen Kommunikation und Vernetzung verändert.

Venceremos!
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Ergänzungen

Dupe

Jochen 18.12.2012 - 11:26
Den selben konstruktiven Vorschlag hast du doch bereits vor 3 Wochen veröffentlich:  http://de.indymedia.org/2012/11/338542.shtml

Nicht die Technik ist das Problem

Henry Debeau 18.12.2012 - 15:13
Ich finde es zwar lobenswert, wenn eine konstruktive Kritik an Indymedia-de eingebracht wird, allerdings führt die Fokussierung auf technische Möglichkeiten zu einer schiefen Sichtweise. Grundsätzliches Problem bei Indymedia-de ist die Sektenförmigkeit der Plattform.

Ursprünglich wurde Indymedia bei den Protesten von Seattle (USA) 1999 gegen die Ministerkonferenz de world trade organisation (WTO) gegründet. Hintergrund war, dass viele Journalisten keine Möglichkeit hatten, positiv oder wenigstens nicht negativ über die damalige globalisierungskritische Bewegung zu berichten. Deshalb wurde damals in Seattle ein independent media center (IMC) eingerichtet, um eine kritische Berichterstatung zu koordinieren und logistisch zu unterstützen.

Tatsächlich war das IMC von Seattle auch nicht eine Laienplattform sondern ein Center für kritische Profijournalisten. Dem liegt auch ein anderer Organisationshintergrund der Linken in der USA zugrunde. Anders als in Kontinentaleuropa gibt es in der USA mit Ausnahme der Gewerkschaften keine großen linken Organisationen. Eine Parteiorganisation mit Traditionsgeschichte ist in der US-Linken eher unbekannt. Dies liegt auch an der Zerschlagung und Verfolgung der Kommunisten unter der McCarthy-Ära.

Nachdem das Seattle-IMC sehr erfolgreich gearbeitet hat, gab es die Idee, dieses Konzept auch für weitere Großevants der globalisierungskritischen Bewegung anzuwenden. Auch in Europa wurden in den folgenden Jahren IMCs eingrichtet. So zum Beispiel 2000 in Prag beim Jahrestreffen von IWF und Weltbank und 2001 in Genua bei dem G8-Treffen.

Schon in Genua 2001 zeichnete sich eine Schwäche des IMC ab. Es verkam sehr schnell zum Treff- und Übernachtungspunkt von allen möglichen "Bürgerjournalisten" und sonstigen medienaffinen Aktivisten und Bloggern, so dass es völlig überfüllt und nicht mehr zugänglich war. Dadurch war es als alternatives Center für kritische Journalisten nicht mehr nutzbar. Zudem wurde am Sonntag nach dem G8-Treffen die anliegende Scoula Diaz von der Polizei überfallen, wo sehr viele Beteiligte des IMC übernachteten.

Trotzdem blieb die Idee des IMC sehr populär und es wurden in vielen Ländern eigene IMC-Internetplattformen gegründet. Auch in Deutschland wurde ein Ableger gegründet. Allerdings wurde in Deutschland der Fokus nicht auf eine Plattform für kritischen Journalismus ausgerichtet, sondern eher als Plattform für "Bürgerjournalisten" und netzaffine Aktivisten. Zudem wurde die IMC-Idee als ureigenste Idee der autonomen Szene begriffen und andere politische Strömungen eher abgeschreckt.

Dies führte dazu, dass Indymedia-de zu einem Demoticker und einem Verlautbarungsorgan der autonomen Szene wurde und andererseits keine breitere Öffentlichkeit anzusprechen vermochte. Zudem schlich sich die antideutsche Bewegung in Indymedia ein und führte zu heftigen Auseinandersetzungen und gegenseitiger Denunziationen. Von der Ursprungsidee eines independent media center für kritischen Journalismus blieb daher nichts mehr übrig, zumal sich auch die meisten professionellen Journalisten nie an Indymedia-de beteiligt haben.

Besonders die weitgehende Ignoranz gegenüber der Occupy-Bewegung bzw. deren Ablehnung in Indymedia-de legt die Negation des ursprünglichen Anliegens von Indymedia, als journalistische Plattform für die globalisierungskritische Bewegung zu dienen, offen. Tatsächlich ist die aus der USA stammende Occupy-Bewegung ein Produkt der gleichen Szene, die 1999 mi den Protesten von Seattle begonnen hat. In Deutschland wurde die Occupy-Bewegung als zusammengewürfelter Haufen mit rechtsradikalen und antisemitischen Tendenzen hingestellt und von der autonomen Szene, die Indymedia-de betreiben, ignoriert oder denunziert. Damit hat sich dann aber auch die Indymedia-Idee in Deutschland erledigt.

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