[W] Hellwach und ahnungslos...

Antifaschistische Initiative Wuppertal 02.12.2012 16:39 Themen: Antifa
Die Wuppertaler „Sicherheits“-Behörden und ihre Nazis

Zum 2. Jahrestag des Naziüberfalls auf das CinemaxX

Mit dem Naziüberfall auf das CinemaxX begann vor knapp zwei Jahren – wie
wir heute wissen – die überregional organisierte Nazioffensive in
Wuppertal. Am letzten Donnerstag „überraschte“ die hiesige
Staatsanwaltschaft die Wuppertaler Öffentlichkeit, dass sie doch noch
Anklage gegen 10 Nazis wegen des CinemaxX-Überfalls vor zwei Jahren
erheben wird.
Dass diese „juristische Neuinterpretation“ jetzt präsentiert wird, hat
natürlich etwas mit dem bundesweit ausgestrahlten Bericht des ZDF
heute-journal über die Wuppertaler Naziszene zu tun. In diesem Bericht
wurde Wuppertal als Geheimtipp für Nazis bezeichnet und – zu bester
Sendezeit - die Tatenlosigkeit der Wuppertaler Justiz und des
Staatsschutzes in Sachen Strafverfolgung nach dem CinemaxX-Überfall
thematisiert.

Während die Wuppertaler Polizei noch mit Polizeichefs wie Markus Preuß
oder Staatsschützern wie Hans Manke die Öffentlichkeitsarbeit bestritt,
die die Naziattacken in Wuppertal als Rechts-Links Auseinandersetzungen
verharmlosten und keine organisierten Nazistrukturen in Wuppertal erkennen
konnten, war in Antifa-Kreisen schon länger klar, dass Nazis aus Koblenz,
Köln, Bad Neuenahr usw. nicht zufällig und bewaffnet dem Wuppertaler Kino
CinemaxX einen Besuch abstatten. Die Wuppertaler Nazis waren spätestens
seit Sommer 2010 fest in die regionalen Strukturen der Aktionsgruppe
Rheinland und des Aktionsbüros Mittelrhein eingebunden. Nazis wie Kevin
Koch, Fabian Mayer und Marie Leder übernahmen z.B. für die bundesweite
Naziszene Organisationsaufgaben bei Demos und filmten Naziaufmärsche und
Propaganda-Clips für das NS-Portal „Medinet West“.
Der (überfälligen) Entscheidung der Staatsanwaltschaft gingen zwei Jahre
unermüdliche Öffentlichkeitsarbeit des Wuppertaler Medienprojekts voraus,
die letztlich die Staatsanwaltschaft durch öffentlichen Druck zwang, doch
noch die geplante Zusammenrottung der überregional angereisten und zudem
bewaffneten Nazis rechtlich zu würdigen. Richtig in Zugzwang gerieten die
Wuppertaler Behörden, als im Sommer 2012 bekannt wurde, dass bei dem
Verfahren gegen die kriminelle Nazivereinigung AB Mittelrhein zwei
Naziaktionen in Wuppertal als überregional organisierte Aktionen des AB
Mittelrhein zur Anklage gebracht wurden.
In der Koblenzer Anklageschrift, die sich auf umfangreiche Aussagen der im
März 2012 verhafteten Nazikader aus dem Rheinland stützt, wird aus dem
angeblich „unorganisierten Tumultgeschehen“ (Staatsanwaltschaft Wuppertal)
im CinemaxX eine von überregional operierenden Nazistrukturen vorbereitete
Aktion, die die Nazioffensive in Wuppertal einleiten sollte. Organisiert
und angeregt hat den Besuch des CinemaxX übrigens die Möchtegern
Nazi-Aussteigerin Marie Leder. Komischerweise berichtete die WZ bereits
wenige Tage nach dem Überfall, das laut Ermittler die Aktion per Telefon
und Internet verabredet war.
Auch die Demo gegen das Autonome Zentrum am 29. Januar 2011 war bereits
vor dem CinemaxX-Überfall terminiert und auf einer Internetseite
vorbereitet.
Noch entscheidender ist aber die Frage, warum die Wuppertaler
Sicherheitsbehörden so zaghaft und ahnungslos gegen die lokale militante
Naziszene ermitteln.
Oberflächlich betrachtet könnte man die gesamte Schuld der
Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher und ihren ebenso hellwachen wie
ahnungslosen Helfershelfern beim Staatsschutz zuschieben. Auch ist der
Skandal um den abgesetzten Vohwinkeler Polizeichef Markus Preuß noch nicht
vergessen.
Aber all diese Peinlichkeiten erklären nicht die Tatenlosigkeit.

Wir wollen daher ein paar Fragen stellen:

Seit dem Frühjahr 2012 versuchen die Sicherheitsbehörden in NRW und
Rheinland-Pfalz, wohl getrieben durch das zutage treten der NSU-Morde, die
organisierten Nazistrukturen in einigen Städten aufzurollen. In Köln wurde
am 10. Mai 2011 die „Kameradschaft Walter Spangenberg“ durch das
Innenministerium verboten. In Dortmund, Hamm und Aachen wurden Ende August
2012 die Kameradschaften durch ein Vereinsverbot aufgelöst und die
Nazistrukturen durch massive Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen von
Computern, Handys, Lautsprecherwagen und -anlagen – vorübergehend -
lahmgelegt. Am 13. März 2012 durchsuchte die Polizei in 4 Bundesländern
Wohnungen von Nazis. Den Nazis aus dem Rheinland wurde die Mitgliedschaft
in der kriminellen Vereinigung AB Mittelrhein vorgeworfen. Bei der Razzia
wurden 24 Personen festgenommen, bis heute befinden sich noch 17
Beschuldigte in Untersuchungshaft. Am 25. April 2012 gab es darüber hinaus
umfangreiche Razzien gegen die gewalttätige Naziszene in Radevormwald, die
unter dem Namen „Freundeskreis Rade“ firmierte. Die juristischen Hebel
waren in beiden Fällen Ermittlungsverfahren und Prozesse wegen
Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen (Nazi)Vereinigung.

1. Was hat die Wuppertaler Naziszene nicht, was die anderen organisierten
Nazistrukturen in den Nachbarstädten haben? Warum sind die Wuppertaler
Nazistrukturen, die sich seit zwei Jahren offensiv unter dem Label
„Nationale Sozialisten Wuppertal“ präsentieren, nicht von den Verboten und
Ermittlungsverfahren wegen krimineller Vereinigung betroffen?

An den fehlenden Straftaten kann es nicht liegen. Nach einer Statistik des
NRW-Innenministeriums steht Wuppertal nach Dortmund an zweiter Stelle, was
die Straftaten von Nazis angeht. Der Naziszene in Wuppertal sind seit zwei
Jahren z.T. schwerste Straftaten zuzuordnen. Neben dem bewaffneten Besuch
im CinemaxX sind das u.a. der Farbanschlag auf das Denkmal der Wuppertaler
NS-Opfer, zwei Messerattacken von Tim Oben-Schulze, eine Attacke von Tim
Oben-Schulze mit einer abgebrochenen Bierflasche, antisemitische
Schriftzüge am jüdischen Friedhof und am Cafe der Synagoge, Bedrohung von
AntifaschistInnen mit einer abgebrochenen Bierflasche (Täter Dennis
Kristmann), Überfälle auf Punks in der S-Bahn (u.a. beteiligt: Rene
Heuke), bewaffneter Überfall auf AntifaschistInnen in der Kaiserstrasse,
menschenverachtende und antisemitische Parolen am 9. November 2011,
geplanter bewaffneter Überfall auf Alternative beim Vohwinkler Flohmarkt,
körperlicher Angriff auf einen Jugendlichen mit türkischem
Migrationshintergrund.
Wuppertaler Nazis z.B. Tobias Maczewski beteiligten sich ebenfalls bei den
militanten Angriffen auf das alternative Wohnprojekt „Praxis“ in Dresden
im Jahr 2010. Dieser Naziangriff ist auch Gegenstand im „AB
Mittelrhein“-Verfahren. Dort schilderte einer der Angeklagten: „Nach dem
Kommando „Rheinland zusammenbleiben“ sei geschlagen sowie mit
Fahnenstöcken und Mülleimern geschmissen worden“.
(Übersicht:  http://www.wuppertal-gegen-nazis.de/vorfalle/)

2. Warum sind die Wuppertaler Nazis nicht in Koblenz mitangeklagt?

Insbesondere das Verfahren in Koblenz betrifft die gleichen
Nazistrukturen, in denen sich die Wuppertaler Nazikader bewegt haben und
sich bis heute noch bewegen. Gegenstand der Anklage sind u.a. Straftaten,
die die überregional organisierte Nazistruktur AB Mittelrhein und AG
Rheinland gemeinsam mit den Wuppertaler Nazis in Wuppertal organisiert
haben. Auch die kriminelle Nazivereinigung in Radevormwald wäre ohne die
Aufbauarbeit und personelle Unterstützung der Wuppertaler Nazis gar nicht
entstanden.
All dies interessiert die Wuppertaler Sicherheitsbehörden nicht. Anstatt
rechtzeitig die organisierten Nazistrukturen in Wuppertal zu erkennen und
eigenständig zu ermitteln, schaut man zwei Jahre konsequent weg, ignoriert
den Aufbau von Nazistrukturen und verharmlost die Naziaktionen.
Gleichzeitig werden AntifaschistInnen kriminalisiert und an
antifaschistischer Arbeit gehindert.

3. Wie viele V-Leute und InformantInnen setzt der Verfassungsschutz und
der Wuppertaler Staatsschutz in der Wuppertaler Naziszene ein?

Dass die Wuppertaler Nazis so lange keine Probleme mit der Staatsmacht
bekamen, kann man nicht allein auf die Ahnungslosigkeit der hiesigen
Staatsschützer schieben, auch wenn die Frage erlaubt ist, wo die
„Staatsschützer“ eigentlich am 29. November 2010 bei der Kinoaufführung im
CinemaxX waren.
Realistischerweise müssen wir auch in Wuppertal davon ausgehen, dass ein
Großteil der lokalen Naziszene quasi im „Nebenberuf“ Informationen an den
VS und an den Staatsschutz verkauft. Das hat für die überzeugten Nazis den
doppelten Vorteil, dass sie zum einen Geldzuweisungen für ihre politische
Arbeit bzw. für ihren Lebensunterhalt erhalten, zum anderen aber auch
nicht von der Polizei an ihrer „politischen Arbeit“ gehindert werden. In
Wuppertal sieht es sogar so aus, dass die verschiedenen überregionalen
Razzien und Strafverfahren von unsichtbarer Hand immer an der Stadtgrenze
Wuppertals Halt machen.
Nach den Erfahrungen mit dem Solinger Brandanschlag vor 20 Jahren wissen
wir, dass der Wuppertaler Staatsschutz und der NRW-Verfassungsschutz zur
Beobachtung der Naziszene bedenkenlos V-Leute anwirbt und Nazistrukturen
wie damals die Kampfsportschule Hak Pao gründet und finanziert, um über
die von ihnen mitgegründeten Nazistrukturen an vermeintlich hochkarätige
Nazis heranzukommen. In Solingen endete das Experiment des staatlich
geduldeten und finanzierten Nazifreiraums bekanntlich mit dem Tod von fünf
türkischstämmigen Menschen.
Auch was jetzt täglich über die Finanzierung und Unterwanderung der
Naziszene durch V-Leute im Rahmen der NSU-Morde herauskommt, ist so
ungeheuerlich, dass wir den Kampf für die Auflösung der
Staatsschutzabteilungen und der VS-Ämter als Teil des antifaschistischen
Kampfes führen müssen.

Der Druck auf die Behörden steigt

Auch wenn der Skandal um die NSU-Mordserie den Wuppertaler
Sicherheitsbehörden keine Beine gemacht hat, gibt es doch, ausgelöst durch
die kritische Berichterstattung über die Wuppertaler Zustände, plötzlich
Bewegung im Justizapparat. Notgedrungen muss man jetzt das nachholen, was
in Koblenz schon längst in der Anklageschrift steht.

So sind jetzt mal auf die schnelle Anklageschriften wegen des
CinemaxX-Überfalls und wegen eines von den dem AB Mittelrhein
organisierten bewaffneten Flugblattverteilens am 22. Januar 2011 in der
Wuppertaler Innenstadt entstanden. Wegen des CinemaxX-Überfalls sollen 10
Nazis auf die Anklagebank, für das „bewaffnete Flugblattverteilen“ sollen
sich Marie Leder, Kevin Koch und der Solinger Nazi Michael Schneider vor
Gericht verantworten.
Ebenfalls eine Anklageschrift liegt jetzt wegen des Überfalls auf linke
Flohmarkt-BesucherInnen vor, hier sind u.a. Michel und Maik Dasberg,
Matthias Drewer und Rene Heuke u.a. wegen schwerer Körperverletzung
angeklagt. Darüber hinaus beginnt am 20. Dezember 2012 ein Prozess wegen
eines Überfalls in der S-Bahn.

Wir sind sehr gespannt auf die Qualität der Anklagen und darauf, ob sich
der ein oder andere Mitarbeiter der Behörden im Prozess verrät. Und wir
sind gespannt darauf, wie sich die angebliche Aussteigerin Marie Leder im
Prozess verhält...


Antifaschistische Initiative Wuppertal - 02.12.2012


weitere Infos:

 https://linksunten.indymedia.org/node/51997

 http://www.youtube.com/watch?v=uyEHbSIihw0

 http://antifacafewuppertal.blogsport.eu/
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