Barcelona 1996: Krawalle nach Räumung

Okupa 22.11.2012 19:25 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Wenn Häuser und Zentren der autonomen Bewegung geräumt werden, spekulieren die Investoren und Sicherheitsstrategen auf ein schnelles Vergessen der direkt und mittelbar politisch Betroffenen. So war es in Berlin bei der Mainzer Straße und den vielen anderen Häusern. In Bezug auf die Liebig 14 lässt eine Auswertung diverser Presseartikel den Schluß zu, dass dieses Kapitel noch nicht abgeschloßen ist.
Anhand eines Beispiels aus Barcelona soll ein ganz kurzer Einblick in die Räumungsgeschichte von Projekten vorgenommen werden. Dadurch können vielleicht einige Erkenntnisse über zukünftige Reaktionen auf derartige Ereignisse gewonnen werden.

Neben zahlreichen anderen Hausbesetzungen wurde am 10. März 96 das alte ``Cine Princesa'' an der c/Laietana besetzt, eine der am stärksten befahrenen Durchgangsstrasse in Barcelona.
Um die Räumung des Cine Princesa zu verhindern, gab es eine Kundgebung am 18.10. ins Zentrum der Stadt. Am 20.10. organisierten die Okupas einen Musik-Marathon während 12 Std., an dem etwa 300 Personen teilnahmen. Zahlreiche KünstlerInnen und Intellektuelle unterstützten das Projekt. Von diesem Tag an wurde das Cine von den Bullen permanent überwacht. Der Räumungsbefehl wurde am 25.10. unterschrieben, im Wissen um die aufgenommenen Verhandlungen der Anwälte der Okupas mit den Besitzern des Cines.

Das Polizeiaufgebot für die Räumung des seit 6 Monaten besetzten Cine Princesa übertraf so ziemlich alle Versionen von Räumungen der damaligen Zeit. Kurz vor 6 Uhr morgens tauchen 20-30 Kombis der Policia Nacional (antidisturbios), zwei Helikopter, eine ziemliche Anzahl von Spitzeln, Mossos und drei Ambulanzen. Den Verkehr umgeleitet, schossen sie während einer halben Stunde mit Gummi und Schrot (cartuchos) drauf los, und nach den üblichen Megaphon-Aufforderungen versuchten sie, in das Gebäude einzudringen, wurden aber mit Flaschen, Steinen etc. davon abgehalten. Da sie die Tür unten nicht aufbrechen konnten, und die Feuerwehr ihnen jegliche Unterstützung verweigert hatte (Leitern, ...), mussten sie diejenigen der Telefónica benutzen. Von Terrassen des Cine und Nachbarhäusern aus begannen sie, mit Gummigeschossen, Gaspetarden und Wasserschläuchen auf die Okupas zu schiessen, und drangen nach beinahe dreistündigem Widerstand und Gerangel ganz in das Cine ein. Zu Hilfe gekommen sind ihnen auch noch die Mega-Scheinwerfer, mit denen sie die Okupas komplett blendeten. Um 8 Uhr 30 beförderten die Bullen die letzten Okupas heraus. - Die glorreiche Bilanz zählte 48 Verhaftete (6 davon angeklagt), 25 Verwundete, einige von ihnen schwer (und 7 verletzte Bullen). Ausserhalb des Cines befanden sich etwa 500 Personen, und die Unruhen dauerten bis 11 Uhr an. Abends um 8 Uhr wurde eine Demo bei der ``Puerta del Angel'' einberufen, die dann zur ``Jefatura Superior de Policia'' zog (die Rede ist von 500 bis zu 2000 Personen). Natürlich empfing das Gebäude etliche Wurfgegenstände. Und die Bullen waren erneut auf der Strasse mit ihren Kombis und Gummigeschossen, und es gab erneut Verletzte. Die Konfrontationen mit den Bullen zogen sich bis in den nächsten Morgen hinein. Die Reaktion daraufhin fiel dementsprechend harsch aus: Alle Parteien und Gewerkschaften - ausser der Partido Popular - verurteilten die überdimensionierte und unverhälnismässige Polizeiaktion während die Rechte ausrief, man ``dürfe es nicht zulassen, dass es Leute gibt, die mit Gewalt ein privates Eigentum besetzen'', und die Sicherheitskräfte um ihre ``Entschlossenheit'' lobte.
Sieben Jahre später urteilte ein Gericht, daß die Räumung illegal war und sprach die Okupas frei  http://ania.urcm.net/spip.php?article4381
Auch auf faschistischen Polizeiforen sorgt dieser Einsatz für Diskussionen  http://www.foropolicia.es/foros/viewtopic.php?f=1&t=15123&start=4050

Dokumentation:  http://www.dailymotion.com/video/x6djbf_okupa-cronica-de-una-lucha-social_creation
Video der Räumung 1996:  http://www.youtube.com/watch?v=llUc5k2NVrk ,  http://www.youtube.com/watch?v=WSa0k4bXkMc&feature=relmfu

Wutdemo nach der Räumung:  http://www.youtube.com/watch?v=gVnSBJYZS8Q&feature=relmfu


Barcelona ist vermutlich eine der ersten Städte in Europa gewesen, die unter einer modernen Gentrifizierung gelitten haben. Die Bewegung der Hausbesetzer wurde teilweise brachial weg geknüppelt, teilweise hat sie sich durch Traveler und Drogen Anfang der 2000er Jahre selbst abgeschafft.
Erst mit einer erneuten Teilnahme an den sozialen Kämpfen der Gesellschaft konnten Autonome und Anarchisten wieder an dem Konfronationsniveau teilhaben, welches gegenwärtig bei Generalstreiks und Bildungsprotesten sichtbar wird.
Freiräume haben als Instrument einer Antistaatlichkeit ihre Berechtigung und der teilweise symbolische Kampf der Häuser muß sich auch nachher noch gegen die neuen Nutznießer einer Räumung richten, jedoch sollten Besetzungen nicht zum Selbstzweck werden.

Die Regierung in Barcelona hatte die Okupas eigentlich schon besiegt, trotzdem finden die Krawalle zu den unterschiedlichsten Anläßen immer noch im Zentrum der Macht statt.
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Ergänzungen

Demonstration in Athen

Attiki 22.11.2012 - 19:36
Demonstration am 1.Dezember in Athen für selbstbestimmte Projekte und Besetzungen. Solidarität mit dem Delta Squat und gegen den Terror paramilitärischer Banden.