Friedrichroda: Antifa-Demo gegen die Ignoranz

Antifaschistische Aktion Arnstadt-Ilmenau 22.11.2012 08:53 Themen: Antifa
In Friedrichroda herrschte am vergangenen Sonntag Ausnahmezustand. Nicht etwa, weil die Nazis dort mal wieder aufmarschierten oder die deutschen Verbrechen kollektiv verharmlost werden sollten – daran hatte man sich am Volkstrauertag gewöhnt –, sondern weil eine antifaschistische Demonstration die besinnliche Ruhe im Fackelschein störte.
Vor beschaulicher Kulisse demonstrierten rund 100 Antifaschist_innen lautstark durch den Thüringer Wald. Nur einige Häuser und Straßen legten die Vermutung nahe, hier könnten auch Menschen wohnen. Ganz wenige Exemplare der Eingeborenen zeigten sich am Wegesrand und verstärkten mit verschränkten Armen, zusammengekniffenen Gesichtern und kopfschüttelnd, was man eh schon wusste: Hier ist die Antifa nicht willkommen. Denn seit Jahren wissen der Bürgermeister und die Lokalpolitik von Friedrichroda sehr genau, wie man erfolgreich mit Traditionsaufmärschen der Nazis umgeht. Man ignoriert sie. Der Erfolg, den sich genannte herbeireden, besteht dann darin, dass es über die Jahre fast jedes Jahr mehr wurden. Die Friedrichrodaer_innen aber, wo sie nicht selbst teilnahmen, versteckten sich in ihren Häusern und nur das gelegentliche Zucken des Vorhanges ließ den Schluss zu, dass es sich bei der Ignoranz nicht doch auch um eine kollektive Wahrnehmungsstörung handelt. Ob in Friedrichroda nun aus Angst, Sympathie, Desinteresse oder Dünkel so gehandelt wird, wissen wir nicht. Es wird sicher alles so seine Rolle spielen. Die bescheidene Öffentlichkeit, namentlich die Lokalpostille aus Gotha, trägt jedenfalls ihren Anteil daran. Die Berichterstattung im Vorfeld und im Nachhinein tendierte gegen Null.
Ein paar Aufrechte fanden sich dann aber doch, die sich millimeterweise vom Friedrichrodaer Ignorantenstadl absetzten, nämlich die Christen der Nachbargemeinde. Da der Pfaffe aus Friedrichroda Parteigänger der Ignoranzstrategie ist, mühte sich eben der Nachbarspfarrer nach Friedrichroda und betrieb im Feuereifer Symbolpolitik, indem er den Nazis ihren Platz weganmeldete und dort eine Singstunde veranstaltete. Die Nazis störte das wenig, der nächste Parkplatz war direkt gegenüber. Aber auch bei den Freund_innen des Bibelkreises um genannten Pfarrer wurde man den Eindruck nicht los, dass es sich bei der Singstunde eher um eine Gegenveranstaltung zur Antifa-Demo handelte. Von einer Dialogbereitschaft, wie das bei dem ganzen Ökumenegedöns immer so heißt, war jedenfalls nichts zu spüren, die Reihen des Singkreises blieben fest geschlossen. Die Devise war: nichts Hören, nichts Sehen, nur Singen. Gott allein wusste warum. Vermutlich hatte man die Atheisten, Agnostiker und Häretiker der Antifa-Demo eh aufgegeben.
So endete die Antifa-Demo nach drei Kundgebungen, fünf Redebeiträgen und viel Lärm, wo sie begonnen hatte und die Bürger der Kleinstadt atmeten auf, dankbar darüber, dass die Polizei verhindert hat, dass die Antifas ihnen den Vorgarten zertreten und sie nun endlich wieder ungestört ihren Helden gedenken oder die Glotze einschalten konnten.
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Ergänzungen

Redebeitrag der Antifa Arnstadt-Ilmenau

Antifa Arnstadt-Ilmenau 22.11.2012 - 09:24
Die deutsche Gedenkpolitik war und ist geprägt durch verschiedene Formen, die die Vergangenheitsbewältigung in diesem Land reflektieren. Übrigens: Bewältigung der Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes als „Erledigen“ oder im Wortstamm bleibend: „Überwältigen“. Bewältigt wird die Vergangenheit in Gedenkzeremonien zumeist durch das diffuse Erinnern an die Gräuel, wahlweise des Krieges oder der sogenannten Diktaturen und durch präzises Vergessen von konkreten Zusammenhängen und Ereignissen. Roger Willemsen schreibt dazu ganz richtig: „Jeder Hinweis auf die Kontinuität dieser Geschichte zwischen Drittem Reich und Nachkriegsdemokratie auf die persönliche Mitwirkung von Politik, Industrie oder Kirche wäre ein Sündenfall der Gedenkreden, ja sie wäre der vagen Erhabenheit des Anlasses nicht gemäß.“ Die Gedenkreden zu diversen Anlässen arbeiten daran, „Geschichte in Geschichtsverlust zu verwandeln, indem sie abstrakt und sentimental werden, und vergessen lassen, daß Schweigen heroischer wäre als jene effizienteste Form des Verschweigens, 'Vergangenheitsbewältigung' genannt.“ Die wesentlichen Triebkräfte deutscher Vergangenheits- und Gedenkpolitik heißen Verharmlosung, Verleugnung und Verdrängung. In ihrem Spannungsverhältnis steht auch jener Gedenktag, der jeden zweiten Sonntag vor dem ersten Advent wieder auf dem Plan steht und der bereits 1919, freilich mit noch anderem geschichtlichen Hintergrund, in der Weimarer Republik begangen wurde und während des deutschen Nationalsozialismus direkter als „Heldengedenken“ gefeiert wurde.
Der Volkstrauertag, wie er heute überall begangen wird, ist eine widerliche Veranstaltung; ein Datum, das in Deutschland, wie kein anderes, für die Umdeutung, Verharmlosung, Verdrängung und Verleugnung der deutschen Geschichte steht, wenn die unfassbaren deutschen Verbrechen, also der administrative Mord an Millionen Menschen, ebenso wie die deutsche Täterschaft im unterschiedslosen Gedenken an die „Kriegstoten“ und sogenannte „Opfer von Gewaltherrschaft“ untergeht bzw. dem Vergessen preisgegeben wird. Es ist die Aufgabe materialistischer Gesellschaftskritik die Entlastungsversuche der Deutschen abzuwehren und die Geschichte, vor allem die des Nationalsozialismus, als das offen zu legen, was sie war und ist: eine Barbarei, die von den Deutschen in die Welt gebracht wurde, nur durch militärische Mittel niederzuringen war und die, was die Bedingungen ihrer Existenz angeht, bis heute fortdauert. Es war Walter Benjamin, der 1940 in seinem Vermächtnis, bevor er sich, verfolgt durch die Deutschen, in den Tod flüchtete, schrieb: „In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen.“ Dieser Konformismus der bürgerlichen deutschen Gedenkpolitik besteht heute darin, das Leid und die Vernichtung von Millionen Menschen vergessen zu machen, indem man es zum beliebigen Fixpunkt einer 'Mahnung für Frieden und Demokratie' erklärt und damit nachträglich rechtfertigt. Der antisemitische Wahn der Deutschen, dieses „Produktionsverhältnis des Todes“ (ISF) in einem Land, das seine innere Einheit in der Vernichtung der Juden gefunden hat, wird ausgeblendet und Auschwitz zu einer Stätte des Todes neben vielen anderen. Die deutschen Mörder werden so zu gewöhnlichen Opfern von vermeintlichen „Naturgewalten“, namentlich: Krieg und Diktatur. Statt also Geschichte zu begreifen als Trümmerhaufen, der solange weiterwächst solange die kapitalistische Entmenschlichung weitergeht, verdrängt die bürgerliche Gedenkpolitik das Leid aus dem Zentrum der Geschichte und kann aus dem Mord noch Kapital schlagen.
Die nationalsozialistische Barbarei ist Geschichte. Sie wurde beendet, nicht von den Deutschen, nicht vom oft beschworenen „anderen Deutschland“ oder vom „deutschen Widerstand“, sondern durch eine militärische Übermacht der alliierten Streitkräfte, die den Vernichtungswillen der Deutschen nur mit Bomberflotten und Panzerverbänden brechen konnten. Das sollte bedenken, wer heute für den Frieden mahnt: Dass es Schlimmeres geben kann als den Krieg. Das ist die Lehre aus der deutschen Geschichte, die jeden Pazifismus blamiert, dass es nämlich Übel gibt, von denen nur eine starke Armee befreit. Wolfgang Pohrt schrieb einmal zutreffend über die Deutschen: „Die Armee als wirklichen Befreier und den Krieg als wahren Sachverwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit in die Weltgeschichte eingeführt zu haben, ist das verhängnisvolle Verdienst dieses Landes.“ Und diesen Befreiern, den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, den Partisaninnen und Partisanen, den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern gilt unser Dank und unser Gedenken. Millionen von ihnen haben im Kampf gegen die deutsche Volksgemeinschaft und ihre Verbündeten ihr Leben gelassen und werden noch heute durch die nivellierenden deutschen Gedenkrituale verhöhnt.
Walter Benjamin schrieb fast fünf Jahre vor dem Ende der deutschen Barbarei, was heute noch gilt, wenn die durch die Deutschen Ermordeten mit ihren Mördern in das selbe Gedenken einbegriffen werden: „auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“ Die Lehre Benjamins, dass die Toten vor dem Feind, der zu siegen nicht aufgehört hat, nicht sicher sind, zeigt sich an keinem Tag deutlicher als am Volkstrauertag. Wem das immer noch nicht einleuchtet, dem verschafft vielleicht folgender Ausspruch Klarheit. Das folgende Zitat stammt aus der Rede Christine Lieberknechts zur zentralen Volkstrauertags-Gedenkveranstaltung 2011 in Mühlhausen. Lieberknecht wird hier nur beispielhaft herangezogen, nicht etwa, weil sie besonders prominent ist oder es besonders klug macht, sondern weil sie plump, ohne groß nachzudenken äußert, was man hier so über die Geschichte zu meinen hat: „Wir wollen aller Kriegsopfer gedenken und den Angehörigen Trost spenden. Die Schicksale dieser Menschen mahnen uns, für Frieden und Freiheit einzutreten und stets nach demokratischen Lösungen zu suchen. [...] Eine wichtige – die über allen stehende – Botschaft ist, für Frieden einzutreten und demokratische Lösungen, anstelle militaristischer Auseinandersetzungen. Versöhnung über den Gräbern ist ihr Leitgedanke. […] Die furchtbaren Kriege des 20. Jahrhunderts mit Millionen Toten, die Opfer von Diktatur und Gewaltherrschaft dürfen niemals vergessen werden.“
Die Lieberknechts, wie der deutsche Common Sense, differenzieren nicht zwischen Opfern und Tätern und machen immer wieder aufs Neue Adornos Satz wahr, dass die Ermordeten noch um das einzige betrogen werden sollen, was ihnen unsere Ohnmacht schenken kann: das Gedächtnis. Im Lamento über die „Kriegsopfer“ und die „Opfer von Diktatur und Gewaltherrschaft“, unter die man gerne auch die Mauertoten der DDR zählt, verschwindet die deutsche Täterschaft mit dem Spezifikum des deutschen Verbrechens. Heute sollen Frieden und Demokratie vor einer neuen Gewaltherrschaft schützen. Dabei haben schon 1933 weder Frieden noch Demokratie sich als Mittel erwiesen, den Faschismus zu verhindern, denn Hitler hat sich nicht an die Macht geputscht, sondern ist demokratisch gewählt worden und der Frieden, den große Teile der Arbeiterbewegung mit dem Faschismus schlossen sowie die friedensbetonte Appeasementpolitik der Alliierten haben die Nazis nicht aufhalten können. Doch es kommt noch schlimmer: Lieberknecht, eine Nachfahrin der Täter, Apologetin einer Ideologie, die im Zweifel wieder zum Faschismus neigen wird, fordert gar „Versöhnung über den Gräbern“ ein; ein Gestus der vielleicht denen zukommt, denen die Gräuel widerfahren sind, aber bestimmt nicht den Nachfahren der Täter. Es stimmt also nach wie vor der Satz Paul Spiegels, dass sich hinter den Rufen nach Versöhnung die Mörder verschanzen.
Die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen, die in den Faschismus führten, bestehen fort. Adorno macht das u.a. an fortbestehenden kapitalistischen Charakterdispositionen fest, die sich nicht geändert haben, weil sich die Weise der Vergesellschaftung nicht geändert hat. Er schreibt: „Die ökonomische Ordnung und, nach ihrem Modell, weithin auch die ökonomische Organisation verhält nach wie vor die Majorität zur Abhängigkeit von Gegebenheiten, über die sie nichts vermag, und zur Unmündigkeit. Wenn sie leben wollen, bleibt ihnen nichts übrig, als dem Gegebenen sich anzupassen, sich zu fügen; sie müssen eben jene autonome Subjektivität durchstreichen, an welche die Idee von Demokratie appelliert, können sich selbst erhalten nur, wenn sie auf ihr Selbst verzichten.“ Dieses Durchstreichen von autonomer Subjektivität und die Anpassung ans Gegebene entspricht der Charakterdisposition des potentiellen Faschisten, den das bürgerliche Subjekt darstellt. In der rückhaltlosen Identifikation mit dem Volk oder der Nation findet dieses Subjekt Ersatzbefriedigung für alles, was ihm eine Ordnung verwehrt, deren einziger Zweck darin besteht ohne Rast Tauschwerte zu akkumulieren. Dass nun dieses Kollektiv, als letzter Rückhalt vor der Einsicht in die eigene Nichtigkeit, ein Hort des Verbrechens war und ist, damit muss das bürgerliche Subjekt, das ein solches bleiben will, erstmal fertig werden. Und das geht gerade dann am besten, wenn sich herausstellt bzw. wenn man daran glauben kann, dass die deutschen Verbrechen nicht so schlimm, diverse Ausrutscher oder einige schlimme Ereignisse unter vielen waren, die der Krieg so mit sich bringt, an dem die Deutschen ohne das wissen zu wollen, die Alleinschuld tragen. Verharmlosung, Verleugnung und Verdrängung waren schon immer die Triebkräfte deutscher Gedenkpolitik und somit auch die Grundlage dafür, jegliche geschichtliche Einsicht abzuwehren.
Einem solchen Geschichtsbild, so verbreitet und allgemein anerkannt es auch sein mag, müssen wir als Antifaschist_innen widersprechen und, in Benjamins Worten, die Überlieferung dem Konformismus abgewinnen, indem wir die Schuldabwehr und Geschichtsverleugnung der deutschen Gedenkpolitik immer wieder zurückweisen, die in ihrem Ergebnis stets darauf hinauslaufen wird, dass man Auschwitz vergessen lassen möchte, um unbeschwert von vorn anzufangen. Der falschen Aufarbeitung der Vergangenheit durch die deutsche Gedenkpolitik, die sie vergessen machen möchte, ist eine wirkliche entgegenzusetzen, die darauf abzielen muss, die Ursachen des Vergangenen mit der Gesellschaftsordnung zu beseitigen, in der sie fortwesen.

Redebeitrag Demobündnis

Antifa Bündnis Gotha 22.11.2012 - 09:26
Seit 1952 findet in der BRD jeweils zwei Sonntage vor dem ersten Advent der Volkstrauertag statt. Dieser Gedenktag soll dazu dienen, den Toten beider Weltkriege zu gedenken: den Deutschen, aber auch deren Gegnern. Wie kaum ein anderer Gedenktag öffnet dieses Datum dem deutschen Geschichtsrevisionismus und Revanchismus Tür und Tor. Unterschiedslos wird am Volkstrauertag jenen gedacht, die die offene Barbarei über Europa brachten, sechs Millionen Jüdinnen und Juden sowie politische Gegner ermordeten und jenen, die diesen Terror mit Waffengewalt niederschlugen oder ihm zum Opfer fielen. Seit einigen Jahren wird auch den Opfern der DDR und des Stalinismus am Volkstrauertag gedacht. Die Verwischung der Grenzen zwischen Opfern und Tätern und der geschmacklose, NS-verharmlosende Vergleich von DDR und Drittem Reich scheinen perfekt.

Durch die Vermischung verschiedener wirklicher und vermeintlicher Opfergruppen und Zeitepochen verschwinden Ursache und Wirkung von Krieg und Massenmord in NS-Deutschland. Nach den Verweisen auf sogenannte "dunkle Kapitel" deutscher Geschichte können sich die Deutschen unverblümt als Opfer inszenieren und setzen die Ermordeten von Auschwitz, Belzec, Treblinka und anderen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern in eine Reihe mit den Mördern, welche diesen Horror erst möglich machten. Einen solchen geschichtsvergessenen Gedenktag möchten wir, die wir uns in der Tradition des antifaschistischen Widerstandskampfes begreifen, nicht tolerieren.

Wir gedenken nicht der deutschen Täter und lehnen die Verwischung der Grenzen zwischen Opfern und Tätern ab. Wir gedenken der Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden, der unzähligen Kommunistinnen und Kommunisten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, und allen anderen Menschen, die, gegen den faschistischen Terror kämpfend, ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition sowie den Partisaninnen und Partisanen, die im Kampf für die Befreiung Europas ums Leben kamen. Dazu bedarf es eines Volkstrauertages nicht.

Es geht uns nicht darum, den Angehörigen der im Krieg getöteten das individuelle Gedenken an ihre Angehörigen zu versagen. Jedoch ist dort, wo aus dem individuellen Gedenken an die im Krieg gestorbenen Verwandten und Freunde ein kollektiver Akt wird, dieser zu hinterfragen. Im Falle des Volkstrauertages hat sich eine Tradition etabliert, an dem vielerorts politische Kräfte zusammen kommen, die die Kriegsschuld Deutschlands oder sogar die deutschen Verbrechen offen leugnen oder verharmlosen. Wir meinen, das ist kein Zufall, sondern liegt bereits in den grundlegenden Interessen, die durch die Zelebration dieses Tages zum Ausdruck kommen, begründet: einem Kollektiv, das auf Ausschluss und Diskriminierung beruht, dem Volk, ohne Ansehung von dessen geschichtlichen Verbrechen zu gedenken, kann nur dazu dienen, die Identifikation mit ihm zu verstärken. Wir wollen keine Identifikation mit einer Gemeinschaft, die, egal, wie weit sie sich zu öffnen vermag, in ihrem Wesen immer noch auf der Blut- und Bodenideologie aufbaut. Wir treten für ein solidarisches Miteinander aller Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sexualität, etc. ein.

Es kann also kaum verwundern, dass die Nazis diesen geschichtsrevisionistischen Gedenktag für sich entdeckt haben. Hier findet keine Vereinnahmung und keine Instrumentalisierung statt, sondern die Nazis begehen diesen Gedenktag, weil das hinter ihm stehende Interesse ihr eigenes ist. Auch sie leugnen oder verharmlosen die deutschen Verbrechen und auch sie wollen die Wiederherstellung einer starken deutschen Kollektiv-Identität. Das ist ihr Anliegen in diesem Jahr, wie in vielen Jahren zuvor, in Friedrichroda, das sich widerstandslos als zentraler Gedenkort für das faschistische Heldengedenken hergegeben hat. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen bzw. mehr oder weniger wohlwollend toleriert, findet heute der zehnte, von den Nazis so genannte, Heldengedenktag statt. Nach dem Vorbild des historischen Nationalsozialismus begehen NPD und sogenannte "freie" Kräfte diesen Tag also nicht als Volkstrauertag, sondern unumwundener und pathetischer als Heldengedenktag. Der Volkstrauertag, der seit 1919 bereits in der Weimarer Republik begangen wurde, wurde im Jahr 1934 von den Nationalsozialisten in Heldengedenktag umbenannt und sollte von nun an der Verehrung der sogenannten "deutschen Helden" dienen, also vor allem jenen deutschen Männern, die als Soldaten im Auftrag der deutschen Großmachtpolitik ihr Leben verloren. Nach der Niederschlagung Nazideutschlands wurde der Tag ab 1952 wieder offiziell als Volkstrauertag begangen. Vor zehn Jahren begannen die Thüringer Nazis um Michael Burkert diesen Tag wieder als Heldengedenktag in Friedrichroda zu etablieren und veranstalteten hier ihren zentralen abendlichen Fackelmarsch, nachdem die Nazis in ihren Heimatgemeinden bereits am Vormittag Kränze vor Kriegsdenkmälern ablegten. Dass sich die Nazis das Kriegsdenkmal in Friedrichroda zum abschließenden Gedenken ausgesucht haben, verwundert kaum. In den Stein ist die Inschrift "Für Heimat und Vaterland" eingeprägt. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Teilnehmer stetig auf bis zu 140 Personen.

Der Fackelmarsch in Friedrichroda ist zu einem festen Termin im Thüringer Eventkalender der Neonazis geworden. Dem möchten wir in diesem Jahr, wie bereits 2009, wieder etwas entgegensetzen. Wir demonstrieren heute hier, um den antifaschistischen Widerstand auch ins provinzielle Friedrichroda zu tragen und ein lautes Zeichen gegen diese ekelhafte Zusammenkunft von Nazis und Geschichtsrevisionisten zu setzen. Wir wollen gemeinsam für die unzähligen Opfer des Naziregimes, des rechten Terrors und gegen die deutsche Gedenkpolitik auf die Straße gehen. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass dieser Aufmarsch in Zukunft nicht mehr stattfinden kann und in Friedrichroda und anderswo für einen emanzipatorischen Antifaschismus eintreten.

In diesem Sinne:

Volkstrauertag abschaffen!
Nazis, Geschichtsrevisionismus und deutsche Opfermythen bekämpfen!

Redebeitrag Autonome AnarchistInnen Gotha

Autonome AnarchistInnen Gotha [AAGTH] 22.11.2012 - 09:30
Seit nun mehr 10 Jahren nutzen Thüringer Neonazis den Volkstrauertag um in Friedrichroda die faschistischen Täter von damals zu ehren. In den Abendstunden und bei Fackelschein geben sich NPD´ler und freie Kameradschafts-Nazis die Klinke in die Hand. Dieser mittlerweile etablierte Termin im Nazi-Eventkalender zog in den letzten Jahren um die 100 bis 150 Neonazis an.
Sowohl der Veranstaltungsort als auch der Termin bieten sich für die Nazis geradezu an. Zentraler Punkt der Veranstaltung ist das Gefallenendenkmal, welches vom Spruch „Für Volk und Vaterland“ geziert wird. Von der örtlichen Bevölkerung werden die Nazis weitestgehend hingenommen, von einem bürgerlichem Protest ist weit und breit keine Spur. 
Ebenso wie Kriegerdenkmal und gleichgültiges Kleinstadt-Idyll, passt auch die Beschaffenheit des Volkstrauertages in das Konzept der Neonazis. Der Volkstrauertag macht keinen Unterschied zwischen den Opfern des Faschismus und den Tätern. Dieser 1919 eingeführte Feiertag wurde 1934 von den Nationalsozialisten in „Heldengedenken“ umbenannt und diente von da an hauptsächlich der Verehrung gefallener deutscher Soldaten. Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland wurde der Volkstrauertag 1952 wieder offiziell begangen. Dieser Feiertag muss nicht erst mühsam umgedeutet und vereinnahmt werden, er passt so wie er ist in das Weltbild eines Neonazis. 

Tagsüber beteiligen sich die Nazis an lokalen Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen, und abends pilgern sie dann nach Friedrichroda. Erstmals vor 10 Jahren wurde diese Veranstaltung von Michael Burkert ins Leben gerufen. Seine Laufbahn begann bereits in den 90er Jahren. Hier in Friedrichroda war er der Kopf des „Skinheadclubs 88“. Kurz darauf engagierte er sich im "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW). Ab dem Jahr 2002 versuchte er die Neonazi-Szene in Thüringen stärker zu vernetzen. Dazu veranstaltete er mehrere sogenannter „Runden freier Nationalisten“, an denen sich zwischen 60 und 230 Neonazis beteiligten. Neben seinen Bemühungen die rechte Szene zu vernetzen und zu organisieren unterstützte er Jungnazis beim Aufbau lokaler Strukturen, so zum Beispiel Jennifer Jägers „Nationaler Jugendbund Ilmenau“.
Desweiteren hat er eine gute Beziehungen zu Patrick Wieschke und war mit ihm im Thüringer Heimatschutz aktiv. Gegenüber einem Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes sagte er im Bezug auf die Verhinderung des geplanten Bombenattentats gegen ein jüdisches Zentrum im Jahr 2005 fest überzeugt „dass eine Braune-Armee-Fraktion ähnlich wie in München auch in Thüringen agieren werde.“ Er selbst wolle an deren Aufbau aktiv mithelfen. Ob er am Aufbau des „NSU“ mitgeholfen oder sie in sonst einer Form unterstützt hatte wissen wir nicht. Was wir aber aus solchen Aussagen schlussfolgern können ist das es sich bei Michael Burkert um einen Befürworter von faschistischem, antisemitischem und rassistischem Terrorismus handelt. Bevor er sich 2007 aus der aktiven Politik zurückzog leitete er 3 Jahre lang den mitgliederstärksten NPD Kreisverband Erfurt-Gotha.

Seit 2009 wird die Veranstaltung von Sebastian Reiche (Vorsitzender NPD Kreisverband Gotha) angemeldet. Er tritt dort ebenso als Hauptredner auf und macht eindeutig klar worum es ihm und seinen Kamerad_innen geht. Vor dem Kriegsgräberdenkmal schwadroniert er von großen Taten, Strömen von Blut und dem Vaterland, für eine feierliche Stimmung a´la 1933 sorgen Fackelschein und Wehrmachtsberichte die verlesen werden. Höhepunkt dieser reichlich okult anmutenden Zeremonie stellt Reiches Geisterbeschwörung dar, bei der er die Gefallenen aus Wehrmacht, Waffen-SS, Volkssturm, und so weiter, in die Reihen zurückruft. Zum Abschluss werden die Geister dann durch die schrecklichen Gesangskünste der Kammerad_Innen wieder in die Unterwelt geschickt... und der Spuk hat bald danach ein Ende. Reiches Werdegang hat einige Gemeinsamkeiten mit dem seines Vorgängers Burkert. Ebenso wie er war Reiche im „Nationalen und Sozialem Aktionsbündnis Westthüringen“ und dem „Thüringer Heimatschutz“ aktiv. Neben dem „Heldengedenken“ hier in Friedrichroda war er maßgeblich an der Organisation des "Thüringentag der nationalen Jugend" im Mai 2004 oder dem "Fest der Völker" am 11. Juni 2005 sowie zahlreichen weiteren rechtsextremen Veranstaltungen beteiligt.

Neben Reiche als Organisator und Redner werden wohl auch zwei weitere Gothaer Nazi-Größen heute hier sein. Thomas Wagner und Marco Zint sind zwei der wichtigen Führungspersonen des militanten kammeradschaftlichen Spektrums der Gothaer Szene. Beide sind schon seit den 90er Jahren aktiv. Marco Zint ist seit seinem Gefängnisaufenthalt 2001 in verschiedenen Hilfsnetzwerken für rechte Gefangene aktiv, so zum Beispiel in der mittlerweile verbotenen HNG. Oder dem von ihm und Thomas Gerlach gegründeten Kameradschaftsbundfür Thüringer POWs. Das Kürzel POW steht für „Prisoner of War“. Die Nazis bezeichnen sich ja gerne selbst als „Kriegsgefangene“ wenn sie wegen dem Verprügeln von Menschen mit Migrationshintergrund oder Punks, Angriffen von Dönerläden oder anderen Straftaten mit politischem Hintergrund einfahren müssen. Zint hat seinen Knastaufenthalt jedoch nicht wegen seiner politischen Straftaten angetreten, sondern verdankt ihn seinen zahlreichen Kleinkriminellen Delikten.
Thomas Wagner, Schlagzeuger der Band SKD hat sich einen Namen in der braunen Musik-Szene gemacht. Er organisiert Konzerte, verfügt über ein Tonstudio und hat Kontakte zu Blood & Honour. Vor etwa einem Jahr kauften die beiden zusammen mit Steffen Mäder ein Haus in Crawinkel, und nutzen dieses für Konzerte und Treffen der rechten Szene.
Sowohl hier in Friedrichroda wie auch in Crawinkel genießen die Nazis die ruhige dörfliche Atmosphäre. Ein Teil der Bevölkerung sympathisiert offen, frei nach dem Motto: Ach, die sind doch gar nicht so schlimm. Und die Menschen die etwas gegen die Besucher oder neuen Nachbarn haben, trauen sich nicht offen und effektiv einzuschreiten. Allein gelassen von Politik und Polizei arrangiert Mensch sich lieber mit der Situation und versucht es eben auszuhalten und so gut es geht zu ignorieren.
Gerade hier in den neuen Bundesländern stellt sich die gesamtgesellschaftliche Situation mehr als erschreckend dar. Laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich die Zahl der Menschen mit einem geschlossenem rechtsextremen Weltbild seit 2006 in etwa verdoppelt und liegt nun bei über 15%. Etwa 40% der hier lebenden Menschen sind sogenannten Ausländern gegenüber feindselig eingestellt. Diese gesellschaftlichen Voraussetzungen sind nicht nur der Grund dafür das sich Neonazis hier so wohl fühlen und in der Lage sind hier feste Strukturen aufzubauen. Neonazis sind kein gesellschaftliches Randproblem. Diese Gesellschaft ist vielmehr wichtige Voraussetzung und Ursache des Neofaschismus. Wir dürfen nie aufhören die bürgerliche Gesellschaft für das zu kritisieren was sie ist. Aber genauso müssen wir nach Strategien und Möglichkeiten suchen wie wir diesem gesellschaftlichem Trend hin zu Nationalismus, Rassismus und Abgrenzung entgegenwirken können. Hier ist jede Einzelne und jeder Einzelne gefragt. Dieser Kampf wird nicht auf der Straße ausgetragen, sondern es ist ein mühsamer Alltagskampf. Geht dazwischen wenn in der Straßenbahn ein Ausländer angepöbelt wird. Guckt nicht Weg wenn die Bullen am Bahnhof eine Frau kontrollieren, und das nur weil die Farbe ihrer Haut den Bullen verdächtig vorkommt. Bleibt stehen, fragt nach, lasst die Betroffenen nicht alleine. Versteckt eure Einstellung nicht wenn ihr morgen wieder in euren Schulklassen, Seminarräumen, Büros oder Pausenräumen mit Menschen dieser Mehrheitsgesellschaft zusammen sitzt. Diskutiert mit ihnen, erklärt eure Standpunkte und Widerlegt ihre Vorurteile.

Aber mit den Menschen wegen denen wir heute hier sind kann man nicht mehr reden und diskutieren. Hier ist entschlossener Widerstand nötig. Ich möchte mich hier bei allen anwesenden bedanken. Lasst uns den Nazis einen echten Grund zum trauern geben! Den Volkstrauertag abschaffen! Nie wieder Deutschland!!!

Video zum Heldengedenken und Antifademo

Filmpiraten 22.11.2012 - 14:39

Solidarität!

anarchista 22.11.2012 - 21:43
Respekt und Solidarität an euch!
Ich finde es großartig und auch mutig, was ihr da in dem braunen Nest anstellt!
Der Text ist ebenfalls sehr gut und ironisch geschrieben und 100 Leute in einem waldigen Ort von dem ich noch nie gehört hatte, ist ebenfalls nicht schlecht!
Weiter so!!

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