Hoyerswerda: Nazis drohen, der Staat schaut zu

addn.me 17.11.2012 19:49 Themen: Antifa Blogwire
Dass es in Sachsen ein generelles Problem im Umgang mit Nazis gibt, ist hinlänglich bekannt. Nicht umsonst konnte die NPD in ihrem "Kernland" 2009 zum zweiten Mal mit Pauken und Trompeten in den Landtag einziehen. Die Partei kann sich dabei auf ein über die Jahre gewachsenes Potential an Protest- und vom Parteiprogramm überzeugten Wählerinnen und Wählern stützen. Dies hat jedoch auch viel damit zu tun, dass es nach mehr als 20 Jahren defacto CDU-Alleinherrschaft immer noch schwierig ist, sich gegen die von Nazis transportierten menschenfeindlichen Einstellungen zur Wehr zu setzen, ohne nicht sofort auf eine Stufe mit den Menschen gestellt zu werden, die tagtäglich mit Gewalt auf der Straße das praktizieren, was politisch von der NPD im Landtag vertreten wird. Dass es dazu auch staatliche Behörden braucht, die nicht gewillt sind, dieses Vorgehen zu sanktionieren, belegt ein Vorfall aus dem ostsächsischen Hoyerswerda vor wenigen Wochen.
Wie erst jetzt bekannt wurde, hat die Polizei im ostsächsischen Hoyerswerda ein Paar, welches bereits Mitte Oktober von einer Gruppe Nazis vor ihrer Wohnung in der Robert-Schumann-Straße bedroht und beleidigt worden war, aufgefordert, zu ihrer eigenen Sicherheit die Stadt zu verlassen. Die zwei 33jährigen Personen aus dem linken Spektrum hatten zuvor in der Innenstadt von Hoyerswerda rechte Aufkleber entfernt und überklebt. Gegenüber dem MDR-Magazin exakt äußerte sich Thomas Knaup, der Sprecher der Polizeidirektion Oberlausitz/Niederschlesien, mit den Worten: "Es ist einfacher, zwei Personen von einem Ort zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifen vor ein Haus zu stellen.". Der Bürgermeister der Stadt, Thomas Delling (SPD), sieht dennoch bei der Bekämpfung von Nazi-Umtrieben keine grundsätzlichen Versäumnisse bei der Polizei und kündigte an, sich mit den Betroffenen zu treffen.

Die Nazis hatten sich in den Abendstunden des 17. Oktobers Zugang zum Haus der Beiden verschafft und waren, nachdem sie die Glühbirnen herausgedreht hatten, bei ihrem Versuch gescheitert, in deren Wohnung einzudringen. Die herbeigerufene Polizei sah dem Treiben mit sieben Beamtinnen und Beamten zunächst tatenlos zu, erst als sich die Gruppe zwei Stunden (!) später in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle entfernt hatte, wurden die Personalien von insgesamt 11 Personen aus der Region aufgenommen. Warum die Polizei so lange gebraucht hat, um eine ausreichende Anzahl an Einsatzkräften vor Ort zu haben, fällt in den Bereich der Spekulation, Fakt ist jedenfalls, dass der Vorfall inzwischen sowohl von der Polizei als auch von den Oppositionsparteien zum Anlass genommen wird, den in einigen Regionen bereits jetzt begonnenen Stellenabbau bei der sächsischen Polizei zu kritisieren. Gegen neun der mutmaßlichen Tatbeteiligten wird inzwischen durch den Staatsschutz wegen Bedrohung ermittelt. Das Paar selbst ist zunächst aus ihrer Wohnung ausgezogen und hält sich vorerst dank der Unterstützung der lokalen Opferberatung an einem geheim gehaltenen Ort außerhalb der Stadt auf.

Der ehemalige Landespolizeipräsident und jetzige Polizeipräsident von Leipzig, Bernd Merbitz, erinnerte in diesem Zusammenhang in einem Fernsehinterview an die "Pflicht und Schuldigkeit" der Polizei, "Menschen zu schützen" und verwies gleichzeitig auf die angespannte Personalsituation in einigen Teilen des Freistaats. Es könne jedoch nicht sein, so Merbitz gegenüber dem MDR weiter: "dass man Leuten, die in Gefahr sind, die bedroht werden, als ultima ratio anbietet, die Stadt zu verlassen". Kerstin Köditz von der Linken zeigte sich bestürzt. Es sei ein Hohn, "wenn die Polizei den Betroffenen erklärt, sie sei nicht in der Lage, sie wirksam zu schützen". Auch der Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Henning Homann, forderte ebenso wie die Grüne Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) dazu auf, "die Opfer wirksam zu schützen und den Neonazis offensiv entgegenzutreten".

Dass dieser Vorfall kein Einzelfall ist, belegen zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. So waren im Vorfeld einer Demonstration in Erinnerung an die tagelangen pogromartigen Ausschreitungen im September 1991 nicht nur linke Jugendliche mit einem Messer bedroht, sondern auch mehrfach das Wahlkreisbüro der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay angegriffen und beschmiert worden. Nach der erfolgreichen Demonstration mit fast 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatte eine Gruppe aus 20 - 25 zum Teil vermummten Nazis in der Nacht zum 23. September mit rechten Parolen zudem versucht, ein Konzert in der Kulturfabrik Hoyerswerda zu stürmen.

Audiobeitrag bei MDR-Info: Flucht vor Neonazis - Polizei ohne Personalien

Video von der Demonstration am 22. September 2012 in Hoyerswerda: Hoyerswerda 2012: "Wo wart ihr 91?"
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Ergänzungen

STADT – LAND – ANTIFA?

afadresden 28.11.2012 - 10:27


Mitte Oktober suchten Antifaschist_innen eine zeitweilige Unterkunft, nachdem sie an ihrem Wohnort in Hoyerswerda von Neonazis bedroht worden waren. Eine Gruppe von 15 Neonazis suchte sie nachts in ihrer Wohnung auf, verschaffte sich Zugang zum Treppenhaus und versuchte, gewaltsam in die Wohnung zu gelangen. Ihre Anfrage nach einem Schutzraum stieß in politischen Kreisen häufig auf Skepsis und teilweise Ablehnung. Diesen Vorfall möchten wir als Anlass zu einem Appell für mehr Sensibilisierung nehmen, auch vor dem Hintergrund, dass Naziangriffe in ländlichen Gegenden zum Alltag gehören.

Zur Situation in ländlichen Gegenden

Hoyerswerda ist ein prägnantes Beispiel der Provinz, da es 1991 durch die Pogrome den Bürgern_innen gelungen ist, ihre rassistischen Forderungen mit Gewalt in die Tat umzusetzen.

Ein Text von Raddix und der antifaschistischen Aktionsgruppe Dresden

mehr:  http://afadresden.blogsport.de/2012/11/27/stadt-land-antifa/

 http://raddix.org/

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