Die Frankfurter Buchmesse 2012 – ein Bericht

Hans-Jürgen Lutz 15.11.2012 18:28 Themen: Bildung Kultur Medien
Die Frankfurter Buchmesse ist ein Seismograph nicht nur rund ums Buch, sondern für wirtschaftliche Tendenzen überhaupt. Hans-Jürgen Lutz, langjähriger Buchmesse-Besucher und Autor dieses Artikels, beschreibt das diesjährige Mammutspektakel und gibt abschließend nützliche bzw. zeitlose Buchtip(p)s.
Die angeblich weltgrößte Buchmesse in Frankfurt ging in diesen Tagen zu Ende. Rund 7300 Aussteller aus ca. 100 Ländern präsentierten auf dem Messegelände ihre Neuerscheinungen auf fast 17 Hektar.

Alljährlich wiederkehrende Rituale

Die Rituale bei diesem Spektakel der Eitelkeiten sind dieselben wie in den Jahren zuvor: Eröffnungsdienstag mit Prominenz und Pseudo-Prominenz, drei sogenannte Fachbesucher- und zwei Publikumstage (Samstag und Sonntag). An den Messeabenden nicht mehr ganz so häufige Stand-Parties mit den üblichen Besäufnissen, externe Feiern in Frankfurter Hotels und anderen Häusern (z.B. in der „Villa Bonn“), hochwichtige Gespräche und Lesungen.

Was gabs Besonderes und Neues?

Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, E-Books – natürlich die Hauptsache! Arnold Schwarzenegger stellte seine Biografie vor, allerdings sprach er ausschließlich Englisch, weil dies eine „internationale Pressekonferenz“ sei, wie er die staunende Journalistenschar belehrte. Schier unglaublich ist der Erfolg der Ex-Kelkheimer Krimi-Autorin Nele Neuhaus*, deren Bücher in allen Bestsellerlisten (aktuell: Krimi „Böser Wolf“) ganz vorne auftauchen. Signier-Schlange ohne Ende, 3.5 Millionen verkaufte Exemplare (nach ihren Angaben). Bei Google kann Nele Neuhaus über eine Million Treffer verbuchen (der Schreiber dieser Zeilen – keine eitle Angeberei, nur der Vollständigkeit halber! - immerhin 20.100 Treffer). Großes Interesse fand auch das „Schwarzbuch WWF“ (WWF = World Wide Fund for Nature), eine geharnischte Kritik an diesem Verein, der offenbar unverantwortlich stark mit der Industrie kungelt. Das Genre der Kochbücher ist nach wie vor unübersehbar. Neu sind die vielen veganen Rezepte, die durchaus auch hohen Gourmetansprüchen genügen. Aber auch Geschäftemacher wollen ihren schnellen Reibach machen. „Moderne Wildküche“ von einem Ingo Swoboda heißt beispielsweise ein Titel. Untertitel: „Kochen mit Neuseelandhirsch“! Hier werden Hirschgerichte auf Hochglanzseiten präsentiert – natürlich stammen die bemitleidenswerten Wildtiere aus Neuseeland, wo sie „umweltfreundlich“ vom anderen Ende der Welt nach Deutschland geflogen werden. Von der Würde des Tieres keine Spur!

Positiv ist anzumerken, dass Jugendliche und Kinder auf der Buchmesse jetzt wesentlich stärker beachtet werden. Man hat sie als kaufkräftigen Teil der Gesellschaft erkannt. Das geht von der einfachen kindergerechten Lesung nebst Unterhaltungsprogramm bis zum hochtechnisierten virtuellen, aber kaum zu finanzierbarem Klassenzimmer mit sämtlichem elektronischen Schnickschnack, den man sich vorstellen kann. Der Lernort Schule soll wohl endgültig zum Entertainment-Platz verkommen.

Leider wird der umfangreiche „Tierschutz-Kalender“ vom Göttinger Echo-Verlag wegen immer schwächerer Nachfrage nicht mehr aufgelegt. Ihm gelang seinerzeit eine gelungene Symbiose zwischen Tierrecht und Tierschutz; eine solch umfangreiche internationale Adressensammlung fand man sonst nirgendwo. Von den meist guten Artikeln ganz zu schweigen! Ein hohes Lob gibt es für die Zeitung taz, die die 100 wichtigsten Bücher auflistete, die man unbedingt vor seinem Tod gelesen haben sollte. Diese Liste sollte in jeder Schule und in den Lehrplänen, die leider immer mehr zu Leerplänen (Stichworte: G8, Schmalspurabitur) verkommen, breite Erwähnung finden! Da fehlen vielleicht nur noch Heinrich A. Pestalozzis legendäres „Auf die Bäume, Ihr Affen“, wo er mit dem Wirtschaftssystem und deren Lobbyisten gnadenlos abrechnet und Carlo Consiglios „Vom Widersinn der Jagd“ (eine wissenschaftlich fundierte Abrechnung mit der unnützen Jägerei). Was man sonst unbedingt gelesen haben sollte, ist im Anhang** verzeichnet.

Tempel des Geistes oder letzte Zuckungen eines maroden Systems?

Der allgemeine Niedergang der Buchbranche wie überhaupt Deutschlands zeigte sich an Kleinigkeiten in diesem Tempel des Geistes, wie die Buchmesse auch von einigen Zeitgenossen bezeichnet wird: Man musste regelrecht nach den früher wesentlich zahlreicheren Give-Aways, wie Kugelschreibern und Streichhölzern, suchen, zumal Feuerzeuge offenbar zu teuer geworden sind. Dies betrifft allerdings nicht die fast überall präsenten billigen Gummibärchen-Tüten. Sogar die Pressemappen sind oft lustlos zusammengestellt; USB-Sticks konnte der Schreiber dieses Artikels keinen einzigen entdecken. Auch die Empfänge gestalteten sich zunehmend bescheidener. Beim (Wissenschafts-)Springer gab es zum Fassbier (wie im letzten Jahr) Brezel – trotzdem bildete sich eine lange Schlange, in der sich bevorzugt Engländer befanden. Wartende Messebesucher auch vor dem taz-Stand, wo es (fairen) Kaffee gab, natürlich auch kostenlos die aktuelle taz (siehe auch: www.taz.de ). Und das Fürstentum Liechtenstein bot – wie letztes Jahr - gerade einmal Fingerfood in Form von Käsewürfeln und Schinken an (wenn man sich vorher anmeldete). Man war versucht zu glauben, dass die Schwarzgeldmillionen in andere Gefilde geflossen seien. Am letzten Messetag gingen die Aussteller schon zeitig zum Abbau ihrer Stände über. Da wurde es regelrecht ungemütlich. Mit einem Mitglied der Rhein-Main-Topjournalisten ging es nach Ffm.-Höchst ins „Kesselhaus“, wo man uns zum Tagesausklang köstliche Pommes Frites und kühles Bier bei intelligenten Gesprächen servierte.

Pressetermine, Akkreditierung

Ein wichtiger Indikator der Stimmung in der Wirtschaft bildet der Umfang der Pressetermine und –gespräche. 2004 erhielten die Journalisten noch ein 16-seitiges DIN A4-Terminheft. Jetzt hatte es, wenn der Autor richtig gezählt hat, einen Umfang von vier Seiten.

Kaum zu glauben: Bei der Presse-Akkreditierung werden die Pressekarten immer noch mit der Schere (!!!) per Hand ausgeschnitten.

Relativ neu – außer dem viel größeren Pressezentrum mit überall bereitstehendem stillen Wasser (zum Essen gibt es nichts, auch nicht zu kaufen) – sind die verbalen Auseinandersetzungen mit den meist überforderten und unfreundlichen Security-Leuten. Bei Rowohlt und der Italienischen Fremdenverkehrszentrale („Der beste Reiseführer“) soll es sogar zu regelrechten Scharmützeln gekommen sein. Sogar die „Frankfurter Rundschau“ berichtete in ihrer Print-Ausgabe darüber.

Gastland Neuseeland

Gastland war dieses Jahr Neuseeland. Maoris führten ihre Stammestänze vor und verbreiteten gute Laune. In Neuseeland selbst war die Frankfurter Buchmesse allerdings kaum eine Erwähnung wert. Hingegen finden in Deutschland bis Ende November 2012 rund 300 Events in über 50 Städten statt, 67 neuseeländische Autorinnen und Autoren lasen und lesen vor. Mehr als 600 Buchhandlungen in Deutschland nehmen an einem Neuseeland-Gewinnspiel teil. Über neunzig Titel aus Neuseeland wurden bereits ins Deutsche übersetzt. Damit zeigt sich das dünn besiedelte grüne Eiland am anderen Ende der Welt literarisch ziemlich aktiv. 2013 wird Brasilien Gastland sein. Ich werde dann selbstverständlich wieder berichten. Unabhängig.


*Siehe auch unter www.neleneuhaus.de
Ihr erster Krimi hieß „Unter Haien“ (da waren ihre Lesungen noch kostenlos); es folgten:
„Mordsfreunde“, „Tiefe Wunden“, „Schneewittchen muss sterben“, „Böser Wolf“ (Ullstein 2012).
Neuhaus’ Örtlichkeiten in ihren Romanen kreisen oft um den Taunus und Frankfurt. Da es traurigerweise ausschließlich von mir etwas über die damalige legendäre Dammbesetzung (1979-1981) im Internet gibt, übernahm Nele Neuhaus Informationen aus diesen beiden Indymedia-Artikeln): de.indymedia.org (Suchwort: Dammbesetzung).


** Anhang: Literaturliste (was man/frau unbedingt gelesen haben sollte):

Dummheit ist lernbar!
von Jürg Jegge
14,50 Euro

Einbruch in die Freiheit
von Jiddu Krishnamurti
6,95 Euro

Auf die Bäume, ihr Affen (Zytglogge-Verlag)
von Hans A. Pestalozzi (und alle sonstigen Bücher und Schriften von ihm!)
17,50 Euro
WARNUNG von Hans-Jürgen Lutz: Dieses Werk des querdenkenden Wirtschaftswissenschaftlers – nicht des Pädagogen! – Pestalozzi öffnet die Augen für immer! Und dies irreversibel! Siehe auch den Link-Tip(p)!

Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher
von Jean Ziegler, Holger Fließbach (Übersetzer)
22,90 Euro

Anti-Globalisierung: Zurück zur Vernunft!
von Manfred Julius Müller
8,90 Euro

Kritik der zynischen Vernunft (3 Bände)
von Peter Sloterdijk
39,50 Euro

Du musst Dein Leben ändern
von Peter Sloterdijk
24,80 Euro

Empört Euch!
von Stéphane Hessel (sowie alle Schriften von Hessel)
3,99 Euro

Die Menschen stärken, die Sachen klären. Ein Plädoyer für die Wiederherstellung der Aufklärung
von Hartmut von Hentig
12,90 Euro, gebraucht ab 4,89 Euro
(eingeschränkte Empfehlung wegen Hentigs möglicher Verwicklung in die skandalösen Vorfälle der Odenwald-Schule)

Die wichtigsten Probleme des 3. Jahrtausends und ihre Lösung
von Hans-Jürgen Lutz
4,50 Euro

Radikal mutig: Meine Anleitung zum Anderssein
von Hanna Poddig
(Hans-Jürgen Lutz hat ein Interview mit der jungen und unangepaßten Aktivistin Hanna Poddig durchgeführt; viele andere Interviews befinden sich auch auf YouTube und anderen Medien; auch auf Wikipedia; 14600 Google-Treffer am 15.11.2012)

Anregung und Aufforderung:

Diese Liste kann (und soll) gerne erweitert werden („Ergänzungen“)!
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Ergänzungen

Lesefutter

Leseraddä 16.11.2012 - 12:01
Das Leben ist zu kurz um schlechte Bücher zu lesen und für Hartz 4er sind Bücher meist zu teuer. Und die Buchnmesse selbst, für Hartz 4 Leut ist der Eintritt zu teuer und es lohnt auch nicht.

gegenbuchmasse

kluk 17.11.2012 - 02:48
na ja, nicht vergessen werden sollte, dass zur zeit der buchmesse auch jedes jahr ein ansprechendes alternativangebot besteht: die zahlreichen veranstaltungen der "gegenbuchmasse", gegenbuchmasse.de

ansonsten sollte mensch die "linken" verlage auf der messe besuchen(aLiVe gemeinschaftsstand,....) und bei dem blöden stand von junge freiheit/politically incorrect ein wenig unmut abladen...

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