Spanische Verhältnisse in Berlin

beobachter 23.10.2012 08:28 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Ca. 200 Nach­bar*innen, Freund*innen der Fa­mi­lie und Mietak­ti­vist*innen verhinderte am 22.10 die Zwangsräumung einer Familie in Berlin-Kreuzberg. Durch Blockaden vor dem Haus und im Haus wurde es der Ge­richts­voll­zie­he­rin unmöglich gemacht die Zwangsräumung zu vollstrecken. Kurz darauf besuchten 40 Aktivist*innen den Vermieter André Franell in seinem Büro.

Der Fall

In einem Interview schildert Ali Gülbol den Fall seiner Familie. Der Vermieter André Franell hatte das Haus nach einer Zwangsversteigerung erworben und erhöhte sofort massiv die Mieten. Viele Menschen wurden aus dem Haus verdrängt, einige begannen sich zu wehren. Die Familie Gülbol klagte gegen die Mieterhöhung, aber unterlag vor den Gerichten, welche das geltende Recht auf Eigentum und Profit verteidigten. Mit einem Trick gelang es André Franell daraufhin sogar die Kündigung der Wohnung durchzusetzen, weil die Familie zwei Monate die erhöhte Miete nicht gezahlt hatte. Es bedarf in diesem Fall keiner Mahnung, bevor die Kündigung ausgesprochen werden kann. Juristisch war der Fall klar, politisch für viele Menschen in Berlin auch: die Mieten steigen und der herrschende Rechts-und Gewaltapparat ist dafür da, die Verdrängung der Menschen zu organisieren.

Der Widerstand

Die meisten Menschen versuchen in solch einer schwierigen Situation individuell herauszukommen. Die Familie entschloss sich aber, nicht einfach die Wohnung räumen zu lassen, in der sie seit Jahrzehnten wohnen. Sie gab die Schlüssel nicht ab.Am Tag der Räumung versammelten sich ca. 200 Menschen vor den Türen um die Gerichtsvollzieherin nicht rein zu lassen. Ziviler Ungehorsam als eine Art von praktischer Solidarität wurde versucht und war erfolgreich !
Die Gerichtsvollzieherin zog ab und gab an, dass sie die Wohnung aufgrund "massiver Ausschreitungen und eines Menschenauflaufs" nicht räumen lassen könnte. Die massiven Ausschreitungen fanden zwar nur in ihrem Kopf statt, aber betreten konnte sie die Wohnung tatsächlich nicht. Unter dem Jubel der Anwesenden brach sie ihren Versuch ab. Die spanische Gruppe, welche in letzter Zeit viele Räumungen erfolgreich verhindert hat, gratulierte im Laufe des Tages zur ersten verhinderten Räumung in Berlin.40 Menschen machten sich daraufhin auf, das Büro des Vermieters André Franell zu besuchen. Dort trafen sie diesen nicht an, aber sie versuchten zumindest telefonisch mit ihm zu kommunizieren. Die Angestellten von Herrn Franell waren aufgrund von so viel Besuch etwas überfordert und leicht panisch. Die sachlich diskutierenden Besucher*innen verließen dann nach einiger Zeit das Büro, nachdem ihre Botschaft kommuniziert werden konnte.Leider fand sich die Polizei kurz darauf am Ort ein, welche überfordert war und willkürlich irgendwelche Menschen wegen irgendwelcher angeblicher Taten festnahm. Dabei ging sie ziemlich rüde vor. In der kapitalistischen Stadt können Menschen aus einer Wohnung mit den Segen der Gerichte geworfen werden, während ein kommunikativer Besuch in einem Büro mit Polizeigewalt endet. Am Abend demonstrierten 200 Menschen im Kiez um den Erfolg zu feiern und den Nachbar*innen zu kommunizieren.

Ausblick

Die verhinderte Räumung ist ein Etappenerfolg. Nun ist es an uns, den Druck auf Vermieter und Politik mit weiteren Aktivitäten zu steigern. Ein zweiter Räumungsversuch steht an. Auch dieser muss verhindert werden.
André Franell gibt sich selbst gerne sozial. Er hat eine Stiftung, welche zwangsumgesiedelten Menschen in Thailand helfen soll. Gleichzeitig schmeißt er selber Menschen aus ihren Wohnungen um seinen eigenen Profit zu steigern. André Franell ist ein Vermieter, welcher sich auf Zwangsversteigerungen spezialisiert hat. Er macht Geld mit der Not von anderen Menschen. Das ist in der kapitalistischen Stadt allerdings kein Skandal, sondern Normalität. Diese Normalität wollen viele Mieter*innen aber nicht mehr länger erdulden !Eins ist deutlich geworden: Viele Menschen lassen sich dafür begeistern ganz konkret die Verdrängung von Mieter*innen zu verhindern. Bei jeder weiteren politisch begleiteten Zwangsräumung werden sich die jeweiligen Vermieter*innen warm anziehen müssen.Allerdings ist auch klar, dass der Staat seine Gewaltmittel einsetzen wird um das Recht auf Profit durchzusetzen. Es ist an uns dieser staatlichen Eskalation dann kreativ und entschlossen etwas entgegenzusetzen.
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Ergänzungen

(B) Kundgebung gegen Ziegert (25.10. 16 Uhr)

-- 23.10.2012 - 09:14
Den Profiteuren von Mietsteigerung und Verdrängung auf die Pelle Rücken

Kundgebung gegen den Entmietungsspezialisten Ziegert am Donnerstag den 25.10 2012

Wie wir schon auf unserer letzten Kundgebung vor der Entmietungs- und Spekulationsfirma Ziegert am 24 Juli öffentlich gemacht haben, gibt es viele Arten auf dem Wohnungsmarkt Profite zu machen: z.b. durch exorbitante Mieterhöhungen nach Luxusmodernisierung oder bei Neuvermietung, z.B. durch Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen.

Dabei wird die Angst der MieterInnen skrupellos ausgenutzt. Überrumpelung, mehr oder weniger subtile Drohungen,lächerlich niedrige Abfindungen und schließlich Entmietungen sind an der Tagesordnung. Von der starken Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt profitiert auch das Berliner Unternehmen Ziegert Bank-und Immobilienconsulting, das sich zu einem führenden Wohnungsmakler in der Hauptstadt entwickelt hat und mit oben erwähnten Praktiken ihr Geld verdient. Im ersten Quartal dieses Jahres verbuchte die Firma ein Umsatzplus von 40%. 63,3 Mio. Euro Umsatz erzielten die Vermittler durch die Verkäufe.

Das alles ist immer noch legal, politisch gewollt und in einer Gesellschaft mit kapitalistischem Wohnungsmarkt völlig normal. Die erzielten Profite die an diesem Spiel beteiligten Firmen zahlen alle MieterInnen. Besonders aber trifft es Menschen mit niedrigem Einkommen, geringer Rente oder in Hartz IV-Abhängigkeit. Und wenn wir die Mieten nicht mehr bezahlen können oder den Verwertungsprozessen im Weg stehen, werden wir vertrieben, aus unserer Nachbarschaft und unseren sozialen Beziehungen.

Auch wenn die Firma Ziegert nach unserer ersten Kundgebung am 24. Juli zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt war, in der sie betonte, das sie sich im rechtlichen Rahmen bewegt,(mit dem sehr bezeichneten Nebensatz, das es aber durchaus Unternehmen geben könnte, die auch mal über diesen Rahmen hinaus tätig werden) bleiben wir dabei: Umwandlungsstopp von Miet- in Eigentumswohnungen sofort!

Wir haben die Schnauze voll und nehmen es nicht mehr tatenlos hin, dass einige wenige auf unsere Kosten Profite machen. Wir schließen uns zusammen, wir zerren die Profiteure an das Licht der Öffentlichkeit, besuchen sie in ihren Büros und Vorstandsetagen, und wenn es sein muss auch zu Haus.

Die Ziegert Geschädigten

Kundgebung gegen den Entmietungsspezialisten Ziegert.
Donnerstag 25.10 2012 um 16.00 Uhr
Schlüterstrasse 54 (nahe S- Bhf. Savignyplatz)

Druck auf den Eigentümer erhöhen

Nachbarin 23.10.2012 - 09:34
Um den Druck auf den Eigentümer zu erhöhen gibt es morgen eine Kundgebung vor seinem Büro. Jetzt weitermachen die er die Räumung zurücknimmt.

Kundgebung gegen Zwangsräumung
Emser Straße 9, 10719 Berlin-Charlottenburg
Mittwoch, 24.10.2012, 16 Uhr

presseschau

wir sind die vollstreckung! 23.10.2012 - 14:20
videoclip von leftvision:  https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tbRCaBi47vw
neues deutschland:  http://www.neues-deutschland.de/artikel/802130.zwangsraeumung-blockiert.html
junge welt:  http://www.jungewelt.de/2012/10-23/028.php

der (bürgerliche) rest hats verschlafen/unterschätzt und bringt erst im laufe des tages/morgen was...

Klarstellung

Cabron 23.10.2012 - 14:43
Der Vergleich mit Spanien hinkt. Hier haben wir es mit zwei völlig unterschiedlichen Situationen zu tun.
In Berlin müssen Menschen die Wohnung wechseln, weil es insgesamt ziemlich boomt, deswegen die Nachfrage nach teuren Wohnungen nicht abreißt und deshalb gierige Miethaie Mietsteigerungen aus den Altmietern pressen wollen oder eben (falls die nicht zahlen können) die Wohnung frisch renoviert an solvente Kunden vermieten wollen.
In Spanien wollten Millionen von Menschen beim großen kapitalistischen Monoplolie mitspielen, haben völlig überteuerte Wohnungen oder Häuser auf Kredit gekauft und sich kräftig verzockt dabei. Da in Spanien genau das Gegenteil von Boom herrscht, lassen sich diese Hütten nun nicht mehr zum selben oder höheren Preis weiterverkaufen, auch kaum vermieten und schon garnicht die Kreditraten abbezahlen.
Also bitte nicht das Elend Berliner Mieter_Innen mit den größtenteils selbstverschuldeten Problemen der Spanier_Innen vergleichen. Ein_e Mieter_In kann nichts für das menschenverachtende Verhalten von Eigentümer_Innen. Spanischen Möchtegerneigentümern muss mensch leider die Weisheit mit auf den Weg geben: Wer mit dem Feuer spielt, kann sich die Finger verbrennen. Dort wollten einfach zu viele vom Kapitalismus profitieren, statt ihn zu bekämpfen und sind dabei auf die Nase gefallen.

weitere Presse

leserin 23.10.2012 - 16:26
taz:

Zwangsräumung ausgesetzt: Gerichtsvollzieherin dreht um

MIETEN Fünfköpfige Familie sollte zwangsgeräumt werden, AktivistInnen verhinderten das

weiter unter:
 http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F10%2F23%2Fa0149&cHash=9764e20cde579400b84915e192615a18

Telepolis
Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin
Mieteraktivisten verhinderten in Berlin- Kreuzberg eine Wohnungsräumung

 http://www.heise.de/tp/blogs/8/153041

Klarstellung zur Klarstellung

Mieter_in 24.10.2012 - 00:15
Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen Berlin und Spanien: Während in Berlin 86% der Wohnungen vermietet sind, gibt es in Spanien nur sehr wenige Mietwohnungen. Die Leute sind dort mehr oder weniger gezwungen, eine Wohnung zu erwerben, wenn sie nicht ewig bei den Eltern oder zur Untermiete wohnen wollen. Ihnen nun vorzuwerfen, sie hätten sich am großen Monopoly beteiligt und seien selbst schuld, dass sie in der Krise ihre noch nicht abbezahlten Wohnungen verloren haben, halte ich für zynisch und gegenüber der dort ganz anderen Situation eben auch arrogant.

@Klarsteller Nr. 1

Hypo Real Estate 24.10.2012 - 07:06
Da schmeißt Du jetzt zwei Sachen durcheinander. Die geplatzte spanische Immobilien-Blase hatte ja auf die Privaten bloß die Auswirkung, dass sie überteuerte Preise für ihre Wohnungen zahlen mussten. Aber aufgeblasen wurde sie nicht durch Leute, die eine Wohnung für sich selber gekauft haben, sondern durch die Spekulation mit Abertausenden von Gebäuden und Grundstücken, die ja nicht mal auf Spanien beschränkt war, sondern da hat die ganze Welt mitgemacht (und vielleicht hängst auch Du selber mit drin, falls Du ein bisschen was auf der Bank hast).

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 3 Kommentare

@ ich Selbstjustiz jucheee

Heino 24.10.2012 - 09:07
Deine sogenannten "Faschisten" in der Politik haben schon ihre Gründe, wenn sie irgendwelche scheiß Gesetze verabschieden. Dazu brauchen die gar keine zusätzlichen "Vorwände" mehr.

Und an den Gründen ändert so ein kleiner Protest auch nichts.


Also entspann Dich mal und denk bitte vielleicht lieber zweimal nach bevor Du redest/ schreibst - nicht, dass Du demnächst noch mehr solche haltlosen Anschuldigungen verbreitest.

Klarstellung zur Klarstellung zur Klarst...

@HRE und Mieter_In 24.10.2012 - 16:24
Hättest du mal den Kommentar über dir von "Mieter_In" gelesen, hättest du ihn dir auch gleich sparen können. Dort steht nämlich richtigerweise, dass es in Spanien kaum Mietwohnungen gibt. Das heißt: Wohnungen werden überwiegend von denjenigen gekauft ,die drin wohnen wollen und nicht von potentiellen Vermietern oder Spekulanten (wobei ja Selbstnutzer in gewissem Sinne auch spekulieren). Es waren also doch die "Privaten", die die Preise in die Höhe getrieben haben, weil sie es mit dem Kaufen ein wenig übertrieben haben.
Was "Mieter_In" ein wenig verdreht im Kommentar ist Ursache-Wirkung. Die Leute kaufen nicht, weil die Mietwohnungsquote so gering ist. Die Mietwohnungsquote ist so gering, weil so viele Leute im Eigentum wohnen.

tolle aktion!

jubelknabe 24.10.2012 - 23:42
auch die öffentlichkeitsarbeit wirklich eindrucksvoll. mehr davon!