30 Monate Haft für Neonazi Jürgen Niemeyer

O.M.F. OWL 22.10.2012 21:37 Themen: Antifa
- Exklusiv-Veröffentlichung für indymedia

Heute, am 22. Oktober 2012, verurteilte die große Strafkammer (I) beim Landgericht Detmold nach zwei Verhandlungstagen den am 28. September 2012 verhafteten Neonazi und "Reichsbürger" Jürgen Niemeyer aus Herford (Ostwestfalen-Lippe) wegen Unterschlagung und Inverkehrbringen von Falschgeld gemäß Paragraf 146 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten. Des Weiteren muss der Angeklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, gefälschte 100-Dollar-Scheine in Umlauf gebracht zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte 2 Jahre und 8 Monate Haft, der Pflichtverteidiger 2 Jahre Haft auf Bewährung beantragt.
"Reichsbürger" kooperiert mit "illegaler Justiz"

Detmold (O.M.F.). Als ein Justizwachmeister am späten Nachmittag die Eingangstür des Landgerichts Detmold hinter ihm abschloss, konnte er nicht mehr an sich halten: Demonstrativ spuckte Jürgen Niemeyer direkt neben einen Beamten des Polizeilichen Staatsschutzes auf den Boden, bevor er mit verächtlichem Blick einige Meter weiter um eine Ecke des Gebäudes ging und dort sichtbar aufgewühlt verharrte. Der 55-jährige Holocaust-Leugner konnte heute das Gericht nach dreiwöchigem Gefängnisaufenthalt und der Aufhebung zweier Haftbefehle verlassen. Die Verbüßung einer dreißigmonatigen Freiheitsstrafe, zu der ihm die große Strafkammer (I) des Landgerichts wenige Minuten zuvor verurteilt hatte, wird er erst antreten müssen, wenn das Oberlandesgericht Hamm einen zu erwartenden Revisionsantrag des politisch unverdächtigen Pflichtverteidigers als unbegründet verwerfen wird. In diesem Fall würde die Restfreiheitsstrafe etwas mehr als 2 Jahre und vier Monate betragen, da Niemeyer neben den aktuell abgesessenen drei Wochen im Gefängnis bereits eine Zeit lang in Untersuchungshaft verbrachte, weil er zu der ursprünglich anberaumten Hauptverhandlung nicht erschienen war. Im Vorfeld des Prozesses hatte der bekennende "Reichsbürger" Niemeyer unter anderem die zuständige Strafkammer, den Vorsitzenden Richter und den Präsidenten des Landgerichtes in zahlreichen Schreiben für nicht zuständig erklärt, da er Staatsbürger des "Deutschen Reiches" sei. "Reichsbürger" halten am Nationalsozialismus oder zumindest an der vermeintlichen Größe des "Deutschen Reiches" fest, lehnen die Demokratie ab und erkennen deshalb Justiz- und Polizeibehörden nicht an. In der durch Festnahme erzwungenen Verhandlung gegen Jürgen Niemeyer folgten dann jedoch konkrete Einlassungen zur Person und Sache durch den angeklagten Neonazi. Wohl auch deshalb sah die Strafkammer heute eine Fluchtgefahr als nicht gegeben an.

Festnahme am "Wohnsitz"

Mitte Juli 2012 hatte die vom Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen und dem Polizeilichen Staatsschutz für Ostwestfalen-Lippe beobachtete extrem rechte "Justiz-Opfer-Hilfe NRW" ("JOH") ein Büro beziehungsweise die "Botschaft Germanitien" in der Lübbecker Straße 35 - 39 in Löhne (Kreis Herford) im Gebäude von Ralf Wachsmuth eröffnet (indymedia berichtete). Im "JOH-Bürgerbüro" hatte "JOH"-Vorstandsmitglied Jürgen Niemeyer ("Recht, Sicherheit, Gesundheit, Öffentlichkeitsarbeit") daraufhin seinen Wohnsitz bei der Stadt Löhne angemeldet. Am 28. September 2012 veranstaltete das Bündnis "Gemeinsam für Vielfalt - Löhne gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus" eine Demonstration gegen die "JOH", an der sich mehrere hundert Menschen beteiligten. Die Kreispolizeibehörde Herford vermeldete um 20.42 Uhr: "Zu einem Vorfall kam es allerdings kurz vor dem Protestmarsch an dem Gebäude der "Justiz-Opfer-Hilfe", als die dort zum Schutz der Demo eingesetzten Beamten einen per Haftbefehl gesuchten Mann aus dem Umfeld des Vereins bemerkten. Der dem Vorstand angehörende 55-Jährige wollte sich der Festnahme durch Flucht entziehen und lief vor den Beamten weg." Weiter heißt es im Polizeibericht über Niemeyer, der bekannt für seine unkontrollierten Ausbrüche ist: "Noch auf der Lübbecker Straße konnte er durch die Beamten vor Ort gestellt und festgenommen werden. Während der Festnahmemaßnahmen wurden durch den Betroffenen selbst, aber auch ein weiteres Mitglied des Vorstandes, die einschreitenden Beamten massiv körperlich angegangen, sodass es zu leichten Verletzungen zweier Personen aus dem Umfeld der "Justiz-Opfer-Hilfe" kam. Die ärztliche Versorgung der beiden Personen erfolgte noch durch einen anwesenden Arzt vor Ort und später in nahegelegenen Krankenhäusern. Die Ermittlungen in diesen Fällen wegen Widerstands gegen Polizeivollzugsbeamte und Gefangenenbefreiung dauern derzeit an."

"Mordversuch" und "Todesbiss des SS-Killerhundes"

Aus Sicht der "JOH" stellt sich der "Mordversuch" natürlich gänzlich anders da. Am 8. Oktober 2012 berichtete das "JOH"-Mitglied Jürgen Justavitz unter anderem: "Der Jürgen Niemeyer als Person des JOH-Vorstandes wurde am 28.09.2012 festgenommen und unter Vorsatz drei Finger gebrochen. Auch für diese Körperverletzung gibt es Zeugen. Als Grund für diese Gewalttaten durch die BRD-SS Organisation und zum Nachteil der JOH NRW wird von mir auf eine Videoaufzeichnung verwiesen in der sich Jürgen Niemeyer dazu bekannt hat, dass er als VS-Agent und Provokateur, 12 Jahre lang für den BRD-VS Straftaten begangen hat und dafür vom BRD-System bezahlt worden ist." Justavitz, der am heutigen zweiten Verhandlungstag den Prozess beiwohnte und Niemeyer vergeblich einen Brief "zum Verlesen" überreichen wollte, weiter: "Darüber hinaus wurde der JOH-Wolkenschieber am 28.09.2012 von mehreren SS-Dienstausweisträgern mit Kampfgas besprüht um ihn dann von einem SS-Kampfhund zerfleischen zu lassen. ( … ) Dieser Angriff wurde mit Tötungsabsichten (also unter Vorsatz) durchgeführt, wobei Axel Thiesmeier dem Todesbiss des SS-Killerhundes (Angriff auf die Kehle) nur durch eine schnelle Reaktionsabwehr entkommen konnte. Seit dem 28.09.2012 liegt der JOH-Wolkenschieber nun schwerst verletzt im Krankenhaus und muß um den Verlußt seines linken Armes bangen. Außerdem wird dem JOH-Wolkenschieber nun die Straftat "Gefangenenbefreiung" vorgeworfen, mit dem die BRD-SS Truppe aus Bielefeld … nun den "Mordversuch" am JOH-Wolkenschieber rechtfertigen möchten. Alle Zeugen dieses offenkundigen "Mordversuches" zum Nachteil des JOH-Wolkenschiebers werden mittlerweile ebenfalls von der BRD-SS Organisation in Bielefeld bedroht, genötigt und eigener Straftaten bezichtigt."

Verhandlungs- und Schuldfähigkeit

Drei Tage vor den Festnahmen von Niemeyer und Thiesmeier ereignete sich in der "Botschaft Germanitien" nahezu Unglaubliches: Auf Grund der im Vorfeld des Prozesses unter anderem an die Strafkammer, den Vorsitzenden Richter und den Präsidenten des Landgerichtes versendeten Schreiben ordnete das Gericht ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der Verhandlungs- und Schuldfähigkeit Niemeyers an. Pikanterweise fand ein vereinbartes Gespräch des beauftragten Gutachters am 25. September 2012 - trotz zweier offen stehender Haftbefehle - in den Räumen der "Justiz-Opfer-Hilfe NRW" in Löhne statt. Das Treffen im Beisein des "Rechtsbeistandes" und "JOH"-Vorstandsmitgliedes Axel Thiesmeier und zweier weiterer Personen aus dem Vorstand der "JOH" wurde per Video aufgezeichnet. Dies fiel auf, nachdem Beamte des Polizeilichen Staatschutzes am 28. September 2012 eine Kamera beim Beifahrer von Jürgen Niemeyer bei dessen Verhaftung in Löhne beschlagnahmt und die Aufnahmen anschließend ausgewertet hatten. In dem im Prozess vorgeführten Video sagte "Rechtsbeistand" Axel Thiesmeier wörtlich: "Der Sachverständige ist abgelehnt." In der Verhandlung stimmte Niemeyer am 8. Oktober 2012 aber der Erstellung des Gutachtens im Nachhinein ausdrücklich zu, welches ihn im Ergebnis für voll schuldfähig erklärte.

Biografie und Geständnis

Befragt zu den "Eckpfeilern" seines Lebens berichtete Niemeyer ebenfalls am 8.Oktober 2012, dass er sowohl in der Schule als auch in der Kirche "viel verprügelt" worden sei, die Eltern Alkoholiker waren, er nach Schulabgang mit Vollendung der 9. Klasse mehrere Ausbildungen und Umschulungen, unter anderem zum Maschinenschlosser, abgebrochen hätte. Nach 15 Monaten Dienst bei der Bundeswehr sei er mehrfach als Lkw- und Busfahrer beschäftigt, überwiegend aber arbeitslos gewesen. Seit Mai 2012 sei er aus gesundheitlichen Gründen Frührentner. Er sei in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei Kindern. Zur Sache erklärte Niemeyer, er habe "Scheiße gebaut", die vorgetragene Anklage des Staatsanwaltes, "des guten Mannes", sei zutreffend.

Kontakte zum Verfassungsschutz

Auf Vorhalten des Vorsitzenden Richters zu einem Aktenvermerk aus einer polizeilichen Vernehmung, in der Niemeyer mit der Äußerung "Ich war in einer Art Sekte" zitiert wurde, antwortete der 55-Jährige am ersten Verhandlungstag wörtlich: "Am besten weiß das alles der Verfassungsschutz." Auf weiteres Befragen sagte Niemeyer aus, er sei von der Behörde in die NPD "reingeschleust" und im Jahr 2008 wieder "rausgezogen" worden. Er habe bis zu seiner Verhaftung noch Kontakt zu "Herrn Medenbach" gehabt, zu dem er "Vertrauen" habe und befinde sich weiterhin im "Aussteigerprogramm". Zu anderen Behörden habe er "kein Vertrauen", vor der Polizei habe er "Angst". Nachdem er "Herrn Medenbach" über den Besitz des Falschgeldes informiert habe, sei er davon ausgegangen, dass der Verfassungsschutz dieses bei ihm abholen würde, was jedoch nicht geschehen sei. Vielmehr hätte "Herr Medenbach" ihm empfohlen, dass Falschgeld bei der Polizei abzugeben, was er jedoch nicht getan habe.

"Aussteigerprogramm Rechtsextremismus"

Zum heutigen Termin war ein Aussteigerbetreuer beim NRW-Verfassungsschutz mit dem Arbeitsnamen "Felix Medenbach" geladen. Der Vorsitzende Richter bestätigte in der Verhandlung am 8. Oktober 2012 "intensive Kontakte" zwischen Niemeyer und "Medenbach". Der Aussteigerbetreuer soll zu der Behauptung Niemeyers, er hätte den Verfassungsschutz über den Besitz des Falschgeldes informiert, befragt werden. Nach eigenen Angaben will Niemeyer vom Verfassungsschutz zum Ein- und späteren Austritt in die NPD bewegt worden sein.

Der VS-Zeuge "Felix Medenbach"

"Medenbach" betrat den Verhandlungssaal durch eine im Raum befindliche Tür, die zu den Arrestzellen des Gerichtes führt, und begrüßte Niemeyer sehr freundlich mit Handschlag und einem Schulterklopfen, bevor er auf dem Zeugen-Stuhl Platz nahm. Auf Befragen des Vorsitzenden Richters benannte er den 15. Mai 2008 als seinen "Erstkontakt" mit Niemeyer, der an diesem Tag in das "Aussteigerprogramm" aufgenommen worden sei. Zu diesem Zeitpunkt bewohnte Niemeyer die Hausmeister-Wohnung des "Collegium Humanum" in Vlotho. Das Zentrum der Holocaust-Leugner war acht Tage zuvor, am 7. Mai 2008, vom Bundesinnenminister verboten worden. Niemeyer wurde im März 2005 im "Collegium Humanum" zum NPD-Kreisvorsitzenden im Kreis Herford gewählt. Am 11. und 12. Dezember 2006 nahm Niemeyer an einer vom "Collegium Humanum" unterstützten Konferenz von Holocaust-Leugnern in der iranischen Hauptstadt Teheran teil.

In Szene hinein geraten?

"Medenbach" führte weiter aus, dass Niemeyer viele Jahre im "Collegium Humanum" aktiv gewesen sei und er damals der Meinung gewesen sei, dass es sich lohne, ihm zu helfen, da er in die Szene der Holocaust-Leugner "hinein geraten" sei. Er hätte sich lange vergeblich bemüht, Niemeyers Probleme mit der Polizei, zu der er kein Vertrauen gehabt hätte, zu lösen. Niemeyer habe keine Distanz zur Szene entwickeln können, deshalb hätte er ihm im "August 2009" persönlich erklärt, dass seine Teilnahme am "Aussteigerprogramm" beendet werden müsse. "Ende 2009" sei Niemeyer offiziell mit einem "Schreiben" sein Ausscheiden aus dem "Aussteigerprogramm" mitgeteilt worden. "Medenbach" betonte ausdrücklich das "Vertrauensverhältnis" zu Niemeyer, zeitweise sei "beinahe täglich" telefoniert worden. Der Kontakt sei auch nach Beendigung des Programms auf Initiative Niemeyers fortgesetzt worden, so habe er; "Medenbach", unter anderem vergeblich versucht, dass Niemeyer seinen entzogenen Führerschein zurück erhält. Aktuell, so der Verfassungsschützer, zeige sich, dass Niemeyer durch sein Festhalten an der Ideologie der "Reichsbürger" und seinem fortgesetztem Engagement bei der "Justiz-Opfer-Hilfe" sich nicht von der Szene lösen könne.

V-Mann?

Etwas heikel wurde es in der Verhandlung, als der Vorsitzende Richter "Medenbach" befragte, ob Niemeyer vor dem 15. Mai 2008 als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet habe. "Medenbach" antwortete, dass er dazu "keine Angaben machen" könne, da er hierfür keine "Aussagegenehmigung" habe. Der Richter erwiderte wiederum, dass er das "Lächeln" von "Medenbach" werten und interpretieren könne. Mit einem kurzem Gespräch und einem erneutem Schulterklopfen bei Niemeyer verschwand der Beamte auf dem Weg, zu dem er schon in den Verhandlungssaal gekommen war.

Vorstrafen

Folgende Urteile verlas die Strafkammer nach dem Ende der Beweisaufnahme:

- Amtsgericht Berlin-Tiergarten vom 24. Januar 2008: 20 Tagessätze zu je 20 Euro wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht.

- Amtsgericht Bremen vom 6. November 2009: 40 Tagessätze zu je 20 Euro wegen Beleidigung.

- Amtsgericht Lemgo vom 2. August 2010: 30 Tagessätze zu je 50 Euro wegen Sachbeschädigung.

- Amtsgericht Lemgo vom 11. November 2011: 150 Tagessätze zu je 15 Euro wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung.

- Amtsgericht Lemgo vom 26. März 2012: Der Strafbefehl vom 11. November 2011 wurde auf 160 Tagessätze zu je 15 Euro erhöht, die offen stehende Geldstrafe in das heutige Urteil der Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen.

Spinner oder gefährlich?

Wichtige Akteure der Neonazi-Szene in Ostwestfalen-Lippe wie Ursula Haverbeck-Wetzel und Meinolf Schönborn, aber auch bundesweit relevante Personen wie Horst Mahler sind "Reichsbürger". Ignoriert werden darf auch nicht, dass es den "Reichsbürgern" durchaus gelingt, Kontakt zu Menschen aufzunehmen und diese einzubinden, die bisher nicht in der extremen Rechten zu verorten waren, die aber von der BRD enttäuscht sind. Spätestens hier muss also interveniert werden. Genau das hat sich das breites Bündnis "Gemeinsam für Vielfalt - Löhne gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus" vorgenommen.
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