Festnahme in Griechenland – ein Kurzbericht

Verschiedene AktivistInnen 06.10.2012 19:02 Themen: EU Gipfel Thessaloniki Repression Weltweit
Anfang September findet in Thessaloniki (Griechenland) jährlich die Eröffnung der Handelsmesse statt. Neben sämtlichen RegierungsmitgliederInnen und griechischen Großunternehmen findet sich auch der Ministerpräsident ein, um die unter hoher Aufmerksamkeit verfolgte Rede zur “Lage der Nation” zu halten. Dieser Termin wird seitens des linken und anarchistischen Spektrums Thessalonikis und dem Norden Griechenlands schon seit Jahren als Anlass zu Protesten genommen; vor allem in den vergangnen Jahren der Krise genießt dieses Event wieder mehr Aufmerksamkeit, weswegen neben sämtlichen Festivals verschiedener Zusammenhänge im Vorfeld auch zum Abschluss größere Demonstrationen im ganzen Innenstadtbereich stattfinden.
Im Zuge dessen ist die Polizei mehrere Tage vor und nach der Demo mit starker Präsenz vertreten und nimmt als Verdächtige im weitesten Sinne ausgemachte Personen präventiv fest. Wir, eine Gruppe verschiedener AktivistInnen aus der BRD, befanden uns zu dieser Zeit (Anfang September 2012) in Thessaloniki und gerieten in solch eine Abschreckungsmaßnahme. Im Folgenden möchten wir diesen Vorgang dokumentieren und einen Eindruck solcher in Griechenland leider nicht ungewöhnlichen Erfahrungen vermitteln, weil vermehrt Interessierte aus der BRD speziell zu diesem Anlass nach Thessaloniki und überhaupt nach Griechenland reisen.

In den frühen Morgenstunden befanden wir (6 Personen) uns in der Innenstadt Thessalonikis auf dem Weg zur Universität, wo das von Antiautoritären organisierte Festival der direkten Demokratie noch im Gange war. Eine Gruppe von ca. 8 sog. Delta-Einheiten (schwarz gekleidete Riot-Polizei auf Motorrädern aus Athen) schnitt uns mit ihren Motorrädern den Weg ab und hielt uns an. Sie nahmen uns unsere Personalausweise ab und fingen an, uns zu durchsuchen. Dabei stellten sie uns in einem zunehmend aggressiven Ton Fragen zum Hintergrund unserer Reise nach Griechenland und unserem Aufenthaltsort. Nach der Durchsuchung identifizierten sie uns als „Anarchisten“ aus der BRD und begannen mit Beleidigungen und Schlägen ins Gesicht und in den Oberkörperbereich. Sie pferchten uns zusammen und umzingelten uns. Sie beschuldigten uns, hier in Griechenland Krawalle machen zu wollen, und das wir dafür Konsequenzen tragen würden.Nach ca. 20 Minuten Misshandlung wurden wir unter Handschellen in Streifenwagen abtransportiert. Ab diesem Zeitpunkt waren andere Polizeieinheiten für uns verantwortlich. Wir wurden nochmals durchsucht und zu unserem Aufenthaltsort hier in Thessaloniki befragt. Unsere persönlichen Daten wurden notiert, allerdings nur handgeschrieben. Wie nachhaltig diese Personalienaufnahme ist, bleibt unklar. Wir befanden uns ca. 3 Stunden in einer gemeinsamen Zelle, bevor wir kommentarlos entlassen wurden.

Fazit: Abgesehen von der unmittelbaren psychischen Belastung und der Erschöpfung ging es uns allen unmittelbar nach der Freislassung mehr oder weniger gut. Die körperlichen Schäden sind minimal, viel schwerwiegender war für uns die vor allem psychische Demütigung der Delta-Einheiten und das Gefühl der absoluten Ohnmacht gegenüber der Polizei. In den langen 20 Minuten in den Fängen der Delta-Einheiten schlossen wir kein Szenario mehr aus. Sobald uns allerdings die anderen Polizeieinheiten in die Zelle transportieren, richtete sich das später als sich richtig erweisendes Gefühl ein, dass das Schlimmste jetzt vorbei sei. Aber wir sind uns auch nach Absprache mit den griechischen GenossInnen einig: wir sind noch glimpflich davon gekommen. Wir interpretieren diese Vorgehen der Polizei als Abschreckungsmaßnahme mit dem Ziel, dass wir uns aufgrund solcher Erfahrungen zweimal überlegen sollten, ob wir eine politische Reise nach Griechenland antreten sollen. Wer allerdings solche Reisen macht, nimmt ein gewisses Risiko in Kauf, weswegen diese Fragestellung für uns völlig irrelevant ist. Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass solche Fälle in Griechenland Regel und nicht Ausnahme sind. Vor allem im Rahmen der reaktionären Diskursverschiebung bezüglich der griechischen Migrationspolitik patroullieren systematisch Polizeieinheiten – oft Hand in Hand mit Nazis – durch Athen, um sogenannte „Säuberungsaktionen“ gegen Papierlose und Flüchtlinge durchzuführen. Wie viel Misshandlung die Betroffenen in solchen rassistischen Fällen erfahren, liegt auf der Hand. Wir wollen die Misshandlung gegen uns nicht leugnen und völlig relativieren, sondern sie im Kontext der griechischen Krisennormalität jenseits von spektakulären und Revolutionsromantik auslösenden Riotbildern einordnen.

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