[B] Proteste gegen den „Marsch für das Leben“

What the fuck! 23.09.2012 19:31 Themen: Freiräume Gender Soziale Kämpfe
In Berlin protestierten am Samstag mehrere hundert Menschen gegen den „Marsch für das Leben“, mit dem christlich Fundamentalist_innen jährlich ihre reaktionäre Weltanschauung auf die Straße tragen und für ein Verbot von Abtreibungen demonstrieren. Die lautstarken und bunten Proteste, zu denen ein Bündnis von feministischen und antifaschistischen Gruppen aufgerufen hatte, richteten sich gegen die Bevormundung von Frauen* und den Abtreibungsverbotsparagrafen 218 und forderten stattdessen die Entscheidungsfreiheit von Menschen über ihre Körper und die Anerkennung der freien Selbstbestimmung. Die Redebeiträge der Fundamentalist_innen konnten teilweise übertönt werden und ihr „Marsch“ wurde über die gesamt Strecke von Gegendemontrant_innen und feministischen Parolen begleitet. Die Berliner Polizei versuchte indes ihre Überforderung mit ruppigen Vorgehen, willkürlichen Personalienaufnahmen und Platzverweisen zu kompensieren.
Jahrelang zog der „Marsch für das Leben“ unbehelligt durch Berlins Mitte. 2008 regten sich erstmals Proteste. Feministische und antifaschistische Gruppen schlossen sich in dem Bündnis „1000 Kreuze in die Spree“ zusammen. Getreu dem Motto der Proteste fand in den folgenden Jahren immer wieder eine Reihe von Kreuzen den Weg ins kühle Nass. 2011 wurde die Route in Reaktion auf die Gegenproteste erstmals so geändert, dass die Abtreibungsgegner_innen auf ihrem Weg vom Bundeskanzler_innenamt zur St. Hedwigs Kathedrale am Bebelplatz das Überqueren der Spree vermieden. Seit letzten Jahr verzichtet der veranstaltende „Bundesverband Lebensrecht“ ebenfalls auf die Nennung von 1000 angeblich täglich in der BRD abgetriebenen Kinder im Titel ihrer Demonstration. Die Änderung der Route und das Abrücken von der absurd in die Höhe geschraubten Zahl von Abtreibungen, sind sicherlich auch auf die seit Jahren andauernden Proteste zurückzuführen. Auch in diesem Jahr organisierte das nun mehr unter dem Namen „What the Fuck“ agierende Bündnis im Vorfeld mehrere Veranstaltungen und Workshops zu verschiedenen Aspekten rund um die Themen Abtreibungspolitik und christlicher Fundamentalismus. Diese beschäftigen sich u.a. mit der vom antifeministischen und autoritären Weltbild des christlichen Fundamentalismus ausgehenden Gefahr, aktuellen Entwicklungen im Abtreibungsrecht in England und Deutschland und der Präimplantationsdiagnostik (Mitschnitte zum Nachhören). Eröffnet wurde die Reihe mit einem Vortrag vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum zur offenen Flanke der selbsternannten Lebenschützer_innen zur extremen Rechten, die nicht zuletzt immer wieder in völkischen und holocaustrelativierende Verlautbarungen zum Ausdruck kommt.

„Abtreibung ist der größte Weltkrieg aller Zeiten gegen die Kinder“

Diese Äußerung einer Rednerin bei der Auftaktkundgebung am Samstag ist symptomatisch für die ideologische Verortung der „Lebensschützer_innen“. Auf der unter anderem auch vom Bundesverband der „Jungen Union“ unterstützen „Marsch“ mit etwa 2000 Teilnehmer_innen fanden sich wie auch schon in den Vorjahren Menschen mit T-Shirts der Aktion „Linkstrend stoppen.“ Dabei handelt sich um eine Initiative aus dem Graubereich zwischen Rechtsaußen-Hardlinern der CDU und der „Neuen Rechten.“ Die dazugehörige Petition tritt nicht nur für „konsequenten Lebensschutz“ ein, sondern wettert darüber hinaus auch gegen „Geschlechterumerziehung“ und die „Gefahr der Islamisierung“. Zu den Erstunterzeichner_innen gehören neben diversen „Junge Freiheit“-Autoren und dem Politiker der rechtspopulistischen Partei „die Freiheit“ Rene Stadtkewitz auch der Bundesvorsitzende des „Bundesverbandes Lebensrecht“ Martin Lohmann, der mehrmals Interview-Partner der „Jungen Freiheit“ war. Eine Kuriosität in diesem Kontext war hingegen einer der eingesetzten Ordner_innen, der auf dem Rücken das eindeutig antichristliche, neopaganistische Symbol „Adler fängt Fisch“ trug. Das Zeichen ist markenrechtlich registriert durch die von 1989 bis zu seinem Tod 2009 durch den Neonazi Jürgen Rieger geleitete extrem rechte „Artgemeinschaft germanischen Glaubens – Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung.“ Auch in diesem Jahr gab es Grußworte u.a. vom CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Volker Kauder.

Der „Marsch“ und die Proteste 2012Das Bündnis „What the Fuck“ hatte für den Tag zwei Kundgebungen am Auftakt und am Abschlussort der Fundamentalist_innen organsiert, ergänzt wurden die Proteste durch eine dritte Kundgebung des „Netzwerk Sexuelle Selbstbestimmung“ am Brandenburger Tor. Bis zu 250 Menschen nahmen jeweils an den Kundgebungen teil. In Redebeiträgen wurde u.a. das Verhältnis von christlichen und Islamischen Fundamentalismus beleuchtet, zudem gab es Grußworte von internationalen Aktivist_innen aus England und Österreich und der Gegenpäpstin Rosa I. Zahlreiche Gegendemonstrant_innen hatten sich bereits bei der Auftaktkundgebung und später beim „Marsch“ unter die Christ_innen gemischt und begleiteten diesen mit feministischen Sprüchen, Konfetti und Lärmartikeln. Die eigentlich zum Schweigen verdonnerten Christ_innen, die in diesem Jahr von vier Bussen aus Polen unterstützt wurden, ließen sich immer wieder aus der Ruhe bringen. Gegner_innen wurden bespuckt und mit Kreuzen geschlagen. Eine junge Frau, die sich gegen einen solchen Angriff zu verteidigen versuchte, wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen. Überhaupt schwankte der massive Polizeieinsatz u.a. mit Hunden und Pferden zwischen übermotiviert und überfordert. Kreuze wurden entrissen und willkürlich Personalien von Anwesen aufgenommen. Ein Teil der angereisten Christ_innen mussten sich vor der Kathedrale die Beine in den Bauch stehen, beim Abschlussgottesdienst in der katholischen St.Hedwigs Kathedrale war nicht genug Platz für alle. Das Bündnis „What the Fuck“ kündigt unterdessen an auch am 21.09.2013 wieder gegen den „Marsch für das Leben“ zu protestieren.

Bilder vom Tag: flickr 1|2, Demotix
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Redebeitrag

WTF 23.09.2012 - 19:49
Den Redebeitrag des "Antifaschistischen Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag", auf der Kundgebung gehalten wurde, findet ihr unter  http://noalquds.blogsport.de/2012/09/23/redebeitrag-des-buendnis-bei-what-the-fuck-kundgebung/

mehr bilder

--- 23.09.2012 - 19:55

und noch was Feminismus ist heute different

n.n. 24.09.2012 - 20:36
Nicht jede Feministin ist Abtreibungsgegnerin oder überhaupt interessiert am Thema.Viele wollen das mit Männern garnicht diskutieren .Manche stört das Thema Abtreibung im Selbstverständnis oder beim Sex.Es gibt Frauen die werden nicht schwanger und Männer die nicht schwängern.Verhütung und Abtreibung(abortion) sind Themen die mit Sex zu tun haben und können auch wegen unterschiedlicher Objektwahl und sind deswegen keine veralgeeinerbare Themen.Die gedankliche Vorwegnahme einer Schwangerschaft einer Frau ,die nicht um ihr Einverständnis sogar zu der Fantasie gefragt wurde ist eine Vergewaltigungsfantasie.Auch der männliche Kinderwunsch der sich an eine bestimmte Frau richtet,die nicht gefragt wurde,ob sie Kinder möchte,ist ein lauer Code.Das sind Allmachts-und Verfügungsfantasien.Diese Fantasien werden wie die Fantasien über das was Frauen essen oder nicht essen ,zum Beispiel Pilze(das sind orale Vergewaltigungsfantasien und spielen in Magersuchttherapien eine Rolle ,bitte damit aufzuhören ,man fragt,was ißt du? Oder was essen Sie ?Man fragt das arme Frauen am Monatsende nur wenn man sie einläd.),für sensible Leute zur Belästigung.Man hat ständig mit halluzinierenden zu tun .dafür brauchtman eine Ausbildung-also,das ist alles so von latentem Sexismus geprägt,das man das ruhig nochmal benennen darf,und außerdem ist Abeitreibung und Abtreibungsgegnerschaft kein Feministinnenthema mehr sondern ein Massenthema im Fall ungewollter Schwangerschaften.Nur die Demogängerinnen wollen wirklich diskutieren .Man verläßt sich auf den gesetzlich fixierten Status Quo,bis so ein Gesetz in Frage steht.Es besteht wohl nach wie vor Beratungspflicht ,und uns stört es wenn Zahnärzte pro familia Blöcke auslegen,man kann da nicht unbefangen zum Zahnarztgehen ,weil das Thema Geschlecht präventiv berührt wird.Das macht der Friseur nicht mehr.

@Thema verfelht ... 23.09.2012 - 23:14

so wie hier, wa? 25.09.2012 - 08:55

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 6 Kommentare

Thema verfehlt / keine Solidarität für Frauen

23.09.2012 - 20:19
Auf der Kundegebung war nicht wirklich viel Platz für das Thema "Selbstbestimmung der Frau in Deutschland". Vielmehr war die Rede von Homosexuellenfeindlichkeit, mangelndem Respekt vor Queerpolitik und Unterdrückung der Frau in islamischen Ländern. Alles sicherlich wichtige Themen, aber warum wird so wenig direkt darauf eingegangen, dass Frauen hier eben nicht selbstbestimmt leben können? So ist Abtreibung immernoch rein rechtlich illegal und verschiedene Krankenhäuser können es sich ohne Folgen erlauben keine "Notfallverhütungsmittel" auszugeben.
In diesem Zuge verstehe ich einfach nicht, warum es nicht möglich ist auch nur eine Veranstaltung durchzustehen, in dem eben nicht der Fokus verloren geht. Fundamentalismus ist schlecht! Sicherlich, aber am Samstag wurde lauthals herausgeschrien, dass Frauen, die selbstbestimmt und frei entscheiden, kein Kind bekommen zu wollen, als Mörder_innen betitelt. Frauen, die verantwortungsvoll entscheiden, dass ihre Lebenssituation es nicht hergibt einen glücklichen Menschen in die Welt zu setzen soll eben jene Verantwortung abgenommen werden. Sicherlich ist natürlich wichtiger, dass privilegierte Menschen weil eben zugehörig zu einem bestimmten Geschlecht aufgrund ihrer Sexualität ebenfalls von diesen fundamentalisten diskriminiert werden. Dies geschieht aber auf anderen Veranstaltungen, bei denen MAN natürlich dann den Fokus auf eben solche menschenverachtenden Diskriminierungen legen muss.

Fazit: Warum müssen Männer eigentlich jede Veranstaltung an sich reissen und kann nicht einmal eine Kundgebung laufen, in der es sich nur um Frauenrechte und Solidarität mit Frauen dreht?

Thema verfehlt

ja - Nö 23.09.2012 - 22:42
Ohne selbst dabei gewesen zu sein, sprichst du für mich einen wichtigen Punkt an - viele Berliner DemonstrantInnen betreiben immer nur ihre eigene Gruppen- oder Kaderpolitik. Warum hier ein Redebeitrag zum Al-Quods Tag von seinen nicht minder umstrittenen Gegnern gehalten werden muss, verstehe wer will. Das hat doch mit dem Einsatz für Frauenrechte so wenig zu tun wie der Bundeswehreinsatz in Afghanistan - nun gut, ein Spinner wie Ivo Bozic würde wohl beides irgendwie noch damit zusammen bringen.

Als ich las, wer in diesem Bündnis alles zu diesem wichtigen Protest aufruft, verliess mich schon die Lust, da hinzugehen. Manchmal wäre ich froh, wenn die Berliner KaderInnengruppen ihre Gruppenkürzel nicht unter jeden Aufruf schrieben und ihre Parteiabzeichen (so was nennt sich heute Transparent - wo häufig aber nur Fremdwörter, Abkürzungen, Szenesprech und vor allem die jeweilige Webseite draufstehen) zu Hause lassen.

Die Bedeutungslosigkeit der Berliner linken Szene rührt für mich u.a. da her, dass sie zu grundsätzlichen Fragen nicht in der Lage ist, eine einigermassen vernünftige und gemeinsame Position zu vertreten sondern das meiste ihrer eigenen Inszenierung opfert. So wohl auch zu diesem Anlass - schade.

Die Revolution ist grossartig - alles andere ist Quark!

@Thema verfelht

... 23.09.2012 - 23:14
Lustig, dass weder auf den Plakaten, Flyern oder auf der Internetseite die organisierenden Gruppen angegeben sind. Soviel zum Thema Selbstbeweihräucherung...

Zwei Fragen

Der Frager 24.09.2012 - 14:47
1. Frage: Wie viele Menschen waren denn nun bei diesem Marsch? "mehrere Hundert" (1. Absatz), "2000" (etwas weiter unten; dann könnte man schwerlich von "mehrere hundert" sprechen) oder 3000 (so die offizielle Zahl der Polizei)?
2. Frage: 1000 Abtreibungen pro Tag wird behauptet - und es wird so dargestellt, als würden die Lebensschützer maßlos übertreiben. Beim Statistischen Bundesamt kann man nachlesen, das im Jahr 2011 insgesamt 109.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen wurden. Diese Zahl geteilt durch 365 macht 268 pro Tag. Jeden Tag "verschwindet" also allein in Deutschland ein kleines Dorf. Ist das in Ordnung?

@der frager

antwortwichtel 24.09.2012 - 19:00
"1. Frage: Wie viele Menschen waren denn nun bei diesem Marsch? "mehrere Hundert" (1. Absatz), "2000" (etwas weiter unten; dann könnte man schwerlich von "mehrere hundert" sprechen) oder 3000 (so die offizielle Zahl der Polizei)?"

Und weshalb genau beziehst du nun die "mehreren Hundert" auf die TeilnehmerInnen des Marsches, obwohl diese im Text klar und deutlich auf die Gegendemonstrant_innen bezogen werden?

"2. Frage: 1000 Abtreibungen pro Tag wird behauptet - und es wird so dargestellt, als würden die Lebensschützer maßlos übertreiben. Beim Statistischen Bundesamt kann man nachlesen, das im Jahr 2011 insgesamt 109.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen wurden. Diese Zahl geteilt durch 365 macht 268 pro Tag."

Ohne die Zahlen jetzt noch mal gesondert überprüft zu haben, ist die behauptete Angabe von 1000 Abtreibungen pro Tag im Vergleich zur von dir behaupteten tatsächlichen (?) Zahl von 268 pro Tag ja wohl ziemlich eindeutig eine maßlose Übertreibung. Oder würde die bei dir erst ab einer 10-fach zu hoch angegebenen Zahl beginnen?

"Jeden Tag "verschwindet" also allein in Deutschland ein kleines Dorf. Ist das in Ordnung?"

Verschwindende deutsche Dörfer wären schon ok - wenn's denn mal so wäre. Das Thema ist allerdings Abtreibung. Nur so nebenbei.

@so wie hier, wa? 25.09.2012 - 08:55

hä? 26.09.2012 - 11:14
Seit wann lassen auf Demos anwesende Transpis darauf schließen, wer die Demo organisiert hat? Oft hat jede mit einigen Leuten anwesende Gruppe auch ein (mal mehr, mal weniger zur Thematik passendes) Gruppentranspi dabei. Dass die dann auch alle zwangsläufig in die Vorbereitung involviert waren, wäre mir neu.