Entlarvende Willkür gegen Gefangenen

k.o.b.r.a.___antirepressionsplattform_______ 15.08.2012 13:02 Themen: Repression

Das Landgericht Bonn hat ein Reststrafengesuch von Peter ("Pit") Scherzl, dem Gründer und Vorsitzenden der Interessenvertretung Inhaftierter (Iv.I), abgelehnt. Das ist kein Einzelfall, sondern ein deutliches Beispiel, was es mit Knast und Strafe auf sich hat. Wer das Treiben hinter Gittern, Mauern und auch schon in den absurd organisierten Gerichtssälen genauer anschaut, muss Menschen verachten und Herrschaft befürworten oder sofort rufen: Weg mit allen Knästen!

Bisher liegt nur ein Auszug aus dem Beschluss vor. Darin heißt es: "Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass sich der Verurteilte in einem Stil (sic!) der Streit- und Konfliktbewältigung befindet. Das Erstreiten seines Rechts bei subjektiv erlebten Verletzungen habe dabei so ein dominantes Ausmaß angenommen, dass es sein Handeln in wesentlicher Weise determiniere. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass - anders als in Freiheit- ein Dialog auf Augenhöhe im Vollzug nicht oder nur kaum möglich ist und der Verurteilte daher auf förmliche Anträge und Eingaben verwiesen ist. Sie verkennt auch nicht, dass der Verurteilte- soweit ersichtlich- ausschließlich von ihm eingeräumten Rechten Gebrauch macht. Allerdings könne nach den Ausführungen des Sachverständigen der Schlussfolgerung des Verurteilten, dass diese Verhaltensweise nach der Entlassung überhaupt keine Rolle mehr spiele nicht gefolgt werden, nicht gefolgt werden, denn es entspreche der klinischen Erfahrung, dass Menschen eben gerade in Konflikt- und Streitsituationen dazu tendieren, alte eingewurzelte Verhaltensweisen beizubehalten und sich auf Bewährtes zu verlassen. Dies bedinge eben die legalprognostische Gefahr, dass der Verurteilte im Fall von Streit- und Konfliktsituationen nach der Entlassung, wie sie eben im Leben unausweichlich blieben, dann wieder zu eher querulatorischen Verhaltensweisen zurückgreifen werde, die seine Kompetenz der sozialen Integration beeinträchtigen würden. Dies sei mit hoher Wahrscheinlichkeit, eher Sicherheit anzunehmen. Daraus folgt dann aber, dass in solchen Konstellationen eben genau die Gefahr wieder bestehen könne, die auch zur Vordelinquenz geführt habe. Denn der Verurteilte gab ja selbst an, dass eine Banküberfälle aus Stress und Geldnot resultierten. Wenn es also nach einer Entlassung erneut zu Streit- und Konfliktsituationen komme, so steht dann zu befürchten, dass er aus einer solchen Stresssituation heraus erneut wieder delinquent werde."

Mit dieser Formulierung macht das Gericht ganz offen deutlich, welchen Sinn und Zweck Knast für die Gefangenen hat (wichtiger, d.h. die eigentlichen Haupteffekte, richten sich eher gegen die Menschen außerhalb des Gefängnisses: Einschüchterung und die Inszenierung der Allmacht des Staates). Es geht um das Brechen jeglicher Persönlichkeit. Aus Menschen (so sie nicht schon durch die soziale Zurichtung stromlinienförmig sind) sollen Mitläufer werden. Pit Scherzl hat das nie getan. Dafür wird er bestraft - schon seit Jahren durch Isolationshaft, gezieltes Zusammenbringen mit gewaltbereiten Nazis, ständige und trotz meist anschließender Rechtswidrigfeststellung fortgesetzter Schikanierung durch Kontaktverbote, Anhalten von Post und mehr. Schon seit etlichen Monaten verweigern ihm Knastleitung und Gerichte die eigentlich übliche Entlassung nach 2/3 der verbüßten Haft (dann auf Bewährung).

Dazu Anmerkungen von Johannes Feest (Strafrechts-Prof aus Bremen)
Es ist anzunehmen, dass der volle Wortlaut des Beschlusses demnächst auf der WebPage der Iv.I nachzulesen sein wird. Schon jetzt möchte ich jedoch diese Begründung als skandalös bezeichnen. Herr Scherzl ist wegen Bankraubes und nicht wegen Querulanz verurteilt. Er hat mehr als Zweidrittel seiner Strafe verbüßt. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob es den verbleibenden Strafrest zur Bewährung aussetzt. Nach der dafür einschlägigen Norm (§ 57 StGB) kommt es darauf an, ob "dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann" oder eben nicht. Wenn das Gericht Anhaltspunkte dafür hat, dass Herr Scherzl erneut schwere Straftaten begehen wird, dann darf es den Strafrest nicht zur Bewährung aussetzen. Es darf dabei die Hilfe eines Sachverständigen in Anspruch nehmen. Was es nicht darf, ist: dem Sachverständigen alles abnehmen, was dieser ausführt. Mit der beträchtlichen Beschwerdetätigkeit von Herrn Scherzl hat die Vollzugsverwaltung zweifellos ihre liebe Mühe gehabt. Diese Tätigkeit bewegte sich jedoch im Rahmen des vom Strafvollzugsgesetz Erlaubten. Aus dieser legalen Aktivität von Herrn Scherzl den Schluss zu ziehen, er werde nach seiner Entlassung erneut Banküberfälle begehen, erscheint mir an den Haaren herbeigezogen und völlig unzulässig. Hätte er draußen auch immer nur Anträge geschrieben, wäre er nicht wegen Bankraub verurteilt worden.
Wenn dem Gericht dazu nichts anderes einfällt, dann hätte es Pit Scherzl entlassen müssen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und ich kann mir nicht vorstellen, dass das zuständige Oberlandesgericht sie aufrecht erhält. Allerdings ist nicht unwahrscheinlich, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung so viel Zeit vergeht, dass Pit  Scherzl, wegen Erreichung des Strafendes, so oder so entlassen werden muss. Querulanz hin oder her."

Pit und seine Anwältin legen Beschwerde ein - es geht damit eine Stufe höher. Aber die Zeit verrinnt. Jeder Tag ist ein Tag mit Blick durch vergitterte Fenster - und ein Tag in einem autoritären System, welches mit Demokratie- und Rechtsstaatspropaganda vernebelt, dass auch das nur Formen der Herrschaftsausübung sind.

Freiheit für alle Gefangenen!
Wer weniger fordert (z.B. nur der politischen Gefangenen u.ä.), hat nichts kapiert oder will, dass es weiter Unterdrückung und menschenverachtende Politiken gibt!

 

Kontakt: Peter Scherzl (z.Zt. JVA 53359 Rheinbach)
Briefe bitte ausschließlich an die Anschrift:

Iv.I.

Postfach 1267

56451 Westerburg

 

Mehr Infos

Ärger mit Justiz und RepressionAnarchie und HerrschaftsfreiheitTermine zu Knast- und Herrschaftskritik
  • 25.-26.8. vor dem Kulturbahnhof Bochum-Langendreer:
    Workshop zur Kritik an Knast und Strafe (genauer Zeitpunkt noch unklar)
    Im Rahmen des Gegenprogramms zur Libertären Medienmesse. Dort haben sogenannte AnarchistInnen (oder unbekannte Szenefürsten aus dem Hintergrund - wie üblich ist das nicht klar) eine Veranstaltung zur Theorie der Herrschaftsfreiheit zensiert. Aus Protest soll es vor dem Kulturbahnhof ein Gegenprogramm geben (ob das klappt, ist aber noch unklar, da sich Veranstalter und Polizei bemühen, mit vorgeschobenen Gründen das Gegenprogramm zu verhindern). Bisher stehen:
    • Samstag 14 Uhr: Lesung und Diskussion "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" (Jörg Bergstedt)
    • Sonntag 12 Uhr: Lesung und Diskussion "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" (Jörg Bergstedt)
    • Uhrzeit noch offen: Lesung "Radikal mutig" (Hanna Poddig), Workshop "Den Kopf entlasten - Kritik an vereinfachten Welterklärungen" (Jörg Bergstedt) usw.
  • Freitag, 19. Oktober in Berlin (KuBiZ, Bernkasteler Str. 78, Berlin-Weißensee): Lesung und Diskussion "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen: Theorie der Herrschaftsfreiheit" (Inhalt siehe 5.9.)
  • 20. und 21. Oktober in Berlin (tagungswerk ... Seminarhaus im KuBiZ, Bernkasteler Str. 78, Berlin-Weißensee): Seminar "Herrschaftsfreiheit – Traum oder anstrebenswerte Zukunft?" ++ Plakat/Flyer
    Herrschaftsfreiheit, Graswurzelrevolution, Basisdemokratie sind Begriffe, die seit den 68er Jahren über die Neuen Sozialen Bewegungen bis zu heutigen Alternativbewegungen einen zentralen Bezugspunkt politischen Handelns bilden. Und auch aktuelle Bewegungen, wie die weltweite Occupy-Bewegung oder vor Ihr die Antiglobalisierungsbewegungen rekurieren immer wieder auf sie. Doch was ist damit gemeint. Was verstehen wir unter den Begriffen, welchen Theorien bilden ihren Hintergrund und welche praktischen Erfahrungen wurden gemacht? Ist Herrschaftsfreiheit ein anarchistischer Traum oder eine verstaubte Theorie oder ist sie die Zukunft (oder Teile von Ihr bereits Wirklichkeit?) in der globalisierten Welt?
    Wir wollen diesen Fragen auf den Grund gehen, eine Einführung und Kritik bieten aber vor allem auch einen individuellen, ganz persönliche Erfahrungsaustausch ermöglichen. Dazu bedienen wir uns vielfach aus dem Repertoire kreativer und nicht-hierarchischer Bildungsmethoden.
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Ergänzungen