Veranstaltung zu den G8 Urteilen in Genua

Veranstaltungsteilnehmerin 19.07.2012 23:07 Themen: G8 Globalisierung Indymedia Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Gestern Abend versammelten sich in Berlin ca. 70 Interessierte, um sich über die Genua ergangenen Urteile gegen 10 italienische Aktivist_innen im Zusammenhang mit der Polizeirandale 2001 während des G8 Gipfels zu informieren. Damals wurde Carlo Giuliani (1) von einem jungen Militärpolizisten erschossen - seine Ermordung jährt sich heute zum 12. Mal.
Wegen des schlechten Wetters war die Versammlung vom Kreuzberger Carlo Giuliani Park (Adalbertstr./Engeldamm) kurzfristig in einen nahe gelegenen Raum verlegt worden. Zunächst gab jemand einen Überblick über die Urteile ( siehe auch  http://de.indymedia.org/2012/07/332695.shtml ) - während fünf der Verurteilten ihre langen Haftstrafen sofort antreten sollen und z.T. bereits haben, sind den anderen an einem Punkt ihrer Verurteilung noch Revisionsmöglichkeiten offen. Daher haben sie derzeit noch Haftverschonung. Verurteilt wurde alle 10 wg. verschiedener Paragraphen, die dem hiesigen Landfriedensbruch sowie harter Strafen wegen öffentlicher Plünderungen, also letztendlich kollektiver Eigentumsdelikte entsprechen. Ein italienischer Veranstaltungsteilnehmer wies darauf hin, dass die entsprechende Gesetzgebung mit ihren harten Strafen noch aus der Zeit des Faschismus stamme und bis heute nie verändert wurde.

Es wurden Filmaufnahmen von den Demonstrationen gegen das G8 Treffen in Genua gezeigt, die über mehrere Jahre in verschiedenen Gerichtsverfahren, auch gegen die Polizei gezeigt worden sind. Die Ereignisse der internationalen Großdemonstration wurde akribisch und sehr anschaulich nachgezeichnet und die inzwischen gerichtsbekannte Tatsache heraus gearbeitet, dass ein Polizei Batallion an jenem Tage entgegen anders lautenden Einsatzbefehlen ohne Grund die Großdemonstration der Tutti Bianchi (2). Obwohl es anders lautende Weisungen der Einsatz Zentrale an jenem Tag gegeben haben soll, ist der massenhafte Einsatz von Tränengas auf engstem Raum auf den Filmaufnahmen zu beobachten. Viele Polizisten verwenden zudem Schlagstöcke, die nicht den offiziell erlaubten entsprechen. Hunderte von äußerst schweren Kopfverletzungen bei Demonstrationsteilnehmer_innen waren auf den Gerichtsbildern zu beobachten. Absolut deutlich wurde auch, dass die Straßenkampfszenen kurz vor Carlo Giulianis Tod eine direkte Folge der brutalen Polizeiangriffe war und nicht, wie zunächst behauptet, anders herum. Berichtet wurde auch von neueren Erkenntnissen, dass Carlo Giuliani nach den Schüssen noch gelebt haben soll und erst durch mehrfaches Überfahren von einem Polizei Jeep getötet wurde. Allerdings wurde dafür keine Quelle angegeben.

Von den ursprünglich 25 angeklagten Demonstrant_innen nach diesem Einsatz wurden 15 freigesprochen, weil ihnen aufgrund des absolut brutalen (und letztendlich auch in Teilen illegalen) Vorgehens der Polizei das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden wurde.

Besondere Beachtung erhielt 2001 auch die Erstürmung der Diaz-Schule durch die Polizei. Dort war ein unabhängiges Medienzentrum während der Proteste untergebracht. Zahlreiche Journalist_innen wurden extrem schwer verletzt, inhaftiert und später z.T. gefoltert. Eine Welle der Entrüstung ging in jenen Tagen durch Europa und es kam auch in Berlin zu spontanen Solidaritätsaktionen und Besetzungen. Allerdings war dieser Teil der Geschehnisse nicht Gegenstand der Veranstaltung.

Ein Teilnehmer berichtete, dass es in Italien eine massive Hetze gegen den "Schwarzen Block" und die angeblich "kriminellen" Plünderungen wg. der Proteste gegen den G8 gegeben habe. Alle 10 jetzt Verurteilten seien dem anarchistischen "Black Block" Spektrum zuzurechnen und daher stellvertretend verurteilt worden, so die Einschätzung. Andere wiesen darauf hin, dass diese Beurteilung der staatlichen Taktik in den Verfahren zwar sicherlich zuträfe, das dies aber nicht bedeute, dass solidarische Unterstützer_innen die von oben vorgegebene Spaltung innerhalb verschiedener linker Politikansätze übernehmen sollten.

In Genua gab es auch Verurteilungen gegen beteiligte Polizisten, allerdings hatte das lediglich einige Dienstversetzungen zur Folge. Der Militärpolizist, der als Folge des unkoordinierten und verantwortungslosen Polizeieinsatzes Carlo Giuliani aus nächster Nähe erschoss, quittierte selbst seinen Job. Zwar seien auch Polizisten zu kurzen Haftstrafen verurteilt worden. Diese würden wg. Verjährung allerdings nicht vollstreckt.

Die Überraschung über die Nichtverfolgung sadistischer Polizisten durch die Gerichte hielt sich bei den Versammelten in Grenzen. Es gab eine Spendensammlung für die bereits Inhaftierten und den Aufruf, in den nächsten Tagen auf die Veröffentlichung der Gefängnisadressen zu achten und ihnen massenhaft Solidaritätsbriefe und Karten zu schicken.


(1) Carlo Giuliani - ermordet - niemals vergessen!
Einen bildhaften Eindruck jenes Tages liefert dieses halbstündige Video:
 http://www.youtube.com/watch?v=_25C55I-dCM&feature=related
Etwas Geduld am Anfang des Videos ist notwendig. Gegen Ende wirds auch der Polizeiüberfall auf Diaz-Schule gezeigt.

(2) kurzer Artikel von 2001 zu den Tutti Bianchi
 http://de.indymedia.org/2001/04/1531.shtml
Sicherlich gibt es zu diesem aktionistischen Ansatz viel mehr zu berichten - enjoy the research!
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Ergänzungen

Notwehr?

Intelligenz wäre besser 20.07.2012 - 13:56
Wenn schon auf den Feuerlöscher eingegangen wird, dann vergiss bitte nicht wie dieser in die Demo kam.
Mit einem Geländewagen wurde eine Gruppe (darunter auch Carlo Giuliani) angegriffen indem dieser in die Menschenmenge raste. Bei weiteren Angriffen würde aus diesem Wagen auch besagter Feuerlöscher geworfen.
Nun also die Frage wer sich stärker bedroht fühlt: Eine Person die schutzlos u.a. mit einem Feuerlöscher angegriffen wird oder eine (bewaffnete) Person in einem schweren vergitterten Fahrzeug?

Notwehr...

Intellijenz is so ne Sache 20.07.2012 - 14:00

Also, vor Gericht wurde festgestellt, dass die Militärpolizisten, die die Demo der Tutti Bianchi angriffen, entgegen ihren Einsatzbefehlen gehandelt haben. Es wurde weiterhin festgestellt, dass sie zum großen Teil Stahlstangen mit schwarzem Klebeband umklebt hatten und damit auf Demonstrant_innen einer angemeldeten Demonstration einschlugen. Das war eine komplett illegale und lebensbedrohliche Bewaffnung seitens der Schergen. Zusätzlich gab es klare Ansagen der Einsatzzentrale, kein CS Gas in engen Straßen zu benutzen. CS Gas ist als Kriegswaffe international geächtet, wird aber in einigen EU Staaten noch immer gegen Demonstrant_innen eingesetzt. Zusätzlich haben Militärpolizisten in Genua mit schweren Einsatzfahrzeugen Jagd auf einzelne Demonstrant_innen in der Absicht gemacht, sie zu überfahren. Entsprechende Filmaufnahmen waren eines der Kernbeweisstücke vor Gericht. Abgesehen von der eigenmächtigen Entscheidung der Militärpolizei, die Demo anzugreifen, räumte deren Einsatzleiter vor Gericht ein, dass die beiden Jeeps, die kurz darauf zum Brennpunkt des Geschehens wurden, dort nicht hätten sein dürfen, da sie jeglicher Polizeitaktik in engem Terrain widersprechen.

Zur Frage der Notwehr: alle dort an diesem Platz Festgenommenen sind in den letzten Jahren wg. Notwehr freigesprochen und teilweise bereits entschädigt worden. Darunter auch derjenige, der die Gasflasche - auf vielen Abbildungen zu sehen - durch die Heckscheibe des Jeeps geworfen hat. Mit anderen Worten: diese Leute haben sich gerichtsanerkannt verteidigt.

Der Todesschütze war ein erst wenige Wochen im Dienst befindlicher Neuling, der weder eine Waffe hätten tragen sollen noch in dieser Situation eingesetzt werden dürfen. Er ist der Schütze, die Militärpolizei, die deckelnde Justiz und der Staat sind die Mörder von Carlo Giuliani.

Kiegste  http://www.youtube.com/watch?v=sih5fvY_xDE (Trailor) oder den gesamten Film "OP Genua" vom Genova Legal Forum, ITA, 43 MInuten
Filmsprache: Deutsch
Laika Verlag  http://www.laika-verlag.de/bibliothek/die-blutigen-tage-von-genua-%E2%80%93-wut-im-bauch-und-widerstand-im-sinn

[DOKU] G8-Gipfel Genoa 2001

von kanalB 20.07.2012 - 14:29
Eine Dokumentation über den G8-Gipfel in Genoa von kanalB

Sprache: Deutsch + Untertitel bei anderen Sprachen
Länge: ~ 30 Minuten

Agriff auf streikende Staharbeiter in GR

lesender arbeiter 21.07.2012 - 14:44
Die griechische Polizei ist am Freitag morgen mit Tränengas gegen die Stahlarbeiter vorgegangen, die sich seit 263 Tagen im Streik befinden. Als Antwort darauf mobilisierte die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME zu einer grossen Solidaritätskundgebung vor dem Toren des Stahlwerks. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verbreitete eine Stellungnahme, in der sie die griechische Regierung für die Eskalation der Lage verantwortlich machte.

Veranstaltungsbericht auf Freitag-Online

leser 21.07.2012 - 20:21
Hier ein Veranstaltungsbericht und eine Reflektion über Krise, Repression und den Widerstand

Interview mit einer Aktivistin aus Genua

leserin 22.07.2012 - 15:01
Sara Di Pietro (rechts) engagiert sich bei »10x100 - Genua ist nicht vorbei«. Über die Urteile gegen Demonstranten beim G8-Gipfel 2001 sprach mit ihr für »nd« Katja Herzberg.

Weiterlesen:

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/233208.nicht-die-gerichte-duerfen-die-geschichte-von-genua-schreiben.html

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Quellen — Fabian