AZ Lissabon angegriffen -- (ganzer Text)

Von Gentrifizierung bedrohtes Autonomes Kulturzentrum in Lissabon von rassistischem AnwohnerInnen-Mob angegriffen
- Der Angriff ereignete sich nach der Besichtigung des Innenstadtviertels und Aufwertungsungsgebiets Mouraria durch den Staatspräsidenten Cavaco Silva und einer begleitenden Hetzkampagne gegen die „Anarchisten“
- Lokale Drogendealer und Schläger von Stadt und Polizei gezielt angestiftet?

Im Folgenden werden die Erklärungen des autonomen Zentrums Da Barbuda im Lissabonner Stadtteil Mouraria paraphrasiert und eingeordnet. Der Originaltext findet sich hier:
 http://dabarbuda.blogspot.pt/
Jetzt hoffentlich der ganze Text.
Der Originaltext findet sich hier:
 http://dabarbuda.blogspot.pt/
Solidaritätsbekundungen, Spenden, Protestaktionen sind unbedingt erwünscht und willkommen!

Vor 2 Jahren bildete sich eine Gruppe von Personen, um gemeinsam einen Freiraum für alternative Kultur und emanzipatorische Politik zu ermöglichen. Am Largo da Severa in der Mouraria (einem der letzten noch nicht gentrifizierten und von Tourismus und Kommerz eroberten innerstädtischen Viertel, in dem v.a. MigrantInnen, alte Menschen und sozial Schwache leben) wurde ein Raum gemietet und instandgesetzt. Seither wurden in der Barbuda Voküs, Workshops, Debatten, Konzerte, Flohmärkte, anarchistische Buchmessen und Filmvorführungen organisiert. Der Raum war offen für alle, die sich dort engagieren wollten.

Vor dem Hintergrund der verschärften Aggression gegen jede mögliche Störung der öffentlichen Ordnung in Portugal, wie sie zuletzt u.a. bei den Räumungen der besetzten und zum Stadtteilzentrum umgewidmeten ehemaligen Schule Es.Col.A da Fontinha, der Biblioteca Popular do Marquês in Porto und des kurzzeitig besetzten Hauses São Lázaro 94 in Lissabon (alle diese Gebäude befanden sich in Besitz der öffentlichen Hand und standen seit Jahren leer) oder bei den vielen angestrengten Strafprozessen gegen GenossInnen zu beobachten war, und vor dem Hintergrund einer über Wochen angeheizten öffentlichen Hetze gegen das Projekt im Rahmen der Kampagne zur Aufwertung der Mouraria und des Besuchs des Staatspräsidenten Cavaco Silva ereignete sich nun nach vorangegangenen Drohungen und Angriffen auf einzelne AktivistInnen ein gemeinschaftlicher Angriff auf das Zentrum durch einen Mob von AnwohnerInnen, rassistischen Schlägern und lokalen Drogendealern.

Aus dem Bericht der angegriffenen AktivistInnen:
„Am Wochenende nach dem Stadtfest des hl. Antonius [am 12.6.] […] kommen die ‚Gorillas‘ wieder. Diesmal sind es sehr viel mehr, die […] wild darauf Prügel auszuteilen, durch die Mouraria rennen. Es schließen sich ihnen alte Frauen und Männer an, das >Dorf der sauberen WäscheBrennen wir die ganze Scheiße nieder!Der Platz gehört uns!Wiege des Fado Es fehlt nicht mehr viel, dann verschwindet Ihr hier alle.StadtsäuberungEin Haus mit Aussicht auf den Fadowas es bedeutet aus der Mouraria zu seinSchwarzen, die da rumhängen< in der Barbuda betrifft.
Das waren die Vorkommnisse, die uns nun dazu brachten, unsere Aktivitäten bis auf weiteres einzustellen, um unsere eigene und die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten.“
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Ergänzungen

der rest vom text

etcetera 11.07.2012 - 11:17

Aus dem Bericht der angegriffenen AktivistInnen:
„Am Wochenende nach dem Stadtfest des hl. Antonius [am 12.6.] […] kommen die ‚Gorillas‘ wieder. Diesmal sind es sehr viel mehr, die […] wild darauf Prügel auszuteilen, durch die Mouraria rennen. Es schließen sich ihnen alte Frauen und Männer an, das ‘Dorf der sauberen Wäsche’ versammelt sich am Eingang der Barbuda, es werden Steine, Scherben, Stühle und Flaschen ergriffen – der Mob ist benebelt und vielleicht sogar bereit zu töten. Besitzerinnen des Cafés rufen ‘Brennen wir die ganze Scheiße nieder!’, ‘Der Platz gehört uns!’ und zeigen wie sie sich das neue Viertel vorstellen: typisch, traditionell, voll mit Touristen, Haus des Fados – endlich befreit.“
Die Angegriffenen retteten sich in das Gebäude und schlossen die Türen. Die herbeigerufene Polizei stellte sich vor dieses, um den Abzug der eingeschlossenen Erwachsenen und Kinder aus dem Zentrum zu sichern. Die Polizei machte jedoch keine Anstalten gegen die Angreifer und Drohungen vorzugehen und forderte stattdessen die AktivistInnen, die das Material aus der Barbuda sichern wollten, auf sich zu beeilen, da die Polizei nicht mehr lange für ihre Sicherheit garantieren könne. Die Aktivitäten des autonomen Zentrums wurden nun vorerst eingestellt, um nicht die Sicherheit der AktivistInnen und Gäste nicht zu gefährden.

Die Art und Weise, wie die Spannungen im Viertel und die Aggression gegen die Barbuda über Wochen und scheinbar gezielt angeheizt wurden, ist sehr aufschlussreich für das Zusammenspiel von marginalisierten AnwohnerInnen, die um ihr bisschen Wohlstand und ihre soziale Achtung Angst haben, der sensationslüsternen Presse, den städtischen Aufwertungskampagnen und der Polizei. Es soll deshalb etwas ausführlicher auf die Erklärung der AktivistInnen zu den Ereignissen eingegangen werden.

„Alles begann mit dem Gerücht vom Besuch des Staatspräsidenten in der Mouraria. Von einem Tag auf den nächsten wurden die Aufwertungsarbeiten hektisch angetrieben. […] Eine städtische Brigade für öffentliche Hygiene strich sämtliche Fassaden und Türen homogen beige und säuberte alles, was sich bis dahin durch Heterogenität, Dreck und Diversität auszeichnete. Ohne Erlaubnis weder bei den BesitzerInnen noch den BewohnerInnen der Häuser einzuholen, löschten sie jedes Indiz von Dissidenz, Kritik oder simple Liebeserklärungen, wie Graffitis oder das Wandgemälde an der Fassade der Barbuda, wo bewusst ein Text über die Ordnung der Städte und die Pariser Kommune angebracht worden war. Als sich am nächsten Tag jemand bereit machte, das Wandgemälde zu erneuern, wurde ein Vetreter des Ortsamts, der in der Mouraria lebt, herbeigerufen und er versuchte sogleich auf aggressive Weise das Wandgemälde zu verhindern. Einige NachbarInnen beteiligten sich an seiner Ordnungswut und baten uns, dass wir den Besuch des Staatspräsidenten abwarten mögen, bevor wir die Wand wieder bemalten. Wir beschlossen daher abzuwarten.
Die Wäscherinnen schmückten sich für ein Dorf der weißen Wäsche, die Fados am Fenster wurden einstudiert und ein vibrierendes Delirium umgab den Moment, in dem sich das Viertel, nun mit dem Titel ‘Wiege des Fado’belegt, endlich anerkannt und geschätzt fühlte. In der Straße leben die NachbarInnen die normale Schizophrenie zwischen dem ständigen Klagen über die Zustände, die politische Klasse und den Präsidenten, zwischen der Revolte gegen den Diebstahl unserer Leben und der Feier des Moments, den Banderolen, dem Stadtfest der Heiligen, der frisch gebügelten Wäsche.“
Am Tag des Besuchs des Präsidenten erschienen in der Zeitung Journal de Notícias Warnungen vor Störungen oder Angriffen seitens der „Anarchisten vom Largo da Severa“, wie auch schon seit längerem bei Touristenführungen durch den Stadtteil zu beobachten war, dass vor den „Anarchisten“ gewarnt wurde und die Spannung anstieg. Während des Besuchs des Präsidenten war zu beobachten, wie ein lokaler Drogendealer mehrmals mit Polizisten und verdeckten Ermittlern der Polizei sprach und von diesen auf ein Mitglied der Barbuda, das die Geschehnisse filmte, als mögliches Ziel eines Überfalls aufmerksam gemacht wurde. Derselbe Mensch tat sich auch noch beim Niederbrüllen einer zeitgleich stattfindenden Demonstration der kommunistischen Partei gegen die Zusammenlegung der Ortsämter hervor und prahlte hinterher in einer Bar darüber, wie ihn die Polizei für seine Dienste an dem Tag gelobt habe und er von einem Beamten gar zum Mittagessen eingeladen worden sei. Am folgenden Nachmittag (10.6.) folgte der erste Angriff seitens des Drogendealers und seiner Helfer. Die AktivistInnen schreiben:
„Wir bereiteten uns auf eine Debatte über Besetzungen vor […] ca. 7-8 Personen, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen, unterhielten sich auf den neuen Bänken vor der Barbuda, als eine Verwandte von N. vorbeikam und murmelte ‘ Es fehlt nicht mehr viel, dann verschwindet Ihr hier alle.’ Wenige Minuten später tauchte N. auf und verlangte in unkontrollierbarem Zorn den Verantwortlichen zu erfahren dafür, dass während des Besuch des Präsidenten brasilianische Musik gespielt worden sei. Angesichts der Weigerung der Anwesenden, ihm den Namen zu nennen, pfiff er seine Kollegen herbei und sofort erschienen 10 Gorillas, bereit alle Anwesenden zu verprügeln. […] Ein Anwohner, der zwischenzeitlich vorbeikam, rief N. zu, er solle doch das Stadtfest abwarten und uns danach vertreiben. N. unterließ daraufhin weitere Aktionen und hinterließ die Drohung, dass wir nach dem Stadtfest zu verschwinden hätten. […].“
Am Wochenende nach dem Stadtfest erfolgte dann der Angriff durch den Mob.

Zu der Beteiligung lokaler Drogendealer an den Angriffen auf die AktivistInnen schreiben diese:
„Es ist wichtig festzuhalten, dass es in den 2 Jahren, die die Barbuda geöffnet war bis vor ein paar Tagen nicht einen einzigen Vorfall gab, der das Geschehene hätte erahnen lassen. Was uns bei dieser Erklärung motiviert, ist nicht die Denunziation und Kriminalisierung von Menschen, die vom Drogenhandel leben, sondern ein Geflecht von formalen und symbolischen Beziehungen und Nachbarschaften zwischen den Institutionen und den informellen Mächten des Viertels aufzuzeigen. Die Personen, die uns jetzt angegriffen haben, sind sehr wahrscheinlich einige der Personen, die der Prozess der ‘Stadtsäuberung’selbst sehr bald vertreiben wird. […] das Viertel, das sie glauben zu verteidigen, gehört ihnen schon längst nicht mehr. Nach Jahren der Verwahrlosung fördert eine plötzliche Kapitalspritze neureiche Ticks und verschärft eine fremdenfeindliche Mentalität, die im Anderen nur den potentiellen Dieb des schönen neuen Straßenpflasters sieht.
Die [städtische Aufwertungskampagne] Ai Mouraria nutzt semantische Mehrdeutigkeiten, um ihre Ziele zu erreichen: Diversität, Kultur, Kunst, Nachhaltigkeit, Partizipation – das sind die nötigen Lockvögel für eine Aufwertung des öffentlichen Raums und die Förderung des Immobilienmarktes.“
Und weiter:
„Inmitten dieses Diskurses der Feier der Diversität und des Multikulturalismus nehmen sich die strukturell wesentlichen Projekte der Aufwertung des Viertels kurios aus: sei es das Haus des Fado der Severa, die Schule des Fado, die Vertreibung der lokalen Händler auf dem Martin Moniz-Platz oder die Bewerbung von Immobilien mit Slogans wie ‘Ein Haus mit Aussicht auf den Fado'. Die Konstruktion dieses Images hat die aggressive Haltung derjenigen, die uns angriffen, einer kleinen Gruppe innerhalb der minoritären und ebenfalls marginalisierten portugiesischen Bevölkerung der Mouraria, nur verstärkt.
der Diskurs und die Aktionen der städtischen Kampagne und ihrer institutionellen Partner […] befeuern diesen Fanatismus für die Bewahrung von etwas, das schon nicht mehr existiert und das man nun künstlich und in totalitärer und einheitlicher Form etablieren will unter dem Vorzeichen des Stolzes auf die Herkunft, auf das, ‘was es bedeutet aus der Mouraria zu sein'.
Diese Gruppe greift nicht nur uns an. Sie vertrieb bereits die ökologische Initiative Gaia und attackiert regelmäßig und mit physischer Gewalt andere hier anwesende Gemeinschaften, indem sie die Situation der ImmigrantInnen in Portugal feige ausnutzt. Wer täglich in der Mouraria ist sieht die täglichen Übergriffe und Misshandlungen dieser Gruppe gegen PakistanerInnen, Bangladeschis, ChinesInnen und generell AfrikanerInnen. Es kommt nicht von ungefähr, dass bei Gesprächen im Viertel eine der häufigsten Beschwerden seitens dieser Gruppe die große Anzahl an ‘Schwarzen, die da rumhängen’in der Barbuda betrifft.
Das waren die Vorkommnisse, die uns nun dazu brachten, unsere Aktivitäten bis auf weiteres einzustellen, um unsere eigene und die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten.“


Mouraria

as marchas 13.07.2012 - 09:18
In Mouraria gibt es schon länger den Versuch Alternativen zu etablieren:

Ende 2007 eröffnete in Mouraria das "Centro Social da Mouraria" im Sport Club Mourarias, verantwortlich damals war die Umweltgruppe "GAIA" die ebenfalls in der Presse gerne diffarmiert wird und wurde, weil sie maßgeblich daran beteiligt sind, Alternativen zum derzeitigen herrschen Diskurs in Portugal zu denken und zu leben.

 http://gaia.org.pt

Schon damals war es sehr schwer alternative kulturelle Aktivitäten im Viertel durchzuführen.
Im "Club Desportivo" ist das Zentrum der "marchas populares" über die sich die "echten" Einwohner identifizieren. Der Nachbarbezirk "Alfama" ist schon aufgewertet und es gibt dort Fado, Fisch und den ganzen Tourikrempel. Mouraria hat immer bei den Marchas verloren. Die Marchas sind eine faschistische Tradition, die in den 40 Jahren Faschismus von Salazar unter dem Credo "Brot und Spiele" für das einfache Volk eingeführt wurden, um sich besser mit dem Viertel oder Dorf zu identifizieren und gleichzeitig in steter Konkurrenz zueinander die wahren Unterdrücker nicht mehr so stark spüren zu müssen.

Doch leider gingen die Marchas auch nach Ende des Faschismus unbeirrt weiter- und für mindestens 2 Monate versetzen sie auch heute noch die Bairros in kollektives Delirium.
Obwohl die meisten Einwohner Mourarias in prekären und schlechten Verhältnissen leben, dienen ihnen die Marchas dazu in "Wir und die anderen" zu unterscheiden.

"Wir", also die am Marcha teilnahmeberechtigten sind die Alteingessessenen, die echten Portugiesen die echten Bairrobewohner. Die anderen sind die Drogendealer, die alternativen Jugendlichen und Migrantinnen.

In den fast 3 Jahren Bestandszeit des Centro Social war es fast nie möglich, die "wir"-Gruppe in Aktivitäen miteinzubeziehen, egal wie sie sich gestalteten. Gleichzeitig wurde lamentiert, das nichts los sei und das Geschehen im Centro Social mit Argwöhnen beäugt.

Gegen Ende des Centro Socials gab es aktive Sabotage an Telefonleitungen und anderem, Frauen wurden sexistisch beleidigt und der Vertrag mit GAIA unrechtmäßig gekündigt.

Die Vorkommnisse die im Artikel beschrieben werden wundern daher nicht, es kommt leider alles allzu bekannt vor, dazu noch in einem sich verschärfenden ökonomischen Klima.

Solidarität!!!