(K)ein Asyl in Leipzig

dezentraljetzt 09.07.2012 13:49 Themen: Antifa Antirassismus
Seit mehreren Wochen wird in Leipzig die Debatte rund um ein neues Konzept zur Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen ausgetragen. Hintergrund ist ein Konzept der Stadtverwaltung, welches vorsieht, Flüchtlinge und Asylsuchende zukünftig, statt in zwei zentralen Einrichtungen, dezentral in sechs Unterkünften mit kleineren Wohngruppen unterzubringen. Gegen diese Pläne regte sich Widerstand. Anwohner_innen der Stadtteile Wahren, Portitz und Grünau liefen Sturm und zeigten die hässliche Fratze des bürgerlichen Rassismus und Sozialdarwinismus, die seit vielen Jahren durch sozialwissenschaftliche Studien als "Rechtsextremismus der Mitte" bekannt geworden ist.
Die Situation und das Leben von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland ist auf Grund rassistischer Gesetzgebung wie beispielsweise Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Lebensmittelgutscheinprinzip von Diskriminierung und Ausgrenzung geprägt. Hinzu kommen weitreichende Vorurteile und Ressentiments der einheimischen Bevölkerung, die Flüchtlingen, Asylsuchenden und generell Menschen mit Migrationserfahrung begegnen. Auch im sich gerne als "weltoffen" und "tolerant" darstellenden Leipzig zeigen sich hierbei keine Unterschiede. Etwas überraschend war es allerdings schon, als sich Ende Mai, Anfang Juni 2012 in mehreren Stadtteilen Bewohner_innen zusammenfanden und mit rassistsischen Tönen Stimmung gegen Unterkünfte von Asylsuchenden und Flüchtlingen machten. Dachte man doch, dass seit den verhehrenden Pogromen der 1990er Jahre die grundlegende Anti-Haltung vieler Deutscher bröckelte und zumindest ein wenig mehr Empathie und Sympathie für Menschen herrsche, die vor Krieg, Verfolgung, Elend und Armut geflohen sind. In Leipzig bestätigte sich in diesem Frühjahr, dass dem mitnichten so ist, wenn auch die heutigen Protestierenden (noch) keine Brandsätze und Steine in ihren Händen halten.

In Leipzig leben derzeit die Mehrzahl aller Asylsuchenden und Flüchtlinge, rund 60% dezentral, also in richtigen Wohnungen. Das sächsische Asylgesetz verlangt jedoch, dass neu zugewiesene Menschen zunächst zentral, also in Sammelunterkünften untergebracht werden müssen. Hiervon gibt es derzeit zwei größere Einrichtungen. In der Torgauer Straße, am Rand der Stadt in einem Gewerbegebiet leben derzeit mehr als 200 Flüchtlinge und Asylsuchende. Die inzwischen heruntergekommenen Plattenbauten bieten den hier lebenden Menschen weder Wohnqualität, noch Raum für Entfaltung und Gestaltung. Das Gebäude erinnert eher an ein Gefängniss als an eine Unterkunft für Menschen, die gerade vor dem schlimmsten geflohen sind. Wollen die Menschen das Leben in den Heimen hinter sich lassen, müssen sie einen Antrag stellen, der jedoch selten genehmigt wird. Bei einem positiven Votum können dann Wohnungen bezogen werden. Im neuen Konzept der Stadtverwaltung ist nun vorgesehen, die zentralen Unterkünfte teilweise aufzulösen (Torgauer Straße) und in mehreren Stadtteilen sechs neue Standorte zu schaffen, in denen jeweils deutlich weniger Menschen untergebracht werden. Die Stadtverwaltung kommt damit einem Ratsbeschluss aus dem Juni 2010 nach, der die Verwaltung beauftragte, ein Konzept zur dezentralen Unterbringung zu erarbeiten. Ziel war damals, dass nicht mehr als 50 Menschen in einer Unterkunft leben. Das vorliegende Konzept weicht hiervon ab, indem beispielsweise in der Weißdornstraße eine neue Massenunterkunft bezogen werden soll.
Von Anfang an gab es in mindestens drei Stadtteilen Proteste von Anwohner_innen gegen den Zuzug der neuen Nachbarn. Nicht etwa die gravierenden Umstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden, beispielsweise rassistische Gesetzgebungen noch das Interesse an den Menschen bewegte die Bewohner_innen zu den Protesten, sondern die Angst um die eigene Scholle, das Stadtviertel, den Gartenzaun und das als idyllisch beschriebene Zusammenleben mehrheitlich weißer Deutscher. Es gründeten sich BürgerInneninitiativen, es wurde demonstriert, öffentliche Versammlungen besucht und die lokale CDU schaltete sich als Speerspitze des bürgerschaftlichen Protestes ein. Die Argumente welche vorgetragen wurden, waren häufig abwertend, meist rassistisch und selten reflektierend, beziehungsweise den empirischen Tatsachen entsprechend. Da wurde beispielsweise behauptet, wenn Asylsuchende und Flüchtlinge hier leben würden, gebe es mehr Kriminalität, das Leben von Frauen und Jugendlichen sei weniger sicher, die Immobilienpreise würden fallen und das Zusammenleben sei allgemein gefährdet. Wennn diese Sichtweisen als rassistisch bezeichnet wurden, wieß man auffällig betroffen alle Schuld von sich und gab an, sich auch nur für das dezentrale Wohnen der Asylsuchenden und Flüchtlinge zu interessieren. Man habe einen Beitrag des MDR gesehen und wurde auf die gravierenden Zustände in der Torgauer Straße aufmerksam. Statt nun die Tore und Türen für die Integration der neuen Nachbarn zu öffnen, versuchte man auf perfide Weiße die Zustände und das Leben der Asylsuchenden und Flüchtlinge zu instrumentalisieren, um die eigene Welt rein und sauber zu halten.
Worum es den Bewohner_innen der Stadtteile Wahren, Portitz und Grünau wirklich geht, machte sich am Rande von Stadtbezirksbeiratssitzungen, Kommentaren im Internet und Gesprächen deutlich. Asylsuchende und Flüchtlinge werden als "Scheinasylanten" und "Schmarotzer" beleidigt, man solle lieber Schulen und Kindergärten für "unsere" Kinder finanzieren als für das Grundrecht auf Asyl Geld ausgeben, Asylsuchende und Flüchtlinge könnten sich auf Grund der Zugehörigkeit zu anderen "Kulturkreisen" den hier herrschenden Sitten und Gesetzen nicht anpassen, zudem sei es ein Naturgesetz, dass Arme neidisch auf den Wohlstand der Reichen würden und somit die Grenze zum legalen Handeln überschreiten müssten. Freilich, Beweiße, für diese haarsträubenden und gefährlichen Aussagen konnte kaum eine_R liefern - man verlässt sich lieber auf die Lautstärke der eigenen Stimme, dem Vorrecht der Etablierten und eigenem Mikrokosmos. In dieser Gemengelage mischt sich ein rassistisch, bioligistisches Weltbild mit einem sozialdarwinistischen Denken. Nicht nur dass Menschen eines anderen Landes, einer anderen Region oder Religion vollkommen homogenisiert und abgewertet werden, hinzu kommt die ablehnende Haltung gegenüber Finanzhilfen und Unterstützung für sozialschwache Menschen allgemein und im Besonderen für Asylsuchende und Flüchtlinge. Nicht nur die Herkunft oder die religiöse Zugehörigkeit wird benutzt um die eigenen Vorurteile zu bilden bzw. zu verstärken, sondern gerade auch der fehlende Wohlstand dieser Menschen. Dahinter steht häufig die Angst vor dem eigenen Abstieg und die Sorge vor einer Verschärfung der sozialen Situation. Anstatt sich für soziale Reformen einzusetzen, spielt man soziale Gruppen, wie beispielsweise Kinder und Jugendliche gegen andere Gruppen, wie beispielsweise Asylsuchendende und Flüchtlinge aus. Was diesem Denken zutiefst fremd scheint, ist eine breite, nationen- und grenzenüberschreitende Solidarität mit (sozialschwachen) Menschen.
In dieser Atmosphäre versuchten verschiedene Initiativen und Gruppen eine Gegenstimmung zu forcieren und riefen zum Besuchen der öffentlichen Veranstaltungen auf. Hierbei wurden sie häufig niedergebrüllt und bekamen den Hass und die Ablehnung einer Schicht, die sich Sorgen um den eigenen Abstieg macht, zu spüren. Der "Initiativkreis Menschen. Würdig", die "AG Dezentralisierung: Jetzt", der "Initiativkreis No Heim" und die "Initiative Grenzenlos" versuchten mit jeweils ihren Mitteln und Wegen Asylsuchende und Flüchtlinge zu unterstützen. Denn bei aller Diskussion gab es keine Möglichkeit für diese, ihre eigenen Vorstellungen kundzutun. Auch die Stadt sah es nicht vor, die Flüchtlinge und Asylsuchenden über die baldigen Umzugspläne zu informieren. Der Initiativkreis No Heim hat inzwischen eine Kritik am Konzept der Stadtverwaltung veröffentlicht, indem mit humanistischen Argumenten erklärt wird, wieso die Stadtverwaltung mit dem Konzept nur bedingt die Interessen und Bedürfnisse der Flüchtlinge und Asylsuchenden berücksichtigt.

Zur Website vom "Initiativkreis No Heim":  http://initiativkreisintegration.blogsport.de/

Ebenso hat die Stadtverwaltung auf Änderungsanträge der Fraktionen SPD, LINKE und Grüne reagiert und Veränderungen am Konzept zugelassen. So soll künftig keine neue Massenunterkunft in der Weißdornstraße entstehen, dafür in der Riebeckstraße Wohnraum neu genutzt werden. Ebenso wird eine Verkleinerung der Unterkünfte in Wahren und Portitz angestrebt. Jegliche humanistisch motivierte Kritik am Konzept steht jedoch vor der Aufgabe, einerseits neue Forderungen einzubringen aber andererseits nicht den rassistischen Vorurteilen und Positionen der Bewohner_innen zu entsprechen.
Die Abstimmung für das Konzept ist nun der 18. Juli. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Leipziger Stadtrat mit den Stimmen von SPD, LINKE und Grüne den Plänen zustimmt, auch wenn dies die Bewohner_innen in Wahren, Portitz und Grünau nur schwerlich akzeptieren werden. Die Debatte ist mit der Abstimmung nicht vom Tisch. Der Rassismus inmitten der Leipziger Stadtgesellschaft bleibt bestehen, ein Konzept hierfür fehlt der Stadt vollkommen. Auch das Leben der Asylsuchenden und Flüchtlinge dürfte sich nur wenig ändern, sind es doch vor allem sächsische und Bundesgesetzgebung, die den Menschen zu schaffen und sie zu Bürger_innen dritter Klasse macht. Der Initiativkreis Menschen.Würdig lädt deshalb alle antirassistisch gesinnten Menschen sowie Flüchtlinge, Asylsuchende und Unterstützer_innen am 18. Juli zu einer Kundgebung vor dem Neuen Rathaus ein. Dort soll nicht nur die Debatte und Abstimmung im Stadtrat kritisch begleitet werden, es soll auch gegen rassistische Mobilsiierung von Bewohner_innen und rassistische Gesetzgebung demonstriert werden.

Mehr Informationen dazu auf der Internetseite: www.menschen-wuerdig.org
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Ergänzungen