Hausbesetzung in Berlin-Pankow

Gregor Gysi 29.06.2012 17:45 Themen: Bildung Freiräume Soziale Kämpfe
Liebe Genossen und Genossinnen, endlich schafft es eine Hausbesetzung die Berliner Linie zu brechen.
Die Seniorenfreizeitstätte Stille Straße in Pankow soll schließen. Die Renter_innen wollen sich das nicht bieten lassen - und besetzen kurzerhand ihr Haus.

Pankow beweist: Das Besetzen beherrschen nicht nur die Jungen.

Die vornehme Villengegend im nördlichen Pankow liegt verschlafen da, die Stille Straße macht ihrem Namen alle Ehre. In einem Häuschen, in dessen gepflegtem Garten Apfelbäume stehen, sitzt Doris Syrbe an einem Tisch mit Häkeldeckchen. Die 72-Jährige ist Vorsitzende der Seniorenfreizeitstätte im Haus. Syrbe, kurze dunkelrot gefärbte Haare, eine schmale goldene Uhr ums Handgelenk, holt tief Luft und ballt die Fäuste. „Wir werden“, sagt sie und klingt sehr entschlossen, „dieses Haus im Laufe des Nachmittags besetzen.“

Den Klub, wie die 60 bis 90 Jahre alten Mitglieder ihre Freizeitstätte nennen, gibt es seit mehr als 15 Jahren. Skat- und Schachrunden werden angeboten, Gymnastik- und Wandergruppen, Englisch- und Französischunterricht. Organisiert wird das Ganze ehrenamtlich – der Bezirk stellt für rund 50.000 Euro jährlich das Gebäude.

Mitte März jedoch wurde in Pankow ein Haushalt mit drastischen Kürzungen beschlossen, die für die Stille Straße das Aus bedeuteten. Seitdem, sagt Syrbe, kämpften die mehr als 300 Mitglieder für den Erhalt ihrer Gemeinschaft – bisher vergebens. An diesem Samstag soll die Freizeitstätte geschlossen werden. Deshalb, sagt Syrbe, griffen sie nun zu Mitteln, die in ihrer Altersklasse eher ungewöhnlich sind: „Was die Jungen können, können wir auch.“

Ein paar Minuten später versammeln sich rund 40 SeniorInnen, sorgfältig sommerlich gekleidet, vor dem Haus. Einige recken kämpferisch Schlafsäcke in die Höhe, sie rollen ein blaues Banner aus, auf das mit roter Farbe und in ordentlichen Buchstaben „Dieses Haus ist besetzt!“ gemalt wurde. „Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!“, skandieren sie. Ein Van fährt vorbei. „Huch“, sagt eine etwa 80 Jahre alte Frau. „Jetzt dachte ich schon, die Polizei kommt.“

Für die Mitglieder der Freizeitstätte geht es um einiges. Zwar sollen die einzelnen Gruppen, beteuert die Sozialstadträtin des Bezirks, Lioba Zürn-Kasztantowicz (Asozialdemokratische Partei Deutschlands), in andere Einrichtungen „umgesetzt“ werden: Die Bridgegruppe in die Kita, der Schachklub in eine Jugendfreizeitstätte. „Aber erstens haben die selbst keinen Platz“, sagt Margret Pollack, 67 Jahre alt und fest entschlossen, die nächste Nacht im Haus zu verbringen. „Und zweitens werden wir damit auseinandergerissen.“

Es gehe nicht nur um die einzelnen Gruppen, die täglich im Haus Platz finden – über Jahre seien Freundschaften auch jenseits der Gruppen gewachsen. Man treffe sich in der Kaffeeküche, verbringe gemeinsam Zeit im Garten, tausche sich aus. „Viele von uns sind alleinstehend“, sagt Pollack. „Wenn die die Gemeinschaft nicht mehr haben, werden sie krank.“ Ein älterer Herr nickt: „Danach kommt der Friedhof.“

Ein Umzugswagen fährt vor, die Menge jubelt, junge Männer laden Matratzen und Decken aus. Sie haben die SeniorInnen auf der Demo „Wir bleiben alle!“ im April kennengelernt, als unter anderem Tacheles und Wabe für ihren Erhalt auf die Straße gingen. Jetzt zeigen sie Solidarität. „Für Wowereits Bibliothek gibt es Geld, für den Flughafen gibt es Geld“, sagt einer. Da müsse für die SeniorInnen wohl auch noch etwas drin sein. „In einem Wohnviertel, in dem höchste Immobilienpreise erzielt werden“, sagt ein anderer, „scheinen die nur zu stören.“

Weil Hausbesetzungen im hohen Alter nicht ganz einfach sind, haben die Mitglieder Vorkehrungen getroffen. Eine 89-Jährige, sagt Margret Pollack, habe beim Arzt checken lassen, ob sie der Aufregung noch standhalte: „Sie kommt.“ Pollack hat sich Sachen zum Wechseln mitgebracht. Ein bisschen seltsam, sagt sie, fühle sich das Ganze jetzt schon an – schließlich habe sie so etwas noch nie gemacht. Auf die Frage, wie viele SeniorInnen hier tatsächlich übernachten werden, lächelt Pollack freundlich. Auf jeden Fall sei gewährleistet, dass in den kommenden Tagen rund um die Uhr jemand im Haus sei.

Und wie lange das alles gehen soll? Die Klub-Vorsitzende Syrbe zuckt gelassen mit den Schulten. Von Unterstützern habe sie schon gehört, dass solche Dinge manchmal dauern könnten.
 http://www.prenzlberger-stimme.de/?p=43752
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Ergänzungen

Pressespiegel

Ergänzer 29.06.2012 - 23:37
Neues Deutschland, Mit Schlafsack und Matratze ins Klubhaus
 http://www.neues-deutschland.de/artikel/231277.mit-schlafsack-und-matratze-ins-klubhaus.html

taz, Oma macht jetzt Occupy
 http://www.taz.de/Rentner-besetzen-Freizeitstaette/!96432/

Berliner Kurier, Wut-Rentner besetzen ihren Club
 http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/aufgebrachte-senioren-wut-rentner-besetzen-ihren-club,7169128,16512686.html

Berliner Zeitung, Senioren als Hausbesetzer
 http://www.berliner-zeitung.de/berlin/protest-senioren-als-hausbesetzer,10809148,16511618.html

Berliner Morgenpost, Senioren besetzen Freizeitstätte
 http://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article107305235/Senioren-besetzen-Freizeitstaette.html

rbb-Abendschau, Senioren als Hausbesetzer
 http://www.rbb-online.de/abendschau/archiv/archiv.media.!etc!medialib!rbb!rbb!abendschau!abendschau_20120629_haus.html

de.indymedia.org, Hausbesetzung in Berlin-Pankow
 http://de.indymedia.org/2012/06/331992.shtml

linksunten.indymedia.org,[B] Senioren besetzen Haus
 https://linksunten.indymedia.org/de/node/63054

mietenstopp.blogsport.de, Hausbesetzung der Senioren in der Stillen Straße
 http://mietenstopp.blogsport.de/2012/06/29/hausbesetzung-der-senioren-in-der-stillen-strasse/

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Ältere Artikel:

11.Mai 2012, Prenzlberger Stimme, Stille Straße: Senioren-Umsetzung
kommt nicht voran
 http://www.prenzlberger-stimme.de/?p=44688

28.April 2012, Prenzlberger Stimme, “WBA”-Demo: Vorneweg die “Stille Straße”
 http://www.prenzlberger-stimme.de/?p=43752

20.April 2012, Berliner Kurier, Behörden-Intrige gegen Wut-Rentner
 http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/begegnungsstaette-behoerden-intrige-gegen-wut-rentner,7169128,14956534.html

25.März 2012, 1. Politiker kämpft für Wut-Rentner
 http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/pankow-1--politiker-kaempft-fuer-wut-rentner,7169128,11990680.html

24.März 2012, Berliner Kurier ,Die Wut-Rentner von Pankow
 http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/kaempfen-fuer-ihren-seniorenklub-die-wut-rentner-von-pankow,7169128,11987746.html

Soli

Besucherin 30.06.2012 - 09:30
Soli aus Kreuzberg

Stean Liebich

Hans von der Panke 30.06.2012 - 13:46
Kaum hatten die BesetzerInnen das Haus als ihr eigen erklärt, lief genauso, wie bei Kotti & Co, mit der Stadtplanerin und Wohnungsverramscherin Lompscher, ein frisch gewendeter "Links"partei Bundestagsabgeordneter auf. In diesem Fall, Stefan Liebich.

Auch sein Gedächtnis ist bekannt kurz und so hat er vergessen oder verdrängt wohlwollend, seine Teilnahme am "rot - roten" - Senat, an Gentrification mittels massenhaftem Verkauf von öffentlichen Wohnraum. Das spüren aktuell gerade die mieterInnen in der Wilhelmstrasse, in Pankow oder rund ums Kotti.

Liebich gehört, wie schon die im Kotti & Co kritisierten Lompscher (stellvertr. Parteivorsitzende, Lederer (Parteivorsitzender), Wawzyniak (Bundestagsabgeordnete) zu den unverbesserlichen Wendehälsen, die es unlängst noch passabel fanden mit einem Finanzsenator Sarrazin zu Tische zu sitzen und Wohnraum zu verhökern.

Ein Selbstkritik fehlt bis heute, kein Abgeordneter, Abgeordnete der "Links"partei hat konsequenz gezogen. Diese wendehälse machen heute auch MieterInnenrechte.

Wer ist Stefan Liebich:

"1995, 1999 und 2001 kandidierte Stefan Liebich im Bezirk Marzahn und wurde jeweils in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt. Zur Abgeordnetenhauswahl 2006 konnte er keinen Wahlkreis in Prenzlauer Berg gewinnen, wurde aber über die Landesliste gewählt.

Zum Jahreswechsel 2001/2002 führte er gemeinsam mit Gregor Gysi und Harald Wolf für die Berliner PDS die Koalitionsverhandlungen mit der Berliner SPD. In der Folge wurde die Bundeshauptstadt von 2002 bis 2011 durch einen rot-roten Senat (Senat Wowereit II, III) regiert.

Im Sommer 2002 wechselte der bisherige PDS-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Harald Wolf, in den Senat. Stefan Liebich übernahm den Fraktionsvorsitz und wurde 2004 per Wahl als Vorsitzender der Fraktion bestätigt.


Im Herbst 2006 nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus kündigte Liebich an, als Stellvertretender Fraktionsvorsitzender zu kandidieren und die neue Fraktionsvorsitzende Carola Bluhm zu unterstützen.

Anfang 2007 formierte Liebich als Initiator die innerparteiliche Strömung Forum Demokratischer Sozialismus, in dem sich Teile des reformorientierten Flügels der Partei Die Linke organisieren, neu. Bis Juni 2010 war er Bundessprecher der vor allem in den neuen Bundesländern starken und einflussreichen Strömung. (Wiki)"

Wir als "Gentrifizierte", an den Stadtrandgedrückte haben keine Lust uns mit den TÄTERN von Wohnraumzerstörung und Gentrifikation an einen Tisch zu setzen, eine Demo oder Veranstaltung zu besuchen. Wissen wir doch, dass es ihnen nur um Wiedererlangung der Senatsmacht geht und dann ist wieder Nese mit "sozialer Politik".

Ähnliche Forderungen - weg mit dem formaligen Senatspack - gibt es auch an der "Links"partei - Basis.

Wir teilen die Kritik der KvU an der Vereinnahmungspolitik der "Links"partei und wissen, dass unsere Kritik auch bei Kotti & Co gehört wurde.

Solidarität mit den BewohnerInnen der Wilhelmstrasse, den BesetzerInnen der Stillen Strasse 10, Kotti & Co, der KvU u.a.a.

Lasst euch nicht LINKEn!

Es grüssen ein paar Raussanierte, Verdrängte, Umstrukturierte, Gentrifizierte all over Berlin!

Solidarität mit besetztem Seniorenzentrum

ASy Köln (FAU-IAA) - Sektion Altenpflege 30.06.2012 - 13:58
Im Berliner Bezirk Pankow-Niederschönhausen wurde ein von der Schließung bedrohter Seniorentreffpunkt in der Stille Straße 10 am 29. Juni 2012 besetzt. Die Sektion Altenpflege des Allgemeinen Syndikats Köln (FAU-IAA) erklärt sich solidarisch mit den Senior/innen, die mit diesem Mittel der Direkten Aktion gegen die städtische Kürzungspolitik vorgehen. (...)

 http://allgemeinessyndikatkoeln.blogsport.de/2012/06/30/solidaritaet-mit-besetztem-seniorenzentrum/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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