Beton in den Wald und Wachstum über Leichen

ArDaga C. Widor 17.05.2012 20:49 Themen: Antirassismus Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Im brasilianischen Urwald bei Belo Monte ist ein Technologiemonsterbau am Entstehen. Der drittgrösste Staudamm der Welt. Penibel abgeschirmt von der Öfftlichkeit. Hinter Mauern und Zäunen, und von Bewaffneten abgeschirmt. Dieser Megabau ist kein Einzelmeisterstück des techno-narzisstischen Chauvinismus. Ganze 30 energieerzeugende Staudämme sind an Xingu und Nebenflüssen geplant. 60 in der unmittelbaren Region. „Grössenwahnsinnig“, nennt es dom Erwin Kräutler, und fügt hinzu: „Es wird ein Genozid werden.“ „Unfassbar“, denken viele, die noch immer nicht verstanden haben, dass sowohl die Lula- als auch die Dilmaregierung Wald und deren natürlich innewohnenden Völker als obsolete Anachronismen und zu entfernende Hindernisse im Fortschrittssturm der Nation (miss-) verstehen.
Beton in den Wald und Wachstum über alles – Auch über Leichen
Die sechste Wirtschaftsmacht der Welt baut den Amazonas zu einem Energiepark um

Realpolitikzeitgeistgerecht spricht Presidenta Dilma am Muttertag unmittelbar vor den Entscheidungsspielen um die diversen Fussballstaatsmeisterschaften zur Nation und kündigt eine weitere monatliche Geldunterstützung von umgerechnet etwa 25 Euro für jedes Mitglied von Familien in extremer Armutsituation mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren an.

Zur Frage des von ihr noch zu Wahlkampfzeiten versprochenen Vetos gegen eine Aufweichung des Waldschutzgesetzes (Código Florestal) sagt sie nichts. Auch nichts zu den geplanten Atomreaktoren und Wasserkraftwerken, die das Land in kürze mit Megabaustellen überziehen sollen.

Sie kennt die (ihre) Wählerschaft. Weiss, was interessiert. Und was übergangen werden kann, mangels auch nur periphärstem Bewusstseins unter der Bevölkerung.

„Entwicklung“ (desenvolvimento) und „Fortschritt“ (progresso) sind die Beschwörungsformeln, mit welchen unsere Regierungscliquen nicht erst seit Lula und Dilma, sowie Ruralisten und alle Magnaten und Manager des Grossen Zerstörungswahns und schnellen Eigenreichtums, am allerliebsten ihre verbrecherischen Aktivitäten mogelschmücken.

Diese unendliche Geschichte Brasiliens begann im Grunde bereits mit Cabral, anno 1500. Im engeren („modernen“) Sinne im Amazonasgebiet, in welchem ich mich befinde, zur Zeit der Militärdiktatur. Mit dem Bau der transamazonischen Strasse. Was dieses erste Jubelmegaprojekt für die Region in der Tat gebracht hat, schreibt der Poet und Schriftsteller João de Castro aus Altamira:

„40 Jahre sind vergangen und was die Transamazônica an Entwicklung gebracht hat war und ist: Eine zur Regenzeit völlig unbefahrbare Strasse, Elend, grossangelegten Landraub, entfesselte Akkumulierung von Latifundien, Killerbanden, Plünderwirtschaft, illegalen Holzschlag, Zerstörung, Waldbrände, endlose Weiden ohne Vieh, und so weiter. Umhauen, Zerstören, Abfackeln, die natürlichen Ressourcen plündern war und ist Synonym für Entwicklung und Fortschritt in der Amazonasregion.“

Die Stadt Altamira am unteren Xingu-Fluss im Amazonasstaat Pará hat Fieber. Die Patientin sieht auch schlecht aus. Aufgedunsen an allen Enden. Stinkend und in Schmutz versinkend. Dabei handelt es sich nicht um eine Malariaepidemie oder einen Gelbfieberausbruch im herkömmlichen Sinn, sondern um Geldrausch. Wie zu Zeiten des nordamerikanischen Goldrausches strömen Männer die nichts zu verlieren haben und festen Willens sind ihren Teil am Strom des angeblich fliessenden Reichtums zu erobern, massiv in diese zuvor so abgeschiedene Haupstadt des mit 159.679 km² grössten Bezirks der Welt. So unüberschaubar viele, mit über einhunderttausend wird gerechnet, mehr als die derzeitige Einwohnerzahl Altamiras, denn die beissende Armut wurde entgegen den brasilianischen Feierstatistiken seit der ersten Lularegierung nicht strukturell bekämpft. Lediglich mit monatlichen Kleingeldzuwendungen gedämpft. (S. Einleitung) Und Altamira hat nicht einmal für seine derzeitigen EinwohnerInnen annähernd etwas, was mensch Gesundheitsvorsorge oder –betreung nennen könnte. Oder ausreichend Schulen. Oder Unterkünfte. Oder Abwasser- und Müllentsorgungssysteme.

Hier, im Urwald und an einem der wichtigsten Amazonaszuflüsse, ist ein Technologiemonsterbau am Entstehen. Der drittgrösste Staudamm der Welt. Penibel abgeschirmt von der Öfftlichkeit. Hinter Mauern und Zäunen, und von Bewaffneten, unter dem Kommando eines Ex-Offiziers der Militärpolizei, abgeschirmt. Dient zur Abschreckung nach aussen an etwaige Aktivisten oder Journalisten, aber auch als Druckmittel nach innen. Wider Arbeiter die es wagten, gegen die sklavenähnlichen Bedingungen aufzubegehren.

Mehr Beton als beim Bau des Panamakanals wird nötig sein. Mitten in jener Zone, wo bis dato der Dschungel und seine extrativistischen BewohnerInnen sich „lediglich“ gegen die Landraubmafia („grilheiros“) sowie die Viehzüchter und (nachfolgenen) Agrobusinessfirmen mit Sojamonokultur im Gepäck zu wehren hatten, wird auf typisch brasilianisch Brutalhauruck und ohne sich im geringsten um geltende Gesetze zum Schutz von Menschen und Natur zu scheren drauf los gebaut. Und dieser Megabau ist kein Einzelmeisterstück des techno-narzisstischen Chauvinismus. Ganze 30 energieerzeugende Staudämme sind an Xingu und Nebenflüssen geplant. 60 in der unmittelbaren Region. Die nächsten beiden, São Luiz und Jatobá am ein Stück weiter westlich gelegenen Tapajós-Fluss, sollen bis 2014 in Auftrag gegeben sein.

Belo Monte, benannt nach dem Ort am Xingu-Fluss wo bereits zerstört und gebaut, wenn wegen der sklavenähnlichen Bedingungen nicht gerade gestreikt wird, bis Streikfürer identifiziert, isoliert und „ausgeschieden“ werden, ist „lediglich“ ein Pilotprojekt. Das wissen aber nur die Insider. Im Spiel aus Wirtschaft und Politik und willigen HöchstrichterInnen (und Globalfinanz). Wo es aber brasilienkultürlich auch seine Infolecks hat.

Altamira und auch die kleinere Stadt Vitória do Xingú, rund 30 km von der Grossbaustelle, werden von ankommenden Glücksrittern und Wirtschaftsflüchtlingen aus der eigenen und anderen Regionen überlaufen. Menschen schlafen auf der Strasse, Dreck, Müll und Exkremente türmen sich überall, ausser in den wenigen „besseren“ Strassen. Ab Dämmerung bestimmen nicht mehr nur Geier und Hunde, sondern auch die Ratten und (oft minderjährige) Prostituierte das Strassenbild. Selbst in scheinbar unbewohnbaren Zonen, Sumpfland, schiessen Bretterhütten mit Plastikplanen als Wand- und Dachersatz aus dem Boden, oft mit noch pubertierenden Schwangeren davor. Einen „Gut“teil der BewohnerInnen dieser wuchernden Neo-Elendviertel stellen Indigene.
Selbst für jemand, der die „normalen“ Standards des brasilianischen Nordens kennt, ist ein Streifzug durch diese No-go-Gebiete an der Peripherie erschütternd. Allein, eine logische Folge des mit allen unlauteren und ungesetzlichen Mitteln durch gepeitschten Projektes. Einer der mit diesem Fall betrauten Bundesstaatsanwälte, Felício Pontes Jr., hat sogar für die lokale Umweltschutzgruppe Xingu Vivo (www.xinguvivo.org.br) eine Broschüre geschrieben, „Belo Monte de Violências – Dez anos de batalhas judiciais contra violações à lei, ao meio ambiente e ao ser humano na Amazônia“, in welcher er auf 20 Seiten chronologisch auflistet, welche Gesetze wann seitens Regierung, Behörden bzw. Konsortien (und Drittfirmen) gebrochen worden sind.

Der „Demokratische Rechtsstaat Brasilien“ funktioniert auf potemkin‘sche Art. Die Instanzen gibt es. Und sie dürfen arbeiten. Allein, es kommt immer und ausschliesslich am Ende das von oben erwartete und gewünschte Resultat heraus. Der wackere Bundesstaatsanwalt Pontes hat durch seine unermüdliche „Trotzdem-Arbeit“ auch die engagiertesten Umweltschützer und Menschenrechtsverteidiger Pará’s kennen und schätzen gelernt: Ademir Federicci, Bartolomeu Silva, Dorothy Stang, dom Erwin Kräutler, den Bischof von Altamira. Von diesen vier ist heute nur mehr der Bischof am Leben. Und auch das nur mit viel Glück bzw. Schutzheiligen. Es starb ein anderer beim Attentat.

„Grössenwahnsinnig“, nennt es dom Erwin Kräutler, und fügt hinzu: „Es wird ein Genozid werden.“ „Unfassbar“, denken viele, die noch immer nicht verstanden haben, dass sowohl die Lula- als auch die Dilmaregierung Wald und deren natürlich innewohnenden Völker, trotz immer wieder abgegebener gegenteiliger Behauptungen und Lügen, die von den untertänigen und (bzw. weil) mitfinanzierten Massenmedien ans Volk zugestellt werden, als obsolete Anachronismen und zu entfernende Hindernisse im Fortschrittssturm der Nation miss-verstehen. Pfarrer Federico in Altamira, so wie sein Haberer, der Bischof, ein Geburtsösterreicher, allerdings von der Tiroler Seite des Arlbergs, sieht es lapidar realistisch: „Die Regierung interessiert sich nur für Geld. Nicht für die Menschen und die Natur.“ Der Padre Federico ist Empiriker. Seit 1958 vor Ort.

Im Bezirk Altamira ist nicht nur ein neues Aufflackern der Goldrauschepidemie und ein soziales und ein Umwelt-Drama ungeahnten Ausmasses im Gange, sondern es herrscht auch Krieg. Krieg wider die Natur und jene Menschen, die es verstehen mit der Natur so in Einklang zu leben, dass sie keiner solchen Megazerstörungsprojekte bedürfen.
FischerInnen, SammlerInnen tropischer Früchte, SammlerInnen von Naturmaterialien für die Herstellung von Kunsthandwerk, Indigene Völker und die gesamte Flora und Fauna auf der einen Seite. Und die geballte Macht von Wirtschaft und Politik auf der anderen.
Es ist ein Krieg der nicht mehr so klar und ehrlich wie früher ausgeführt wird. Es ist ein Krieg der Euphemismen und der strategischen Falschheit. Präsidentin Dilma führt fort, was ihr politischer Ziehvater Lula begonnen hat: sie lügt, dass die Urwaldriesen brechen. So wie Lula vor ein paar Jahren dom Erwin und mehrere indigene FührerInnen belogen hat, ihnen versichernd, dass kein Kraftwerk gegen den Willen der Bevölkerung gebaut werden würde, lügt heute Dilma: „Kein Indianer wird vom Bau Belo Montes betroffen sein.“ Klar, mit ein bisschen bösen Willen bzw. Realpolitikverständnis der macciavellistischen Art kann schon gesagt werden, dass beide nicht unbedingt die Unwahrheit gesagt haben. Denn die Indigen sind mittlerweile gekauft und mundtot gemacht mit Firlefanz und peanuts, bezahlt von den Steuern der brasilianischen Bevölkerung, und in kürze wird es keine Indianer mehr geben im betroffenen Gebiet. Aber dazu etwas später.

In diesem grossen Konzert der Unaufrichtigkeit fehlen selbstverständlich auch nicht die Behörden. Die Bundesumweltschutzbehörde IBAMA gab grünes Licht für den Bau, Gesetzesregeln brechend und ihre eigenen Auflagen umgehend ( http://belomontedeviolencias.blogspot.com/). Es gab keine erforderliche Diskussion noch Anhörung mit und von den betroffenen indigenen Völkern am Xingu. Es gab ein paar unverbindliche Treffen. Auch die Behörde für indigene Angelegenheiten FUNAI ist, wie immer, mit von der Mogelpartie. Und verteidigt ihre Pfründe und das Elend der Indigenen und die Projekte „ihrer“ Regierung. Für die sie ja auch tatsächlich arbeitet. Auch darf nicht vergessen werden, dass nur solange die UreinwohnerInnen in Elend gehalten sind, auch die FUNAI weiter von „Nöten“ ist. Last not least die Big Players, die staatlichen Eletrobras und Eletronorte, sowie mächtige Grossfirmen und Multis, wie Camargo Corrêa und Odebrecht. Die Takt und Melodie des Dramas bestimmen. Inklusive den Ausgang „rechtsstaatlicher“ Urteile.

Dieser Allianz Gratis-Frontsoldaten sind die Bauernopfer im bösen Spiele. Tausende Habenichtse aus anderen Armenhochburgen Brasiliens, vor allem im Nordosten (Maranhão, Ceará, Bahia), die nach Altamira kamen und weiter täglich kommen, angelockt von vermeintlich gut bezahlter ständiger Arbeit. Und die nun auf der Strasse leben bzw. im Streik sind, weil doch alles ganz anders, bzw. eben so wie immer in diesem Land, kam. Diese Männer sind aber selbstverständlich nicht gegen den Bau. Sie kämpfen lediglich für menschenwürdige Arbeits- und Unterkunftsbedingungen.
Hunderte Ingenieure und sonstige Baumittelschichtler haben Altamira in Beschlag genommen. In Hotels, wo das Zimmer vor kurzem noch 50 R$ für N/F kostete, werden nunmehr 150 abkassiert. Und meist gibt es ohnehin kein freies Zimmer. Tausende Männer. Mit ein bisschen Bargeld. Rundum extrem arme Einheimische. Da ist kein Soziologie- oder Ethnologiestudium notwendig um zu verstehen, was dies im Brasiloklartext bedeutet. „Wenn in zwei, drei Jahren der Bau zu Ende und die meisten Arbeiter weiter ziehen werden, wird unsere Stadt voller alleinstehender Mädchenmütter sein“, so eine Frau im Bus von Marabá nach Altamira zu ihrer Sitznachbarin.

Jäh zirkulierendes Bargeld in urbanen Gesellschaften gröbster sozialer Unterschiede ist ein starkes Attraktiv in Richtung Prostitution, die Mädchen aus den ärmsten Stadtvierteln, meist indigene also, bieten sich um zehn Reais oder ein warmes Essen an, oder werden von „Tanten“ angeboten. Nicht selten von ihren Müttern. Um mittels dieses Schnellverdienstes die anderen Geschwister für ein paar Tage (weiter) zu ernähren. Aber auch andere Wirtschaftszweige ausserhalb der Papier-Legalität werden aufgeblasen. Diebstähle und Überfälle, gepanschter Alkohol und Angebot und Konsum von nicht frei gegebenen Drogen sind in Altamira, sozusagen über Nacht, Normalereignisse geworden. Geschäfte schliessen Stunden früher als noch wenige Wochen zuvor. Polizei patroulliert auch schon mal auf vierradangetriebenen Pick-ups mit hinten im Freien auf Holzbänken sitzenden Rambogestalten mit dem MG im Anschlag.

Und die Ureinwohnervölker?
Die reiben sich die Hände. Denn es regnet Warengeschenke für jederfrau und –mann, sowie bares Geld für jene Führungskräfte, die dem Attraktiv des Habens und Mehr-Habens erliegen. Und dazu muss Eletronorte, in welchem der Godfather des Nordens, Senatspräsident José Sarney, das Sagen hat, nicht mal viel hinblättern. Im Vergleich zum Gewinn, den sie legal und illegal machen wird mit diesem Monsterprojekt.

Bis 2010 noch waren die Indigenen der betroffenen Region kriegerisch gestimmt. Besonders die Mbengo’kre (Kaiapó). Dies haben die brasilianischen Massenmedien im Dienste der Macht auch genützt, um die Stimme des weder tot- noch mundtot zu machenden Bischof Kräutler nachhaltig zu desavouieren. Mit „Informationen“ wie, „der Bischof unterstützt den bewaffneten Kampf einiger Indianer“ oder, noch gelungener, „der Bischof hilft bei der Bewaffnung von Índios in Konfliktgebiet“ wurde er mit einem medialen Schlag ein nationaler Outcast. Zu Europa wird ihm der alternative Friedensnobelpreis verliehen. Hiezulande der flächendeckende Maulkorb.
Jedenfalls ist die Revolte, der Widerstand der Indigenen Völker des unteren Xingu abgesagt. Aus durchgesickerten internen Dokumenten der FUNAI wissen wir, dass zwischen Oktober 2010 und September 2011 14.224.081,30 R$ - etwa sechs Millionen Euro – an öffentlichen Geldern an die Indigenen geflossen sind. Der jähe Geldsprudel, 30.000 Reais pro Aldeia (Indianerdorf) und Monat, nebst speziellen Geschenken für Indigene FührerInnen, hat die indigenen Kritiker in ihren eigenen Gemeinschaften völlig isoliert und zumeist umgedreht. Ausserdem zum Ausbrechen des Mehr-Virus geführt. In nur einem Jahr sind aus ursprünglich 18 Aldeias in der Region 38 geworden! Weil jeder Clan zu seinen eigenen 30 Riesen pro Monat kommen will. Jahrhundertelang gewachsene solide soziale Strukturen wurden in wenigen Wochen und Monaten erfolgreich zersetzt. Die Indigenen haben Jagd und Fischfang und Ackerbau für Bier für Bargeld getauscht. Und ziehen sich immer mehr Neid, Hass und Gewalt der nicht indigenen Habenichtse in der Region zu. Genau so, wie von Konkubinenanthropologen im Dienst von Regierung(sorganen) und Eletronorte vorausdesignt.

Bei besonders heiklen Fällen, indigenen Führern also, die sich querlegen auch nach diversen gesteigerten Offerten, wird schon noch mit konventionellen und traditionellen Mitteln des Staates Pará nachgeholfen. Da werden Morddrohungen gemacht und auch versucht in die Tat um zu setzen. Das hat schlussendlich selbst so gestandene Gegner wie z.B. der Häuptling Zé Carlos von den Arara da Volta Grande „zur Einsicht“ gebracht, dass es besser ist das Geld zu nehmen und das Wissen zu verleugnen, statt auf einen Rechtsstaat zu bauen, der in Brasiliens Nord- und Nordostregionen schlicht inexistent ist und das Leben zu verlieren.

Geld fürs Schweigen. Und Mitmachen beim eigenen ethischen Untergang. Vermittelt von der Bundesindianerschutzbehörde FUNAI, einer Behörde die ergo idem der Regierung gehorcht und Indigene Völker in der Regel nicht beschützt, sondern ans Messer liefert bzw. in Hungerleidposition hält. Zwar selbstverständlich illegal, aber ganz normal. Zum realen Brasilien. Wie selbst europäische Firmen wie die österreichische Andritz nur zu gut wissen. Denn als eine richterliche Erstinstanz den Bau Belo Monte’s im Vorjahr verbot, weil eben gesetzliche Auflagen seitens der Regierungsbehörden IBAMA und FUNAI nicht erfüllt worden sind, erklärten die AndritzgeschäftemacherInnen seelenruhig, dass das gar nichts zu bedeuten habe, und man auf die Käuflichkeit der brasilanischen Justiz (Andritz nannte es „den Rechtsstaat“) vertraue. Andritz weiss mehr, als „normale EuropäerInnen“ da die Firmenbosse ihre Infos nicht von schlampigen bzw. unlauteren Medien und Schein-KorrespondentInnen erhalten, die von nichts im Land irgendeine empirische Ahnung haben. Sondern von ihren V-Leuten. Vor Ort.

So laufen nun ein paar hundert junge UreinwohnerInnen in neusten Nike-Turnschuhen und Original-T-Shirts ihrer Lieblingsfussballklubs herum, haben Handys und Kaufkraft für allerlei Konsumglitzerei und Schickschnack mehr und werden erst aufwachen im kommenden September. Dann nämlich, wenn der Bau so weit fortgeschritten sein wird, dass Eletronorte und Regierung und deren Korruptionsbehörden vor Ort keine Angst mehr vor irgendwelchen juristischen Problemen mit BundesstaatsanwältInnen haben müssen. Weil die geschaffenen baulichen Fakten dann unumkehrbar sein werden.

Der Zeitpunkt, wann die Konsum-Illudierten hart aufwachen werden. Und ohne jenes Habitat dastehen, das es ihnen Jahrhunderte zuvor ermöglicht hat, ihr Leben in ihrer kulturellen Eigenart zu bestreiten. Weil kein Wasser mehr fliesst. Kein trinkbares. Weil nicht genug Wasser fliesst, um zu verkehren. Denn ausser dem Fluss gibt bzw. gab es keinen Fort- und Zugang zu den Dörfern. Weil kein Fisch mehr über die Barriere kommt. Weil sich die Fauna und Flora verändert, austrocknet. Weil die nun freiliegenden Flusssande vor nichts zurück schreckende extrem brutale Goldsucherbanden anziehen werden. Weil sich stehende Riesentümpel bilden werden, moskitoverseucht und erstklassige Brutstätten der Malaria. Weil die Nikeschuhe längst verbraucht sind. Weil die Egalität ihrer Gesellschaft restlos zerstört wurde. Weil sie restlos auch untereinander zerstritten sind. Weil die Existenznot nun auch die letzten aus dem Dorf in die Elendsvierteln am Stadtrand Alatamira’s treiben wird, wo ohnehin schon heute die meisten Indigenen des grössten Landkreises der Welt darben. Weil dann kaum noch Freier für die indigenen Mädchen über sind. Weil dann neue Phänomene wie Aids und Leberzirrhose ihre Sensen lustig durch die Spätaufwachenden schwingen werden.

Allein, zu diesem Zeitpunkt werden der Sarney-Clan und dessen Eletronorte, Dilma- oder sonstirgendeine Regierung, welche in Brasilien ohnehin stets die gleichen sind, ihre Stosstruppenbehörden und die internationalen Aasgeier wie die erwähnte Andritz längst ein neues Todesprojekt angegangen haben. Ein paar hundert Kilometer weiter stromaufwärts. Oder an einem ein Stück weiter westlich oder östlich gelegenem Fluss. Und dank der Kommunikationslosigkeit und „regierungs-geschützten Naivität“ (planmässiger Abgeschnittenheit von Information) der dort lebenden Indigenen Völker ein neues Spiel werden angehn. Wo genau so wie beim jetztigen zu Belo Monte, Gewinner und Verlierer schon von vornherein fest stehen. So jene Menschen, die dieses Spiel erkennen und durchschauen nicht endlich global-solidarisch aktiv werden. Im Sinne von EINER WELT.

„Die einzigen die Belo Monte heute noch verhindern könnten, sind die Índios. Aber mit jedem Tag der vergeht, die Schweigegelder fliessen und der Bau nach dem Streik wieder voran schreitet, schwindet auch diese Möglichkeit.“ José Cleanton, vom (katholischen) Indianerhilfswerk CIMI in Altamira.

„Wir hätten Belo Monte aufhalten können. Nur wir. Wenn wir geeint so vorgegangen wären, wie das ursprünglich in unseren Treffen 2009 abgemacht wurde. Aber dann fielen die ersten grossen Führer und mit ihnen die Gemeinden, die sie vertreten, ab. Und immer mehr folgten. Bis es ihnen schliesslich gelang, mit nachdrücklicheren Methoden, auch die Stärksten gefügig zu machen. Und wer noch immer dagegen ist, muss sowohl mit Anschlägen, wie auch der Ablehnung und dem Schlechtgeredetwerden der andern rechnen. Heute sind wir vielleicht noch fünf, unter 38, die gegen Belo Monte auftreten. Die Chance diesen Bau aufzuhalten ist vorbei. Energianorte hat gewonnen. Und in kürze werden wir den Preis dafür zahlen.“ Nei, Häuptling einer Xipaia-Aldeia.

„Wer weiss, vielleicht hat die Natur noch eine Überraschung parat, um den Irrsinn hier in allerletzter Minute zu verhindern“, (wunschdenkt) Vicente, einer von ganzen zwei noch übrigen Gegenaktivisten in Vitória do Xingu.

Und all dieses Leid, all diese Zerstörung, alle diese persönlichen menschlichen Katastrophen, all dies Auslöschen - für immer - von Kulturen und noch intakten unverseuchten Reststücken der Erde für eine Rechnung, die schlicht und einfach falsch bzw. gefälscht ist.

Dass Presidenta Dilma und ihre ChefideologInnen und Spin DoktorInnen der bulldozermässigen Verwandlung des Amazonasgebietes in einen immensen Energiepark, wenn sie nicht gerade mit einem Satz lapidar doppellügen, dass Kraftwerke a là Belo Monte notwendig seien und keine Auswirkungen auf Natur oder Indianergebiete hätten, einen nationalen Mantel des Schweigens über diese Todesprojekte gelegt haben, hat durchaus auch technische Gründe.

Warum soll und darf Belo Monte nicht öffentlich und breit diskutiert werden?

Vielleicht, weil Wissenschaftler ausgerechnet haben, dass Belo Monte genau so viel Geld kosten wie Itaipu (das grösste Wasserkraftwerk Südamerikas am Parana-Fluss, in der Südregion), aber nicht einmal ein Viertel dessen Energie liefern wird?

Vielleicht, weil durch simples Ersetzen veralteter und zum Teil nicht mehr funktionsfähiger Turbinen in bestehenden 67 Wasserkraftwerken das Zweieinhalbfache von der Energie Belo Monte’s erzeugt werden würde? (Und zwar um ein Fünftel der monetären Kosten für den Bau Belo Montes!)

Vielleicht, weil blosses Ersetzen der veralteten Übertragungskabel der bestehenden Wasserkratwerke schon das Doppelte von Belo Monte produzieren würde?

Vielleicht, weil kein Bewusstsein geschürt werden darf, dass in unserem Land lediglich 1,5% der Energie aus wirklich sauberen und erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne kommt?

Vielleicht, weil die Kalkulation der zu gewinnenden Strommenge von Belo Monte von der Höchstwassermenge ausgeht? Dieses, als verfälschende Kalkulationsbasis genommene, Höchstvolumen jedoch in den letzten 35 Jahren der Wasservolumsmessungen in 70% der Fälle nicht erreicht wurde? Dass also jedes Jahr während mehrerer Monate überhaupt keine Energie produziert werden könnte? Und dass laut neusten metereologischen und klimatischen Zukunftsstudien die Zentrum-West-Region, wo auch der Xingu entspringt, mit kontinuierlich rückläufigen Niederschlägen zu rechnen hat?

Vielleicht, weil die tatsächlich produzierte Energie von Belo Monte gar nicht den Bedürfnissen der Amazonasbevölkerung dienen wird (wie idem stets von regierungsseits vorgelogen), sondern den – im Brasilienkontext – reichen Regionen Süd und Südost, sowie grossen Aluminumfabriken und Mineralienschürfunternehmen, die das ihre zur Zerstörung des Amazonas beitragen?

In seinem Tagebuch „Mein Leben ist wie der Amazonas“ (Otto Müller Verlag) schreibt dom Kräutler u.a.:

Es geht um Leben und Tod von Volksgruppen, die an den Rand gedrückt werden, weil sie „anders“ sind.
Ich habe von den reichen kulturellen Werten dieser Völker gesprochen, von ihren vielfältigen Traditionen und Gebräuchen, von ihrer Sehnsucht nach Leben inmitten todbringender Strukturen, von ihrem Recht auf ihr angestammtes Land, das ihnen immer wieder und in allen nur erdenklichen Formen strittig gemacht wird. Für Holzhändler, Bergwerksgesellschaften und Grossgrundbesitzer sollten die Indianer längst nicht mehr existieren. Sie sind für die Durchführung von riesigen Projekten, für den Bau von Staudämmen und Kraftwerken ein Hemmschuh, genauso wie sie ein Hindernis für die „garimpeiros“ sind, die in ihrem Goldrausch unerbittlich das Land verwüsten, Krankheiten einschleppen und Flüsse verseuchen!

Der Befreiungstheologe dom Erwin aus dem erzkonservativen Vorarlberg schrieb das zu Beginn der 90er Jahre. Über zwei Jahrzehnte her. Doch unverändert aktuell und akkurat.

Bloss mit dem ernüchternden Zusatz, dass es nun, und zwar noch entfesselter und rechtsstaatsbeugender, unter der bereits dritten Arbeiterpartei-Regierung in Folge weiter so gehandhabt wird. Einer Partei und einem politischen Führer, Lula, der die ersten beiden PT-Regierungenn selbst anführte und vielleicht bald wieder Präsident wird, die noch heute zu Europa’s orientierungsloser und identitätsverlustiger Linke als neue Heilande hoffiert werden.

Eine transatlantische fatamorgana tropical für drüben und eine Fatamorgana letal für uns hüben.

ArDaga C. Widor
www.ardaga.net



Fotos zum Zerstörungswerk, siehe:  http://noticias.uol.com.br/ciencia/album/2012/04/26/greenpeace-sobrevoa-belo-monte-e-mostra-destruicao.htm
 http://g1.globo.com/natureza/noticia/2012/04/fotos-de-ong-mostram-obras-da-usina-de-belo-monte-na-amazonia.html
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Graciao

name 18.05.2012 - 09:37
VIELEN VIELEN HERZLICHEN DANK FÜR DIESEN ARTIKEL!!!!

Supi!

Icke 18.05.2012 - 16:11
Super! Wegen sowas wurde Indy mal gegründet. Solide recherchiert und gut geschrieben. Und vor allem kein Pamphlet von irgendeiner bedeutungslosen Politgruppe, deren Horizont bis zum Vorgarten von Mama und Papa reicht. Würde mich freuen wenn es mehr Artikel wie diesen geben würde!

Super

Artikel! 18.05.2012 - 20:42
Mehr davon hier und auch im bürgerlichen Spektrum. Warum die Mächtigen und die Amtskirchen wohl die Befreiungstheologen und sogar die, die sich nicht dazu zählen, aber permanent auf Missstände aufmerksam machen, zu einem ihrer Hauptfeindbilder erkoren haben...?