Was will Tsipras?

Aug und Ohr 10.05.2012 16:12 Themen: Soziale Kämpfe
Die Politik von Syriza und Tsipras, zusammengefaßt im Konzentrat der Forderungen, die er kürzlich bei Gelegenheit der versuchten Regierungsbildung zusammengestellt hat, die aber aber in ihrer Bedeutung weit über diesen Anlaß hinausgehen.
Was will Tsipras?

Das Programm Tsipras´ und seiner Partei zielt auf nichts Geringeres ab, als auf eine Politik, die die großen europäischen Institutionen dazu bringen will, ihre erpresserischen Maßnahmen, die unzählige Tote, Kranke, Arbeitslose, Verarmung und Zerrüttung mit sich gebracht haben, wieder zurückzunehmen.
Ihm gebührt Anerkennung und Unterstützung für seinen einfachen, jedem verständlichen Forderungskatalog (1), der aus folgenden fünf Kernpunkten besteht:

1. Sofortige Annullierung aller Maßnahmen und damit verbundenen Forderungen, die im Memorandum (2) enthalten sind und, damit verbunden, Rücknahme der Kürzungen der Gehälter und Pensionen (Renten).

2. Annullierung derjenigen Gesetze, die darauf abzielen, das Arbeitsrecht zu demontieren und die Kollektivverträge und alle mit ihnen verbundenen Regelungen beginnend mit 15. Mai außer Kraft zu setzen.

3. Was die politischen Institutionen betrifft, so wird die Einführung des Verhältniswahlrechts und eine gesetzliche Neuregelung des bisherigen ministeriellen Verantwortungsbereiches verlangt.

4. Es muß eine öffentliche Überprüfung der Banken stattfinden; zusätzlich wird die sofortige Veröffentlichung aller in einem Bericht enthaltenen Daten über die New Yorker Black Rock gefordert (3)

Das Bankensystem wird in diesem Zusammenhang gekennzeichnet als eines, „das heute, obwohl es rund 200 Milliarden Euro in bar und als Garantien erhalten hat, nach wie vor in den Händen derjenigen Manager ist, die es in den Bankrott getrieben haben.“ Es wird des weiteren gefordert: „ … die Umwandlung der Banken in ein Instrument der wirtschaftlichen Entwicklung und zur Stärkung der kleinen und mittelständischen Unternehmen (4).

Letzteres, wie auch die EU-affirmative Haltung, wie sie explizit an anderer Stelle zum Ausdruck kommt, hat den Ärger der KKE hervorgerufen.

5. Und schließlich der letzte Punkt: Es wird die Einrichtung eines internationalen (5) Ausschusses zur Überprüfung und Neubewertung (audit) der Staatschulden gefordert und, parallel dazu, ein Schuldenmoratorium.

Zum letzten Punkt heißt es: „Bei der Krise handelt es sich um keine griechische Besonderheit, sondern es ist eine europäische Krise, und auf europäischer Ebene muß eine Lösung gesucht werden.“ (6)
Besonders im Punkt Schulden-audit trifft sich die Politik von Syriza mit den europäischen debt-audit-Bewegungen, die eine grundsätzliche Neu- und Umbewertung des Schuldenbegriffes in ihrem Programm haben (inbegriffen die radikale Ablehnung der Rückzahlung offen gegen das Gesetz verstoßender als auch moralisch nicht legitimierbarer Schulden), sowie das Prinzip der völligen Transparenz und auf Masseninstruktion beruhender demokratischer Mitentscheidung über Schulden- und Wirtschaftsfragen.
Diese Bewegungen und ihre Forderungen haben zentrale Positionen in denjenigen Gruppierungen/Initiativen, die derzeit für Frankfurt und darüber hinaus mobilisieren.
Unabhängig von (definitiven oder vorübergehenden) Koalitionserfolgen der griechischen Linken müßten sich die europäischen Bewegungen diese Forderungen von Syriza zu eigen machen und sie massiv unterstützen.

(1) Kürzere Fassung in: Προτάσεις του προέδρου του ΠΑΣΟΚ για τη συγκρότηση κυβέρνησης (Stellungnahme des PASOK-Vorsitzenden zur Regierungsbildung), Kerdos, 9. 5. 2012)

(2) Ein lebhafter und griffiger Artikel unter anderen zum Memorandum, der noch aus dem vorigen Jahr stammt und wichtige Aspekte umreißt, oder anreißt, ist von Andreas Kloke: Massenhafter Widerstand auf dem Syntagma-Platz – Griechenland revoltiert, Stadtzeitung Saarbrücken, 14. 6. 2011 ( http://www.takt.de/seiten/Es/S/Griechen_Widersand.htm (sic!))

(3) Black Rock ist der größte Vermögensverwalter der Welt, spekuliert unter anderem mit griechischen Staatsanleihen und konditioniert mit seinen Bewertungen und Analysen die griechische Innenpolitik.
(4) Diese Zusammenfassung steht nicht in Kerdos („der Gewinn“), sondern in: Η Δήλωση Αλ. Τσίπρα: Πέντε άξονες διαλόγου για μια κυβέρνηση της Αριστεράς, Αυγή (Avjí), 9. 5. 2012  http://www.avgi.gr/ArticleActionshow.action?articleID=687392

Sie ist aber in der deutschen Variante von Redglobe, die selbst nur eine Übersetzung aus dem Englischen ist, berücksichtigt: Erklärung des SYRIZA-Fraktionsvorsitzenden Alexis Tsipras am 8. Mai 2012, Red Globe, 9. 5. 2012

(5) An sich eine gute Idee. „International“ kommt jedoch nur in der Version von Kerdos vor, nicht in der der Tageszeitung Avjí.

Wiewohl im Text von Avjí „international“ nicht explizit vorkommt, so vertreten doch internationale Aktivisten die Forderung nach internationalen (oder übernationalen) audits. Das dürfte auf den Kerdos-Bericht abgefärbt haben.

(6) Avjí, a. a. O.
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Ergänzungen

Anarchos?

auo 10.05.2012 - 23:53
Die sind dem Tsipras dankbar, denn er, bzw. seine Partei, hat sich immer für die Opfer der polizeilichen Repression eingesetzt - unabhängig davon, ob sie Anarchisten oder Kommunisten waren.
Anarchisten wählen grundsätzlich nicht; aber einige erkennen es an, daß hier manchmal eine Brücke zwischen den beiden - seit dem Bürgerkrieg - an sich unversöhnlichen Lagern geschlagen wurde. Es gibt gelegentlich auch Kundgebungen, für die antiautoritäre Kräfte und linkskommunistische gemeinsam mobilisieren.

Außerdem gibt es ein Netzwerk (diktío), das sich seit mehr als 20 Jahren für die Opfer staatlicher Repression einsetzt, unabhängig von ihrer Tendenz, und das auch eine hervorragende Zeitschrift herausgibt.

an Wein Reklame

ross@ 11.05.2012 - 00:08
Von einer Vertreterin des linken "Synaspismos" (die sind Teil der Syriza) durfte ich mir vor einigen Tagen auf einem Vortragsabend folgendes erklären lassen:

Die linken Parteien haben erfolgreich ein rechtes Schreckgespenst an die Wand gemalt und es so tatsächlich geschafft, große Teile der Anarchoszene dazu zu bringen, sich bei der Wahl diesmal nicht zu enthalten, sondern für das (aus ihrer Sicht) "kleinere Übel", sprich eine linke Partei, zu stimmen, um so eine Stärkung der rechten Parteien abzuwenden.
Das hat ja auch ganz gut geklappt, die Linken haben ordentlich zugelegt.

Die Referentin gestand auf Nachfrage übrigens ohne Umschweife ein, dass sie nicht bloß das aktuelle politische Programm des linken Blocks für praktisch nicht umsetzbar hält, sondern eine Umsetzung obendrein auch gar nicht wünschenswert fände. Es ging bei den Wahlen vor allem darum zu Polarisieren und Stimmen zu gewinnen, sprich: um reine Machtpolitik nach innen.

Risiken und Nebenwirkungen

udo 11.05.2012 - 11:54
ein Auszug aus einem anderen (sehr lesenswerten) Artikel auf indymedia:

"Wir sind Waisen von Ideen, die ihre Denkbarkeit verloren zu haben scheinen. Wir müssen aus der Ecke herausbrechen, in die wir gedrängt wurden, und aufhören, diese Situation kläglich zu verherrlichen. Die Konfliktualität, die zur Zeit anwächst, und die einen ziemlich anderen Charakter annehmen könnte, als das, was wir bisher nur allzu gut kannten, bietet uns reelle Möglichkeiten, wieder zu experimentieren und die ideologische Umzingelung unserer Basis zu durchbrechen. Der Widerspruch der Subversion verbirgt sich in der Spannung zwischen der Annäherung an die Realität und dem Ausbrechen aus dem Rhythmus, um zu kommunizieren, was für unmöglich gehalten wird. "
 http://de.indymedia.org/2012/05/329800.shtml


Ich poste diesen Auszug, weil ich es im Kontext des hier Besporchenen wichtig finde, aufzuzeigen, welche Risiken und Nebenwirkungen eine Stärkung der Macht linker Parteien immer mit sich bringt. Und auch, dass insbesondere die Sache mit dem nötigen Ausbruch der Linken aus der Isoliertheit häufig falsch verstanden bzw. falsch umgesetzt wird. Statt ihre elitäre Abgrenzung aufzugeben und vom eigenen revolutionären Standpunkt aus offensiver in der Gesellschaft zu agitieren und sich stärker in Konflikte einzumischen, verlassen viele (ehemalige) Linke nicht nur die soziale Isolation, sondern auch gleich ihren revolutionären Standpunkt. Endlich in einem Zentrum der Macht angekommen, reden sich diese ex Linken dann den Irrsinn ein, nicht sie selber, sondern der Charakter der Macht habe sich verändert. Wohin das führen kann, soll die folgende Parabel verdeutlichen:


Es ist stockfinster. Im Lichte einer einsamen Straßenlaterne schleicht ein Politiker umher und schaut konzetriert auf den Boden. Das sieht eine Revolutionärin und spricht ihn an. Der Politiker erlärt, er habe seinen Autoschlüssel verloren und suche nun schon seit Stunden verzweifelt. Die Revolutionärin ist hilfsbereit und so suchen sie einige Zeit lang gemeinsam unter der Laterne nach dem Schlüssel. Sie werden aber nicht fündig.

Also fragt die Revolutionärin, ob der Schlüssel denn auch gewiss unter der Laterne verloren gegangen sei? Ob nicht vielleicht auch an anderer Stelle gesucht werden sollte? Der Politiker entgegnet, der Schlüssel könnte ebensogut auf dem angrenzenden Parkplatz liegen. Dort sei es aber stockdunkel und eine Suche daher wenig erfolgversprechend.

Durch Zufall hat die Revolutionärin ein Feuerzeug dabei, und sie schlägt vor, im schwachen Schein der Gasflamme auf dem dunklen Parkplatz zu suchen. Der Politiker aber lehnt dies ab mit der Begründung, das Licht der Laterne sei um ein vielfaches heller als das Licht des Feuerzeugs. Verlorenes lasse sich daher an Ort und Stelle viel leichter suchen und finden als anderswo.

Verdattert wandte sich die Revolutionärin ab und ging ihrer Wege. Der Politiker blieb im Schein der Laterne zurück.


in diesem Sinne: Für die Revolution, gegen Staat und Kapital!

lesen

auo 11.05.2012 - 20:25

Dazu unbedingt lesen:
Blockupy und die aktuelle Lage in Griechenland
Von StephanLindner am Mai 11th, 2012 um 19:13

 http://blog.attac.de/?p=1145

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Gräcocidie — auo

Teutsch? — Wein Reklame

an A und O — ross@