Der Erste Mai in Neubrandenburg

Kombinat Fortschritt 04.05.2012 13:02 Themen: Antifa
Das Herz schlägt, Aufregung und Anspannung sind groß, schnell noch die letzten Meter in der Ravensburg-Straße, dann ist es geschafft! Der Blockadepunkt ist erreicht. Jubel bricht aus. Nach wenigen Minuten meldet der Ticker: Auch die zweite Blockade steht. Die Route, die das Ordnungsamt der NPD in der Ihlenfelder Vorstadt als Ersatz zugewiesen hat, ist auf dem ersten Kilometer dicht gemacht. Nun heißt es aushalten, Ruhe bewahren und Platz nehmen. Die Sonne scheint an diesem Morgen. Es wird noch dreieinhalb Stunden dauern, bis die NPD auf einer weiteren Ausweichroute ihren Aufmarsch beginnen wird.
Im letzten Jahr kamen drei Busse aus Richtung Rostock, um in Greifswald zu blockieren. In diesem Jahr kamen noch drei aus Greifswald hinzu. So konnten auf der Ravensburg Straße gleich zwei Blockadepunkte besetzt werden. Mit Bekanntwerden des Aufmarschortes der NPD hatten die Vorbereitungen für die Gegenaktivitäten begonnen. Es wurden Busse organisiert, zahlreiche Infoveranstaltungen abgehalten und eine Reihe von Mobilisierungsaktionen durchgeführt, um die Proteste am 1.Mai selbst zu unterstützen.

Was vom Tag bleibt

Rund 300 AntifaschistInnen waren heute besonders früh aufgestanden, um in die Busse zu steigen. Zusammen mit weiteren 250, die von Vorort mobilisiert werden konnten, überstieg also die Anzahl der Blockadewilligen die Menge der Nazis deutlich, welche nur rund 300 Gleichgesinnte versammeln konnten. Letztlich scheiterte eine völlige Blockade des Aufmarsches an einem fehlenden dritten Blockadepunkt. Genügend Leute hatten sich dafür auch am Treffpunkt von Neubrandenburg-Nazifrei gesammelt. Allerdings gelang es nicht, die Menschen von der Blockade am Prellbock im Vogelviertel in den benachbarten Stadtteil herüber zu lotsen und einen effektiven dritten Punkt zu besetzen, nachdem die Nazis über die Südseite des Bahnhofes zugeführt wurden. In den engen Straßen der Eigenheimsiedlung Ihlenfelder Vorstadt hatte es die Polizei später dann nicht mehr besonders schwer, das Zustandekommen von weiteren größeren Ansammlungen zu unterbinden.

Die Zahl der Protestierenden sollte allerdings auch noch um all die Personen ergänzt werden, die in anderen Stadtteilen Veranstaltungen abhielten und somit einen Beitrag dazu leisteten, dass die Nazis keine prestigeträchtige Route bekommen konnten. Die vielen verschiedenen Veranstaltungen von Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Akteuren machten den ersten Mai in Neubrandenburg im Ganzen zu einem sehr politischen Tag.

Am Abend stand Erschöpfung aber auch Zufriedenheit auf vielen sonnengebräunten Gesichtern der Antifas, als sie in die Busse nach Hause stiegen. Es war ein Tag, auf den sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken konnten. Es ist wieder einmal gelungen, erfolgreiche Blockaden zu organisieren. Allerdings: Am Ende sind die Nazis doch durch die abseits gelegene Einfamiliensiedlung in der Ihlenfelder Vorstadt marschiert.

Ein bisschen mulmig wird es hingegen einigen abreisenden Kadern der NPD zumute gewesen sein. Auch wenn ihre Fusstruppen zum größten Teil zufrieden waren, weil sie die Propaganda vom erfolgreichen Marsch gerne geschluckt haben. Denn auch diese Kameraden haben ja die Route gesehen, auf der sie in diesem Jahr in Neubrandenburg marschieren mussten. Das war keine Strecke, das war eine Strafe, als es mit Verspätung vom sandigen Parkplatz in der Industriebrache am Rande der Gleise losging. Am arbeitsfreien Feiertag war im Gewerbegebiet in der Johannes Straße nicht viel los. Bis dann plötzlich doch noch ein Riesenkrach von der Anlage des Mixtape-Club die erste Rede des Kameraden Blasewitz übertönte. Auch in der langgestreckten Sponholzer Straße war die Öffentlichkeitswirkung nicht so optimal, wie sie durch die ursprüngliche Strecke hätte sein sollen. Doch dann war es für die Kameraden im wesentlichen ausgestanden, die Polizei räumte alle weiteren spontanen Blockaden zum Teil mit brutaler Gewalt. Die Demo lief. Sie lief nicht auf dem geplanten Weg, aber sie lief.

Auch ein blindes Huhn ...

Die Auswertung des diesjährigen Neonaziaufmarsches in Neubrandenburg lässt sich auch mit einem einfachen Sprichwort auf den Punkt bringen: Die NPD Mecklenburg Vorpommern hat mal wieder mehr Glück als Verstand gehabt. Der Aufmarsch ist einer der erfolgreichsten von den vielen im ganzen Bundesgebiet. Dies lag nicht daran, dass er so besonders gut gelaufen ist, sondern daran, dass die übrigen Aufmärsche fast immer in einem Desaster endeten. Entweder fehlte es an Mobilisierungsfähigkeit oder der Aufmarsch scheiterte an breit getragenem Protest und Massenblockaden. In Neumünster wurde der Fraktionschef der NPD aus Mecklenburg Vorpommern, Udo Pastörs gar mit anderen Kameraden verhaftet und in einem Käfig gehalten. Vor diesem Hintergrund ist der Aufmarsch der Nazis in Neubrandenburg natürlich immer noch ein kolossaler Erfolg. Entsprechend erleichtert fallen die Kommentare auf dem einschlägigen Propagandaportal Mup Info auch aus.

Neue Perspektiven für Neubrandenburg

Die linke Szene dürfte hingegen insgesamt gestärkt aus dem ersten Mai hervorgehen. Noch nie hatten so viele Leute in MV das Blockadeticket gelöst. Die, durch die gemeinsame Praxis gemachten, Erfahrungen der vergangen Jahre sind eine gute Basis für weitere Aktionen in der Zukunft. Während Neubrandenburg in den letzten Jahren häufig auf Kleingruppen-Aktionen am Rande der Nazidemo gesetzt hatte, entschieden sie sich für den 1. Mai 2012 für eine neue Form des Protests, mit dem Ergebnis, dass die Nazis nicht die geplante Route laufen konnten. Vor diesem Horizont bleibt auch Neubrandenburg ein unsicherer Posten in der Rechnung der Aufmarschplanungen der NPD. Im Vergleich zum letzten Jahr gab es im Zuge der Proteste und Blockaden deutlich weniger Gewahrsamnahmen und Personalienfestellungen. All dies machte den ersten Mai in Neubrandenburg zu einem erfolgreichen Tag, wenn auch zugegebenermaßen mit einigen Abstrichen.

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Ergänzungen

Bilder aus dem brandenburgischen Wittstock

gibt es unter anderem hier: 07.05.2012 - 01:26

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