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Meiningen: Thüringentag verhindern !

AutorIN 24.04.2012 07:26
Den Volkstod vorantreiben. Nie wieder Deutschland!
Gegen Nazifeste und deutsche Zustände!

Unter dem Motto „Volkstod stoppen“ planen Thüringer Neonazis am 9. Juni 2012 in Meiningen ihren „11. Thüringentag der nationalen Jugend“. Diesen Aufmarsch von Neonazis wollen wir nicht ohne Weiteres hinnehmen. Aber: Sich gegen Nazis zur Wehr zu setzen, ohne auf die gesellschaftlichen Ursachen von Naziideologie hinzuweisen, halten wir für höchst problematisch. Deswegen lehnen wir jegliche „Meiningen gegen Nazis“ und „Bunt statt braun“-Rhetorik ab. Wir wollen nicht Meiningens guten Ruf gegen die Nazis verteidigen, sondern vielmehr darauf verweisen, dass Naziideologie in Deutschland etwas ist, was notwendig seine Ursachen in der bürgerlichen Gesellschaft hat und dass in diesem Land das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie potentiell bedrohlicher ist, als das Nachleben des Nationalsozialismus gegen die Demokratie. Die größte Gefahr eines faschistischen Wiedererstarkens geht nicht von den marginalisierten Nazis aus, sondern von der bürgerlichen Ideologie des „geläuterten“ Deutschlands selber, in welcher die Ursachen für die faschistische Barbarei fortwesen und in der Kategorien wie Volk und Nation Ausdruck anti-emanzipatorischen Denkens sind. Deswegen wollen wir am 9. Juni nicht nur gegen die Naziplage auf die Straße gehen, sondern gegen die Ursache für diese Plage überhaupt: Deutschland.
Warum gegen Nazis und warum in Meiningen

Es ist nicht allzu lange her, da gab es in Meiningen eine kleine, aber sehr aktive Naziszene. Allem voran die sogenannten „Autonomen Nationalisten“ um Sven Dietsch, die sich heute aber lieber und zutreffender „Südthüringer Heimatschutz“ nennen. Immer wieder kam es hier in den vergangen Jahren auch zu Angriffen und anderen Anti-Antifa-Aktionen. Auch was Naziläden betraf, hatte Meiningen bis vor kurzem noch eine der dichtesten Strukturen in ganz Thüringen. Dass die Nazis derzeit in der Öffentlichkeit weniger präsent sind, ist kein Grund sich zurückzulehnen. Sowohl die organisierten Nazis wie auch die berüchtigten Kirmes- und Stadtfestschläger, die es wohl in jeder Kleinstadt gibt und die gerne mal gegen Unangepasste zulangen, sind eine Gefahr, gegen die es zu kämpfen gilt. Dass der diesjährige Thüringentag in Meiningen stattfinden soll, ist ein Zugeständnis an die hiesigen Strukturen, die damit neue Kraft schöpfen wollen. Es liegt an uns, ihnen das so schwer zu machen, wie möglich.

Volkstod statt Völkermord

In ihrem „Aufruf“ problematisiert die NPD den Rückgang der Bevölkerungszahlen in Meiningen und Thüringen überhaupt, was sie dramatisierend als einen „Volkstod“ bezeichnet. Dass dieser Rückgang nicht nur auf der Alterung der Gesellschaft beruht, sondern wesentlich auf dem Wegzug junger Menschen nach Westdeutschland oder in größere Städte Ostdeutschlands und die Leute nur weil sie woanders wohnen noch nicht tot sind, ist nur die offensichtlichste Dummheit des NPD-Textes. In Wirklichkeit sind ihr die Menschen sowieso scheißegal. Wenn Nazis von Volk reden, stehen dahinter rassistische Vorstellungen von einem weißen nicht-jüdischen Zwangskollektiv, einer Blut- und Bodengemeinschaft, in der Verschiedenheit durch das repressive Kollektiv verfolgt wird. Das Ziel der Nazis ist die alle Unterschiede zwischen den Menschen nivellierende Volksgemeinschaft. Doch schon bevor die Nazis den Begriff für sich entdeckten und zu seiner letzten Konsequenz trieben, was konkret in den Völkermord gegen andere „Völker“ mündete, war (Staats-)Volk die Kategorie für den Ausschluss aller Nichtzugehörigen aus einem Kollektiv, dessen Zugehörigkeit man sich als Einzelner in der Regel nicht aussuchen kann. Und so ist das hinter Abschiebungen und Grenzsicherung stehende Argument der Bundesrepublik Deutschland, dass, wer nicht zum Volk gehört, hier keinen Schutz zu suchen hat. Es gilt der Satz Wolfgang Pohrts von 1981: „Das Volk ist kein Begriff, den die Nazis erst ruinieren mussten, sondern seit hundert Jahren schon die Lüge von der notwendigen schicksalhaften Verbundenheit der einzelnen im nationalen Zwangskollektiv – die Lüge also, welche die aufklärerische Idee der Menschheit und mit ihr das bis heute uneingelöste Versprechen der sozialistischen Revolution dementiert, den Verein freier Menschen.“ Für uns ist die von NPD, Sarrazin und Konsorten verbreitete Mär vom „Volkstod“ deswegen keine Katastrophe, sondern wäre ein Segen, wenn sie denn stimmen würde, denn im auf Abstammung beruhenden Zwangskollektiv ist für wirkliche Freiheit und Menschlichkeit kein Platz.

Warum wir bei der Kritik an den Nazis nicht stehen bleiben können

Vielfach beschränkt sich die notwendige Kritik der Zivilgesellschaft und von großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit an den Nazis darauf, dass die Nazis als Gefahr für Menschen mit migrantischem oder linkem Hintergrund dargestellt werden. Was zweifelsfrei richtig ist, ist aber nur die Spitze des Eisbergs und führt in der praktischen Konsequenz zu nichts anderem als einer Sisyphos-Arbeit[1] gegen rechte Strukturen, deren Entstehungsbedingungen man gar nicht begreift und deswegen auch nicht ursächlich gegen sie vorgehen kann. Der Fehler besteht darin, die Nazis als isolierte gesellschaftliche Exklave zu betrachten und ihre Entstehungsbedingungen, aus dem Schoß der bürgerlichen Gesellschaft heraus, außen vor zu lassen - sehr oft ganz einfach deswegen, weil das den Bruch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen bedeuten muss, in denen man sich eingerichtet hat. Dieses politische Verhalten sagt viel aus über den affirmativen Charakter der deutschen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit und hat sich historisch bereits delegitimiert. Der Faschismus und vor allem der deutsche: der Nationalsozialismus ist nicht zu begreifen als Willkürherrschaft eines Führers und seiner Clique über die Mehrheit der Bevölkerung, sondern, was ihn ausmachte war gerade seine Massenbasis, er beruhte auf dem Einverständnis der großen Mehrheit der Bevölkerung und wie alle bürgerlichen Ideologieformen diente er der Rechtfertigung der bestehenden kapitalistischen Ordnung. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Faschismus, anstatt das Machwerk böser Einzelner zu sein, das „Zusichselbstkommen der Gesellschaft an sich“ (Adorno) ist, dem nicht beizukommen ist, indem man die regressivsten Elemente dieser Gesellschaft gegen ihre Keimform ausspielt. Der Faschismus ist eine Option des bürgerlichen Kapitalismus, seine potentielle Krisenform und der Wunsch immer größerer Teile der Bevölkerung nach einer starken Hand, die endlich wieder Ordnung im vermeintlichen Durcheinander des Finanzkapitalismus herstellt, bezeugt genau das.[2] Vor allem in der Krise steht die Demokratie, die eigentlich keine ist und nie eine war, wenn man Demokratie und Mündigkeit zusammen denkt, wieder zur Disposition. Sie wird gerade von den Herrschenden als lästige Verzögerung für notwendige administrative Entscheidungen betrachtet, wenn Rettungspakete durchgewunken und Überwachungsmaßnahmen verschärft werden sollen. Die Gefahr eines faschistischen Wiedererstarkens geht demnach nicht von einigen marginalisierten Nazis aus, die erst dann im nationalen oder internationalen Maßstab gefährlich werden, wenn sie sich an die Spitze der Massen setzen, sondern die Gefahr geht von der Masse, von der bürgerlichen Gesellschaft selber aus. In ihr schlummern heute wie damals die Ursachen für die faschistische Barbarei und sie sorgt, bewusst und unbewusst im Zustand kollektiver Unmündigkeit, dafür, dass alles so bleibt, wie es ist: „Wir hätten nicht die Scheiße, die wir haben, wären wir nicht die Scheiße, die wir sind“, sagte einmal Herbert Marcuse, zwar im Zusammenhang mit der Kernkraft, aber ebenso zutreffend auf andere Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft.
Umso krasser die gesellschaftlichen Widersprüche in der kritischen Bestandsaufnahme erscheinen, desto geschlossener scheint der ideologische Vorhang, der die Einzelnen vor der Erkenntnis schützt, dass sie Sklaven in einem System sind, das am Ende niemandem nützt und alle zerstört. Aufgabe antifaschistischer Gesellschaftskritik ist es diesen ideologischen Vorhang zu lüften und die Gesellschaft in ihrer Unmenschlichkeit und Unfreiheit bloßzustellen. Anders ist die Hoffnung nicht zu bewahren, dass eines Tages doch noch alles ganz anders wird. Das geht nur ohne Volk, Staat und Kapitalismus. In diesem Sinne wollen wir am 9. Juni in Meiningen auf die Straße gehen.

[1] Sisyphos ist ein tragischer Held der griechischen Mythologie, der von Zeus mit der Aufgabe bestraft wurde, einen Stein den Berg heraufzurollen, der kurz vor dem Gipfel immer wieder herunterrollt und Sisyphos dazu zwingt von vorne anzufangen. Im übertragenen Sinn ist hier also eine Arbeit gemeint, die trotz größter Anstrengung nie fertig gestellt werden kann.
[2] Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2008 zufolge, verlangen schon heute fast 30% der Ostdeutschen nach einer Ein-Parteiendikatur, fast 20% verlangen nach einem starken Führer. Vgl.  http://library.fes.de/pdf-files/do/05864.pdf. Dazu sei bemerkt, dass diese Ergebnisse nur die Wunschvorstellungen der Menschen repräsentieren, die sich das Bedürfnis nach starker Führung bereits bewusst gemacht haben. An die Konsequenzen bei steigender Verelendung im Zuge einer Ausweitung der Krisenerscheinungen ist nicht zu denken. Die in dieser Gesellschaft schlummernde Gefahr ist enorm.

Der Aufruf wird getragen und unterstützt von:

Antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen aus Südthüringen (AGST)
Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Südthüringen (FAUST)
Antifa Erfurt (AG17)
JAPS Jena
Antifaschistische Aktion Saalfeld
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Ergänzungen

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AutorIN 24.04.2012 - 08:09
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