Rüsselsheim: Antifaschistisches Interview

Antifaschistische Interviews Rüsselsheim 23.04.2012 13:27 Themen: Antifa
Während das Rüsselsheimer Echo mit dem Marburger Professor Eckart Conze ein Interview über die Nazi-Vergangheit des früheren Bürgermeisters Köbel führte, sprachen Antifaschist_innen mit den Aktiven der Recherchegruppe zu Köbel, die mit der ANTIFA in Rüsselsheim zusammenarbeitet.
Frage: Was sagt ihr zu der jüngsten Entwicklung im Fall Köbel?

Recherchegruppe: Natürlich ist die Richtung, in die es jetzt geht, erst einmal ein Schritt vorwärts. Bisher sind ja nur die Erkenntnisse von Journalisten der FR und der MSP, sowie unsere Ergebnisse, die die ANTIFA in die Öffentlichkeit gebracht hat, der Rüsselsheimer Bevölkerung bekannt gemacht worden. Wir freuen uns auch sehr darüber, dass es nun einen Antrag für eine Namensänderung der Köbelhalle gibt, der durch die RFFW-Fraktion eingebracht wurde. Andreas Andel hat hier sehr engagiert in den Ausschüssen und in der letzten Stadtverordnetenversammlung debattiert. Das immer noch so getan wird, als wären keine "Fakten" bekannt und man müsse ganz "neutral" Köbel bewerten und erst auf die in Auftrag gegebene Studie über Köbel abgewartet werden muss, ist eine weitere Verzögerung dieser Affäre. Wir schätzen es so ein, dass sich die politisch Verantwortlichen selbst entwerten und diskreditieren, weil sie nicht Willens sind, aus der bekannten Nazi-Karriere von Köbel die nötigen Entscheidungen zu treffen. Reizvoll ist aber sicher zu sehen, ob unsere eigenen Nachforschungen auch von Professor Conze und Sabine Kühn thematisiert werden
und vor allem welche nicht. Schließlich war der "politisch-historische Wettbewerb" mit der Parteikommission der SPD, angeführt von Siegbert Reinig, ein sehr langweiliges einseitiges Spiel, weil Reinig und die SPD total versagt haben. (lacht)

Frage: Stichwort Stadtarchiv in Rüsselsheim

R: Eine ganz üble Geschichte. Das Stadtarchiv hat wohl auf Anweisung von oben, vermutlich
durch den ehemaligen SPD-Oberbürgermeister Stefan Gieltowski, jede Forschung zu Köbel verhindert. Außer Presseartikel würden angeblich keine Unterlagen zu Köbel im Stadtarchiv vorhanden sein, so unser Informationsstand. Zu befürchten ist, dass der alte SPD-Magistrat im vergangenen Jahr genügend belastendes Material hat verschwinden lassen. Das ist bei der SPD nicht unüblich und im Falle des Stadtarchivs in Rüsselsheim z. B. nach 1945 bereits schon einmal passiert, als Material über Nazis im Opelwerk "verschwunden" ist.

Frage: Was sagt ihr dazu, dass die allgemeine historische Erforschung von Köbel, auch als Bürgermeister, nicht zum Forschungsauftrag gehören soll?

R: Da herrscht bei uns etwas Unverständnis vor. Einerseits spricht Professor Conze selbst
von der ganzen Biografie Köbels (1918 bis 1965), die "in den Blick zu nehmen" ist, anderseits verneint er genau die Bürgermeisterjahre von Köbel. Dies steht zumindest im Widerspruch mit den Pressemeldungen zu dem Forschungsauftrag des Magistrats, wo es doch heißt; "ob Köbels Vergangenheit im Nationalsozialismus spürbare Auswirkungen auf seine Äußerungen und Handlungen hatte", womit seine Zeit als BM von Rüsselsheim gemeint ist.
Genau diese Zeit sehen wir auch als Herausforderung an. Unsere Forderungen lauten hier,
1. der genaue Wortlaut des Forschungsauftrags muss veröffentlicht werden, und 2. wir fordern auch einen historischen Forschungsauftrag über die politische Amtsführung von Köbel als Bürgermeister.

Frage: Wieso das?

R: Ganz einfach, Köbel ist nicht der typische Nazi, der nach 1945 gut vernetzt mit Altnazis nach einer gewissen Auszeit in bedeutende politische Ämter gehievt wird. Köbel ist aus unserer Sicht eine Sonderrolle. Er streift zumindest oberflächlich seine Nazigesinnung nach dem 8. Mai 1945 ab und sucht Anschluss an Sozialdemokraten, die von den Nazis nach 1933
ausgeschaltet wurden. Dabei belügt Köbel gerade diese Leute mit seiner immer betonten Redegewandtheit nach allen Regeln der Kunst. Und genau diese Form des Lügens und der juristischen Schlitzohrigkeit, immer nur das zuzugeben, was ihm auch bewiesen werden kann, hält Köbel nicht nur bei seinem Entnazifizierungsverfahren durch. Genau das lässt aber tief blicken, auf einen Mann, der später das höchste Amt in Rüsselsheim 11 Jahre bekleidet.
Es ist für uns schwer vorstellbar, dass Köbel mit seinen schmutzigen Tricks - eben Lügen, Verheimlichen usw. - als Bürgermeister aufgehört hat. Deshalb sollte hier mal genauer geforscht werden.

Frage: Also fordert die Antifa und die Recherchegruppe nicht nur die Erforschung der Biografien aller Stadtverordneten bis 1986, sondern auch Köbels politische Zeit als Bürgermeister?

R: Genau! Soviel muss nach 47 Jahren "Heldenverehrung" des Dr. jur. Walter Köbel sein.

Frage: Die Stadt und der neue CDU-OB Patrick Burghardt werden sich bedanken?

R: Umgekehrt. Die haben jetzt die Möglichkeit reinen Tisch zu machen, damit die Situation
zu beenden immer auf Pressemeldungen reagieren zu müssen - oder besser nicht zu reagieren - wieder glaubwürdig in Sachen Nazivergangenheit zu werden, und damit z. B. bei den Rüsselsheimer Partnerstädten nicht übel aufzustoßen. Schließlich kann doch jeder Mensch googlen. Wer heute Walter Köbel eintippt, weiß doch ganz schnell, dass die städtischen Offiziellen ein Problem haben.


Frage: Ende 2012 sollen die Ergebnisse durch Frau Kühn und Professor Conze vorliegen.

R: Hoffentlich wird das Ergebnis nicht nur gedruckt in Rüsselsheim erhältlich sein,
sondern die Ergebnisse von Frau Kühn in Rüsselsheim auch öffentlich vorgestellt werden.
Diskussionsveranstaltungen wären ebenso hilfreich.

Frage: Wird Walter Köbel in Rüsselsheim zukünftig weiter geehrt und gerühmt werden?

R: Eher nicht. Allerdings ist so manches vorstellbar, schließlich war ja auch der DGB in Rüsselsheim bereit ein antirassistisches Fußballturnier gerade in der Köbel-Halle zu veranstalten. Zum Glück konnte die ANTIFA durch Druck über die Medien zumindest einen
erzwungenen Protest gegen Köbel von den DGB-Verantwortlichen erreichen. Allerdings ist der DGB in Rüsselsheim in der Hand von SPD-Leuten, was viel erklärt. Leider ist die SPD in Rüsselsheim noch immer stramm Pro-Köbel und diskreditiert sich dadurch nicht nur in Hinblick auf das Nazi-Opfer Ludwig Dörfler (SPD) vollkommen.
Interessant ist aber auch, dass gerade bei den Sportvereinen die Ablehnung gegen Köbel wächst.


Frage: Wie ist die Person Walter Köbel insgesamt zu bewerten?

R: Festzustellen bleibt, dass Köbel bis zum 8. Mai 1945 vollumfänglich und damit in voller Mittäterschaft einem faschistischen Terrorsystem nicht nur als Jurist gedient hat. Für diese Mitschuld am Tod von zig Millionen Menschen hat er niemals Verantwortung getragen, weil er diese Schuld beiseitegeschoben hat, um seinen frühen Wunsch nach einer Beamtenkarriere nachgehen zu können. Als Sohn eines Leutnants hat Köbel ja die Krisenjahre 1929 ff. erlebt und sicher nicht nur einmal gehört, dass die Beamtenlaufbahn eine große soziale Sicherheit bietet. Gleichzeitig bot sie ihm auch die Möglichkeit seinen kleinbürgerlichen Hang nach Herrschsucht auszuüben.
Köbel ist eben der Fall eines gewieften Juristen, der nach Schlupflöchern sucht, um Karriere zu machen. Zwar klagt er beispielsweise, dass er abseits des BRD-Staatsdiensts eine Karriere als Rechtsanwalt, die sogar besser vergütet gewesen wäre, hätte machen können, aber genau das hatte Köbel nie vor. Er hat mit Akribie nach einer Chance für sein eigens Fortkommen gesucht. Hier fällt eben auf, dass der Darmstädter Köbel, systematisch seine Heimatstadt gemieden hat. Hier war er als Nazi zu bekannt. Wie nicht wenige Nazis hatte Köbel zunächst beruflich im familiären Kreis Unterschlupf gesucht und dann sehr zielstrebig leitende Positionen im Staatsdienst angestrebt.

Frage: Wie ist Köbel in die SPD gekommen?

R: Die SPD kann hierzu selbst keine Angaben machen. Nach 1945 waren für Parteieintritte in die SPD nur persönliche Gespräche mit den Eintrittswilligen vorgesehen. Genau das dürfte Köbel in jedem Fall nicht schwergefallen sein. Schließlich wird Köbel als redegewandt, mit schneller Aufnahmefähigkeit, und als überzeugend auftretender Mensch von seinen Vorgesetzten beschrieben. Spätere Zweifel dürften auch dadurch zerstreut worden sein, dass er den SPD-Landrat von Büdingen, Moosdorf, der von den Nazis nach 1933 ausgeschaltet worden ist, mit seiner Einschleich-Tour, überlistet hat. Köbel wird ihm ja nicht erzählt haben, dass er eine Promotion im Geiste der Nazis abgelegt hat, dass er bei der NSDAP bereits ab 1937 war, das SA-Wehrabzeichen usw. gemacht hat. Tarnen, war ja eine Aufgabe des SA-Wehrabzeichens. Köbel hat sich nach 1945 eben politisch getarnt.


Frage: Wie ist den das Verhalten der SPD in Rüsselsheim zu werten?

R: Merkwürdig ist es schon, dass gerade die damals sehr linken JUSOS um Wieczorek, Zeul, Birkholz, Gerhardt Löffert u.a.m. nach dem Tod von Köbel (1965) nicht auf die Idee kamen, Köbels Doktorarbeit in der Frankfurter Uni zu lesen. Gerade bei der Namensgebung für die Großsporthalle (1972) wäre es eigentlich für linke Jusos zwingend gewesen, die mal zu lesen.
Köbel ist für die heutige SPD-Generation ein total unbekanntes Wesen, von dem sie nicht mehr wissen, als das er angebliche Aufbauleistungen für Rüsselsheim und wohl die wirklich fetten 64% Stimmen für die SPD eingefahren hat. Allerdings lässt die mehrfache Verteidigung von Meixner-Römer, Nils Kraft und Jens Grode für Köbel einen tiefen Einblick in deren Geschichtsverständnis zu. Die SPD hat wohl im letzten Mai geglaubt dieses Thema einfach aussitzen zu können. Dann sind sie aber durch Presseartikel immer wieder zur Reaktion gezwungen worden. Natürlich war für dieses Desaster auch die Alibi-Parteikommission von Siegbert Reinig verantwortlich, der seiner Partei durch Untätigkeit und absolut keiner Information der SPD zu Köbel einen großen Schaden zugefügt hat.



Frage: Die Entnazifizierung- was hat Köbel da gemacht?

R: Köbel hat als Jurist sicherlich das Entnazifizierungsgesetz gelesen und festgestellt, dass er für den Staatsdienst chancenlos ist. Mit seinem Geburtsjahrgang 1918, dem Goldenen Ehrenabzeichen der HJ (Staatsauszeichung), seinem Eintritt in die NSDAP 1937, hätte Köbel
zumindestens bis 1947 auf dem Abstellgleis gestanden. Das hat Köbel erkannt und eben den
kleinen HJ-Buben gegeben, der sonst nichts Weiteres verbrochen hat. Allerdings wurde Köbel in seiner Zeit im Hessischen Innenministerium von irgendjemand als überzeugter Nazi bis 1945 erkannt, was dann wohl zur Anzeige gebracht wurde.
Damit hatte Köbel dann ein Verfahren wegen Meldebogenfälschung am Hals, wofür er zu neun Monate Knast verurteilt wurde. Darüber lässt sich der Jurist Köbel später öfters als sehr schlimme Zeit aus. Der US-Offizier Breitenkamp, ein Germanist, war hier Köbels Gegenspieler, der die Kaltschnäuzigkeit von Köbel sicherlich nicht nur einmal von belasteten Deutschen erlebt hat. Breitenkamp, und die Behörden, konnten allerdings nur auf die NSDAP-Mitgliedskartei aus München zugreifen, so dass erst heute die viel größere Nazi-Verstrickung von Köbel bekannt ist.









Interview Professor Conze (Marburg):
 http://www.echo-online.de/region/ruesselsheim/-Differenziert-und-sachlich-ohne-zu-beschoenigen;art1232,2773013

Weitere Links zu Köbel:
 http://de.indymedia.org/2011/05/307416.shtml


Antifa-Pressemitteilungen u.a. m. zu Köbel sind hier zu finden:
 http://linkedickerbusch.blogsport.de/category/walter-koebel/

"Aufklärungsplakate" des Rüsselsheimer Bildungskollektiv (RBK):
 https://linksunten.indymedia.org/de/node/57011
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Ergänzungen