Alexandra – Von Europa nach Kolumbien

Jaan van Bloom 20.04.2012 17:09 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
„Was bewegt eine Europäerin, Studierte und aus guter Familie, in die kolumbianische Guerilla einzutreten?“ fragt Alexandra, die eigentlich Tanja Nijmeijer heißt, aus den Niederlanden kommt und nun seit fast 10 Jahren in den Reihen der FARC-EP kämpft in einer Erklärung in der Zeitschrift „Resistencia“ der Aufständischen.
„Was bewegt eine Europäerin, Studierte und aus guter Familie, in die kolumbianische Guerilla einzutreten?“ [1] fragt Alexandra, die eigentlich Tanja Nijmeijer heißt, aus den Niederlanden kommt und nun seit fast 10 Jahren in den Reihen der FARC-EP kämpft in einer Erklärung in der Zeitschrift „Resistencia“ der Aufständischen. In der zurückliegenden Zeit, so schreibt sie, empfand sie eine Mischung aus Irritation und Belächeln bei den Meldungen über sie und die Guerilla. Tatsächlich fanden sich bis vor kurzer Zeit regelmäßig Spekulationen in den Medien, ob Alexandra gegen ihren Willen in der FARC-EP gefangen gehalten werde. Dazu wurden immer wieder Bücher und Berichte in den Medien veröffentlicht, in denen Bedenken der Guerillera an ihrem Tun geäußert wurden. Häufig hört und liest man nun, sie sei verrückt, sie verkenne die Realität und sie sei fremd gesteuert. Doch was treibt die Medien und vermeintliche Experten dazu an, Unwahrheiten zu verbreiten und nicht anzuerkennen, dass es auch Personen gibt, die sich solidarisch mit den Unterdrückten zeigen? Warum verlässt Alexandra den scheinbar bequemen Weg des europäischen Lebens, geht in den Dschungel Kolumbiens und riskiert ihr Leben?

„Möglicherweise ist das Abschlachten von Millionen von Indígenas in den Händen der Europäer, der systematische Raub von Land aus eben diesen gleichen und, noch aktueller, der Krieg des Nordens gegen die südamerikanischen Völker nicht genügend für meinen Eintritt?“ fragt Alexandra zynisch. Und weiter: „ Ich gestehe mir zu, dass die Hingabe mit nur einem Leben zu unbedeutsam ist, aber es ist das einzige was ich dem kolumbianischen Volk anbieten kann, einem misshandelten Volk, einem getöteten Volk und einem ausgebeuteten Volk durch `unsere Völker´, den Regierungen der sogenannten Ersten Welt. Eine Ausbeutung die nie aufgehört hat; seit der spanischen Eroberung bis zur brutalen Unterdrückung von heute durch die regierende Klasse in Kolumbien, die im blinden Gehorsam den Befehlen des Nordens gehorcht. Eine Regierung, durch ihre Paramilitärs beschützt, die Gewerkschafter, Journalisten, Professoren und Studierende ermordet, nur weil sie eine kritische Meinung zur Gesellschaft haben und ihre Rechte fordern. Eine Regierung, die Bauern umbringt oder vertreibt, nur weil sie auf jenem Land leben, dass für die agro-industriellen Großprojekte wie der afrikanischen Ölpalme oder dem Kautschuk, oder für den Bergbau und Erdölforderung gebraucht wird.“

Alexandra beschreibt in ihrer Erklärung ganz gut, was sich viele Linke in Europa und Nordamerika nur schwer eingestehen wollen. Hier die einen und glücklichen, die in der sogenannten Ersten Welt zu Hause sind, die normalerweise ganz genau wissen, in welcher Welt sie leben und wie der Kapitalismus funktioniert. In einer Welt, die von der anderen, der sogenannten Dritten Welt profitiert, diese ausnutzt, ausbeutet, während die anderen in Misere und Armut leben. Hier diejenigen, die ihr Leben genießen, zum Urlaub in die verschiedensten Länder fahren, ins Kino oder in die Bar gehen können, dort diejenigen, die um ihr Überleben kämpfen müssen und die sich nur elementar wichtige Dinge zum Überleben leisten können. Dies ist es, warum Alexandra in die Guerilla eintrat und Europa verließ, sie wollte nicht gut auf den Kosten der anderen leben.

Geboren wurde Tanja Nijmeijer alias Alexandra 1978 in Denekamp (Niederlande) nahe der deutschen Grenze. Später studierte sie an der Universität in Groningen Spanische Sprachwissenschaften. Schon in den Niederlanden und in ihrer Studienzeit bekam sie Kontakt mit revolutionären Ideen und nahm an Veranstaltungen zur Solidarität mit den sozialen Kämpfen in Chiapas teil. Im Jahr 2000 ging sie nach Kolumbien, zuerst nach Pereira im Rahmen ihres Studiums, dann nahm sie, nachdem sie die ersten politischen und sozialen Eindrücke im Land gewonnen hatte, im Jahr 2001 an einer politischen Karawane durch das nördliche Kolumbien teil. 2002, nach dem Ende ihres Studiums, kehrte sie nach Kolumbien zurück und trat über bestehende Kontakte zuerst den Milizen der FARC-EP bei. Die unsichere Situation in den Städten Kolumbiens nach dem Scheitern des Friedensprozesses mit der Regierung Pastrana und mit der Welle von Repressionen gegen die Aufständischen unter der Regierung Uribe ging sie wie viele andere auch auf das Land und schloss sich offiziell den Kampfeinheiten der Guerilla an. Fortan war sie eine unter vielen KämpferInnen in den Reihen der FARC-EP. Am 18. Juni 2007 wurde bei einer Militäroperation gegen eine Basis der Guerilla in Meta ihr Tagebuch gefunden und später teilweise veröffentlicht. Nicht nur dadurch, auch durch den konspirativ eingefädelten Besuch ihrer Mutter im kolumbianischen Dschungel stand sie im öffentlichen Interesse. Über ihren angeblichen Tod wurde mehrmals spekuliert, so unter anderem bei der Bombardierung und Ermordung des Militärchefs der FARC-EP Mono Jojoy im September 2010. Mittlerweile gehörte Alexandra zum engen Kreis des Militärchefs, hat eine Führungsperson im militärischen Ostblock inne und gab ein Videointerview, in dem sie ihren Kampf und Verbleib bei der FARC-EP erklärte. Passend dazu, beendet sie auch die aktuelle Erklärung mit einem kämpferischen Appell:

„Die Holländer und Europa im Allgemeinen waren immer stolz auf unsere Toleranz gegenüber anderen Kulturen, anderen Sichtweisen und die Welt zu kennen. Aber ich denke, dass manchmal die Grenze zwischen Toleranz und Desinteresse verschwimmt. Deshalb will ich einen Aufruf an die Intoleranz machen. Wir, Völker die die ersten liberalen Revolutionen in der Welt verwirklichten, Völker die die sogenannte Sozialdemokratie erschaffen haben und immer weiter kämpfen, heute zum Beispiel gegen die Globalisierung, dürfen nicht tolerant gegenüber einem wirtschaftlichen System sein, welches unseren Planeten und die Menschen die auf ihm leben in Riesenschritten zerstört. Eine andere Welt ist möglich und deshalb findet man mich in den Reihen der FARC-EP.“

[1] Artikel: “Por qué me encuentro en las filas de las FARC-EP?” Seite 22/23
 http://resistencia-colombia.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1269:crb-vr&catid=31:revistas-y-boletines-resistencia-&Itemid=33
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Ergänzungen

Diaries

_ 20.04.2012 - 22:02
Ihr Tagebucheinträge kamen echt depressiv rüber. Die FARC scheint auch nicht das zu sein, was sie vorgeben. Wundert mich ehrlich gesagt etwas jetzt das Video von ihr zu sehen, so vital und überzeugt.

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21 July 2006: I'm obsessed with train stations. I often imagine I'm in the station in Groningen, Amsterdam or Utrecht. I buy a coffee or some chips and get on board…. I almost forgot the big news: two comrades have AIDS, and there may be more. No one here uses contraceptives. The girlfriend of one of them has no idea what it means. She told me the news with a big grin and her boyfriend seems totally unconcerned. Another girl, who used to have a relationship with the man, is really worried.

23 July 2006: I really feel like calling home, but it can't get a chance. The army is in the village now. I don't think there's anywhere I can make an international phone call. After Marloes, I think I'm beginning to lose Elle too. Only mum writes me the occasional angry letter. I don't understand, I thought things would improve after she visited me here, but it's getting worse. I feel awful, Jans. I miss my family. I miss you. I miss my country. But maybe I'll be sent abroad in a year or so. Perhaps to Europe.

23 August 2006: I managed to ring home! But I didn't get permission beforehand and now Frits is mad at me, but I don't care. It was wonderful to hear their voices. Mum started crying and then Dad did too. Now I just have to patiently wait from my punishment. Everyone can ring home, except me. Isn't that ridiculous. Maybe they'll leave me behind in the jungle forever or maybe they'll send me on a foreign mission after this little disobedience. Actually, I don't want to, it doesn't interest me. I might have a new boyfriend, a commandant. He is 30 years old and very special. Maybe it'll work out between us.

(No date): Dear Jans, we've been sitting here for three days, waiting to shoot down a helicopter that sometimes flies over. I'm beginning to think that it'll never fly past. I've still got the same boyfriend but I'm beginning to fall in love with someone else. I wish you were here to give me some advice, Jans. I just don't think I'm capable of staying with one man to any length of time. If I'd stayed in the Netherlands, I'd have left a trail of broken relationships behind me.

25 August 2006: That damn helicopter just won't fly over. It's so annoying. I've no idea how long we're supposed to wait for it.

2 November 2006: The chief has fallen for a girl with big tits. But it appears she brought some venereal disease with her. The chief says the government sent her to in order to infect and weaken the rebel leaders.

24 November 2006: I'm tired, tired of the FARC, tired of people and tired of living in this commune. I'm fed up of never having anything of my own. All of this would have a purpose if you knew what you were fighting for. I don't believe in it any more. What sort of rebel movement is this? Only a few people have money or cigarettes or sweets and the rest of us have to beg for a share, but you know the higher-ups will just be nasty and say no. It was exactly the same four years ago when I joined, nothing has changed. A girl with big tits and a pretty face can totally undermine a unit that has worked together for ages (...) I don't know if I'll ever get out of this jungle (...) I want to get out of here, at least out this unit. But you know that you're a sort of prisoner here (...) It's not the FARC so much as this unit.(...) but had enough of all that blah blah blah about being a Communist (...) all the commandants are corrupt, traitors, and rabble-rousers and traitors. They've got no sympathy if someone delivers any criticism. I wish I was in a fighting unit (...) But I don't want to leave here, just want to walk, laugh, fight and buy things without any problems. I'll speak to Karel.

(No date): Dear Jans, there's a party today. But of course the commandants and their women have had their own private party. It's so corrupt. And now all the lower ranks are allowed to drink whatever the head honchos couldn't manage to pour down their throats yesterday (...) Yesterday that idiot Margaret offered me some sweets. That bitch had a great big bag of sweets. I felt so humiliated. A woman who is with one of the commandants is in a totally different class. They have privileges and they give orders. But they also have to produce children.

12 June 200?: Dear Jans. (...) I was stupid enough to criticise one of the commandants and yesterday I was publicly humiliated. I don't care. I'm used to the FARC's hypocrisy (...) I'll keep on criticising them (...) People here just aren't capable of being objective, they're not capable of self-criticism.

wieso depressiv ?

Leser 21.04.2012 - 01:58
Die Tagebuchauszüge finde ich vor allem ehrlich und dadurch glaubwürdig.
Eine Guerilla iat kein Actionfilm. Es gibt Beziehungpromleme, Heimweh, Langeweile etc.

RevolutionärInnen sind ganz normale Menschen, keine Ikonen !

das tagebuch

ich 21.04.2012 - 06:38
wurde vom militär nach einem angriff gefunden?
wurde danach vom militär oder sonstigen staatlichen institution "in teilen" veröffentlicht?

falls ich da nichts mißverstanden habe, wie authentisch ist wohl das tagebuch?

tagebuch

leseratte 21.04.2012 - 09:21
hallo in die runde! das tagebuch gab es tatsächlich, dass hat tanja nijmeijer auch nie abgestritten. auch die teilweise getätigten veröffentlichungen über ihre gefühle und empfindungen scheinen zu stimmen, zumindest gab es nie gegenteilige infos von ihr. und ich halte es auch für völlig normal, dass an einer organisation kritik geübt wird, denn nur so findet auch eine entwicklung in ihr statt. es ist auch normal, und da hat einer meiner vorschreiber recht, gefühle zeigen zu können. wut und trauer, heimweh und glück, angst und mut sind wie bei allen menschen auch bei gueriller@s zu finden.
gerade tanja beschreibt zum beispiel ihre angst bei bombardierungen des militärs sehr genau, dies trifft auch auf alle anderen kämpferInnen in der guerilla zu. das schutzlose ausgeliefert sein mitten in der nacht gegen eine technische übermacht verursacht angst auf der einen seite, aber zu gleich auch wut und stolz, den kampf aufrecht zu erhalten.
dass das militär und der geheimdienst daraus nun informationen saugen bzw. womöglich gezielt falsche informationen streuen, ist aber natürlich auch denkbar.
schlüssig scheinen mir ihre erklärungen zus ein, weiterhin bei der guerilla aktiv zu sein. wer kolumbien oder andere lateinamerikanische länder kennt weiss genau, wie die erklä#rung gemeint ist. schade, dass internationale solidarität in der heutigen europäischen linken nicht mehr die große rolle spielt...

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xxx — yyy