2 Prozesstag in Demmin wegen NPD-Plakat

gerichtsbeguckerin 21.03.2012 22:48 Themen: Antifa Repression
Heute war der 2. Prozesstag in Demmin, bei dem gegen 2 Angeklagte wegen Zerstörens von NPD Plakaten während des letzten Wahlkampfes verhandelt wurde. Beide wurden von der Staatsanwaltschaft wegen Sachbeschädigung angeklagt. Am ersten Prozesstag in der letzten Woche verstrickten sich die beiden Polizeizeugen in Widersprüche über den angeblichen Tathergang. Letztlich konnte aber keiner der Beamten bezeugen, die beiden bei der „Tat“ gesehen zu haben, so reichte als Indiz lediglich, dass ca. 100 Meter neben dem Ort, an dem die Polizei die beiden Angeklagte kontrollierte, ein NPD Plakat am Boden lag, der Prozess wurde aber auf heute vertagt, da ein Zeuge nicht erschien. Aufsehen erregte der erste Prozesstag vor einer Woche, wegen des komplett überfordert und unsouverän agierenden Richters, der zu Anfang gleich 50 % der Zuschauer ausschloss, weil ihm im engen Raum „die Luft zum Atmen fehlen würde“ und mangels Sitzplätzen stehende Zuschauer die Ehre des Gerichts herabwürdigen würden.
Zu Beginn des heutigen Gerichtstages wurde erst mal verhandelt zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger über eine mögliche Einstellung der Verfahrens. Obwohl niemand gesehen hatte, dass die Angeklagten Plakate zerstört hatten, reichte dem Gericht die Aussage der Polizisten über die Indizien, um zu der Meinung zu kommen, es würde für eine Verurteilung reichen. Und als einziges Indiz wertete das Gericht ein NPD Plakat, was allerdings in einiger Entfernung von dem Tatort am Boden lag. Der Richter ließ erkennen, dass ihm dieses für eine Verurteilung ausreichen würde.
Und so ließen sich die Angeklagten nach einer Stunde intensiver Beratung mit Verteidiger und den UnterstützerInnen gezwungenermaßen darauf ein, ein verringertes Strafmaß anzunehmen und den Prozess abzukürzen. Ansonsten hätte noch mehr Strafe gedroht.
Die Polizei war diesmal gleich von Beginn an sehr präsent. Auf der Straße stand ein Auto mit MAEX-Beamten, die sich nach der Kritik vom letzten mal diesmal sehr zurückhielten. Dafür war aber nicht erlaubt, den Flur vor dem Gerichtssaal zu betreten, bevor zum Prozess aufgerufen wurde. Die Zusage vom Richter während des 1. Prozesstages, sich für den heutigen Verhandlungstag nach einem größeren Gerichtssaal umzuschauen, um diesmal allen Zuschauern die Teilnahme zu ermöglichen wurde nicht eingehalten. Nun, es kam wie es kommen musste, wieder waren 7 Zuschauer da und heute nun sollten 2 der Tür verwiesen werden. Nun aber erwies sich der Richter, der den Rausschmiss letztes mal auch handgreiflich umsetzte, als Angehöriger der Kreativfraktion: Er hatte sich eine Wahlurne gebastelt, deutete an, lange über eine Lösung nachgedacht zu haben und forderte alle potentiellen Zuschauer auf, ihre Personalausweise in die Urne zu werfen. Er würde dann daraufhin so viele Ausweise ziehen, wie Sitzplätze im Saal sind und die entsprechenden Personen reinlassen. Darauf hingewiesen, dass so wohl kaum die Anonymität der Zuschauer gewährt wurde, focht den Richter nicht an und er schlich sich in seinen Verhandlungssaal von dannen. Nun, der Urnenhalter, ein Justizangestellter, war dann etwas überfordert, als viel zu wenige Ausweise reingelegt wurden. Dieses doch etwas peinliche Prozedere im Beisein der Presse führte dann dazu, dass nicht der Richter auswählte, wer dran teilnehmen durfte sondern die Zuschauer selbst. Schön wars nicht, aber immerhin. In Anbetracht der geballt aufgefahrenen Staatsmacht! immerhin, 10 Polizeibeamte in einer Kleinstadt wie Demmin, da verspricht dies schon ein großartiges Verbrechensverfolgungskino zu werden.
Auf dem Flur wurden dann Angeklagte, ZuschauerInnen aber auch Presse-VertreterInnen von vier PolizistInnen durchsucht in Anwesenheit von mehreren Justizangestellten. Hintergrund war vielleicht der Drohanruf von Neo-Nazis, der bei Gericht letzte Woche einging, aber wohl auch die Papierschlange, die einen Polizisten bei seiner fragwürdigen Zeugenaussage in der letzten Woche traf. Der dritte Zeuge, der zur Vernehmung das letzte Mal einfach nicht erschienen ist und diesmal morgens von der Polizei abgeholt wurde, musste nicht mehr aussagen. Und so ging es schnell zum Urteil.


Gegen den eine Angeklagten wurde das Verfahren eingestellt gegen Zahlung von 250 Euro an eine gemeinnützige Organisation. Beim Andern, der schon öfter mit dem Gesetz zu tun hatte, wollte das Gericht nicht einstellen. Hier wurde das noch nicht verhandelte Verfahren wegen eines Vertoßes gegen das Versammlungsgesetz mit in das Urteil integriert und es kam zu einer Verurteilung von 50 Tagessätzen.

Der Richter ließ es sich natürlich nicht nehmen, seinen heutigen Etappensieg mit markigen Sprüchen zu garnieren. Zu dem schon mit Einträgen im Zentralregister belasteten Angeklagten faselte er etwas vom Berufsrisiko, wenn man so etwas häufig macht und dann erwischt wird. Und apropos „häufig machen“. Wer öfters klaut, dem kann es passieren, so die Demminer Juraweisheit, dass er dann auch mal wegen Diebstahls einer Flasche Schnaps für ein halbes Jahr weggesperrt wird.
Dann wurde es noch mal hochjuristisch als der Richter erklärte, mit einer Strafe von 50 Tagessätzen seie der Rechtsfrieden nun wieder hergestellt. Dass er sich da mal nicht täuscht. Den während der Urteilsverkündigung aus dem Publikum eingeworfene Satz, dass das Zerstören volksverhetzender Propaganda eigentlich hätte belohnt werden müssen wollte dieser Richtet nur zu gern überhören.
Der öffentliche Druck hat wohl durchaus zur Verringerung vom Strafmaß beigetragen.
Das Plakataufhängen vom letzten Mal wird wohl keine juristische Nachwirkungen haben.
Nach dem Gerichtsprozess gab es noch eine kleine Spontan-Demo durch die Stadt Demmin, bei der das Gerichtssystem kritisiert wurde.
Die Polizei nahm davon Kenntnis, schritt aber nicht ein: Immerhin vor Gericht haben sie zwar gewonnen, aber in der öffentlichen Wahrnehmung wohl kaum.

Bericht vom 1. Prozesstag
 http://de.indymedia.org/2012/03/326590.shtml
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Last der Indizien zwingt Angeklagten in die Knie

leserIn 21.03.2012 - 23:05
Last der Indizien zwingt Angeklagten in die Knie
Der dritte Zeuge im Prozess wegen Sachbeschädigung von NPD-Plakaten in Demmin wurde gar nicht mehr gehört. Verteidigung und Gericht hatten sich auf einen Kompromiss schon vor der Verhandlung geeinigt.

21.03.2012

Demmin (Kirsten Gehrke) Es war ein Deal. Dabei glücklich zeigte sich H. W. nicht. Er akzeptierte die Geldstrafe, die ihm das Demminer Amtsgericht am Mittwoch wegen Sachbeschädigung von NPD-Plakaten verhängt hat. "Obwohl ich das anders sehe", sagte er geknickt. Das Verfahren gegen den Mitangeklagten D. B. wurde indes vorläufig eingestellt. Er muss eine Geldbuße von 250 Euro an den Verein "Gemeinsam geht Vieles" in Voßbäk-Loitz zahlen.

Die Fortsetzung der Gerichtsverhandlung verzögerte sich. Verteidiger M. N. und Richter Jörg Blasinski verhandelten zunächst hinter verschlossenen Türen. Im Flur warteten Polizisten. Draußen saßen in zwei zivilen Autos vier Männer und beobachteten das Gerichtsgebäude. Ein Mitarbeiter des Gerichts versuchte das Polizeiaufgebot zu erklären. Nach dem ersten Prozess habe es einen Anruf eines Nazis gegeben, erzählte er. Man rechnete deshalb damit, dass am zweiten Verhandlungstag Neonazis aufschlagen. Doch das bestätigte sich nicht. Stattdessen wurden die Angeklagten und Prozessbesucher nach Tonträgern und Aufzeichnungsgeräten durchsucht und abgetastet. Taschen wurden kontrolliert. Die Polizisten und Wachleute trugen dabei Gummihandschuhe.

Im Gerichtssaal war dann alles offenbar nur noch Formsache. Vorher ausgemacht, räumte W.s Anwalt den Tatvorwurf an seinen Mandanten ein, im August NPD-Plakate in Demmin zerstört zu haben. Im Gegenzug bleibt W. ein weiteres Strafverfahren in Zusammenhang mit einer Demo gegen Rechts erspart. Auf den dritten Zeugen verzichtete unterdessen das Gericht. So beantragte der Staatsanwalt eine Geldstrafe von 500 Euro, hielt diese Summe für angemessen, weil W. Eintragungen im Strafregister hat.

Verteidiger M. N. jedoch empfand das Strafmaß als zu hoch und beantragte 40 Tagessätze zu je 10 Euro. Schließlich sei niemandem Leid zugeführt worden, begründete er. Der Schaden liege bei unter 100 Euro, seitens des oder der Geschädigten sei keiner an seinen Mandanten mit Forderungen herangetreten. Richter Jörg Blasinski folgte jedoch dem Antrag der Staatsanwaltschaft. W. erklärte, dass er keine Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen werde. Im Innern ärgerte er sich, er wisse, dass es anders war. "Gräme dich nicht, da ist immer ein Beigeschmack", versuchte N. ihn nach der Verhandlung zu trösten. Offensichtlich hatte W. kaum eine Wahl und ließ sich auf den Kompromiss ein. Denn beide Seiten hatten ein Interesse daran, den Prozess zu beenden. Im Vorfeld sei klargemacht worden, dass die Indizien eindeutig gegen den Angeklagten sprachen, auch wenn ihm nicht wirklich das Plakat-Abreißen nachgewiesen werden konnte. "Ich weiß, dass es anders passiert ist", sagt W.

Entscheidend waren seine Eintragungen im zentralen Strafregister. Dort taucht er wegen Aktionen auf, wie unter anderem das Zerstören von Gentechnikpflanzen. Sein Verteidiger habe ihn zu dem Geständnis geraten. Auf der anderen Seite muss er nun nicht mehr vor Gericht wegen eines Falls bei einer Demonstration gegen die NPD im August vergangenen Jahres. Dort war er spontan als Kontaktperson zur Polizei eingesprungen. "Das ist schon strafbar, weil ich das nicht 48 Stunden vorher angemeldet habe." Mit dem Kompromiss am Mittwoch habe er sich den Stress einer Verhandlung diesbezüglich gespart.

Antifaschisten sind dem Richter ein Dorn im A

Leserbrief von Simone Dierkes 28.03.2012 - 21:36
Nordkurier, 27.3.2012

Beides passierte am gleichen Tag. In Berlin tagten die Innenminitster der Bundesländer, um ein NPD-Verbot vorzubereiten. Auch wenn dies wohl nur ein halbherziger und populiszischer Versuch ist, auf den rechtsradikalen Terror zu antworten, denn ohne den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zu thematisieren, wird man den braunen Sumpf nicht trockenlegen können.
In Demmin jedenfalls ticken die Uhren anders. Dort hält man sich erst gar nicht mit scheinheiligen Aktivitätem gegen Nazis auf. Im Gegenteil: Ihre Strukturen erfahren sogar noch Unterstützung.
Am Tag als in Berlin ein NPD-Verbot besprochen wurde, verurteilte der Demminer Amtsrichter Blasinski einen Mann zu einer doch recht hohen Geldstrafe, weil er volksverhetzende Propaganda aus dem Straßenbild entfernt haben soll. Eine couragierte Tat, aber davon wollte der Richter nichts wissen. Mit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die rechtsradikale Gefahr will man im Demminer Gerichtsgebäude nichts zu tun haben.
Und dass Antifaschisten dem Richter ein Dorn im Auge sind, das hat er durch seine Anordnung von Taschenkontrollen und Körperabtastungen von Angeklagten und Prozessbesuchern nur allzu deutlich gemacht. So behandelt man Menschen, die man schon im Vorfeld als Kriminelle abstempelt. Und auch wenn es eine Sachbeschädigung gewesen sein solle. Eine so hohe Strafe rechtfertigt das sicher nicht.
Und auch unabhängig von einem solchen Straftatbestand: Ein nicht so auf Paragrafenreiterei fixierter Amtsrichter hätte auch anders urteilen können. Mit einem Verweis auf das in Aussicht gestellte NPD-Verbotsverfahren hätte dieses Verfahren ausgesetzt oder eingestellt werden können.
Denn – wenn das Verbot durchkommen sollte, müssten wohl die Polizisten durch die Straßen Demmins ziehen und die verbliebenen NPD-Plakate abreißen. So ganz im Einklang mit der Rechtsordnung: egal, ob es dem Herrn Richter Blasinski nun passt, oder nicht.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

nordkurier — klarnamen