„Piratenprozess“ und Fregatten in Hamburg

fish and ships for all! 03.03.2012 18:42 Themen: Antirassismus Freiräume Globalisierung Militarismus Repression Weltweit
Bei der Werbeshow der Bundesmarine auf zwei Fregatten, die im Hamburger Hafen zum Tag der Offenen Gangway eingeladen hatten, wiesen Aktivist_innen auf den Zusammenhang zwischen der Militärmission Atalanta, den stragetischen Interessen Europas und dem in Hamburg stattfindenen Prozess gegen der wegen Piraterie angeklagten Somalis hin, die zu hohen Haftstrafen verurteilt werden sollen.
Der „Piratenprozess“ in Hamburg — Teil der europäischen Kriegslogik

Seit Mitte November 2010 stehen in Hamburg zehn Somaliervor Gericht, es läuft der erste Piratenprozess seit 400 Jahren vor einem Hamburger Richter

„Die Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten ist wichtiger, abschreckender Bestandteil des Vorgehens gegen Piraterie“ heißt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes unter dem Stichwort EU-AntipiraterieMilitärmission „Atalanta“.

Die Opfer neokolonialer Ausbeutung werden zu Tätern gemacht: Hier sitzt der arme, aber ökonomie-strategisch äußerst wichtige Süden papierlos auf der Anklagebank in Deutschland und wird sicherlich zu Höchststrafen verurteilt werden. Das hat der‘ Richter zumindest schon einmal vorsorglich angekündigt.

Uns stellt sich vor allem eine Frage, die vor Gericht sorgsam umschifft und dort ganz sicherlich nicht öffentlich verhandelt werden wird; nämlich die, in wessen Interesse dieser Prozess eigentlich geführt wird. Geht es hier um eine geschädigte Hamburger Reederei, auf die der Ausgang des Prozesses wenig
Auswirkung hat? Sollen die unverhältnismäßig harte Gangart und die hohen Strafen eine abschreckende Wirkung auf andere potentieIIe Piraten haben?
Die Reedereiverbände und Sicherheitsexperten sind sich sicher, dass solche Gerichtsprozesse piratische Aktivitäten weder verringern noch verhindern.

Aber wozu dann überhaupt juristisch strafen?
Geht es bei der Verurteilung der zehn Männer zu Höchststrafen nicht eher um eine Demonstration von Macht, Wille und Konsequenz, um die deutsche Beteiligung an der Militärmission Atalanta zu legitimieren und sich hier als starker Bündnispartner zu präsentieren?

Geschichte Somalias:
Bis zur Intervention von IWF und Weltbank zu Beginn der 80er Jahre versorgte sich Somalia nahezu vollständig selbst. In den 80er Jahren nahm die Lebensmittelhilfe zu und verdrängte die lokalen Produzenten vom Markt. Das führte zu massiver Verarmung der Bauern und Hirten. Die Kommerzialisierung des Wassers setzte die Bevölkerung zusätzlich unter Druck. Die realen Einkommen im öffentlichen Dienst sanken um 90%. Der totale Zusammenbruch des öffentlichen Sektors war die Folge. Hungersnöte und der Zusammenbruch der Zivilgesellschaft führten schließlich zum Bürgerkrieg. Die dramatische Berichterstattung über Somalia ging so gut wie nie auf die eigentlichen Ursachen des Konfliktes ein, nämlich die Zerstörung der lokalen Ökonomie durch die Strukturanpassungsprogramme des IWF (entnommen: „Globalisierung und Krieg“ von Claudia Haydt, Informationsstelle Militarisierung IMI).

Wie legitimiert der 3. Strafsenat des Hamburger Landgerichts diesen Prozess, der über die Zukunft dieser Jugendlichen und Familienväter aus Somalia bestimmen wird? Doch scheinbar brauchen westliche Staaten keine Legitimation, um über andere Menschen oder andere (arme) Länder zu entscheiden. Um die Piraterie am Horn vän Afrika zu bekämpfen, war im Sommer 2009 eine Armada von 40 Kriegsschiffen in den Gewassern vor der somalischen Kuste unterwegs Der Umfang und die Kosten sind gewaltig. Allein der deutsche Einsatz des Jahres 2009 hat 43,1 Millionen Euro verschlungen; von den 213 Millionen Euro, die auf einer Geberkonferenz für Somalia gesammelt worden sind, wurden gerade einmal 2 Prozent für andere als für militärische Aktionen ausgegeben

Offenkundig hat der Einsatz der größten Anti-Piratenflotte der Neuzeit viel mit der besonderen Lage Somalias zu tun Somalia liegt zwischen den ölreichen Regionen der arabischen Halbinsel und dem Sudan und direkt am Golf von Aden, über den mindestens 80 Prozent des weltweiten Handels laufen Neben der NATO und der EU sind auch Russland, China, Indien und Japan mit Kriegsschiffen am Horn von Afrika präsent. Der Einsatz einer überdimensionalen Kriegsflotte zur Bekämpfung krimineller Aktivitäten deutet auf einen Machtkampf um die wirtschaftliche Vormachtstellung in Afrika hin

Es ist seit Jahren bekannt, dass nicht nur der industrielle Fischfang sowohl die Fauna vor Somalia als
auch die Arbeitsplatze der lokalen Fischer zerstört, sondern auch, dass Somalia und die Gewässer von
Somalia von der europäischen Industrie als Mülldeponie genutzt werden. Dies ist u.a. von dem UNOUmweltschutzprogramm UNEP bestätigt.

Tausende europäischer Soldaten und deren Kriegsschiffe werden von den europäischen Regierungen dafur bezahlt, dass sie die Interessen der hiesigen Industrie schützen Über eine Million Flüchtlinge aus Somalia, also ca. 10 Prozent der Bevölkerung, gibt es bereits. Frontex sorgt dafür, dass diese mehrheitlich nicht nach Europa kommen, indem Flüchtlingsboote von der europäischen Grenzpolizei angegriffen und im Zweifel versenkt werden Die Folgen der Ausbeutung Afrikas werden so noch verstärkt und Hoffnungen auf ein besseres Leben zerstört

Freiheit für die Beschuldigten im Hamburger Piratenprozess! Bleiberecht für die Somali!
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Ergänzungen

Veranstaltung in Frankfurt

mumia 04.03.2012 - 00:02
Wir genießen frischen Fisch in Europa z.T. gefangen vor der Küste Somalias gleichzeitig herrscht in Somalia eine Hungersnot


Afrika, Armut und globale Zusammenhänge Beispiel: Somalia Der Bürgerkrieg, die sogenannte "Piraterie" und die Schuld von Ost und West Wer sind die echten Piraten? Und was haben wir in Deutschland damit zu tun? Informations- und Diskussionsveranstaltung Freitag, 16. März 2012—19.00 Uhr—65451 Kelsterbach, bei Frankfurt am Main (Altes Feuerwehrhaus, Höllenstraße 8—Eingang Rückseite vom unteren Parkplatz)
Expertenvortrag von Bile Aden, somalisch-deutscher Student und Aktivist aus Köln

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 11 Kommentare an

Frage — Vincent Raven

alles schön und gut — paulianer

Ah ja. — Joshua Norton

@Joshua Norton — Vincent Raven

@Vincent Raven — Joshua Norton

dann mal her damit — paulianer

möp — paulianer

Ja, stimmt ja. — Joshua Norton