Dresden: Mehr als nur eine Großdemonstration

Kombinat Fortschritt 22.02.2012 13:03 Themen: Antifa Soziale Kämpfe
Rund Zehntausend waren es, die am Samstag in Dresden demonstrierten. Und das obwohl relativ früh klar war, dass die Nazis wohl nicht kommen. Das war ein Signal. Die Antifaschist_innen wollten auf jeden Fall auf Nummer sicher gehen. Darüber hinaus entstand eine derartige Sensibilität gegenüber den sächsischen Zuständen, durch die es unwahrscheinlich erscheint, dass die hiesige Landesregierung ihren Kurs so weiter fortsetzen kann. Dresden ist einer der größten Erfolge der linksradikalen Bewegung seit Jahren. Denn in Dresden gab es mehr als nur ein Stelldichein der üblichen Verdächtigen...
Es ist vollbracht! Der größte europäische Naziaufmarsch ist in Dresden innerhalb von drei Jahren plattgemacht worden. Der vergangene Samstag war daher ein Tag des Feierns. Möglich war dies nur durch das breite, solidarische Zusammenarbeiten Aller, die dieses Ziel geteilt haben. Der Erfolg war möglich, weil die Mobilisierung gegen die Nazis weit über die Kreise der radikalen Linken hinaus ging. Neben den tausenden von Antifaschistinnen und Antifaschisten gab es auch zahlreiche Parteistrukturen, Jugendverbände von Gewerkschaften und Parteien, Christinnen und Christen und einfache Bürger_innen die effektiv gegen die Neonazipropaganda in Dresden im Februar vorgehen wollten. Das Mittel der Massenblockaden fand auch international Aufmerksamkeit und dementsprechend gab es auch am Samstag eine internationale Beteiligung an der Demonstration.

Keiner mag euch, keiner hat euch lieb

Als 2010 das erste Mal der Aufmarsch blockiert worden war, galt dies in der Naziszene noch als Betriebsunfall. Naiv sei es gewesen, sich von der Polizei in den Kessel treiben zu lassen. Da als Ursache für den gescheiterten Aufmarsch vor allem unzureichende taktische Erwägungen benannt worden waren, schauten viele Nazis durchaus optimistisch ins Jahr 2011. Doch wieder scheiterten sie. Natürlich traten wieder diverse organisatorische Mängel auf, aber es scheint doch die Einsicht gereift zu sein, dass man auf diesem Weg in Dresden nicht mehr durchkommen werde. Weil der 13. Februar 2011 für die Nazis noch einigermaßen vertretbar ablief, verzichteten sie auf ihren Großaufmarsch und beschränkten sich im Jahr 2012 auf nur einen Gedenkmarsch. Schon im letzten Jahr konnten Gegendemonstranten eine erhebliche Routenverkürzung erreichen und in diesem Jahr kam es noch dicker. Als Samstagnachmittag via Ticker die Meldung reinkam, dass allein die Masse der Demonstranten länger gewesen sei, als die Route der Nazis am Montag, wurde deutlich: Die Verhältnisse in Dresden haben sich nun endgültig verändert.

Auf der Suche nach einem Führer in der Not

Derweil ist in neonazistischen Kreisen eine Debatte entbrannt, wie mit dieser schallenden Ohrfeige umzugehen sei. So werden neue taktische Varianten, wie etwa ein dezentrales „Gedenken" gefordert, Andere stellen den Sinn solcher Veranstaltungen grundsätzlich in Frage. Man müsse mehr zukunftsorientierte Themen behandeln. Die Nazis aus dem Nordosten nehmen den Mund am vollsten und meinen vor allem mit Blick auf organisatorische Fragen ein besseres Händchen zu haben. Zu welchem Ergebnis die Nazis auch immer kommen mögen. Es dürfte belanglos sein, weil sie nicht die richtigen Fragen stellen.

Es war nicht das überragende taktische und organisatorische Geschick von Dresden-Nazifrei, welches den Aufmarsch verhindert hat. Auch wenn der Grad der Professionalität mit dem hier in den letzten drei Jahren agiert wurde sicherlich nicht von Nachteil war. Die so genannte „nationale Opposition" hingegen hatte schon Schwierigkeiten damit pünktlich alle Ordner zu versammeln. Doch die Nazis haben nicht verloren, weil sie unfähig sind adäquate Informationsstrukturen aufzubauen oder zu betreuen, auch nicht weil sie die falschen taktischen Entscheidungen treffen. Sie haben politisch verloren. Sie haben politisch verloren, weil sie das verdient haben. Der Skandal der „sächsischen Demokratie" besteht nicht nur in den ausgeuferten Überwachungsgeschichten. Skandalös ist, dass der Konsens der Demokraten, dass nämlich Nazis das Allerletzte sind, erst von „außen", also durch die linksradikalen Szene und zivilgesellschaftliche Akteuren aus anderen Bundesländern freigelegt werden musste. Das grundsätzliche Problem besteht in der Bundesrepublik für die Nazis gerade in der Geschichte. Ihre geistigen Vorväter schlachteten aufgrund rassistischer Wahnvorstellungen Millionen von Menschen ab und ihre allzu offensichtliche Anknüpfung an die Ideologie des Zivilisationsbruches sollten eigentlich keine geeignete Grundlage sein, um erfolgreich Politik zu betreiben. Es ist wohl die in Dresden spezifische Gemengelage, die es überhaupt ermöglicht hat, dass die Nazis viel zu lange durch die Straßen marschieren konnten. Eine seit 20 Jahren ohne Pause das Bundesland regierende CDU und deren krudes Demokratieverständnis – konzentriert in der Extremismustheorie - haben in Kollaboration mit dem Opfermythos in Dresden dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen für die Nazis denkbar günstig waren.

Wer schweigt stimmt zu

Stilles Gedenken - das war die Maxime der Stadt. Natürlich ging es auch um Versöhnung. Aber in erster Linie galt es sicherzustellen, dass Dresden, das „Florenz an der Elbe", international seinen Ruf verteidigen konnte. Wer an den Bombenkrieg des Zweiten Weltkrieges dachte, dem sollte immer als erstes Dresden einfallen. Als deutsches Hiroshima, sozusagen. Dresden gefiel sich in der Rolle, ein herausragendes Beispiel für Krieg und Vernichtung zu sein. So konnte man Friedenspreise ausloben, Konferenzen veranstalten und minutenlang die Glocken bimmeln lassen. Nirgendwo in der Bundesrepublik gab es ein derartiges Brimbamborium. Wer dagegen zu Felde zog, musste den Zorn der Dresdner Öffentlichkeit erdulden. Selbst wer sich für den alljährlichen Zirkus weniger interessierte und sich eher gegen die Nazis engagieren wollte, bekam das sächsische Demokratieverständnis mehr als deutlich vor Augen geführt. In Sachsen galt: Wenn Nazis an einer Montagsdemonstration teilnehmen wollten und die linksgerichteten Veranstalter das nicht wollten, dann wurde die Teilnahme der Nazis mittels Polizei durchgesetzt. Weil die Nazis ja ein Recht auf kritische Teilnahme hätten. Antifaschisten hingegen durften noch nicht einmal in die Nähe des Naziaufmarsch von einer kritischen Teilnahme an den offiziellen Gedenkveranstaltung ganz zu schweigen. Denn hier galt das Trennungsgebot. Seinen Höhepunkt fand dieses seltsame Rechtsverständnis im letzten Jahr, als der Rundgang „Täterspuren" verboten wurde.

Was tun ?!?

Aus der verständlichen Wut, ob solcher Zustände, resultierte allerdings die falsche politische Praxis. So schlimm die sächsischen oder Dresdner Zustände auch immer waren, versäumte die linksradikale Bewegung vor Ort es jahrelang dagegen zielorientiert vorzugehen. So wurde aus dem Verhalten der Verwaltung und einiger weniger Bürger auf die Gesamtheit geschlossen. Die Bevölkerung unterschiedslos zum eigentlichen Problem ernannt und sich entprechend an ihr abgearbeitet.

Und dabei waren "die Dresdner" schon sehr speziell. Eine solche Ablehnung gegen kritische Stimmen ist in dem Maße in den meisten anderen Städten eher unbekannt. Wie viel mehr könnte man erreichen, wenn konsequenter auf breite Bündnisarbeit gesetzt würde.
Man sieht die Wucht, welche die jetzt durch „Dresden-Nazifrei" entstanden ist. Deswegen auch die schon fast hysterisch wirkenden Bemühungen im Kampf gegen die Extremisten. Natürlich musste das Konzept der Massenblockaden nach Möglichkeit zerschlagen werden, weil das Bündnis in seiner Zusammensetzung und in der Praxis die Extremismus"theorie" ad absurdum führt. Und auch der Gedenkritus musste sich unter dem Druck verändern. Mit der Menschenkette sah man sich genötigt nun ein Zeichen gegen Nazis zu setzen. Und auch wenn es nur ein Lippenbekenntnis ist, so nahmen dort doch ein vielfaches mehr an Menschen teil, als an den stillen Andachten o.ä.

Nazigroßaufmarsch abgeschafft, Gedenkritus nachhaltig verändert, Diskussion über zivilen Ungehorsam ausgelöst

Die Proteste von Dresden sind ein weiteres wichtiges Zeichen für die bundesweite Linke, welches Mut macht für die kommenden Auseinandersetzungen in diesem Jahr. Das sind, um nur einige zu nennen: Die Krisenproteste, die Ende März ihren Anfang nehmen sollen. Speziell in Mecklenburg-Vorpommern wird die Beschäftigung mit "20 Jahre Lichtenhagen" und dem Ende der Asylpolitik in der BRD ein Thema sein. Und auch die Innenminister-Konferenz, die in diesem Jahr im Bundesland stattfinden wird und in deren Rahmen von Seiten der obersten Dienstherren der Länderpolizeien so einige Schweinereien ausgetüftelt werden sollen.
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Ergänzungen

Vom Mythos der unschuldigen Stadt

Fan 22.02.2012 - 13:40

Mal abwarten

Exil - Dresdner 22.02.2012 - 21:08
Grundsätzlich ist es ja gut und schön das der Riesen-Naziaufmarsch (vorraussichtlich) Geschichte ist.
Der Artikel widerspricht sich aber an verschiedenen Stellen, den erstens vermögen es die wenigen AktivistInnen vor Ort wohl kaum, das für die paar Tage entstandene Potential dauerhaft zu nutzen, denn die meisten DemonstrantInnen waren ja von "weit her".
Zweitens mag es sein das die Nazis politisch generell keine große Rolle, die ostdeutschen Straßen sind dennoch nicht vor denen sicher, mal ganz abgesehen von ihrem Einfluss auf dem flachen Land.
Da im letzten Absatz mal wieder von der Beeinflussung des Gedenkdiskures gesprochen wird:

Die Antifa muss sich daran messen lassen, wie sie in Zukunft mit dem Gedenken in Dresden umgeht, d.h. ob sie in der Lage ist, die Schweinereien der Dresdner Opfertümelei anzugehen, und dann auch den Bruch mit der "Zivilgesellschaft" zu vollziehen bereit ist oder nicht. Denn das Gedenken an die deutschen Opfer ist ja keineswegs delegitmiert wurden.
Letzlich ist ja nur die anachronistische und aggressive Variante des Gedenkens, die die Nazis vertreten und die lokalen Dresdner Geschichtsdiskurs nach wie vor bestimmend ist in Ihrer Artikulation verhindert wurden.

Do, 12 Uhr - Schweigeminute wg. der NSU-Morde

bundesweit 22.02.2012 - 22:48

Mr.Burns und Mr.Smithers

... 22.02.2012 - 23:20
haben vollinhaltlich recht - dies von einem Dresdner bürgerlichen Gedenker und Blockierer, dem all die Spalterei der letzten Jahre, die letztlich nur Nazis und Bullerei zuspielte, einfach nur widerlich war. Nach allen Kriminalisierungsversuchen und Ignoranz sowohl Dresdner Medien als auch der Antifa, Bullen etc. gegenüber "GehDenken" (was ein Ursprung von "Dresden Nazifrei" ist) sehe ich 2010-2012 als ausgesprochenen Erfolg antifaschistischer Arbeit. Einen Hinweis für diese erfolgreiche Arbeit geben gerade die noch aktuellen Kriminalisierungs- und Instrumentalisierungsversuche in den Dresdner Medien, andererseits die Versuche der Nazis, Dresden anderswo zu instrumentalisieren. Übrigens müssen wir in Dresden und sonst in D aufpassen, dass Rechte nicht anderweitig versuchen, Gedenkdaten auszunutzen, etwa den 17.Juni...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 11 Kommentare an

a hoi hoi — mr burns

@ mr burns — mr schwarzenegger

@ mr schwarzenegger — mr burns

an die ganzen spalter_innen — mr. smithers

@ Mr.Smith — Dresdner Bürger

danke — danke

@ anarchist — ...

@.... — anarchist

jop. — jagga