Barcelona: RentnerInnen in Aktion

transgresora 15.02.2012 10:49 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Die Bewegung 15-M, die Bewegung der Indignados / Empörten, die in Spanien am 15. Mai 2011 mit der Besetzung des Platzes Puerta del Sol in Madrid in Erscheinung trat, scheint etwas eingeschlafen zu sein. Jetzt hat eine Gruppe von RentnerInnen den Ball aufgenommen: die Iaioflautas.
Ihre erste Aktion war die Besetzung der Banco Santander in Barcelona am 27. Oktober 2011, dem Aktionstag gegen Banken, zu dem die Bewegung aufgerufen hatte. „Der Jüngste von uns war über 70, da hat die Polizei sich nicht getraut, uns zu räumen“, sagt eine Frau mit verschmitztem Lächeln. Am nächsten Tag begannen sie mit der Dauerbesetzung der Ambulanz CAP Marina in Bellvitge, einem Stadtteil von Hospitalet de Llobregat im Großraum Barcelona, um gegen die Schließung von Ambulanzen zu protestieren. Ebenfalls gegen Kürzungen im Gesundheitsbereich besetzten sie am 4.11. das Gesundheitsministerium in Girona, und drei Tage später die Ratingagentur Fitch, gegen die Finanzoligarchie und in Solidarität mit der Bevölkerung Griechenlands. Am 1.12. war eine Filiale der Bank Caixa in Badalona Ziel der Aktion: Wir zahlen nicht für eure Krise. Am 22.12. ging es wieder um das Gesundheitswesen, und am 1. Februar besetzten sie einen Linienbus: Gegen Lohnkürzungen und Fahrpreiserhöhungen, für den öffentlichen Transport.

Sie haben einiges gemeinsam: Sie sind RentnerInnen, die meisten von ihnen waren in linken Gruppen oder Parteien aktiv und haben in ihrer Jugend für die Freiheiten gekämpft, die sie jetzt durch die Krise bedroht sehen; sie haben nicht vor, aufzugeben, und selbstverständlich sind sie empört. Sie nennen sich selbst Iaioflautas (spanisch yayo: Opa) und setzen den Hashtag # vor ihren Namen, um klarzumachen, dass Twitter und andere soziale Netzwerke ihre Kanäle für Kommunikation und Ausweitung sind. Bei ihrer letzten Aktion am 1. Februar waren sie zu 70.

„Den Namen Iaioflautas verdanken wir Esperanza Aguirre, der Präsidentin der Region Madrid, die die Bewegung 15-M als perroflautas, als Penner bezeichnet hat“, erklärt einer der acht Rentner, die Ende September 2011 in einem Chinarestaurant den Niedergang der Bewegung 15-M beklagten und sich vornahmen, etwas dagegen zu tun. Hier entstand der Name Iaioflautas und sie beschlossen, jeden Monat eine Aktion zu machen. „Wir machen eine Versammlung, um das Thema der nächsten Aktion zu diskutieren, aber dort wird nie die gesamte Aktion besprochen. Das macht eine kleine Gruppe, etwa acht Personen, um zu verhindern, dass vorher etwas durchsickert. Wenn wir z.B. beschließen, eine Aktion gegen die hohen Fahrpreise zu machen, plant die kleine Gruppe, dass wir einen Bus der Linie 47 besetzen und was wir darin machen. Wir haben die Methoden der Klandestinität wieder aufgenommen, wir rufen die compañeros erst 10 Minuten vor der Aktion zusammen und erklären ihnen dann, was wir vorhaben, um der Polizei keine Zeit zu geben, denn die waren einige Male vor uns da und wir denken, dass sie unsere Telefone abgehört haben“.

„Unsere nächste Aktion wird im Parlament stattfinden… aber dass das niemand auf Facebook setzt, sonst kommt noch die Polizei!“ „Wir machen das wie damals gegen Franco, mit Mundpropaganda, mit den Techniken, die wir das ganze Leben lang benutzt haben.“ Ja, bei diesem Treffen im Ateneu Roig im Stadtteil Gracia wissen alle, dass „Vietnamita“ nicht nur die Bezeichnung für eine Frau aus Asien ist. Hier kommen Jahrhunderte von Erfahrung im Organisieren von Streiks und illegalen Gewerkschaften zusammen, mit konspirativen Treffen in Kirchen, die Arbeiterpriester organisierten. Für die Busbesetzung wählten sie die Linie 47, die nach Verdum in Nou Barris fährt. Denn einen Bus dieser Linie hatte der bekannte Gewerkschafter und Busfahrer Manuel Vital 1978 entführt, um zu beweisen, dass die Motoren der Busse stark genug waren, die Steigung zu seinem Stadtteil zu schaffen, und dass Torre Baró trotz des Steilhangs an den öffentlichen Verkehr angebunden werden konnte.

In den Wohlstandsjahren sind die Forderungen zurückgegangen und die Nachbarschaftsvereinigungen haben sich an die politischen Parteien angenähert. Die Ziele wurden abstrakter und waren weiter weg: die Rechte der Sahrauis, der Klimawandel, die Verschuldung der Dritten Welt… Alles lief ruhiger. Die „Vietnamitas“, diese kleinen Matritzenmaschinen, mit denen zuhause Flugblätter gedruckt wurden, wurden zu Museumsstücken. Den Iaioflautas ist es nicht schlecht gegangen im Leben. Anders als ihren Eltern, die noch Hunger gelitten hatten. Sie dagegen konnten im Lauf der Jahrzehnte den Blaumann gegen den weißen Kragen tauschen und in die Mittelschicht aufsteigen. Aber dann kam die Krise und nun fürchten sie, dass das Leben ihrer Enkel viel schlechter werden könnte als ihr eigenes. Und dann lernten sie sich auf der Straße kennen, auf der Plaza Catalunya, im Frühling der Spanish Revolution, wo sie sich mit ihren Enkeln an der Hand bei den Demonstrationen trafen.

„Dein Gesicht kommt mir bekannt vor…“. „Kein Wunder, ich war auf den Fahndungsplakaten.“ Ihre Kinder sind ihnen Ermutigung. Sie mögen Kino und Theater, Kultur und den FC Barcelona, die Oper und die Rolling Stones. Und schließlich ist deren Sänger Mick Jagger noch älter als viele von ihnen. „Jetzt ist unsere Zeit, das ist unser Moment“, sagen sie mit Nachdruck. „Wir haben viel zu sagen.“

Übersetzt und zusammengefasst aus

 http://www.elperiodico.com/es/noticias/sociedad/indigyayos-1392781
 http://www.lavanguardia.com/vida/20120212/54252726641/activismo-social-yayoflautas-ilustra-nueva-participacion-ciudadana.html

Auf der Webseite der Iaioflautas sind außerdem ihr Manifest in mehreren Sprachen und ein Video zur Busbesetzung zu finden:
 http://www.iaioflautas.org/
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